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Digital In Arbeit

Markt korrigieren

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120 Bewerbungsschreiben und noch immer kein Job: einer von vielen jungen Arbeitslosen. Versagt die Marktwirtschaft? Muß man sie reformieren? Wie?

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120 Bewerbungsschreiben und noch immer kein Job: einer von vielen jungen Arbeitslosen. Versagt die Marktwirtschaft? Muß man sie reformieren? Wie?

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Dieser Frage ging ein Forschungsseminar im Wiener „Dr. Karl Kummer Institut“ vorigen Samstag nach: „Der Markt als ordnungspolitisches Instrument“ war das Thema.

Wolf gang Schmitz, ehemaliger Nationalbankpräsident, skizzierte einleitend die Stärken der „Sozialen Marktwirtschaft“:

• Effiziente Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen,

• Sicherung von Freiheitsräumen für den einzelnen,

• rasche Anpassungsfähigkeit,

• große Lernfähigkeit und relativ wenig Bürokratie, •

• Ausrichtung auf Konsumentenwünsche ...

Ohne Zweifel eine lange Liste von Meriten, die sozial, also wohltätig für die Allgemeinheit sind.

Wer im direkten Wettbewerb am Markt zu kurz kommt, fällt ins

Netz der „zweiten Einkommensverteilung“: Durch Steuern und Abgaben schöpfen öffentliche Haushalte Mittel bei den Erwerbstätigen ab, um sie umzuverteilen.

Im Vergleich zur Planwirtschaft hat sich unser System bisher sicher bewährt. Reicht dieser Vorteil aber, um weiterhin auf die Marktkräfte als Motor der Entwicklung zu bauen?

Die bürgerlichen „Wende“-Po-litiker meinen: ja! Mehr Wettbewerb und Privatinitiative nach allzu langem Dirigismus seien die Lösung heutiger Probleme. Ich bin da skeptisch. Denn manche Grundprämisse unseres Systems müßte neu bedacht werden. Welche Grundannahmen aber gibt es?

• Das Marktgeschehen wird vom Konsumenten diktiert. Was erzeugt wird, bestimmt der Zahler.

• Wettbewerb und Gewinn dienen diesem Anliegen. „Die Produzenteninteressen zählen eigentlich nicht“, skizzierte Erich Streißler, Professor für Ökonomie in Wien, eine weitere Grundthese.

• Nur knappe Güter sind wertvoll. Nur sie erzielen Preise.

• Wert besitzt nur das Produkt. Wie es entsteht, ist sekundär. Das Marktgeschehen ist anonym.

• Wer billigere Problemlösungen anbietet, setzt sich durch und verdrängt die anderen.

• Wer etwas verdienen will, muß etwas leisten, was ein anderer nachfragt. Wer nicht zum Zug kommt, wird im Weg der zweiten Einkommensverteilung erhalten.

Wie jedes Modell ist auch dieses eine Verkürzung der Realität des Lebens. Es hat daher Stärken und Schwächen. Welche sind nun die Schwächen?

Wird der Mensch nur als Konsument gesehen, so besteht die Gefahr, daß er auf dieses Modellbild verkürzt wird. Wird er nicht vielfach bereits so behandelt? Wie ein unersättliches Bedürfnisbündel?

Solange in den Industrieländern materielle Unterversorgung herrschte, mag die Annahme vom Primat der Bedürfnisse eine gewisse Berechtigung gehabt haben, konnten mehr Essen, bessere Kleidung, mehr Mobilität als Beiträge zu einem besser erfüllten Leben angesehen werden. Aber heute, da Agrarüberschüsse, Uberkapazitäten in der Bau- und Grundstoffindustrie, Vollmotorisierung ... das Bild prägen?

Heute müßte das Konsumieren längst relativiert werden. Uns wird aber weiterhin eingeprägt: „Shopping macht happy“ — weil eben die riesige Wirtschaftsmaschinerie Abnehmer braucht.

Und damit sind wir bei der nächsten Annahme: Längst schon dominieren die Unternehmerinteressen. Die enorm leistungsfähig gewordenen wirtschaftlichen Einheiten schaffen Nachfrage: einerseits durch Weckung neuer (oft fragwürdiger) Bedürfnisse; andererseits durch massive Forderung nach Ausbau der öffentlichen Infrastruktur. Wo beides nicht reicht, stopft die öffentliche Nachfrage die Löcher: Militärausgaben, Hochtechnologieforschung, Umweltsanierung... Auf den Märkten spielen die öffentlichen Haushalte eine immer gewichtigere Rolle.

Aber nicht nur sie unterlaufen das Postulat von den anonymen Märkten. Die fortgesetzte Belohnung der Erfolgreichen fördert deren Wachstum und läßt die Unterlegenen ausscheiden.

Die Öffnung der nationalen Märkte hat den kalten Wind der Konkurrenz überallhin getragen, zu starken Effizienzsteigerungen, aber auch zu bisher unvorstellbaren Konzentrationen geführt: 1985 war IBMs Umsatz mehr als doppelt so hoch wie Österreichs Brut-tonationalprodukt.

