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Draußen vor der Tür

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Österreichs Industrie Draußen vor der Tür Österreichs Industrie gehört zu den vehementesten Befürwortern des EU-Beitritts. Aus gutem Grund. Denn ein Nein zur europäischen Integration würde mittelfristig den Status Österreichs als Industrieland in Frage stellen.

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Österreichs Industrie Draußen vor der Tür Österreichs Industrie gehört zu den vehementesten Befürwortern des EU-Beitritts. Aus gutem Grund. Denn ein Nein zur europäischen Integration würde mittelfristig den Status Österreichs als Industrieland in Frage stellen.

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Vertreter der österreichischen Industrie betonen immer wieder, wie wichtig ein Beitritt zur EU für unser Land im allgemeinen, im besonderen aber für die Industrie ist. Für den Fall, daß die Volksabstimmung negativ ausgeht, drohen manche Unternehmer massive Konsequenzen an. Der Geschäftsführer des AutoZulieferers Dur-mont-Eybl, Kurt Rüdiger Barisani, wurde kürzlich von der Wirtschaftswoche zitiert: „Wenn die Österreicher wirklich so saublöd sind und nein sagen, werden sie schon sehen, daß es nicht möglich ist, für 7,5 Millionen eine Stelle als Fremdenführer in Schönbrunn zu finden." Auch der Chef der Tiroler Loden AG, Andreas Gebauer, und Vorarlbergs Parade-Textilindustrieller Günter Rhomberg, Vorstand von Huber Tricot, stellten eine Verlagerung der Produktion in EU-Staaten - und somit den Verlust von Arbeitsplätzen in Österreich - in Aussicht.

Ist es reine Berechnung, um möglichst viele Arbeitnehmer zu einem Ja bei der Volksabstimmung zu bewegen, die Unternehmer solche Aussagen tätigen läßt, oder steckt dahinter tatsächlich Existenzangst. Angesichts einer von EU-Gegnern mit großteils irrationalen Argumenten geführten Kampagne, wäre es durchaus verständlich, daß die Vertreter der Wirtschaft nun ebenfalls zu drastischen Argumenten greifen.

Eine Studie der Industriellenvereinigung über die Folgen des Nichtbeitritts Östen-eichs zur EU entlastet die Firmenchefs jedenfalls vom Verdacht, unnötig zur Dramatisierung der Situation beizutragen. Die zitierten Manager, denen der rauhe Wind auf den Weltmärkten ganz gehörig ins Gesicht bläst, sprechen - in der klaren Sprache der Praktiker - nur jene Konsequenzen aus, die sich aus den von den Industrieexperten penibel aufgelisteten Nachteilen eines Nichtbeitrittes logisch ergeben. Daß die meisten dieser Wettbewerbshindernisse nicht zu einem schlagartigen Niedergang des Industriestandortes Ostedeich nach einem Nein zur EU führen würden, macht die Sache nur noch tückischer. Denn es handelt sich dabei um Entwicklungen, die teilweise bereits seit Jahren im Gang sind, deren Auswirkungen aber derzeit nur den Ökonomen und nicht der breiten Öffentlichkeit auffallen.

RÜCKGANG

AUSLÄNDISCHER

INVESTOREN

Bei einer Nichtmitgliedschaft Österreichs wäre mit einem Rückgang der ausländischen Investitionen in Österreich zu rechnen", heißt es in der Studie der Industriellenvereinigung vom Mai 1993. Der Anteil Österreichs an den Direktinvestitionen der OECD sank von 0,8 Prozent in den 70er Jahren auf 0,4 Prozent in den 80er Jahren. Ausländische Investoren hüten sich also zunehmend davor, ihr Geld in ein Land fließen zu lassen, von dem sie noch nicht wissen, ob die dort erzeugten Produkte überhaupt ohne Beschränkungen auf dem europäischen Markt abgesetzt werden können. Zugleich drängen österreichische Unternehmen verstärkt ins Ausland, um zumindest einen Fuß in der Tür des europäischen Binnenmarktes zu haben, sollte die österreichische Bevölkenjng die Teilnahme daran ablehnen. 1992 investierten Österreicher 21,5 Milliarden Schilling im Ausland. Nach Österreich herein floß nicht einmal die Hälfte dieses Betrages, nämlich 9,8 Milliarden. In den Jahren 1991 (15 Milliarden ins Ausland, 4,2 Milliarden nach Österreich) und 1990 (18,9 Milliarden ins Ausland, 7,3 Milliarden nach Östen-eich) war dieses Mißverhältnis sogar noch krasser ausgeprägt. Daß eine solche Entwicklung - natürlich neben den konjunkturellen Faktoren - nicht ohne Einfluß auf das Ausmaß der Arbeitslosigkeit bleibt, ist klar. Eine Trendumkehr ist aber nur nach einem EU-Beitritt zu erwarten.

