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Eine Stadt ändert ihr Gesicht.

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Bis vor nahezu 20 Jahren war die oberösterreichische Landeshauptstadt ruhig, langsam, aber stetig organisch gewachsen, und mit ihr ihre Wirtschaft. Linz paßte so recht in die wirtschaftliche, landschaftliche und auch menschlich gesellschaftliche Ausgeglichenheit des oberösterreichischen Landes von damals, das die Hauptstadt umgab. Seit dem Jahre 1938 ist dieser Wachstumsprozeß so ganz anders geworden: Sprunghaft, stürmisch, zum Teil ungeordnet. Nun greift die Entwicklung der Stadt über ihre Grenzen, beeinflußt ihre Umgebung, zieht sie in ihren Bann, strahlt aus auf viele Teile des Landes.

Diese wirtschaftliche Entwicklung der letzten 20 Jahre — sie ist noch nicht zum Stillstand gekommen, vielfach wünschen wir dies auch gar nicht — schafft Probleme, Fragen: sie sind gegenwärtig, aktuell!

Heute beschäftigen die Vereinigten Oester- reichischen Eisen- und Stahlwerke in ihren Linzer Werken, der größten geschlossenen Industrieanlage Oesterreichs, nahezu 15.000 Menschen, und die Stickstoffwerke, der größte chemische Betrieb Oesterreichs, gegen 5000 Menschen. ;

Linz hatte 1937 115.000 Einwohner, heute sind es 186.000, die Wirtschaft der Stadt beschäftigte 1937 24.300 Arbeitnehmer, heute rund 76.500. Aber nicht nur das: Das wirtschaftliche Wachstum der Stadt, vor allem das Wachstum ihrer Industrie, hat längst den Rahmen des örtlichen Reservoirs an Arbeitskräften gesprengt, so daß Linz heute während der Stunden des Werktages 219.000 Menschen beherbergt, denn zu der ansässigen Einwohnerschaft kommen noch 33.000 Pendler, hiervon 26.000 Arbeiter und Angestellte aus den umliegenden, aber selbst auch entlegensten Teilen Oberösterreichs, 2000 aus dem benachbarten Niederösterreich, die in Linz ihre Arbeitsstätte haben, sowie 5000 Schüler. - Anderseits griff die Expansionskraft der Stadt jedoch auch auf die Randgemeinden über und schuf durch ein Gegeneinander- und Zueinanderwachsen, vor allem mit Leonding und Traun, eine echte, nicht durch Eingemeindungen künstlich, gemachte Großstadt mit eins - Gesamtbeyblkęfung 186.000 plus 24.000, also 210.000 Bewohnern.

Wovon leben diese Menschen, die da in und um Linz zusammengeströmt sind, in ihrer siedlungsmäßigen Zusammenballung möglicherweise schon die zweitgrößte Stadt Oesterreichs bilden, oder täglich von und zu ihrer Arbeitsstätte vielę Kilometer zurücklegen müssen — was ist ihre Existenzgrundlage, welchen Einflüssen ist sie unterworfen, welche Zukunftsaussichten bestehen?

Linz wird heute vielfach noch als ein wirtschaftlicher Riesentorso bezeichnet, als ein Rumpfgebilde industrieller Großplanung. Dieses Wort war zweifelsohne für die Jahre der unmittelbaren Nachkriegszeit völlig zutreffend, für das gegenwärtige Entwicklungsstadium erscheint es mir jedoch zu scharf, denn das wirtschaftliche Leistungsvermögen der Stadt wurde schon in so vielen Bereichen entscheidend um- und ausgestaltet, daß man ihren Wirtschaftskörper eher mit einem in der Reifeentwicklung begriffenen Organismus vergleichen kann, dem es im wesentlichen nur noch an der Harmonie der Proportionen fehlt. Allerdings liegen hier Probleme zugrunde, die für die Zukunft von entscheidender Bedeutung sind.

