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Größte Subvention, die Österreich je vergab

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Die zweite Hälfte der siebziger Jahre ist durch einen merkwürdigen Zwiespalt zwischen Ideologie und Wirklichkeit gekennzeichnet, zwischen tiefsitzenden Ängsten und deren Uberspielen beim wirtschaftlichen Handeln, zwischen dem Wissen um die Unmöglichkeit einer geradlinigen Fortsetzung der Wirtschaftsentwicklung der letzten drei Dezennien und der Unfähigkeit, daraus die Konsequenzen zu ziehen, weil man sich von den alten Idealen und Verhaltensmustern nicht rasch genug lösen kann. Wer immer „von der Veränderbarkeit der Gesellschaft und von der Machbarkeit dieser Veränderung zutiefst überzeugt“ war (SPÖ-Parteiprogramm 1978), muß von diesem Zwiespalt zutiefst schockiert sein.

Gedanken dieser Art lassen sich nicht unterdrücken, wjenn man an die größte Industriesubvention denkt, die Österreich je vergeben hat: Rund die Hälfte der Investitionssumme (rechnet man nur alles Zusätzliche ein) eines neuen Motorenwerks eines Multinationalen Konzerns; die größte Subvention der absoluten Höhe nach wie relativ zur Investitionssumme, vergeben

• von einer sozialistischen Regierung,

• nicht etwa an die verstaatlichte Industrie,

• nicht an die Gemeinwirtschaft,

• nicht zur Förderung des öffentlichen Verkehrssystems.

Sie ging vielmehr

• an einen auf private Gewinnerzie-lung gerichteten Konzern (Parteiprogramm S. 5: „Wir wollen die Selbstsucht der kapitalistischen Profitwirtschaft durch eine Gesinnung ersetzen, die die wirtschaftliche Tätigkeit als bewußten Dienst an der Gemeinschaft auffaßt.“),

• an einen multinationalen sogar (“ebenda, S. 46: „Durch die immer stärker international operierenden Konzerne werden wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten und politische Handlungsfreiheit vieler Staaten immer mehr eingeschränkt“, S. 25: „... Bewahrung der Autonomie der österreichischen Wirtschaftspolitik... durch die demokratische Kontrolle der multinationalen Konzerne“),

• in der Autobranche, der es im Moment zwar gut geht, wo die Grenzen der Nachfrage durch Marktsättigung und Energieverknappung doch abzusehen sind (SPÖ-Parteiprogramm S. 35: „Dem öffentlichen Verkehr ist auf Grund seiner erhöhten Sicherheit, seines geringeren Energieaufwands und seiner geringeren Umweltbelastung gegenüber dem Indi-vidualverkehr und auf Grund der Tatsache, daß viele Menschen über kein Auto verfügen, Vorrang einzuräumen.“)

Wie konnte es zu so einer Entscheidung kommen?

Der Schlüssel dafür ist das Bemühen, sogenannte Dauerarbeitsplätze zu schaffen. In allen Industriestaaten hat die Zahl der Arbeitslosen in letzter Zeit deutlich zugenommen, und es bereitet Schwierigkeiten, den Schulabgängern entsprechende Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Diese, nach zwei Jahrzehnten der Uberbeschäftigung und des Arbeitskräftemangels überraschende Entwicklung hat wiederum zwei Ursachen: Die Bevölkerungsentwicklung und die Neue internationale Arbeitsteilung.

Die Bevölkerungsentwicklung ist unangenehm aber bloß vorübergehend: Die Zahl der Erwerbstätigen nimmt derzeit - trotz der schrumpfenden Bevölkerung - kräftig zu, weil starke Jahrgänge ins Erwerbsleben treten und schwache ausscheiden.

Es ist „Pech“, daß diese beiden, voneinander unabhängigen demografischen Entwicklungen zusammentreffen, und es ist doppeltes Pech, daß sie gerade in der konjunkturschwächsten Periode der Nachkriegszeit zusammentreffen. Aber das Ende der Periode zunehmenden Arbeitskräfteangebots ist bereits abzusehen: Bereits 1985 wird die Zahl der Arbeitskräfte wieder abnehmen.