AUSSENSEITER-STELIUNG IM AUßENHANDEL

Nachteilig wirkt sich die Außenseiterstellung Österreichs nicht nur bei den Investitionen, sondern auch im Außenhandel aus. Da die EU Freihandelsabkommen mit osteuropäischen Reformstaaten abgeschlossen hat, ist der passive Veredelungsverkehr der EU mit diesen Ländern (EU-Betriebe lassen Rohmaterialien in Osteuropa bearbeiten und importieren die Fertigprodukte) zollfrei, sofern die Vormaterialien aus der EU stammen. Bei der Verwendung östen-eichi-scher Vormaterialien kommt es hingegen weiterhin zur Differenzverzollung, was für die heimische Zulieferindustrie einen enormen Nachteil darstellt. Weil auch eine Verknüpfung der verschiedenen Freihandelsabkommen zwischen EU, ERA und den Reformstaaten fehlt, wird eine sinnvolle internationale Arbeitsteilung verhindert. Insgesamt sind durch diese Probleme österreichische Exporte in Höhe von rund 20 Milliarden Schilling gefährdet. Betroffen sind vor allem die Textil- und Bekleidungsindustrie, Kft-Zulieferer, die Elektro- und Elektronikindustrie sowie die Maschinenbauindustrie.

Daß die Öffentlichkeit die Nachteile, die der Industrie aus einem Nichtbeitritt emach-sen, noch immer nicht im notwendigen Ausmaß zur Kenntnis genommen hat, sie sich der Probleme anderer Wirtschaftszweige durch einen Beitritt aber durchaus bewußt ist, liegt nicht zuletzt daran, daß sie die Bedeutung der Industrie unterschätzt. Andere Branchen - vor allem die Landwirtschaft-werden in ihrer Wichtigkeit bei weitem überbewertet. 1992 erwirtschaftete die Industrie 31 Prozent des gesamten östen-eichischen Bruttoinlandsproduktes. Die Landwirtschaft en-eichte einen Anteil von 2,5 Prozent.

INDUSTRIE TRÄGT HAUPTANTEIL AN

WlRTSCHAFTSlEISTUNG

Gemessen an der medialen Anteilnahme für die Folgen von Beitritt und Nichtbeitritt könnte man allerdings glauben, das Verhältnis sei umgekehrt. Nicht wenige nehmen das tatsächlich an. 32 Prozent der Bevölkerung betrachtet in völliger Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse noch immer die Landwirtschaft als den wichtigsten Wirtschaftszweig. Daß in Wahrheit die Industrie den Hauptanteil der österreichischen Wirtschaftsleistung trägt, wußten hingegen nur 26 Prozent der Befragten. Dabei ist Östen-eich ein Industrieland. Mehr als Japan und mehr als die USA. 36,8 Prozent - mehr als ein Drittel -aller Enverbstätigen sind im Bereich Industrie und Großgewerbe tätig (Japan: 34%, USA: 26,2%). Die Ansicht, Östen-eich könne zur Not auch ohne Industrie überleben und deshalb ohne weiteres aus der EU draußen bleiben, ist demnach so grundfalsch wie weitverbreitet.