Linz wuchs zur Industriegroßstadt empor. Insgesamt befinden sich heute im Stadtgebiet 185 Industriebetriebe mit etwa 32.300 Beschäftigten, davon 102 Betriebe mit mehr als 20 Arbeitnehmern und insgesamt 31.600 Beschäftigten. Zugleich mit dem enormen Wachstum des Linzer Industriepotentials ist eine Schwergewichtsverlagerung vom Nahrungsmittelund Textilsektor zur eisen- und metallverarbeitenden sowie eisenschaffenden Produktion und hinsichtlich der Art der erzeugten Güter von der Verbrauchsgüterproduktion zur Grundstoff- und InvestitionSgütererzeugnug eingetreten. Die Tragweite dieser Umschichtung in der industriellen Struktur wird noch dadurch hervorgehoben, daß zwei Großwerke, die VOeEST und

Aus einem Vortrag „Aktuelle Linzer Wirtschaftsfragen“ im Rahmen der Volkshochschulwoche „Linz in Vergangenheit und Gegenwart — das Werden, die Ziele und Pläne einer jungen Großstadt". (Veranstaltet in Verbindung mit der „Gesellschaft .

die Stickstoffwerke, nahezu zwei Drittel der in der Linzer Industrie Beschäftigten beziehungsweise mehr als ein Viertel aller in Linz ansässigen oder einpendelnden Werktätigen an sich gezogen haben. Einschließlich der Familienangehörigen hängt die Existenz von nicht weniger als 63.000 Menschen, von einem Drittel der Einwohnerschaft der Stadt, von den beiden Großwerken ab.

Der Industrialisierungsprozeß und die Verschiebung des Gewichts zur Schwerindustrie hatten jedoch noch eine weitere Entwicklung bewirkt. Vor 1938 waren die Erzeugungsstätten sowohl im Rohstoffbezug wie hinsichtlich des Warenabsatzes mit wenigen Ausnahmen vornehmlich auf den österreichischen Binnenmarkt eingestellt. Dies ist nun schon allein durch die Rohstoffgrundlage der neuen Schwerindustrie wie auch absatzmäßig völlig anders geworden. Die Hütte Linz bezieht den Großteil ihres Erzbedarfes aus der Steiermark, jedoch wird und muß die Gelegenheit wahrgenommen werden, zusätzlich Erze aus dem Ausland, zumeist von weit abgelegenen Revieren, heranzubringen. Die erforderliche Steinkohle muß ausschließlich aus dem Ausland, aus Westeuropa, dem oberschlesischen Revier und in den letzten Jahren in verstärktem Ausmaß sogar aus Uebersee, aus den USA, bezogen werden.

Dies nur zur Rohstoffseite: absatzmäßig ist die Hinwendung des Linzer Industrieraumes zum Weltmarkt in keiner Weise geringer, sondern im Gegenteil noch wesentlich weitverzweigter und vielfältiger. Es liegt auf der Hand, daß die Produktionskapazität der Linzer Industrie das Aufnahmevermögen des österreichischen Binnenmarktes bei weitem übersteigt, und die für Oesterreich ja im allgemeinen lebenswichtige Exportorientierung, die freilich auch manche Schattenseiten hat, in Linz am stärksten hervortritt. Linz ist ein überaus exportabhängiges Produktionszentrum, und die für andere, ältere und freilich auch noch unvergleichlich größere Zentren der Schwerindustrie, wie an der Ruhr, im Saargebiet, in England, den USA, geltende Regel, daß etwa 50 bis 59 Prozent der Produktion wiederum vom eigenen Revier aufgenom- men werden, gilt für den Linzer Wirtschaftsraum bei weitem nicht.

