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Alle reden von Strukturpolitik, wer aber „macht“ sie?

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Für die gegenwärtigen und auch langfristigen Probleme der österreichischen Wirtschaftspolitik wird immer wieder als Allheilmittel von einer „neuen Phase der Strukturpolitik“ gesprochen. Besonders für die Beschäftigung der in den kommenden Jahren zusätzlich Arbeit suchenden Menschen (bis 1985 werden das jährlich durchschnittlich rund 39.000 Menschen sein) verspricht man sich von einer neuen Strukturpolitik, die mit neuen Produkten neue Produktionszweige und damit neue Investitionen und zusätzliche Arbeitsplätze schafft, die Lösung.

Wie ist es jedoch derzeit um die Struktur der österreichischen Wirtschaft - vor allem der Industrie - bestellt? Die österreichische Branchenstruktur weicht in entscheidenden

Punkten von der Industriestruktur der hochentwickelten Industrieländer ab. Wir erzeugen noch immer zu viele Basisprodukte, die grundstofforientiert sind, und deren Produktion kapital-und energieintensiv ist. Bei den Finalgütern, deren Anteü an der gesamten Industrieproduktion bei uns geringer ist als beispielsweise in der BRD, liegen unsere Schwerpunkte in den für uns ' zukunftsschwachen Bereichen Textil, Bekleidung, Leder und weniger in dem Bereich der Eisenverarbeitung, der für ein hochentwickeltes Industrieland jedoch typisch wäre.

Die österreichische Situation wird noch dadurch verschärft, daß es international zu einer neuen Arbeitsteilung zwischen der industrialisierten Welt und den Entwicklungsländern kommen wird. Die Industrieländer werden sich auf jene Produkte spezialisieren, die viel technisches Wissen und entsprechendes Personal erfordern. Die Entwicklungsländer werden immer stärker die Produktion eingeführter Produkte übernehmen (z. B. im Textübereich, aber auch in der Schwerindustrie), die ungelernte oder angelernte Arbeitskräfte erfordert und wo bei der Herstellung noch oft die Wahl zwischen arbeitsintensiven und kapitalintensiven Produktionsverfahren besteht. Dies bedeutet, daß jene Branchen, deren Produktionsweise durch leicht zugängliche Technologie und vergleichsweise geringe Qualitätsanforderungen an die Arbeitskräfte gekennzeichnet ist, zunehmend unter Druck geraten werden.

Wir haben unsere Situation schließlich dadurch verschärft, daß wir in der ersten Hälfte der siebziger Jahre die Kapazitäten für Basisprodukte weit überdurchschnittlich ausgeweitet haben und damit den an sich richtigen Weg der Produktionsverlagerung zu den Finalgütern verlassen bzw. unterbrochen haben. Diese Ausweitung wurde allerdings durch die damalige Preishausse für Basisprodukte (dazu gehören auch Vorprodukte der Investitionsgütererzeugung und Papier) begünstigt. Zur Abrundung dieses Strukturbüdes gibt die Tabelle über die Exportanteile einen Überblick über den Anteil verschiedener Industriebranchen am Export. Aus dieser Tabelle entnimmt man, daß wir stärker

in den „gefährdeten“ Branchen Textil, Bekleidung, Leder, Papier, Holzverarbeitung, und bei Eisen/Eisenhütten sind, deutlich schwächer jedoch bei Eisenverarbeitung (Maschinenindustrie) und Chemie.

In Zukunft werden wir versuchen müssen, in unserer Wirtschaftspolitik und vor allem bei unseren Förderungsinstrumenten (Haftungsübernahmen, Zinsenzuschüsse usw.) strukturell wirkende Impulse zu setzen. Es spricht zwar jedermann von den neuen, know-how-intensiven Produkten, die wir erzeugen sollen, aber so lange jener Visionär, Mr. Look-out, fehlt, der die Liste dieser Produkte erstellt, wird der erwünschte Strukturwandel nur durch viele kleine und einige große Schritte erreicht werden. Welche Ansatzpunkte für eine Beschäftigungspolitik bestehen nun?

• Streckung der Beschäftigung: In

jüngster Zeit wird öfters die Streckung der Beschäftigung in Form von genereller Arbeitszeitverkürzung oder Schulzeitverlängerung oder durch die Senkung des Pensionsalters vorgeschlagen. Diese Vorschläge, die auf die Verteilung der gleichen „Arbeitsmenge“ auf mehr Arbeitende abzielen, sind irreversibel, kostenmäßig derzeitig nicht verkraftbar und, wie die Erfahrung gezeigt hat, in ihrer einfachen Berechnung auch nicht richtig. Eine Arbeitszeitverkürzung um beispielsweise zehn Prozent bringt - wie allgemein bekannt - nicht eine gleichzeitige Erhöhung der Beschäftigung um zehn Prozent. '

• Produktivitätsstopp: Darunter versteht man ein Abbauverbot bei technologischen Neuerungen. Die Auseinandersetzungen im graphischen Gewerbe sind unter anderem auch deswegen so hart, weü hier eine neue Technologie Arbeitsplätze und ganze Berufe (Setzer) ersetzen wird. Die Durchführung eines Abbauverbotes bei technischen Neuerungen wäre jedoch international wegen der dadurch entstehenden Kostenerhöhung nicht verkraftbar. Die Exportchancen würden reduziert, der Importdruck gesteigert werden. Die Angst, daß Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, ist latent bei vielen Menschen vorhanden Die Vergangenheit zeigt jedoch, daß dies nicht zutreffen muß. So gab es in den fünfziger Jahren eine ausführliche Diskussion über die Automation und die dadurch gegebene Gefährdung von Arbeitsplätzen Im folgenden Jahrzehnt haben wir jedoch Arbeitskräfte „importiert“, das heißt, Gastarbeiter aufgenommen.

