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Rumanien zwischen Ost und West

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Nach anderthalbjährigem, erbittertem Ringen um den Wählten™ werden die allgemeinen Wahlen in Rumänien am 19. November vor sich gehen. Das rumänische Volk, das ein Jahr nach der Kapitulation Italiens das sinkende Schiff Hitlers als erstes unter den Südoststaaten verließ, schreitet als letztes zur Urne, nachdem Ungarn und Bulgarien als ehemalige Feindstaaten, Griechenland, Jugoslawien und letztlich auch Österreich als befreite Länder den mehr oder minder freien Willen ihrer Völker in Wahlen bereits zum Ausdruck gebracht haben. Als Rumänien mit Hitler ging, hatte es sich für den Westen entschieden. Der 23. August 1944, der Tag des Überganges zu den Alliierten, sollte diese Orientierung festhalten. Allein Churchill und Roosevelt hielten es damals für opportun, die Ost- und Südoststaaten in der Interessensphäre Rußlands zu belassen, dem alle aus den Waffenstillstandsverträgen fließenden Rechte übertragen wurden. Diese Stellung hat Rußland mit jener Zielbewußtheit und Energie, die seine außenpolitischen Aktionen auch sonst aufzuweisen pflegen, ausgebaut. Es ist nicht gewillt, sie sich auf dem Weg irgendwelcher Wahlen entreißen zu lassen. Darum das zähe Ringen um den Wahltermin, darum die immer wieder erneuten Verschiebungen.

Julius M a n i u, Führer der rumänischen Bauernpartei („National-Zaranisten“) und politisches und geistiges Haupt der Opposition, hat vor einem Jahr dem Vertreter der „Saturday Evening Post“ gegenüber die Äußerung getan, bei freien Wahlen würden allein seine Zaranisten 70 Prozent der Stimmen erhalten. Auf der gleichen Linie lag eine Schätzung der „Times“, die dem Rumänien führenden „Regime einer aggressiven Minderheit“ im Fall freier Wahlen nur etwa 15 Prozent der Stimmen zubilligte. — Das war vor einem Jahr und mehr. Schon damals fügte Maniu entsagungsvoll hinzu: „Ich sehe jedoch keine Möglichkeit einer freien Wahl.“ Mit angelsächsischer Unterstützung hat er diese Möglichkeit doch zu schaffen versucht. Diesem Ziel galt die diplomatische Großoffensive vom Ende des vorigen Jahres. Erreicht wurde die Aufnahme zweier Vertreter der Opposition als Beobachter in das Kabinett, eine Lockerung der Zensurbestimmungen, das Wiedererscheinen oppositioneller Zeitungen, das Versprechen baldmöglichster Abhaltung der Wahlen (die dann der dringenden Feldarbeiten wegen vom Winter auf im Mai und vom Mai auf den November Verschoben wurden); alles gewiß schätzenswerte Errungenschaften. Wie Maniu sie aber selbst beurteilt, geht aus den Rückzugsgefechten seiner „Dreptatea“, der Klageschrift, die er London und Washington vorgelegt hat und der angelsächsischen Note an die Bukarester Regierung, daß die der Opposition aufgezwungenen Beschränkungen eine wirklich freie Meinungsäußerung in den Wahlen illusorisch machen, zur Genüge hervor. Maniu nennt die bevorstehenden Wahlen „eine Farce“.

Völlig anders beurteilen die rumänischen offiziellen Stellen, also jene „aggressive Minderheit“, von der die „Times“ sprach, die Lage. Sie geben ihrer Genugtuung über die „fortschreitende Demokratisierung“ der Wählerschaft Ausdruck und halten alle zu diesem Zweck angewandten Mittel für zulässig. Als am 6. März 1945 die Regierung Groza in den Sattel gesetzt wurde, sagte der Protektor dieser Aktion, Herr Wyschinski: „Eine neue Seite in der Geschichte Rumäniens ist aufgeschlagen worden, geschrieben mit den ~oldenen Buchstaben der Vaterlands-■ liebe und der Freundschaft mit der Sowjetunion. Unsere roten Fahnen bringen Unabhängigkeit, Wohlstand und Ruhm allen freiheitsliebenden Menschen, welche sich mit der UdSSR verbinden, um eine neue Welt aufzubauen.“ Seit diese Worte gesprochen wurden, sind durch systematisch-großzügige Propaganda und mit den Mitteln, die jeder Staatsapparat den an der Macht Befindlichen an die Hand gibt, sofern sie nur in Anspruch genommen werden, zweifellos weite Schichten der Bevölkerung für diesen Standpunkt gewonnen worden. Die Wahlen werden es beweisen.

