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Digital In Arbeit

Sieben Irrtümer der Beschäftigungspolitik

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Maßnahmen gegen die hohe Arbeitslosigkeit stehen im littelpunkt der wirtschaftspolitischen Diskussion - in Osterreich wie in der Europäischen Union. Mit Recht, denn die menschliche Tragödie der von der Arbeit und damit in der Folge von der Gesellschaft Ausgeschlossenen kann von einer so wohlhabenden Volkswirtschaft wie der unseren nicht toleriert werden. Aber auch die wirtschaftlichen und politischen Folgen einer Massenarbeitslosigkeit sind völlig inakzeptabel. Sie werden in ihrer Gefährlichkeit zwar meist erkannt, in der Analyse der Ursachen von Arbeitslosigkeit und der Möglichkeiten ihrer Bekämpfung gehen jedoch die Meinungen auseinander. Den oft von Interessen bestimmten Standpunkten liegen teils unrichtige, teils widersprüchliche oder unscharfe Auffassungen zugrunde. Sieben Irrtümer stehen dabei im Vordergrund:

1. Die Selbsttäuschung:

Schönwetterpolitiker wollen uns glauben machen, daß Österreich trotz steL» gender Beschäftigungsprobleme im internationalen Vergleich noch immer gut dasteht.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Zwar liegt unsere Arbeitslosenrate noch weit unter der EU-Quote, doch läßt die rein statistische Aussage wichtige Faktoren unberücksichtigt, die zuungunsten Österreichs sprechen: Die vielen Frühpensionisten, das späte Berufsantrittsalter, die Vergrößerung und Uberbesetzung des geschützten Sektors, vor allem im Öffentlichen Dienst (die alleinige Ursache für die höheren Beschäftigungszahlen der letzten Jahrzehnte). Österreich ist innerhalb der Europäischen Union das Land mit der geringsten Kapazität, Arbeitsplätze in Unternehmen zu schaffen, die dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind. Dazu kommt, daß Österreich überfälligen Strukturmaßnahmen länger ausgewichen ist als andere vergleichbare Länder; zunächst in der - überwiegend verstaatlichten Industrie, bei der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte und nun im Dienstleistungsbereich (Banken, Versicherungen).

Diese zögerliche Politik hat Hunderte Milliarden Schilling gekostet, die heute für eine bessere Ausbildung der Jugend, für Forschung und Entwicklung, für eine zielführende Förderung von Zukunftsindustrien und für den Ausbau der Infrastruktur (Bahn, Post) fehlen. Die Bewältigung großer Probleme liegt also noch vor uns.

2. Die Vogel Strauß Option:

Manche Arbeitnehmervertreter, die sich angesichts früherer Versprechen scheuen, ihre Klientel mit den Tatsachen zu konfrontieren, leugnen in öffentlicher Bede (nicht aber unter vier Augen) die Folgen der Globalisierung und bezeichnen sie pro foro externo als Erfindung böser Kapitalisten, die darin ein Druckmittel im Verteilungskampf sehen. Nun sind die Zeiten für die Arbeitnehmer tatsächlich härter geworden, aber ebenso für die Unternehmer. Im vergangenen Jahr gab es 5.500 Insolvenzen mit Schulden von über 50 Milliarden Schilling. Sie betrafen 18.400 Arbeitsplätze. Auch der Ausverkauf heimischer Betriebe, die nicht selten zu reinen Fertigungsstätten reduziert, wenn mittelfristig nicht überhaupt stillgelegt werden, ist entgegen mancher Beteuerungen ein wichtiger Indikator für zu geringe Wettbewerbsfähigkeit. Neben spektakulären Fällen wie Sem-perit uiij dstle gibt esDuUejideJVJ.it.-telbetriebe, die ihre Selbständigkeit verloren und ihre Zukutiftschatieen nach der Verlagerung von Forschung und Entwicklung zum neuen ausländischen Eigentümer (wie jüngst etwa die Linzer Pharmaunternehmen La-evosan und Topcro-Nycomed) verwirkt haben.

3. Die fatalistische Variante:

Weitverbreitet ist der Irrglaube, daß man die Folgen der Globalisierung als schicksalhaft ertragen müsse und wenig dagegen tun könne. Bichtig ist: Die Globalisierung ist eine Tatsache, der sich nicht einmal ein großes Industrieland und sicherlich nicht eine kleine Volkswirtschaft wie Österreich entziehen kann. Wohl aber kann eine vernünftige Wirtschaftspolitik helfen, die Vorteile der Integration zu maximieren und ihre Nachteile möglichst klein zu halten. Denn die Globalisierung an sich bedroht nicht zwangsläufig Wirtschaftsstandorte. Dies geschieht nur dann, wenn sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht ausreichend und nicht rasch genug auf eingetretene Veränderungen in Technologie und Wettbewerb einstellen. Die internationale Arbeitsteilung erfordert Spezialisierung. Dazu braucht man Energie, Mut und Zeit. Die Integrationsdividende ist nicht für alle gesichert. Sie wird nur jenen zuteil werden, die zur Anpassung bereit sind.

