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Die „ehernen Gesetze

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Nun begegnet man leider einer ausgeprägten wirtschaftsfremden Einstellung gerade in Kreisen gebildeter Katholiken. Dieses Phänomen christlicher Wirtschaftsfremdheit läßt sich aber nicht damit abtun, daß hin und wieder ein Interessenverband überempfindlich reagiert, es auch katholische Länder durchaus nicht wirtschaftlich zurückgeblieben sind. Aber es scheint, als habe die Wirtschaftsfremdheit in Österreich nicht nur ihre Wurzeln in der Grundhaltung der Feudalzeit, in der es nur als standesgemäß galt, von den Erträgnissen des Grundbesitzes und der Landwirtschaft zu leben, sondern auch in dem — verständlichen — sehr engen Konnex zwischen der Kirche und dem agrarischen Lebensbereich. Das österreichische Institut für Wirtschaftsforschung hat in seiner überaus instruktiven Arbeit über die Entwicklung des Volkseinkommens zwischen 1913 und 1963 auch darauf hingewiesen, daß der Wachstumsabstand Österreichs zu anderen hochentwickelten Industriestaaten vor allem in dem geringen Verständnis gegenüber industriellen Aufgaben begründet sei, das in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg geherrscht hatte. Dieser Abstand aber muß sich, wenn nicht bald das Wirtschaftswachstum einen sehr nachhaltigen Anstoß erhält, weiterhin laufend vergrößeren.

muß vielmehr das offene Gespräch gesucht werden. Dazu gehört aber auch die Bereitschaft zum Gespräch — und zum Verstehen des Partners! — auf beiden Seiten.

Zu jenen Vokabeln, die, wie gesagt, aus dem Sprachschatz liquidiert werden sollten, zählt nach Meinung des Verfassers auch das von den „ehernen Gesetzen der Wirtschaft“. Auch dieses Wort entstammt dem Arsenal einer vergangenen Zeit. Man täte gut daran, statt dessen etwas bescheidener von gewissen Zusammenhängen zu sprechen — zwischen Wirtschaftswachstum und Volkswohlstand, zwischen Leistungs- und Lebensstandard, zwischen Kosten (darunter natürlich auch Löhnen) und Preisen, zwischen Investitions- und Konsumrate usw. Ebenso wichtig ist aber auch der Zusammenhang zwischen unternehmerischer Initiative sowie der Möglichkeit zu ihrer Entfaltung durch eine anregende Wirtschaftspolitik und der volkswirtschaftlichen Effizienz. Unternehmerinitiative aber ist ohne Gewinn nicht denkbar. Es wäre gerade jenen, die hier mit Vorurteilen operieren, zu raten, die äußerst interessanten Diskussionen im Osten genauestens zu verfolgen, sie würden dann nämlich erkennen, daß man dort unter dem Zwang der wirtschaftlichen Entwicklung und der steigenden Wünsche der Verbraucher immer mehr dazu übergehen muß, sich wirtschaftliche Erfahrungen der westlichen Industriestaaten zu eigen zu machen und manchen Grundsatz aus dem marxistischen Lehrgebäude zu revidieren.

Die „großen Beweger“

Jede Wirtschaft, die ein Höchstmaß von Leistungsfähigkeit erreichen will, braucht die „großen Beweger“, braucht auch die Hechte im Karpfenteich und den Gewinn von Unternehmen, von dem ein bekannter Publizist gesagt hat, daß es sich dabei eigentlich um „Zukunftskosten“ handle. Diese motorischen Kräfte in der Wirschaft sind nun zuweilen auch Persönlichkeiten, die nicht dem Idealbild franziskanischer Milde und Sanftheit entsprechen und oft hart und brutal wirken. Es handelt sich um Menschen mit allen ihren Fehlern, aber es ist falsch, den ganzen Stand der Unternehmer nach einzelnen Geschäftemachern (siehe den jüngsten Skandal im Wiener Gastgewerbe) und neureichen Protzen zu bewerten. Gewiß ist es auch nobel, sondern nur Ärgernis erregend, wenn z. B. ein Horten zur Belustigung eines knapp dem Teenageralter entwachsenen Mannequins eine Party gibt, zu der er aus aller Welt Musikkapellen und Girltruppen anreisen läßt, aber auch dieser Mann mit den wenig feinen Allüren hat seine Meriten — als Arbeitgeber ebenso wie als einer, der sich um eine preisgünstige Versorgung großer Konsumentenmassen bemüht.

Ist Wohlstand böse?

Man hat zuweilen auch den Eindruck, als gebe es in katholischen Kreisen als Pendant zu jener Richtung, die lieber heute als morgen den totalitären Terror möchte, damit sich das Christentum in den Katakomben regenerieren können, im wirtschaftlichen Raum einen „Wohlstandsekel“. Nun, das Wohlstandsniveau in Österreich ist trotz allen Fortschritten in den letzten Jahren Immer noch sehr bescheiden.