Damit ist die Linzer Industrie heute leider auch wesentlich krisenanfälliger als vor 193 8. Sie ist es durch die beherrschende Stellung von zwei Großwerken, infolge des Dominierens der Investitions- beziehungsweise Anlagegütererzeugung — und sie ist es durch ihre große Abhängigkeit von den Bewegungen am Weltmarkt. Konsolidierung und höchstmögliche Krisensicherung sind daher wichtigste Gebote von morgen.

Die starke handelspolitische Dynamik des Linzer Industriepotentials läßt die großräumigen verkehrspolitischen Probleme besonders hervortreten. Ich möchte hierbei vor allem die schicksalhafte Bedeutung der D o n a u für unsere Stadt und die wirtschaftliche Entwicklung Gesamtösterreichs unterstreichen. Linz ist durch seine Lage an der Donau zur Hauptstadt und auch zum Wirtschaftszentrum Oberösterreichs aufgestiegen. Den Anstoß zu der großen Industrialisierungsepoche der letzten zwei Jahrzehnte gab nur die Verkehrsbedeutung dieser Binnenschiffahrtsstraße. Ich erinnere nochmals daran, daß die Linzer Schwerindustrie unter der Voraussetzung geschaffen wurde, den wichtigen Rohstoff Kohle über die Rhein-Main-Donau- Verbindung heranbringen zu können. Daß dieser Zufahrtsweg noch immer fehlt, wird erst dann einmal merklich spürbar werden, wenn auf dem Weltmarkt ein Konjunkturrückgang eintreten sollte und es auf jeden Groschen an Frachtspesen ankommt. Für die Linzer Industrie ist es daher geradezu ein Gebot der Selbsterhaltung, österreichischerseits als Wortführerin dieses Kanalprojektes aufzutreten. Durch seine Verwirklichung würde nicht nur der billige Antransport von Ruhrkohle und selbst auch überseeischer Kohlenlieferungen erschlossen, sondern auch eine günstige Transportkombination von dem fränkischen Erzrevier bei Pegnitz-Amberg zustande kommen, das ja ursprünglich als Hauptbasis für den Linzer Erzbedarf gedacht war.

Von größtem Interesse im Hinblick auf die mährischen beziehungsweise oberschlesischen Kohlenreviere wären auch die im Projekt schon seit Jahrzehnten bestehenden Kanalverbindungen zwischen Elbe und Donau sowie Oder-Donau, doch haben wir auf deren Inangriffnahme keinerlei Einflußmöglichkeit.

Die Richtigkeit der von den verantwortlichen Stellen entfalteten Initiative, den Ausbau der Linzer Hafenanlagen nach dem Kriege mit allen Kräften fortzuführen, findet jeden Tag ihre Bestätigung und wird sich ganz besonders in der Zukunft als eine Maßnahme weitschauender Wirtschaftsgesinnung erweisen — und zwar nicht nur im Hinblick auf den Westen, sondern auch bezüglich einer Normalisierung des Handelsverkehrs mit den Ländern an der unteren Donau. Das gleiche gilt für die Schaffung der Zollfreizone Linz im Hafengelände, die bekanntlich derzeit auf der Landzunge I des Hafens eigene Objekte errichtet.

Die Tatsache, daß Linz heute ein für die gesamtösterreichische Wirtschaft wichtiger Schwerpunkt der industriellen Kraftentfaltung ist, darf nicht die Tragweite und Bedeutung jener Vorgänge übersehen lassen, die sich im Bereich von Gewerbe, Handel und der übrigen Wirtschaftszweige vollzogen haben.

So hat unter anderem in unmittelbarem Zusammenhang mit der Industrialisierung sowie mit dem Wachstum der Stadt auch im Gewerbe ein Erwerbszweig überragende Bedeutung gewonnen, der ähnlich wie die einseitige Uebergewichtig- keit in der Industrie auch hier neben gewaltigen Auftriebsimpulsen eine erhöhte Krisenanfälligkeit mit sich brachte — nämlich das Baugewerbe. Die Zahl der Linzer Baufirmen mit mehr als 20 Beschäftigten ist von 16 im Jahre 1937 bis heute auf 63, also auf das Vierfache angestiegen, und die Zahl der in diesen Betrieben Beschäftigten vermehrte sich von 965 auf 8680 beziehungsweise auf das Neunfache. Aehnlich ist die Lage bei anderen Gewerben und beim Handel.