• Entlastung des Faktors „Arbeit“: Hier ist ein Ansatzpunkt insofern vorhanden, als jede zusätzliche steuerliche Belastung der Arbeitskräfte (wie heute durch die Lohnsummensteuer oder U-Bahn-Steuer) vermieden werden soll. Die „Wirtschaftsliberalen“ verstehen darunter auch gerne einen ^Lohnstopp, um die Kosten zu senken, damit die Gewinne steigen und die Investitionen in der Folge wieder zunehmen. Diese Variante ist aus verteilungspolitischen Gründen, aber auch wirtschaftspolitisch wegen des Nachfrageausfalls abzulehnen. Verteilungspolitisch kann man zwar die Ar-

beitseinkommen (als Kontrakteinkommen) bestimmen, die Gewinne (als Residualeinkommen) lassen sich jedoch nicht festlegen. • Belebung der Gesamtnachfrage durch die Budgetpblitik: Dieser Weg wurde und wird zwar in Österreich beschritten, seine Grenzen sind jedoch offensichtlich. Der Beschäftigungseffekt dieser budgetären Ankurbelung ist vergleichweise gering. So bringen zehn Milliarden Schilling zusätzliches Budgetdefizit nur rund 14.000 Arbeitsplätze. Die öffentliche Hand wird jedoch nicht in der Lage sein, einen Ausfall privater Nachfrage, der nicht nur konjunkturell bedingt ist, zu kompensieren Bei einer lang andauernden Krise - die wir offensichtlich zur Zeit erleben - würde eine solche Politik die Budgets der nächsten Jahre und Jahrzehnte in einem ungeahnten Ausmaß belasten und jede konjunkturelle Budgetpolitik verhindern.

Der Schwerpunkt der Ankurbelung kann daher nicht beim Budget und bei der öffentlichen Hand liegen, sondern muß durch die Privaten, also durch die Wirtschaft erfolgen. Dafür wäre jedoch ein Anreizsystem notwendig, das die Unternehmer in die gewünschte strukturelle Richtung führt. Da der Markt in der Wettbewerbs Ordnung im wesentlichen nur die gerade aktuellen Verhältnisse wiedergibt, die Unternehmer aber aus diesen kurzfristigen Signalen langfristige Investitionsentscheidungen treffen müssen, ist die Aufgabe der Strukturpolitik, dort regulierend und lenkend einzugreifen, wo eben der Marktmechanismus nicht befriedi-. gend funktioniert. Strukturpolitik in diesem Sinne ist nicht nachträgliche Bekämpfung von sektoralen oder regionalen Problemen und Krisener-, scheinungen, die sich im marktwirt-

schaftlichen Wachstums prozeß herausgebildet haben, sondern der Versuch einer vorausschauenden Gestaltung der einzelnen Sektoren, Branchen und Regionen.

Lange Zeit wurde der Begriff Strukturpolitik eher restriktiv verstanden, er diente als Deckname für eine konservierende Schutzpolitik und eine Strukturbremspolitik. Zielsetzung einer Strukturpolitik kann nur sein, ein möglichst rasches und reibungsloses Anpassen von wirtschaftlichen Gefügen an die geänderten Nachfragebedingungen zu ermöglichen und selbst die Produktion neuer Produkte und die Aufnahme neuer Produktionsverfahren zu initiieren oder Anreize in Form von Förderungen zu geben. Diese Auffassung von Strukturpolitik ist allerdings umstritten. Strukturpolitische Aktivitäten wurden nicht selten aus ordnungspolitischen Gründen abgelehnt, da man der Meinung war, Markt und Wettbewerb werden die optimalen Strukturen schon erzeugen. Die Erfahrung der letzten Konjunkturphase hat jedoch gezeigt, daß wir eine die Wettbewerbspolitik begleitende spezielle Strukturpolitik brauchen. In der letzten Konjunkturphase ist zwar das industrielle Wachstum

stark gestiegen, doch wurde aus kurzfristigen Gründen in Branchen (Basisindustrie) investiert, die heute zu unseren Sorgenkindern geworden sind.

• Strukturelle Maßnahmen: Der Schwerpunkt muß auch für die Beschäftigungspolitik in der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, Ermunterung zur Innovation, in der Förderung von Forschung und Entwicklung und in der Beseitigung des administrativen Druckes liegen. Die ÖVP hat in ihrem „Konzept zur Sicherung der Arbeitsplätze“ (Taus-Plan) dafür einige sehr konkrete Punkte vorgeschlagen, wie etwa die Einführung einer Investitionsprämie für Investitionen in neue Produkte, die bisher noch nicht erzeugt wurden, oder die Förderung von Engineering- und Consulting-Firmen, die gegenwärtig aus der Wirtschaftsförderung herausfallen.

Strukturelle Maßnahmen haben sicher den Nachteü, daß sie weniger leicht administrierbar sind als globale Ankurbelungen. Der Vorteil hegt jedoch darin, daß eine so verstandene Strukturpolitik büliger ist und für die Zukunft mehr bringt als ein kurzfristiger Aufschwung über Schulden, der dann jedoch nicht selbsttragend ist.

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