Parallel dazu ergab sich eine weitere, durchaus logische Folge des Marktgeschehens: der Trend zur Rationalisierung, überwiegend in der Form der Einsparung von Arbeitskraft.

Auch hier kommt die Systemlogik voll zum Zug. Arbeit ist bei weitem die teuerste Kostenposition. Wer im Wettbewerb bestehen will, muß Kosten minimieren. Er spart am wirksamsten dort, wo die meisten Kosten auflaufen, also bei der Arbeit. Das war solange sinnvoll, als freigesetzte Mitarbeiter andere (sinnvollere) Betätigung finden konnten.

Wird jedoch auch bei stagnierender Nachfrage weiter rationalisiert, finden die entlassenen Arbeitskräfte keine Wiederbeschäftigung. Die logische Folge: steigende Arbeitslosigkeit. Sie ist so-

mit keine vorübergehende Erscheinung des normalen wirtschaftlichen Wandels mehr. Das Konkurrenzsystem erleidet die logischen Folgen seiner steigenden Effizienz.

Mehr Arbeitslosigkeit und Frühpensionierung erhöhen die Zahl derjeniger, die der zweiten Einkommensverteilung zur Last fallen und erhöhen damit zwangsläufig die Staatsquote und somit die wirtschaftliche Bedeutung des öffentlichen Sektors, dem vom Modell her eigentlich vor allem Regulierungsfunktion zukäme.

Wir haben es hier mit einer der Nebenwirkungen der Sichtverkürzung des Modells zu tun. Eine andere tritt ebenfalls zunehmend deutlich in Erscheinung: die Umweltproblematik.

Luft und Wasser sowie die Regenerationsfähigkeit unseres Lebensraumes wurden bisher weitgehend kostenlos genutzt. Das ist eine Folge der Annahme, daß nur knappen Gütern wirtschaftlicher Wert zukommt. Mittlerweile wurde klar, daß lange Zeit ein Kapital aufgebraucht wurde, das nicht beliebig ver- und mißbraucht werden darf.

Die Urnweltproblematik stellt auch eine weitere Grundannahme in Frage: die scheinbar unbeschränkte Souveränität des Konsumenten. Im Kreislauf der Stoffe ist Konsum nämlich nicht End-, sondern nur Zwischenstation. Für Entsorgungsprobleme hat das Modell aber keine Lösung parat. Sie wurden bisher ziemlich gedankenlos den öffentlichen Haushalten zur Lösung zugewiesen — ein weiterer Grund zu ihrer Aufblähung.

Aus all dem wird offenkundig: Das enorm wirksame Marktsystem frißt seine Basis, beginnt, sich selbst aufzuheben.

Was ist zu tun?

Der erste Ansatz besteht darin, die Leistungsfähigkeit des Marktes, seine Lernfähigkeit, so auszurichten, daß Fehlleistungen korrigiert werden. Einige Weichen und Signale wären anders zu stellen.

Arbeitslosigkeit und Umweltproblematik sind nicht zuletzt Folgen einer falschen Kostenrechnung. Zwischen Netto- und Bruttogehalt klafft derzeit eine enorme Lücke: Steuern und Sozialabgaben verteuern die Arbeit. Im Gegensatz dazu werden die natürlichen Ressourcen weiterhin zu Schleuderpreisen gehandelt.

Eine Umschichtung der Besteuerung wäre eine systemkonforme Rahmenänderung, die zu einer mittelfristigen Änderung der technischen Entwicklung (arbeitsintensiver, aber rohstoff-und energiesparend sowie umweltschonend) führen würde.

Weil die Märkte auch von allzu starker Konzentration bedroht sind, ist eine gezielte Förderung der kleinen Einheiten und der privaten Initiative dringend erforderlich. Nicht staatliches Buhlen um die Niederlassung von Zweigstellen internationaler Giganten sollte die Parole sein, sondern marktkonforme Begünstigung kleiner Einheiten; nicht Subventionierung kranker Riesen, sondern Förderung lokaler Problem-löser; nicht Förderung von Exporten mit zweifelhaften Erlösen, sondern Abbau von Auslandsabhängigkeit in kritischen Versorgungsbereichen (im Agrar-, Energie-, Lebensmittel-, Infrastrukturbereich). Das heißt noch lange nicht Abschottung vom Ausland.

Mittelfristig wäre das eine modellkonforme Sanierung. Langfristig sind allerdings tieferreichende Überlegungen fällig: Anpassung des ökonomischen Denkens an ökologische Gegebenheiten (nicht umgekehrt) und Unterordnung des Wirtschaftens unter ethische Leitvorstellungen, wie dies auch der Wiener Sozialethi-ker Rudolf Weüer forderte.

Denn bisher erwies sich der Markt als „moralverzehrende“ Institution, wie ihn einer der Vorkämpfer der „Sozialen Marktwirtschaft“, Wilhelm Röpke schon vor Jahrzehnten bezeichnet hat.

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