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Der verhältnismäßige Wohlstand in Vorarlberg ist kein Geschenk der Natur. Das Land Vorarlberg ist sehr arm an Bodenschätzen. Bergbau und Schwerindustrie fehlen zur Gänze. Es gibt nur wenig für eine landwirtschaftliche Nutzung geeigneten Boden, nur 9,7 Prozent der Wohnbevölkerung verdient den Lebensunterhalt aus land- und forstwirtschaftlicher Arbeit. Der erreichte Wohlstand ist in erster Linie dem außerordentlichen Gewerbefleiß der Vorarlberger Bevölkerung zu danken.

Die Leistungen vieler privater Unternehmer, die nüchtern und klar vorausschauend planten und richtige Entscheidungen getroffen haben, führten im Zusammenwirken mit einer tüchtigen, fleißigen Arbeitnehmerschaft zu den gegenwärtig guten und geordneten Wirtschaftlichen Verhältnissen in Vorarlberg. Gerade in unserem Land, dessen Schicksal so weitgehend von der Textilwirtschaft bestimmt wird, erinnert man sich an überstandene schwere Krisenzeiten und weiß auch, daß das Erreichte nicht auf die Dauer sorgenlos zu bewahren ist.

Die gewerbliche Wirtschaft ist im Land Vorarlberg der größte Arbeitgeber, denn von den insgesamt rund 80.000 unselbständig Erwerbstätigen finden 75 Prozent in Betrieben der gewerblichen Wirtschaft Beschäftigung. Nach einer für August 1960 durchgeführten Erhebung wurden in Vorarlberg 11 Betriebe mit je mehr als 500 Beschäftigten gezählt; es waren ausschließlieh Firmen der Textil- und Bekleidungsindustrie; ferner gab es 79 Betriebe mit 100 bis 500 und 342 Betriebe mit 20 bis 100 Beschäftigten, während der größte Teil unserer Selbständigen vor allem im Gewerbe, im Handel und Fremdenverkehr Kleinstunternehmer mit höchstens fünf fremden Arbeitnehmern ist. Mehr als die Hälfte der Betriebe der Industrie und rund ein Viertel jener des Handwerks betätigen sich auf dem Gebiet der Textilwirtschaft.

Von den mehr als 60.000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern in der gewerblichen Wirtschaft ist etwa die Hälfte in Industriebetrieben tätig. In ganz Vorarlberg arbeiten rund 29.000 Menschen in der Textil- und Bekleidungsindustrie, in den textilen Gewerbezweigen und im Textilhandel. Man kann ruhig sagen, die Textilwirtschaft spielt im Land eine so entscheidende Rolle, daß vom Geschäftsgang in dieser Wirtschaftssparte Wohlstand und Leben der Vorarlberger Bevölkerung abhängen.

Die Textilindustrie steht aber,, wie allgemein bekannt, seit Jahren im Schatten der herrschenden Hochkonjunktur. Seit 1956 erhöhte sich der vom Institut für Wirtschaftsforschung berechnete Produktionsindex der österreichischen Textilindustrie nur um rund 20 Prozent, während beispielsweise in der Elektroindustrie, in der eisenschaffenden, der holz- und papierverarbeitenden Industrie die Steigerungen zwischen 50 und 60 Prozent lagen.

Die langsame Expansion, die nicht nur die österreichische, sondern auch die europäische und außereuropäische Textilwirtschaft kennzeichnet, ist auch in der Vorarlberger Industrie deutlich wahrzunehmen; auch bei uns blieb in den letzten Jahren die Entwicklung in der Textilindustrie hinter jener in anderen Industriezweigen zurück. Seit 1956 stieg der Bruttoproduktionswert (Umsatz) der Vorarlberger Industrie von 3,6^Milliarden auf 5,1 Milliarden Schilling oder um 41 Prozent; in der Textilindustrie allein war die Steigerung innerhalb dieses Zeitraumes nur 29 Prozent, in der übrigen Industrie (nichttextile Industriezweige zusammen) betrug sie jedoch 73 Prozent. Auch beim Beschäftigtenstand in der Vorarlberger Industrie läßt sich die gleiche Entwicklung ablesen, wenn auch bei der herrschenden Knappheit an Arbeitskräften zeitweise unterbeschäftigte Arbeitnehmer kaum freigestellt werden: Von Ende 1956 bis 1961 gab es in der Textil- und Bekleidungsindustrie einen Rückgang um 3 59 Beschäftigte, während die Zahl der Arbeitnehmer in den nichttextilen Industriezweigen gleichzeitig um 659 anstieg. Der Export der Vorarlberger Industrie erreichte im Jahre 1961, ohne Stromausfuhr, den Wert von 1,24 Milliarden Schilling. Etwa 78 'Prozent der Ausfuhr entfielen auf die Textil- und Bekleidungsindustrie, deren Erzeugnisse zu einem sehr bedeutenden Teil in den Ländern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Absatz finden. Allein die Vorarlberger Stickereiwirtschaft hat 1961 Erzeugnisse für 505 Millionen Schilling ausgeführt, das sind rund 40 Prozent des gesamten Exports der Vorarlberger Industrie und ungefähr 25 Prozent der österreichischen Textilaus-fuhr überhaupt. Vorarlberger Stickereien werden in etwa 75 Länder der Erde ausgeführt, die wichtigsten Abnehmerstaaten sind die Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien und Australien.