Daß sich Österreichs Industrie diese Stellung erarbeiten konnte, obwohl unser Land nicht EU-Mitglied war, ist hingegen richtig. Aber nur in formaler Hinsicht. Denn bei einer Analyse des Außenhandels stellt sich heraus, daß kaum ein anderes Land intensivere Handelsbeziehungen mit der EU unterhält als Österreich. 65 Prozent aller Exporte und 67 Prozent aller Importe werden mit der EU abgewickelt.

HOHE KOSTEN BB GRENZFORMAUTÄTEN

Während innerhalb der EU durch die Verwirklichung des Binnenmarktes die Grenzkontrollen abgeschafft wurden, finden an den Grenzen Österreichs zu unseren Haupthandelspartnern Deutschland und Italien weiterhin Kontrollen statt, müssen komplizierte Formulare ausgefüllt werden, wird wertvolle Zeit mit sinnloser Warterei vertan. Man schätzt, daß die Kosten der Grenzformalitäten zwischen zwei und fünf Prozent des Warenwertes betragen. Bei einem Exportvolumen von 320 Milliarden Schilling kostet das den heimischen Exporteuren bis zu 16 Milliarden Schillingjährlich. Marktanteilsverluste gegen EU-Konkurrenten, die ohne diese Kosten kalkulieren können, sind geradezu vorprogrammiert.

Von Erleichterungen im Außenhandel würde aber nicht nur die Industrie profitieren. Gerade für landwirtschaftliche Erzeugnisse wäre eine Öffnung der natürlichen Märkte Süddeutschland und Norditalien von besonderem Interesse. Um diese Chancen wahrzunehmen, bedarf es aber einer professionellen Vermarktung der Produkte und einer Anpassung der betrieblichen Stnjkturen an die geänderten Konkurrenzverhältnisse. Auch wenn der Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft für viele - vor allem für jene Bürokraten, die dadurch an Einfluß und Macht verlieren -schmerzvoll sein mag, notwendig ist er auf jeden Fall. Die östen-eichische Landwirtschaft wird diesen Übergang auf jeden Fall vollziehen müssen - wenn nicht durch die EU, dann durch das GATT.

VORTEIL FÜR ARBEITSPLÄTZE UND WIRTSCHAFTSWACHSTUM

Das Wirtschaftsforschungsinstitut hat errechnet, daß der Gesamteffekt eines EU-Beitrittes auf das Wirtschaftswachstum, die Zahl der Arbeitsplätze und die Inflationsrate positive Auswirkungen hätte. Gerade weil die Ostöffnung manche Industriezweige in Schwierigkeiten gebracht hat, ist der EU-Beitritt so bedeutend für den gesamten produzierenden Sektor. Wenn durch den notwendigen Stnjk-turwandel Arbeitsplätze in der Grundstoffindustrie verloren gehen, ist es umso wichtiger, daß jene Betriebe, die hochwertige technische Erzeugnisse herstellen, auch einen Markt vorfinden, auf dem sie diese absetzen können. Sollte Östen-eich aus der Sicht von Westeuropa weiterhin ein Außenseiter hinter einem hohen Grenzzaun bleiben, wird sich das Exportniveau und somit der gesamte Wohlstand des Landes weder halten geschweige denn ausbauen lassen.

Ob Österreich als Industriestandort Zukunft hat, hängt in wesentlichem Ausmaß vom Ausgang der Volksabstimmung über den EU-Beitritt ab. Betroffen von einem Abwandern großer Produktionsbetriebe wären nicht nur die Arbeitnehmer, die direkt in diesen Unternehmen beschäftigt sind. Im Umfeld der Industrie hat sich nämlich in den letzten Jahren eine Vielzahl von Dienstleistern und Beratern etabliert: Banken, Versicherungen, Wirschaftstreu-händer, Softwareanbieter, Design-Büros, Werbe- und PR-Agen-turen zählen Industriebetriebe zu ihren wichtigsten Kunden.

Eine „Rucht" der Industrie über die Grenze in das vereinte Europa würde auch einem Großteil des Dienstleistungssektors die Lebensgrundlage entzie- g, hen. SJ

Industriellenvereinigung

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