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Wirtschaftliche Minderwertigkeitskomplexe?

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Kraß formuliert könnte man sagen, daß die Einstellung des Österreichers zur Wirtschaft von mehreren Komplexen geprägt wird.

An der Spitze ist jener wirtschaftliche Minderwertigkeitskomplex zu nennen» der sich etwa darin äußert, daß es heißt, wir seien ein kleines Land, das den Wettbewerb mit den Giganten nicht aufnehmen könne, und daß bei einem Hineinwachsen in einen großen europäischen Markt — ohne Rücksicht auf derzeit noch aktuelle Fragen wie EWG und EFTA — ein großer Teil unserer Wirtschaft unter die Räder kommen werde. Gewiß, der Pessimismus ist regional

abgestuft: Im Westen Österreichs mit seiner stärkeren wirtschaftlichen, vor allem mdiustiieilen Dynamik ist er weniger ausgeprägt als in den östlichen Ländesteilen, die sich von den Jahren der Besetzung noch immer nicht ganz erholt haben.

Arme.und reiche Länder?

Was wir also brauchen, ist vor allem mehr Vertrauen zu uns selbst, auch mehr Mut zu uns. Vor allem gilt es, mit den Vorstellungen von „armen“ und „reichen“ Ländern im Sinne früherer Wtatscbaftsauffas-sungen radikal zu brechen. Denn der Reichtum eines Landes liegt heute

vor allem in seinem geistigen Potential, in seinem technisch-industriellen Standard, in der fachlichen Güte aller in der Wirtschaft Tätigen und in der Ausrichtung des Verwalitungs-apparates auf die Notwendigkeiten eines modernen Industriestaates. Ginge es nämlich nach den herkömmlichen Begriffen von „arm“ und „reich“ — im Sinne von Bodenschätzen und Rohstoffreichtum —, dann müßten die Entwicklungsländer zu den Reichen dieser Erde zählen. Die Fakten zeigen» daß dem nicht so Eist.

Deutet man also den Begriff „reich“ in einer modernen, in die Zukunft orientierten Art, dann ist kein Grund zum Kleinmut in Österreich gegeben. Unser Land verfügt nämlilch über eine Bevölkerung mit hoher Intelligenz, vielen Talenten (wofür die Abwanderung trauriges «Zeugnis ablegt) und mit großer Improväsaitiionsgabe. Seine Unternehmer sind im Durchschnitt nicht untüchtiger oder weniger initiativ als die anderer Länder. Die Entwicklung der Industrie seit 1945 und die Steigerung des Anteils der Fertigwaren an der Ausfuhr beweisen, daß wir auf dem richtigen Weg sind.

Warum also dann die Klagen» Österreich sei kein moderner Industriestaat? Weil der Zündfunke „von oben“ fehlt, nämlich die Überzeugung der politischen Spitze, daß in einem Staat des auisklänigenden 20. Jahrhunderts nun einmal die Industrie Schrittmacherin und Triebkraft des Fortschritts Ist. Wenn wir Industriepolitik in diesem, nicht im engen» nur gruppenegoistischen Sinn betreiben, dann werden wir auch der Masse der Österreicher das Gefühl geben können, daß sie in einem „reichen“ Staat leben.

Der zweite Komplex, der zu nennen ist, kann als „Musterschtiler-Komplex“ bezeichnet werden. Es ist dies jene, vor allem in der Bürokratie, wahrnehmbare Tendenz, alle mternationai'en Abmachungen wie ein Klassenerster erfüllen zu müssen» jede auch noch so vernünftige und — wie oft zu beweisen ist —• auch von der Arbeitnehmerseite unterstützte Forderung nach einer gewissen Frist für die Anpassung bedrohter Wirtschaftszweige oder nach Abwehr von Dumping sofort mit „Protektionismus“ zu stigmatisieren. Österreich braucht mit seinen Maßnahmen zur Befreiung seines Außenhandels von quantitativen und tarifanischen Hemmnissen nicht hinter dem Berg zu halten. Aber es sollte bedacht werden» daß andere, wesentlich potentere Staaten» was ihre eigene Wirtschaft betrifft, durchaus nicht immer so freizügig vorgehen, wie sie in ihren De^T-Hio- • nen behaupten.

Industriell denken!

Bin drittes: Es fehlt unserem Land das industrielle Denken. Noch immer hat sich der Österreicher von gewissen romantischen Vorstellungen nicht gelöst. Die eine geht auf eine Zeit zurück, da man in kleingewerblichen Maßstäben dachte, die andere ist der Agrarroroaratizismus, eine dritte schließlich sieht in Österreich den Aipengarten und Erholungsraum Europas, hart ausgedrückt, ein Land der Skilehrer und Hcrtelportiers. Nun hält heute in jedem Wirtschaftszweig industrielles Denken seinen Einzug: Im Gewerbe und im Handel ebenso wie auch in der Landwirtschaft. Überall wird der Ruf nach modernen Führungs- und Organisationsmethoden laut, verlangt man nach dem industriell denkenden Unternehmer.

Volkswirtschaftliche Aufklärung muß heute auch als ein Beitrag zur Festigung der Demokratie und des Staatsbewußtseins betrachtet werden. Der jüngste Kongreß des österreichischen Gewerkschaftsbundes war auch deswegen bedeutungsvoll, weil dort die in Österreich herrschende Wirtschaftsordnung nicht mehr in Frage gestellt wurde. Das weit ausgreifende Referat des Stellvertretenden Generaldirektors der Nationalbank, Dr. Stephan Wirland-ner, erwähnte ausdrücklich die Gedanken des deutschen Bauarbeiterführers und jetzigen Verkehrsministers Leber. Minister Leber hat in seiner gewerkschaftlichen Aktivität, in klarer Abwendung vom Klassenkampf, stets die marktwirtschaftliche Ordnung bejaht und seine Mitglieder aufgefordert, sich in dieser nicht nur wohnlich einzurichten» sondern auch heimisch zu fühlen. Denn 100 Jahre nach Karl Marx' „Kapital“ muß man zur Kenntnis nehmen» daß nichts mehr zur Entproletarisierung des Proletariers von einst beigetragen bat als die moderne, industriell bestimmte aufgeklärte Marktwirtschaft. Man möchte daher wünschen, daß auch wir in Österreich bald so weit sind, daß „die Wirtschaft“ nicht mehr nur als die Sache einiger Kommer-ziairäte angesehen wird.

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