6740760-1966_40_05.jpg
Digital In Arbeit

Eisen auf immerdar...

Werbung
Werbung
Werbung

Die Sage berichtet: Als sich unsere Vorfahren zu Anbeginn der Zeiten entweder Gold für 10 Jahre, Silber für 100 Jahre oder Eiisen auf „immerdar“ wünschen konnten, entschieden sich die Menschen für dais Eisen. So soll der Erzberg entstanden sein. Da wir heute erleben, wie rasch vieles zu Ende geht und wir daher gezwungen sind, für die notwendigen Exporte immer neue Rohstoffquellen zu erschließen, wäre eine Wiederholung dieser Sage wohl d)er einfachste Weg aus unserer Notlage.

Die alarmierenden Zustände bei den Rohöleinfuhren seitens westlicher Erdölfirmien unter gleichzeitiger Abwürgung unserer eigenstaatlichen Ölindustrie dürfte wohl allen Österreichern zur Genüge bekannt sein. Während jedoch die Rohöleinfuhren nach Österreich im letzten Jahr nur etwa 1585 Millionen Schilling kosteten, beliefen sich die Erz- und Kohleeimfuhren auf mehr als das doppelte (etwa auf 3400 Millionen Schilling), das ist etwa soviel wie wir für unseren Holz- und Zelluloseexport vergütet bekommen.

Während aber für die Erdölmisere zum Teil menschliches Versagen und weltpolitische Machtkämpfe verantwortlich gemacht werden können, gilt für die Erz- und Kohleversorgung die von Gott gegebene Tatsache, daß wir eben nur zum Teil befriedigende Erz- und Kohlefelder haben.

Nachteile der langen Transportwege

Die deutsche Stahlindustrie weiß ebenfalls um den Nachteil der längeren Anlieferungswege für ihre Rohstoffe, und es blieb kein Geheimnis, daß Stahlwerke, die an der Meeresküste liegen, viel billiger Rohstahl herzustellen imstande sind, als solche im Landesinneren, wie zum Beispiel die Ruhrwerke.

Da für die Küstenwerke die Eisenbahntransporte für Erze ganz wegfallen und die amerikanische Kokskohle außerdem um sechs Dollar pro Tonne billiger ist als die aus europäischen Kohlengruben gelieferte, entschloß sich Deutschland, für die künftige Rohstahlkapazitätserweiterung die Produktion ans Meer zu verlegen und nur die Verfeinerungsbetriebe (Kaltwalzwerke) im Landesinneren, zum Konsumenten hingerichtet, zu belassen.

Trotz Kohlenarbeiterunruhen, Streiks und Wahlverlusten in Nord- rhein-Westfalen opferten die deutschen Politiker ihren ganzen Nationalstolz und beschlossen, mit der niederländischen Hoogoven in Ijmuiden künftig gemeinsam die Rohstahlwerke am Meer auszubauen und die Warmbandbunde für die Kaltverwalzung anschließend nach Dortmund ins Landesinnere weiterzuliefern. Die wirtschaftlichen Erfolge veranlaßten sie, politisch unpopulär zu handeln. Merken das auch jene, die das Heil der österreichischen Stahlindustrie nur in einem Anschluß an die EWG erblicken und sich dabei auf die Tatsache stützen, daß Österreich immer einer der bedeutendsten Lieferanten für warmgewalzte Bleche nach Deutschland gewesen ist, dabei aber die neuesten Entwicklungen der Verlagerung der Produktion zu den Meeresküsten übersehen? Bezeichnenderweise wurde bereits eine Re- vidierung der deutschen Zollkontingente für Warmblechlieferungen aus England, Österreich und anderen Drittländern bekanntgegeben, was eindeutig auf die Vereinbarung mit den Holländern zurückzuführen ist.

Im heutigen Konkurrenzkampf zur Sicherung der Absätze und Arbeitsplätze kann auf wirtschaftlich Schwächere kaum Rücksicht genommen werden. Unsere Verhandlungen mit der EWG beweisen das. Nur durch Preisreduzierungen kann geholfen werden! Sollen daher unsere verstaatlichten Betriebe weiter exportieren, gleichgültig, ob dabei noch Gewinn erziehlt wird, oder die chronischen Verluste einfach, wie zum Teil schon jetzt, auf den Staat und das Österreichische Volk abgewälzt werden? Die nötigen Schritte müssen bald gemacht werden, sollte es nicht wieder einmal „zu spät“ sein.

Konkurrenzfähigkeit Österreichs sichern

Ein kurzer Blick in die Welt um uns zeigt mögliche Wege:

16 deutsche Stahlproduzenten haben sich zusammen mit den Holländern bereit erklärt, ein 15-Mil-

lionen-Tonnen-Erzpelletisierungs- projekt in Rotterdam zu bauen, von dem sie sich eine weitere Preisreduktion ihres Rohstahles erwarten können und das ihnen hilft, die deutschen Fertigwaren wie Kühl schränke, Autos usw. noch viel billiger im Ausland absetzen zu können.

USINOR in Dünkirchen am Meer, Frankreichs größter Stahlproduzent, hat die weiter im Inland gelegenen Lorraine-Escaut ins Schlepptau genommen — Resultat: eine gemeinsame Stahlkapazität von acht Millionen Tonnen, 50.000 Beschäftigte Stammbelegschaft und eine geballte finanzielle Macht, die vom französischen Staat jedes Steuerzugeständnis erzwingen kann. Zumindestens bekommen nur die Mächtigen im Lande solche hohen Investitionskredite, die man einem Kleinen mit Rücksicht auf das größere Risiko niemals zugestehen könnte. De Wendel, Frankreichs größter Stahlerzeuger, schlossen sich mit Sidelor, dem drittgrößten Produzenten, zu einer gemeinsamen Kapazität von sechs Millionen Tonnen Stahl pro Jahr zusammen.