Im Schulproblem ist am vordringlichsten die Raumnot der sprunghaft gewachsenen Berufsschulen und mittleren Fachschulen. Für ein Land wie Oberösterreich, für eine Großstadt wie Linz besteht jedoch auch die Notwendigkeit eines wissenschaftlichen und akademischen Zentrums. Wir wissen, daß Oberösterreich und insbesondere die Linzer Wirtschaft über Kapazitäten der Forschung und Wissenschaft verfügt, die sich eines hervorragenden internationalen Rufes erfreuen. Es gibt jedoch keine zentrale Einrichtung im Lande, die als Forschungsstätte den geistigen Kräften eine Heimat sein und der Jugend als jkįįdejnycije LehrajĮst f ,s nen 6wūr lę,.f Gerpde.;s ii ;.W įsę pft;spotegz; pberpst jėĮchs,;. verlangt, iedoch nach dem ergänzenden Gegengewicht tiner derartigen Institution. Schon in den sieb- tiger Jahren des vorigen Jahrhunderts beantragten daher, die seinerzeit auf Grund des damaligen Kurienwahlrechtes von der oberösterreichischen Handelskammer in den Landtag entsandten Abgeordneten, an ihrer Spitze Ignaz Figuly, die Errichtung einer Hochschule in Linz. Die jüngste Entwicklung Oberösterreichs ließ dieses alte Projekt neue Aktualität gewinnen. Da die Bedeutung der Stadt im Wirtschaftlichen begründet ist, erscheint es auch klar vorgezeichnet, daß die Errichtung einer Hochschule zu der Wirtschaft in engem Bezug stehen muß. Ebenso selbstverständlich ist es, daß ihre Planung nicht nur inter Bedachtnahme auf regionale Verhältnisse md Erwägungen erfolgen kann, sondern mit der Blickrichtung auf Gesamtösterreich und seinen Bedarf an akademisch geschulten Führungs- cräften in den Betrieben.

Viele dieser Probleme werden kaum anders als im Zusammenhang mit den Problemen des Bundeslandes und vielfach sogar des gesamten Bundesgebietes gelöst werden können. Ich selbst ain der Meinung, daß in Fortführung der so wertvollen, von der Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung und Planung geleisteten Arbeit Iber den oberösterreichischen Zentralraum, bei ier sich bereits das Zusammenwirken von Land, Magistrat Linz und Kammer bewährte, ein Gesamtkonzept für Linz und seine Umgebung sowie für das gesamte Bundesland ausgearbeitet werden müßte. An Hand dieses Gesamtplanes könnten dann die notwendigen gesetzlichen und wirtschaftspolitischen Maßnahmen erwogen werden, die für eine ausgeglichene Wirtschaftsstruktur und eine höchstmögliche Krisenfestigkeit aller Erwerbszweige, der gewerblichen und der bäuerlichen Wirtschaft, in sämtlichen Landesteilen sowie eben auch im Zentrum Linz zu treffen wäre.

Bei der Durchführung dieses Planes besteht sicherlich die Gefahr von Eingriffen in die private Entscheidungssphäre und damit eines verständlichen Widerstandes. Derartigen Schwierigkeiten von vornherein durch eine gewissenhafte Erwägung und eine aufgeschlossene Verfahrensv,'eise zu begegnen, ist daher eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen. Der Erfolg wird jedoch den Einsatz lohnen — den Einsatz für die Zukunft der Stadt Linz, der oberösterreichischen Heimat und unseres öster- jjpichischen Vaterlandes.

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