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Jammern allein hilft nicht

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Spektakuläre Pleiten, Probleme von der Stahl-bis zur Textilbranche: Die Industrie steckt in der Krise. Der Standort Österreich beginnt zu wackeln.

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Spektakuläre Pleiten, Probleme von der Stahl-bis zur Textilbranche: Die Industrie steckt in der Krise. Der Standort Österreich beginnt zu wackeln.

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Die Auslandsinvestitionen der österreichischen Industrieunternehmen erreichen jedes Jahr neue Rekordwerte, die Zahl der im Inland tätigen Industriemitarbeiter ging hingegen 1993 um etwa 40.000 zurück. „Der Standort Österreich wird Stück für Stück sterben, wenn sich das Umfeld so weiterentwickelt wie in den vergangenen Jahren", warnt Heinz Kessler, Präsident der Industriellenvereinigung.

Die Standortentscheidung eines Unternehmens setzt sich stets aus der Abwägung der Vor- und Nachteile zusammen. Nicht ein einzelnes Standortproblem ist daher entscheidend, sondern die Summe aller Faktoren (siehe S. 19). Moderne Produktionsanlagen leisten heute überall in Europa das gleiche ~ egal ob sie in Bregenz, Budweis oder Bilbao stehen. „Es stehen nicht nur die Unternehmen im internationalen Wettbewerb, sondern auch die Standorte und ihre staatlichen Rahmenbedingungen", meint Walter Wolfsberger, bis vor wenigen Tagen Generaldirektor der Siemens Österreich AG.

Der Industriestandort Österreich hat für in- und ausländische Unternehmen sicherlich noch einiges zu bieten: Qualifizierte Mitarbeiter, ein gutes soziales Klima mit dem einzigartigen System der Sozialpartnerschaft, Stabilität in Politik und Währung sowie weltweit eine der geringsten Streikraten sind in jedem Prospekt einer heimischen Betriebs-ansiedlungsgesellschaft nachzulesen. Mit diesen Vorzügen allein wird Österreich aber in Zukunft nicht ausreichend bestehen können, argumentiert man in der Industriellen-Vereinigung. Arbeitskosten, Betriebszeiten oder Umweltschutzvorschriften müßten sich wieder stärker „an internationalen Standards und nicht am Wunschdenken von Sozial- und Öko-Illusionisten orientieren", wenn es nicht zu einer Flucht der Industrie ins Ausland kommen soll.

So verdienen Österreichs Beschäftigte im internationalen Vergleich nur mittelmäßig, die Kosten für die Unternehmen liegen aber im absoluten Spitzenfeld. Der Grund ist, daß die Lohnnebenkosten mit 96 Prozent absolut Weltspitze sind. Aber auch mit der drittkürzesten Arbeitszeit in Europa, Platz sechs bei den bezahlten Fehlzeiten (Krankheit, Kuraufenthalte et cetera) und Platz vier bei der bezahlten Freizeit (Urlaub und Feiertage) liegt Österreich ganz vorne. Die Industriebetriebe beginnen sich zu fragen, ob sie sich diesen Luxus auf Dauer leisten können.

TEURER UMWELTSCHUTZ

Weltmeister ist Österreich mit einem Anteil von fast zwei Prozent an der gesamten Wirtschaftsleistung auch bei den Ausgaben für den Umweltschutz. Dennoch wird immer mehr und noch Teureres gefordert. „Wenn wir die Rolle des Musterschülers übertreiben, werden unsere Betriebe im internationalen Vergleich nicht mehr überlebensfähig sein", warnt beispielsweise Heinrich Stepniczka, Generaldirektor der Lenzing AG. Nach den milliardenteuren Verbesserungen für die heimische Luft habe Österreichs Industrie nun selbst eine „Öko-Atempause" nötig.

Nachholbedarf besteht hingegen bei Forschung und Entwicklung. Im Wettbewerb der Industrieländer zählt die LLntwicklung neuer Technologien oder neuer Produkte zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren. Internationale Vergleiche zeigen, daß dieser Bereich in Österreich noch stark unterentwickelt ist. Während wir derzeit etwa 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes dafür ausgeben, liegt die vergleichbare Quote in Deutschland, der Schweiz, den USA und Japan bei knapp drei Prozent.

Gerade internationale Investoren stellen auch immer die Frage nach der Bürokratie in einem Land. Die Probleme in Österreich beginnen schon bei der Raumordnung, da neuangesiedelten ebenso wie expandierenden Betrieben entsprechende Flächen zur Verfügung gestellt werden müssen.

Vor allem aber, so die Kritik aus der Industrie, werde der unternehmerische Alltag „durch einen Wust an bürokratischen Vorschriften und durch verwaltungstechnische Hürdenläufe" beeinträchtigt. Die Folge ist eine immer länger werdende Verfahrensdauer, die Investitionen oft schon im Keim erstickt. So wurden die Anlagen für das Chrysler-Eurostar-Werk in Graz in 14 Monaten errichtet, das behördliche Genehmigungsverfahren dauerte aber mehr als doppelt so lange.

Der derzeit aber bestimmende Standortnachteil ist die „Sandwichposition" zwischen den neuen Konkurrenten im Osten und dem Europäischen Binnenmarkt im Westen. In den östlichen Reformstaaten entstehen neue, ernstzunehmende Konkurrenten im internationalen Standortwettbewerb. Investitionen in Osteuropa rentieren sich infolge der geringen Arbeitskosten, der gestützten Energie- und Transportpreise und der kaum vorhandenen Umweltschutzauflagen in vergleichsweise kurzer Zeit.

Der Hauptgrund liegt in den im Vergleich zu Österreich extrem niedrigen Arbeitskosten. So kann man statt eines Österreichers zwölf Ungarn, 21 Tschechen oder 114 Russen zum gleichen Preis beschäftigen.

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