Uberzeugende Beispiele zeigen, daß dies bei Einsicht aller Beteiligten möglich ist. So haben, um nur ein Beispiel zu nennen, die Niederlande die Globalisierungsfolgen in einem Ausgleich zwischen wirtschaftlicher Notwendigkeit und sozialer Wünschbar -keit bewältigt. Der staatliche Einfluß wurde vermindert, die Kräfte des Marktes stärker berücksichtigt. Die Folgen dieser Politik sind auch psychologisch spürbar. Nach einer Umfrage haben mehr als zwei Drittel der holländischen Bevölkerung positive Zukunftserwartungen. Die Sparanstrengungen der Regierung und die Lohnmäßigung der Gewerkschaften haben in den Jahren 1995 und 1996 einen Zuwachs von durchschnittlich 100.000 Arbeitsplätzen gebracht. Bemerkenswert ist, daß diese von der konservativen Begierung eingeleitete Entwicklung nunmehr vom sozialdemokratischen Ministerpräsidenten fortgesetzt wird. Der allgemeine Ver-sorgungsstaat ist einem System gewichen, das. Sozialpolitik als Auffangnetz für cp| Notfall ansieht.

4. Der monokausale Erklärungsversuch:

Sie sie it der Globalisiesurig der Weltmätte deaeinigen Urheber der Arbeitslosigkeit. Das trifft nicht zu. Wichtige Gründe sind neue Technologien,, vor allem die Datenverarbeitung und -übermittlurig* die Ver-änderungeh in den Familien - und Gesellschaftsstrukturen, das an sich erfreuliche Schrumpfen der Rüstungsindustrie, bürokratische Hemmnisse und die niedrigen Kapital- und hohen Personalkosten, die zu Rationalisierungsinvestitionen Anlaß geben. Diese Gegebenheiten erhöhen alle den Reformdruck. Je länger mit der Beseitigung von Schwächen und dem Abbau falscher Anreize gewartet wird, desto größer die Substanz, die verloren geht, desto schmerzhafter die notwendigen Eingriffe.

5. Das Märchen von einer Gesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist:

Dieser Trugschluß ist verblüffend einfach: Maschinen ersetzen Menschen und erzeugen Produkte, die sich die Konsumenten mangels eines gesicherten und ausreichenden Einkommens nicht mehr leisten können. Daher Umverteilung der Arbeit bei möglichst vollem Lohnausgleich.

Es grenzt an Zynismus zu behaupten, daß wir zu wenig Arbeit haben. Es gibt in unserem Land auch heute noch genug zu tun. Haben wir genügend Wohnungen in der gewünschten Qualität, ausreichende Kindergartenplätze, optimale Ausbildungseinrichtungen, befriedigende Verkehrswege, ist der Bedarf an menschen würdigen Alters- und Pflegeheimen gedeckt? Diese Fragen stellen heißt sie beantworten. Es gibt genug Arbeit, doch ist sie für viele Vorhaben - angesichts der hohen Lohnnebenkosten und des nach dem Gießkannenprinzips gestalteten sozialen Netzes - zu teuer geworden. Auch wird im öffentlichen Bereich mangels wirksamer Kontrolle oft zu ineffizient gearbeitet.

6. Die Sehnsucht nach dem abhanden gekommenen Pseudo-Keynesianismus:

Politiker und Wissenschaftler träumen von'einer Bückkehr in eine Zeit, wo dank hoher Schulden des Staates (sogenanntes Deficit Spending) nicht lebensfähige Betriebe einige Zeit lang erhalten und die Kaufkraft der Bevölkerung durch immer großzügigere Transferzahlungen erhöht wurde. Damit wurde zwar temporär Voll-, mitunter sogar Uberbeschäftigung erreicht, späteren Jahren jedoch eine hohe, nicht mehr erweiterbare Zinsbelastung auferlegt, die jetzt den beschäftigungspolitischen Spielraum sehr stark beschränkt: Die Schulden von Gestern brachten die Arbeitslosigkeit von Heute.

Wer dem Deficit Spending der siebziger und achtziger Jahre nachtrauert, gleicht- überspitzt formuliert - einem Pleitier, der klagend ausruft: „Wie gut ist es uns gegangen, als wir noch nicht insolvent waren und Schulden machen konnten!"

7. Das Dilemma der wohlerworbenen Rechte:

Die notwendigen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft werden auch die unter anderen Bedingungen entstandenen Besitzstände nicht unangetastet lassen, wenn eine wirksame Beschäftigüngspolitik verfolgt werden soll. Die Gefahr, die mit dem Eingriff in wohlerworbene Rechte zwangsläufig verbunden ist, besteht in der Schwierigkeit, vertretbare Grenzen zu setzen, bei denen eine Beschneidung gesetzlicher oder vertraglicher Ansprüche anfängt und aufhört. Wie vermeidet man, die Büchse der Pandora zu öffnen? Augenmaß, Kompromißbereitschaft und Bea-litätssinn sind gefragt. Es scheint, daß diese Eigenschaften auf betrieblicher Ebene, bei den Betriebsräten und der Belegschaft und den Managern und Eigentümern, ausgeprägter sind als bei den im Bampenlicht der Öffentlichkeit stehenden Mandataren.

Der Autor ist freier Publizist in Wien.

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