Die Konstellation, in der die Parteien zur Entscheidung antreten, ist einfach und übersichtlich. Auf Regierungsseite steht die „Nationa'demokratische Front“, bestehend aus Kommunisten, Sozialdemokraten und Dissidenten der nationaHiberalen und natio-nalzaranistischen Parteien. Rumänien ist zu 85 Prozent Agrarland. Es liegt auf der Hand, daß, historisch betrachtet, Kommunisten und Sozialdemokraten, des Rückhalts einer beträchtlichen Industriearbeiterschaft entbehrend, hier erst in jüngster Zeit wirklich Fuß fassen konnten. Dies fällt zeitlich damit überein, daß durch die Unterstützung durch die Komintern infolge der russischen und alliier-ven Siege im zweiten Weltkrieg zur offenen WaffenhiJfe und Besetzung des Landes durch Sowjettruppen wurde. Im Lauf von Monaten wurden nach Hunderttausenden zählende Gewerkschaften aus dem Boden gestampft, das ländliche Proletariat — das es zumal in Altrumänien von jeher gab — mit der durch eine weitgehende Bodenreform gewonnenen Schicht kleiner ländlicher Neu-besitzer in einer kommunistisch ausgerichteten „Bauernfront“ zusammengefaßt, die Klasse der Intellektuellen und Wirtschaftskapitalisten durch Förderung entwurzelter Elemente geschwächt, eine straffe wirtschafts-und kulturpolitische Ausrichtung nach dem Osten vorgenommen, mit einem Wort: mit allen Mitteln eine Front geschaffen, die bedingungslos den offiziellen Kurs hält. In ihm marschieren vereint die Kommunisten und Sozialdemokraten. Die letzteren hatten noch im vergangenen Dezember wider den Stachel zu locken versucht. Ihre Parteikonferenz hatte gemeinsame Listen mit den Kommunisten in den Wahlen abgelehnt. Sofort erklärte das Regierungsblatt „Scanteia“, der Beschluß sei mit so geringer Mehrheit gefaßt, daß seine Revision wahrscheinlich sei. Ein neuer Parteikongreß führte sie durch und fügte die Partei dem Wahlblock der „Nationaldemokratischen Front“ ein. Die zaran.sti-schen und liberalen Dissidenten fallen zahlenmäßig wenig ins Gewicht. Am bedeutsamsten ist die kleine, pseudoliberale Partei durch die Tatsache, daß ihr der stellvertretende Ministerpräsident und Außenmin'ster George Tatarescu angehört. Vor dem Volksgericht, dem er als Kriegsverbrecher überstellt worden wäre, rettete er sich 1945 durch den Sprung in den Ministersessel, und man wird zugeben, daß seine geschickte Vertretung der Interessen Rumäniens auf der Friedenskonferenz dem Land von höchstem Nutzen gewesen ist.

Als Sammelbecken der östlichen Intellektuellen (Professoren, geistige Arbeiter, Journalisten und andere) tritt in dieser Wahl zum erstenmal im Rahmen des „demokratischen Blocks“ eine neue „Demokratische Volkspartei“ auf den Plan.

Diesem kommunistisch gerichteten Regierungsblock treten als Opposition die sogenannten „historischen Parteien“ gegenüber, die Bauernpartei Manius (aktiver Chef ist Joan M i h a 1 a k e) und die Nationalliberalen Dinu Bratianus, die Partei des bürgerlich-kapitalistischen Mittelstandes. Beide haben in der Vergangenheit Rumäniens Entscheidendes geleistet; sie sind letztlich auch cht Verursacher de? historischen Aktes vom 23. August 1944 gewesen, in dem König Michael Rumäniens Bindungen zur Achse löste. Es stellte sich indessen bald heraus, daß jene Westorientierung, die beide Parteien überlieferungsgemäß und kompromißlos anstrebten, unter den gewandelten Verhältnissen nicht gehalten werden konnte. Die Massen ließen sie im Stich. Die Ursachen ihres Popularitätsverlustes sollen noch besprochen werden.