Österreich erweist sich auch gewissen Auswüchsen des modernen Konsumwahns und der Werbung gegenüber als gesund und immun. Und doch: Ist es ein Schaden für ein Land und seine Menschen, wenn sich das Wohlstandsniveau stetig hebt? Man muß an ein Wort des Thomas von Aquin erinnern, der an einer Stelle sagt: „Wer vor Hunger stirbt, muß eher gespeist als belehrt werden, wie es ja für den Notleidenden besser ist, zu Besitz zu kommen als zu philosophieren, obwohl dieses an sich höheren Wertes ist.“ Man möge dieses Wort für die heutige Zeit und für unsere Breiten cum grano salis nehmen. In einem Teil der Welt hat es leider noch seine volle Berechtigung, in den hochindustrialisierten Ländern aber verschiebt sich die pure Daseinsnot zu dem menschlich begreiflichen Verlangen nach einem noch besseren Leben. Es sollte die Aufgabe aller jener, die sich so ernsthafte Gedanken um das seelische Wohlbefinden machen, sein, diesen Wohlstand zu bewältigen, statt an ihm herumzumäkeln.

An dieser Stelle wird gewöhnlich auch von den Anhängern der christlichen Soziallehre auf die sträfliche Vernachlässigung des „öffentlichen Bereiches der Wirtschaft“ hingewiesen, also jener Vielzahl von Institutionen und Vorkehrungen, die für ein reibungsloses Zusammenleben der Menschen notwendig sind. In der Tat, kein Vernünftiger kann heute leugnen, daß auf dem Gebiet der „Gemeinschaftsinvestitionen“ mehr und noch viel mehr getan werden muß, wenn wir unserem Wohlstand nicht die Grundlage entziehen wollen. Aber der Weg dorthin führt nicht über die Reglementierung, sondern über die Selbstdisziplin und die wirtschaftliche Expansion, wonach von einem Mehr an Sozialprodukt eben ein größerer Teil zur Dotierung der diversen Bereiche der „Infrastruktur“ abgezweigt werden kann.

Erfolg und Ethik

Und wieviel Mißverständnissen begegnet man erst auf dem Gebiet der so komplizierten Eigentumsbildung und Eigentumspolitik. Es ist nicht damit getan, daß man einen an sich guten, vernünftigen — und notwendigen! — Gedanken mit vielfach unausgegorenen Ideen zerredet. Zum Ziel führt nur ein ernsthaftes Studium der Marterie — der wirtschaftlichen Voraussetzungen ebenso wie der praktischen Realisierungsmöglichkeiten. Gerade die österreichische Industrie kann von sich sagen, daß sie sich seit langem mit diesen Problemen intensiv beschäftigt.

Wir sollten in Österreich froh darüber sein, daß es bei uns nicht jene wirtschaftlichen und sozialen Spannungen, jene Niveauunterschiede zwischen „arm“ und „reich“ gibt wie in anderen Ländern. Die österreichische Industrie besteht aus vergleichsweise kleinen Einheiten. Die Großunternehmen, die sich auch nur einigermaßen mit internationalen Konzernen messen können, sind vor allem im verstaatlichten Bereich zu finden. In der Privatindustrie dominiert der Mittelbetrieb. Hier herrscht auch ein gesundes Verhältnis zwischen Unternehmern und Mitarbeitern, pflegt auch die Unternehmerschaft einen eher bescheidenen, gutbürgerlichen Lebensstil. Wo anders findet man beispielsweise eine industrielle Organisation, die sich schon wenige Monate nach dem Erscheinen der päpstlichen Enzyklika „Mater et Magistra“ sehr ernstlich auf wissenschaftlicher Ebene mit dem päpstlichen Rundschreiben auseinandersetzt, die das Gespräch mit den Spitzen der katholischen Hierarchie pflegt, die sich auch jeder sozialen Neuerung gegenüber aufgeschlossen zeigt und in zahllosen Enunziationen bekundet hat, daß sie kein Interessenverband im einseitigen Sinn des Wortes sein will? Ist es dann zuviel verlangt, wenn Österreichs Unternehmer den Wunsch haben, man möge ihnen ebensoviel guten Willen — auch im gedruckten Wort! — zubilligen, wie sie ihn ihrerseits selbstverständlich dem Partner entgegenbringen?

Kardinal König hat in seinem Vortrag vor der Industriellenvereinigung am 12. Februar 1965 auch von den Spannungen zwischen Wirtschaftserfolg und Wirtschaftsethik gesprochen. Er hat darauf hingewiesen, daß zwischen Erfolg und Ethik kein Widerspruch bestehe. Man könne allerdings nicht sagen, daß sich alle Schwierigkeiten auf diesem Gebiet in Mißverständnisse auflösen. Das Spannungsverhältnis zwischen Wirt-sohaftserfolg und Wirtschaftsethik werde auch in Zukunft bestehen bleiben, „so wie wir alle in dieser Welt den Spannungen und Konflikten ausgesetzt sind ... Die Spannung ist das Gesetz dieser Welt, wobei sie darum ringt, der Harmonie der Sterne und der ewigen Ordnung ihres Schöpfers zu gehorcnen“.

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