Die Beispiele solcher volkwirtschaftlichen Rationalisierungsmaßnahmen könnten seitenlang fortgesetzt werden. Zusammenschlüsse in England, Spanien, Japan werden fast tagtäglich bekanntgegeben. Das mit solchen Organisations-Rationalisierungsaufgaben betreute Commisariat du Plan als interministerielles französisches Komitee wurde als ein industrielles Heiratsbüro bezeichnet.

Vorteile der Verstaatlichung

Für die britische Stahlindustrie, soll sie wettbewerbsfähig bleiben, gibt es scheinbar nur ein Mittel: Verstaatlichung. Mit Recht bedarf es in England einer staatseinheitlichen Preis- und Kreditpolitik für die vielen kleinen Stahlwerke. Der britische Nachholbedarf an Investitionsmitteln kann nur durch öffentliche (= staatliche) Mittel und Hypo theken gedeckt werden. Verstaatlichung in England bedeutet vor allem gesunde Produktionslenkung, vernünftige Verkaufsvereinbarungen und staatliche finanzielle Förderung.

Vergleicht man hierzu die verstaatlichten Betriebe in Österreich, stellt man sich die Frage: Gibt es hier überhaupt einen Plan? Wie langsam geht beispielsweise die Schaffung eines ausreichenden Eigenkapitals bei unseren österreichischen Werken voran? Nicht einmal der große Arbeitermangel im Lande hat größere Rationalisierungen zur Folge gehabt.

Die Heranlieferung des fertigen Stahlproduktes an den einheimischen Verbraucher müßte beschleunigt, die Warenverteilungsorganisation müßte besser eingespielt und der österreichische Konsument intensiver bearbeitet werden (wie das die Amerikaner durchführen); wie anders wären denn Einsparungen unserer Verteilerkosten möglich, wenn weiterhin jeder kleine und kleinste Stahlproduzent im Lande seinen eigenen Verkaufs- und Verteilungsapparate betreibt und unterhält?

Österreich muß aber weiterhin viel exportieren, um bestehen zu können. Leider sind wir eben einmal nicht mit reichen Bodenschätzen bedacht worden wie andere und besitzen auch keinen Weltmeerhafen mehr.

Dabei war Österreichs Stahlindustrie (eine Ironie der Geschichte!) lange Zeit bevor noch ein Mensch wußte, was Benelux bedeutet, oder bevor man noch ahnen konnte, daß es jemals so etwas wie eine EWG geben wird, eine richtige Wirtschaftsgemeinschaft sogar mit Weltbedeutung: Austria-Hungaria. Heute liegt Österreich unter „ferner liefen“ an einundzwanzigster Stelle unter den stahlproduzierenden Ländern der Welt. Die Donaumonarchie war tatsächlich vor allem eine Wirtschaftsunion mit ideal sich ergänzenden Wirtschaftszweigen. Das hat auch die Krise der zwanziger Jahre eindrücklich verdeutlicht, als Restösterreich nur zehn Prozent seiner Stahlproduktion im eigenen Lande abzusetzen imstande war!

Chancen im Donauraum

Heute scheint sich jedermann um die Überwindung der EWG-Krise zu bemühen, so als ob für unsere Eisenindustrie sonst keine anderen Probleme zu lösen wären. In Österreich müßte man vorerst und vor allem trachten, die Stahlpreise mit Hilfe langfristiger Planung an die künftige Entwicklung einer westlichen Wirtschaftsgemeinschaft anzupassen, sollten wir unbedingt diesen Exportmarkt sichern wollen.

Sollten wir aber tatsächlich nicht mehr fähig sein, mit den aufstrebenden Stahlwerken an den Meeresküsten zu konkurrieren und sollten uns die Felle tatsächlich den Bhiein hinunter zum Meer davonschwimmen, dann sollten wir uns doch endlich wieder zurückerinnern, daß die Donau ein ebenbürtiger Transportweg ist und sich ein günstiger Absatzmarkt vor unserer Haustüre darbietet.

Oder soll etwa weiter geruhsam zugesehen werden, wie sich das Netz der westeuropäischen Wirtschaftsverbindung mit staunenswerter Agilität immer mehr nach dem Osten ausdehnt? Die Bedeutung Österreichs als „Drehscheibe im Handelsverkehr mit den Donauländern“ darf keine selbstgefällige und inhaltsleere Phrase bleiben. Unsere Nachbarn sind wie wir vom Meer abge- sehnitten und arbeiten fieberhaft an Lösungen für ihre eigenen Schwierigkeiten in der Rohstoffbeschaffung. Zumindest für die wissenschaftliche Forschung könnte daher eine gemeinsame Basis zum Vorteil aller Beteiligten begründet werden. Ohne die Hoffnungen und Erwartungen für solche Ziele einer gesamtdonauländischen Planung zu hoch stecken zu wollen, wäre es doch einleuchtend, daß die geographischen Bedingungen aller inländischen Eisenerzeuger aufeinander abgestimmt werden könnten und auf solche Weise eine integrierende Rohstoffbeschaffungsorganisation im Donauraum etabliert werden könnte. Eine alleinige Orientierung unserer Exportchancen nach den EWG-Ländern wäre aber ohne vorhergehende Festigung unserer Eisenerzeugung nur ein Spiel mit dem Feuer.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung