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Auf der Grazer Frühjahrsmesse 1967 werden sich 1068 inländische mit 523 ausländischen Ausstellern aus 28 Ländern messen. Jede Messe ist für die Erzeuger eine Chance und Gefahr zugleich.

Gerade für den Arbeitnehmer sind Messen interessant, da sie doch nicht, wie oftmals angenommen, Inseln aus Wunschträumen sind, sondern harte Verkaufsplätze, hinter deren angebotenen Waren nüchterne Kalkulationen, Fleiß und eine Betriebs- und Wirtschaftspolitik steht, die je nachdem gut oder schlecht sein kann. Der Arbeitnehmer hat gelernt, Wirtschaftspolitik zu begreifen. Er hat sehr bestimmte Vorstellungen von Möglichkeiten moderner Wirtschaftsmaßnahmen. Er hat gelernt, Reales zu schätzen. Und darum hat die österreichische Arbeitnehmerschaft auch wenig Verständnis dafür, daß Führungen auf Betriebsebene oder auf dem politischen Feld nicht aus Vernunft, sondern aus ideologischen Gründen zu immer wiederkehrenden .Fehlern neigen. Hierzu gehört nach ihrer Meinung das Negieren gescheiten Vorausplanens. Es wird ihm schwer verständlich, daß man noch in manchen Unternehmerkreisen, die wie jede andere Gruppe auch ihre politische Vertretung hat, vehement die Meinung vertritt, daß das Überlassen der Wirtschaft dem Spiel der freien Kräfte besser sei als die Erstellung von Plänen durch Fachmänner der Theorie und Praxis. Um so weniger, als letzten Endes ja jeden Entscheid, ob die oder jene Maßnahme ergriffen werden soll, der Politiker fällt.

Man begreift schwer, warum man sich nach wie vor in Thesen versteift, die längst überfordert sind, und dies, obwohl genügend bessere Beispiele da sind, wie solche aus Frankreich, Holland, Norwegen und noch vielen anderen Ländern.

Es wird heute sehr viel über die Wachstumsrate gesprochen und geschrieben. Es gibt sogar Wachstumsgesetze. Man spricht aber nicht über die Wachstumshindernisse. Wir könnten gleich einige davon aufzählen, und zwar: inkonsequente, mangelhafte Energiewirtschaft durch Fehlen eines Energieplanes. Nicht koordiniertes Verkehrswesen. Eine noch nicht qualitative Erschließung des Arbeitsmarktes. Eine zurückgebliebene und bislang nicht auf die Marktbedürfnisse abgestimmte Wirtschaftsstruktur. Das heißt, unsere Struktur ist bisher unter anderem so, daß sie nicht imstande ist, die technologisch modernsten und auf dem Weltmarkt verlangten Produkte zu produzieren. Dies sind, nur einige Ursachen;

Die Arbeitnehmerschaft erwartet von der österreichischen Regierung, daß sie selbst nicht nur die Schwäche erkennt, sondern das Ihre tut, um jene, die Teil und Gestalter dieser Struktur sind, wachzurütteln aus einem lethargischen Schlaf, aus dem es einmal ein fürchterliches Erwachen geben könnte.

Die Arbeitnehmerschaft ist unter anderem der Meinung, daß ein Gesamtwirtschaftskon-zept notwendig ist, damit wir wissen: nicht, was wir heute, sondern was wir in Zukunft verkaufen wollen und können. Steht es aber nun wirklich mit unserer Wirtschaft so schlecht, oder sind es nur Unkenrufe der Vertreter der Arbeiterbewegung, weil sie sich in Opposition befinden? Wir fürchten ersteres und berufen uns auf neutrale Berichterstatter.

Die Schwächen der steirischen Wirtschaftsstruktur zeigen sich besonders in Industrie und Landwirtschaft. Die Kohle hat die Grenzen ihrer Wirtschaftlichkeit längst unterschritten. Leider hat sich international der Bedarf an Investitionsgütern nach Sparten verlagert, die in der Steiermark kaum oder nicht vertreten sind. 50.000 Arbeiter und Angestellte (mehr als die Hälfte der in der Industrie Beschäftigten) erhalten ihr Einkommen von einem eisenschaffend! oder verarbeitenden Betrieb, und wenn man dies weiß, dann ist die Feststellung einer europäischen Stahlflaute für diese Gruppe ein Alarmzeichen, das ihre Nerven stark beansprucht. Zu dieser Stahlflaute gesellt sich eine Magnesitflaute, nicht zuletzt zufolge des LD-Verfahrens, das heißt, der stärkeren Verwendung von Sauerstoff anstelle von Schrott und dadurch ein Überflüssigwerden des chemischen Prinzips des Magnesitziegels1.

