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Wirtschaftskommentar

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Während für den allen Kontinent der Weg zum Einheitsstaat oder zu einer politischen Einigung nach dem Muster der Montanunion und EWG immer steiniger wird und, wie es derzeit scheint, sich wieder in einem Nationalismus autlöst, flackern neue Vorstellungen der westlichen Integrationspolitik nun im Osten Europas auf: Das kommunistische Rumänien und Bulgarien sowie die NATO-Türkei und Griechenland haben entlang ihrer Landesgrenzen nicht nur den Eisernen Vorhang als etwas Gemeinsames, sondern auch den gemeinsamen Willen einer Wirtschaftsassoziierung. Die Rumänen haben endgültig ihre Rolle als Marktlieferant für die nördlichen roten Blockländer (= Tschechoslowakei, Polen und Ostdeutschland) aufgegeben. Warum besuchte der bulgarische Außenminister kürzlich die Türkei? Nicht nur zum Ausgleich, weil auch der rumänische Premierminister Ion Gheorghe Maurer einen Monat vorher bei den Türken auf Besuch war! Und man staune; Zum erstenmal hat ein kommunistischer Sfaatschef Griechenland einen Besuch abgestattet! Dabei hat Premier Maurer ganz offen von einer Balkanassoziierung in einem Athener Staatskommunique gesprochen. Auch ein neues Handelsund Exportabkommen wurde beschlossen, das neben anderem ein gemeinsames Telekommunikations- und auch ein Seuchenbekämpfungssystem zum Inhalt hatte. Zur Festigung dieser Balkanassoziierung hatte selbst der rumänische Parteiboß Nicolae Ceau- secu allein in diesem Jahr sechs (!) Staatsbesuche im benachbarten Bulgarien gemacht. Um dabei nicht im luftleeren Raum zu verbleiben, hat das bisher unabhängige Jugoslawien Premierminister Peter Sfambolic eiligst auf Urlaub nach Bulgarien geschickt, aber nichf genug — er wird im Oktober noch auch nach Griechenland delegiert werden.

Hingegen war im Westen Europas scheinbar überhaupt niemand auf Urlaub! Politische Absichten? Kaum. Eher wirtschaftliche Rücksichten. Im Vordergrund steht das zunehmend schrumpfende Kapital. Das Geld, das vor Jahren noch flüssig war, trocknet zusehends ein. Daher wurden Dämme gebaut. 31 deutsche Stahlfirmen haben im Sommer beschlossen, sich in vier Kartellen zusammenzuschließen und auf diese Weise die bisherige Konkurrenz untereinander auszuschalfen. Die meisten Stahlwerke in Frankreich wie auch in Italien sind weitgehend im Besitz des Staates, der als Hauptakfionär daher von sich aus immer schon interessiert war, diese Stahlwerke mit (geheimen) Kartellvereinbarungen zu schützen und im europäischen Wettkampf über Wasser zu halten. Der einzige Ausweg aus der britischen Sfahlmisere wieder scheint nur die Verstaatlichung zu sein. Unglücklicherweise wurde nach dem letzten Weltkrieg in Europa zuerst und leider immer wieder vor allem nur die Rohstahl- und Halb- maferialproduktion bevorzugt, weshalb Europa derzeit damit übersättigt ist. Die Absatzbedingungen für diese traditionellen Rohprodukte mußten sich notwendigerweise von Jahr zu Jahr verschlechtern. Europas Rohblock-, Warmband- und Grobblechkapazifät ist zum überlaufen voll, mit wenig Aussicht auf gewinnbringenden Absatz. Weiteres Kapital, das notwendig wäre, die mehr lohnintensiveren Fertigmaterialien, wie Kaltblech, galvanisierte Blechrohre, weiter auszubauen, fehlt derzeit fast vollständig.

Zur Verdeutlichung, um wie viele Jahre man in Europa den amerikanischen Markfverhältnissen in Stahl nachhinkt, sei erwähnt, daß Amerikas Stahlexporf zu einem Drittel aus Kaltblech, Weißblech und Rohren besteht, sehr zum Unterschied Österreichs, das jährlich noch immer 45.000 Tonnen Kaltblech und 75.000 Tonnen Rohre einführen muß, sich zur selben Zeit jedoch beschwert, daß mit Rohsfahl- blöcken und Warmbunden (hier achtzig Prozent der jährlichen Stahlausfuhr) die Preise immer drückender werden. (Unverständlich bleibt dabei die Tatsache, daß im Zuge der neuen „Wachstumsgesetze" gerade wieder nur die Rohstahl- und Vormaterialkapazität weiter ausgebaut werden, mit denen der österreichische Steuerzahler für die nächsten Jahre wenig anzufangen weiß.) Die deutsche Kartellbildung einigte sich viel vernünftiger darin, nur noch die Meeresküstenwerke zu vergrößern, weil dort die Rohmaterialkosten niedriger sind und man sich in Konsumenfennähe im Landesinneren jetzt mehr auf Ferfig- produktionsvergrößerung (Kaltblech) spezialisieren will.

Die neuen Kartelle regulieren zum Unterschied vom Montan-Verfrag nichf nur die Produktionsziffern, die Inlandsund Exportpreise, sondern kennen auch empfindliche Strafen für Mitglieder, die dagegen verstoßen. Nach der letzten französischen Regelung, für die keine schriftliche Niederschriften existieren, obwohl diese Kartellversammlung regelmäßig im Hause Nr. 5 Rue de Madrid in Paris sogar unter Beisitz eines „Schriftführers" zusammentrifft, wird von den Mitgliedern ein Blankoscheck hinterlegt, der bei einer Überschreitung vom Kartell eingelöst werden kann. Alle Konferenzen sind geheim. Im Wahlausschuß der vier deutschen Stahikartelle wird jede Stahlfirma demokratischerweise ein Grundmandat besitzen, jedoch für jede weitere 1000 Tonnen Stahlproduktion eine'Zusatzstimme angehängt bekommen. Sehr fraglich ist es jedoch, ob Österreich im Falle einer Assoziation an die EWG auch einen Zutritt zu diesem „Klub" bekommen und bedeutungsvoll genug befunden wird, in diesen Kartellen mitzubestimmen. Als eines der wenigen Länder Europas von den Meeresküsten abgeschnitten (mit gleichem Schicksal wie die Schweiz und Ungarn), sind wir von der Mutter Natur an Bodenschätzen nicht besonders reich ausgestattet worden und können es uns daher nicht leisten, diesen Entwicklungen im Osten und Westen teilnahmslos zuzusehen, oder sich gar mit Wilhelm Busch zu trösten: „Ach! — spricht er, die größte Freud’, ist doch die Zufriedenheit!"

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