Die neue internationale Arbeitsteilung wird an Bedeutung sicher noch zunehmen, was wir jetzt beobachten, sind wahrscheinlich die ersten Symptome, und die muß - trotz aller Sorgen, die sie uns macht - letztlich auch positiv eingeschätzt werden. Sie ist der Beginn einer Arbeitsteilung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Teils als Erfolg der Entwicklungshilfe der letzten Jahrzehnte, teils als Folge des Gewinnstrebens der Multinationalen sind zahlreiche einfache Produktionen aus den Industrieländern abgezogen und in die entwickelteren Entwicklungsländer verlagert worden:

Die Produktion von Grundstoffen, insbesondere Stahl, von Textilien und Lederwaren, aber auch von einfachen Elektrogeräten und Apparaten, deren Produktion durch neue Erfindungen (Elektronik) und neue Arbeitstechniken (Zerlegung in kleinste, standardisierte Arbeitseinheiten) keine geschulten Arbeitskräfte mehr erfordert. Damit wurden Arbeitsplätze aus den Industrie- in die Entwicklungsländer verlagert: In Österreich etwa hat die Zahl der Beschäftigten in der Textilindustrie und in der Papiererzeugung in den letzten 20 Jahren um mehr als ein Drittel abgenommen, in der

Ledererzeugung sogar um die Hälfte.

Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen; die deutsche Textilindustrie, eine der ersten, die von der internationalen Arbeitsteilung betroffen war, beschäftigte zuletzt bereits mehr Arbeitskräfte im Ausland als zu Hause.

So unangenehm die Verlagerung von verschiedenen Produktionszweigen in die Entwicklungsländer für die

Industrieländer auch sein mag, sie kann und darf nicht verlangsamt werden. Können die von der Verlagerung bedrohten Produkte in den Hochlohnländern doch nur viel teurer hergestellt werden, und zählt doch jeder neu geschaffene Arbeitsplatz in den Entwicklungsländern mit ihrer materiellen Not und Massenarbeitslosigkeit doppelt und dreifach. Müssen die

Industrieländer einfache Produktionen abgeben, so sind sie gezwungen als Ausgleich andere zu forcieren, und zwar solche, die wegen ihrer Technologieintensität, ihrer Facharbeitsintensität oder wegen des nötigen Know-how modischer oder marketingmäßiger Art, von den Entwicklungsländern (noch) nicht hergestellt und vertrieben werden können.

Da der Prozeß der neuen internationalen Arbeitsteilung alle Industriestaaten betrifft, suchen derzeit alle solche Produktionszweige („intelligente Produkte“) bei sich verstärkt anzusiedeln. Zwar hat jedes Land - auch Österreich - zahlreiche solche Zweige, aber jedes Land braucht mehr davon. Und wenn ein solches Unternehmen bereit ist, ein Zweigwerk im Ausland zu errichten, erhält es zahlreiche Subventionsund Förderungsangebote - auch einige österreichische Firmen haben das im Ausland ausgenutzt.

Die gegenwärtige Arbeitslosigkeit hat die Konkurrenz um solche Betriebe derart verstärkt, daß jede vernünftige Relation zwischen Höhe der Förderung und Nutzen für den Arbeitsmarkt bereits verloren gegangen ist, und die marktwirtschaftlichen Steuerungsprozesse (in unserem Fall die Wettbewerbssituation der Motorenwerke untereinander, insbesondere gegenüber dem viel weniger geförderten Steyr-BMW-Werk) ernstlich gestört werden.

Das Lizitieren der Staaten untereinander - und in Österreich der Bundesländer untereinander - hat dazu geführt, daß wir mit der maximalen Förderung ein gerade noch in ein Industrieland passendes Projekt an einen für Österreich ungünstigen Standort bekommen haben. Das Produkt ist nicht besonders günstig, weil die besten Zeiten der Auto-mobüindustrie doch vorbei sein dürften (Marktsättigung und Energieknappheit), die Erzeugung nach im Ausland durchgeführter Entwicklung und Konstruktion erfolgt („Verlängerte Werkbank“, wenn auch wenigstens etwas qualifiziert) und die Zulieferungen österreichischer Betriebe sich vielfach auf eher einfache Produkte (Schlauchklemmen) beschränken werden. Der Standort am ehemaligen Flughafen Aspern ist nicht besonders günstig, weü der Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Bundesländern (Steiermark, Kärnten) viel größer ist als in Wien, und die Lage Asperns relativ zu Wien erhebliche Infrastrukturinvestitionen (auch und insbesondere im Personenverkehr) erfordert.

Man kann darüber spekulieren ob wir dieses Werk auch billiger hätten haben können; die Erfahrung mit Ford spricht eher nicht dafür. Wir sollten daher aus unseren bisherigen Erfahrungen die Schlußfolgerung ziehen, daß der Ankauf von aussichtsreichen ausländischen Betrieben zur Verbesserung unserer Industriestruktur derzeit offenbar viel zu teuer kommt. Wir werden uns daher bemühen müssen, durch Förderung der Innovation im Inland die Arbeitsplätze zu schaffen, die uns durch die neue internationale Arbeitsteilung verloren gehen.

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