Das starke Übergewicht der textilen Erwerbszweige in der Vorarlberger Wirtschaft einerseits und der etwa 30prozentige Anteil des Exports an der gesamten industriellen Textilerzeugung anderseits erfordern den vollen Einsatz bewährter Unternehmerinitiative und höchstes Verantwortungsbewußtsein, sollen in Zukunft die Arbeitsplätze in unserem Land gesichert werden.

Für eine weitere gute Entwicklung in der Vorarlberger Wirtschaft ist es daher von entscheidender Bedeutung, ob es unseren Unternehmern gelingt, trotz des sich verschärfenden Wettbewerbes auf den Auslandsmärkten und bei dem infolge Zollabbau und Liberalisierung ständig zunehmenden Einfuhrdruck auf dem Inlandsmarkt ihre Kunden nicht nur zu erhalten, sondern neue zu gewinnen. Die Vorarlberger Unternehmer wissen, daß sie ihre Betriebe für einen harten Wettbewerbskampf in einem größeren europäischen Markt rüsten müssen, denn nur mit hochwertigen Waren und erstklassigen Leistungen v, rden sie sich durchsetzen.

Für die gesamte Wirtschaft unseres Landes gilt das gleiche: Durch Modernisierung der Betriebe, ständige Verbesserungen der Einrichtungen, durch Entwicklung neuer Produkte, durch erhöhte Forschung, verstärkte Werbung, durch Einsatz von Phantasie und Geschick im Verkauf müssen sich die Vorarlberger Unternehmer unablässig bemühen, ihre Leistungen zu steigern, um sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten. Die Durchführung der als notwendig erachteten Investitionen erfordert bedeutende finanzielle Mittel, so daß in der gesamten Wirtschaft nach wie vor ein außerordentlich großer Kapitalbedarf besteht. Sorge bereitet es, dieses Investitionskapital zu einigermaßen tragbaren Bedingungen zu bekommen. Im Hinblick auf die Fülle der zu bewältigenden Aufgaben erwartet sich die Vorarlberger Wirtschaft wenigstens Verbesserungen der geltenden Bestimmungen für die vorzeitige Abschreibung von Investitionen und die Aufhebung der regionalen Unterschiede bei den Abschreibungssätzen.

Zur Verbesserung der Leistungen trägt auch der internationale Erfahrungsaustausch bei. der im Zuge der Bestrebungen nach wirtschaftlichem Zusammenschluß in Europa immer mehr gepflegt wird. Gemeinsame Forschung, Vereinheitlichung in der Werbung können verbesserte Chancen für den Warenabsatz bieten. Die internationale Zusammenarbeit in verwandten Wirtschaftszweigen wird künftig manchen Erfolg bringen. Zusammenarbeit über Landesgrenzen hinweg hat sich schon bewährt, auch in solchen Branchen, die auf den Weltmärkten als Konkurrenten auftreten. Ein Beispiel dafür aus Vorarlberg: Delegierte der Stickereiverbände Vorarlbergs und der Schweiz haben zusammen mit Fachkollegen der EWG-Länder und mit brancheverwandten Webspitzen- und Gardinenerzeugetrn kürzlich Kontaktgespräche geführt, bei denen unter anderem über internationalen Musterschutz und über eine Koordinierung lohn- und sozialpolitischer Fragen ein nützlicher Meinungsaustausch geführt wurde.

Internationaler Zusammenarbeit dient auch die Export- und Mustermesse Dornbirn, die sich als Fachmesse für die Textilwirtschaft jedes Jahr aufs neue bewährt. Für die österreichische Exportwirtschaft hat diese Veranstaltung deshalb eine so außerordentliche große Bedeutung, weil dem ausländischen Käufer Gelegenheit geboten wird, in Dornbirn ein nahezu vollständiges Angebot der österreichischen Textilerzeugung zu finden. Die Dornbirner Messe hat sich schon in früheren Jahren, zum Beispiel durch Veranstaltung eines Textilhandelskongresses, dem Thema der Zusammenarbeit zwischen Textilerzeugern und Textilhandel gewidmet. Im Rahmen dieses Konzepts liegt es, wenn die Dornbirner Messe in diesem Jahr, erstmals in Vorarlberg, eine von der Sektion Handel der Handelskammer Vorarlberg unter dem Titel „Der Handel im Wandel der Zeit“ veranstaltete Ausstellung zeigt, die sich zum Ziel gesetzt hat, Aufgaben und Leistungen des Handels in der Wirtschaft den Besuchern vor Augen zu führen.

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