Ein entscheidender Strukturmangel zeigt sich auch in der Betriebsgrößenverteilung. So sind von 100 Betrieben 59 Kleinbetriebe mit nur sechs bis 50 Beschäftigten und 30 Mittelbetriebe mit 51 bis 200 Arbeitern und Angestellten. Es gibt nur vier Werke im Range von Großbetrieben mit mehr als 1000 Arbeitskräften. Es ist hier sehr wohl die dringende Frage zu stellen, ob diese Betriebe bei Assoziierung mit der EWG konkurrieren können. Aber auch wenn dies nicht geschieht, ist zu fragen, ob solche Betriebe auf die Dauer in der Lage sind, der weltweiten Konkurrenz der Großindustrie standzuhalten. Besonders katastrophal ist dabei die Lage des steirischen Bergbaues, besonders im Hinblick auf die Tatsache, daß es seit 1957 einen Preisverfall auf dem Weltenergiemarkt gibt. Ein alarmierender Strukturmangel, der geradezu nach planvoller Abhilfe schreit.

Das Fehlen eines Energieplanes findet seinen Niederschlag außerdem in den Fusionsgesprächen mit Siemens, Westdeutschland. Es zeigt sich, daß die Struktur der steirischen Industrie ihren Schwerpunkt auf dem Grundstoffsektor liegen hat, ein Faktum, das nach Aussage von Leuten, die es wissen müssen, das wirtschaftliche Wachstum eher hemmt als fördert. Nach Fachexpertenschätzungen von OECD und EWG werden die eisenschaffende Industrie, die Bergwerke, Papiererzeugung,Eisen- und Metallwaren, mit ihrem Anteil von rund 60 Prozent der industriellen Wertschöpfung nicht zu den wachstumsintensiven Branchen zählen. Hingegen haben die Branchen mit den größten Wachsturaschancen, wie Ohemische-, Maschinen- und Elektroindustrie, in der Steiermark, verhältnismäßig wenig Bedeutung, da sie nach einer Statistik aus 1965 nur einen Anteil von knapp 15 Prozent aufweisen. Eine Entwicklung, wie sie 1966 in der Eisen- und Metallwarenindustrie festgestellt wurde, und zwar, daß die Importe um 15 Prozent, die Exporte aber nur gleichzeitig um 2 Prozent stiegen, scheinen uns nicht sehr hoffnungsfreudig.

Wir glauben darum, daß Ausrüstung und Produktion reformbedürftig sind.

Wiederum nach Ansicht von OECD-Fachexperten ist die Wirtschaftsstruktur unseres Landes um mindestens zehn Jahre zurückgeblieben, und sie ist nicht auf die Bedürfnisse der kommenden Märkte abgestimmt, sondern ruht wie die Bildungs- und Kulturpolitik im Vergangenen.

Nach neuester nationalökonomischer Erkenntnis besteht ein Zusammenhang zwischen dem Exportanteil von Investitionsgütern, feinmechanischen und chemischen Erzeugnissen und den Pro-Kopf-Einnahmen der Bevölkerung. Das heißt, je höher ihr Exportanteil ist, desto höher wird auch das Pro-Kopf-Einkommen sein. Auch hier liegt Österreich weit hinter anderen westeuropäischen Ländern zurück. Eine gezielte Exportförderungspolitik müßte betrieben werden, das heißt, man hat nicht den Export irgendwelcher Produkte zu fördern, sondern jene, die im Interesse der österreichischen Gesamtentwicklung liegen.

Wir glauben darum zusammenfassend, daß die Empfehlungen des österreichischen Gewerkschaftsbundes und des Arbeiterkammer-tages, die in folgenden Forderungen gipfeln, nach wie vor ihre Gültigkeit haben:

1. eine extensive Geld- und Kreditpolitik, im besonderen eine Senkung der Mindestreserven;

2. eine verbesserte und echte Exportförderung durch Erhöhung des Haltungsrahmens, längerfristige Finanzierungsmittel sowie Aufstockung des Exportfonds;

3. langfristiges Budgetkonzept mit einem mehrere Jahre umfassenden Investitionsprogramm als Hauptinhalt;

4. ein differenziertes System der Abschrei-bungsmöglichkeiten bei Staffelung nach Investitionsförderungsmaßnahmen ;

5. eine aktive Arbeitsmarktpolitik in qualitativer und quantitativer Hinsicht, das heißt Schulung und Ausbildung, Ubersiedlungsbeihilfen und ähnliches.

Diese Forderungen, kein Patent der österreichischen Arbeitnehmerschaft, kommen auch nicht aus einer Oppositionsgesinnung, sondern sind Schlußfolgerungen aus Untersuchungen der österreichischen Wirtschaft und ihrer Entwicklung und beruhen ebenso auf Beobachtungen des Auslandes, wo mit solchen Maßnahmen erfolgreich operiert wurde.

*) Nach Creditanstalt Bankverein — Di* österreichischen Bundesländer ' Steiermark 1955 bis 1965.

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