Das dritte wesentliche Element der politischen Gestaltung in Rumänien sind die Nationalitäten. Durch die neue Grenzziehung, die Bessarabien und die nördliche Bukowina Rußland, die südliche Dobrudscha Bulgarien zuspricht, sind bloß zwei nennenswerte völkische Minderheiten im Lande verblieben: Ungarn und Deutsche. Den Ungarn hat die Regierung Groza auf Veranlassung der Russen und gegen stärkste Widerstände im eigenen Land volle Staatsbürgerrechte eingeräumt. Sie genießen wirtschaftliche und politische Gleichberechtigung, haben ihr eigenes Schulwesen von Kindergärten und Volksschulen bis zu einer ungarisch-sprachigen Staatsuniversität in Klausenburg (neben der natürlich auch die rumänische weiterbesteht), Presse-, Rede- und Glaubensfreiheit im selben Maß wie ihre rumänischen Mitbürger, das heißt in der Farbtönung östlicher Demokratie. Sie genießen in einem „Volksbund der Ungarn in Rumänien“ das Recht kultureller Selbstverwaltung und werden auf diese Art zu zuverlässigen Stützen der kommunistisch bestimmten Regierungspolitik.

Die deutsche Minderheit ist — anders als in der Tschechoslowakei und Ungarn — nach dem Krieg nicht ausgesiedelt, aber ihrer politischen und bürgerlichen Rechte global entkleidet worden. Als politisch unzuverlässig wurde nach dem 23. August 1944 ihr gesamter bäuerlicher Grundbesitz samt lebendem und totem Inventar entschädigungslos enteignet; im Jänner 1945 wurden ihre Männer bis zu 45 und Frauen bis zu 35 Jahren zum Arbeitseinsatz verbracht. Noch klammern sich Sachsen und Schwaben mit bewundernswerter Verbissenheit an die Heimat ihrer Väter. Aber als politischer Faktor sind sie ausgeschaltet. Sie hoben selbstverständlich kein Wahlrecht. Ihre Lage wird durch eine Notiz des Blattes „Romania Viitoare“ schlagartig beleuchtet, wonach auf Grund des Agrarreformgesetzes im Kreis Hermannstadt enteignet wurden: 5 Rumänen, 21 Ungarn und 16.883 Sachsen. Die Rumänen verloren 80 Katastraljoch, die Ungarn 344, die Sachsen 68.651, dazu 4814 Häuser, 444 Stiere, 3143 Ochsen, 4194 Kühe, 1437 Büffel, 1305 Pferde und alle vorhandenen Maschinen und Geräte. Das ist etwa der gesamte ländliche Besitz der Hermannstädter Sachsen. Etwas besser haben sich die Deutsdien in den Städten gehalten, aber als politischer Faktor erscheinen sie ebenfalls ausgeschaltet.

Vereinigt man all dies zu einem Gesamtbild, so wird man die Auspizien, unter denen Rumänien den Wahlen entgegengeht, deutlich erkennen. Deshalb auch die ständige Hinausschiebung des Wahltermins. Das herrschende System, in der Regierung Groza verkörpert, kann als gewichtige Argumente für sich die Rückgewinnung Nordsiebenbürgens von Ungarn ins Feld führen. Rumänien betrachtet Siebenbürgen als sein kostbarstes Kleinod. Die zagen angelsächsischen Stimmen, die sich in Paris für die Prüfung ungarischer Besitzansprüche auf Teile Siebenpurgens erhoben, haben der Volkstümlichkeit der Westmächte in Rumänien stärksten Abbruch getan. Die angelsächsische Auffassung, wonach die katastrophale Wirtschaftslage Rumäniens auf den rücksichtslosen Güterentzug durch die Russen zurückzuführen sei, die, gedeckt durch den Waffenstillstandsvertrag, das Land seiner industriellen Produktion als Reparationsleistung zu Bruchteilen der Weltmarktpreise entblößen und durch die enorme Höhe der Besatzungstruppen die landwirtschaftliche Erzeugung absorbieren, wird durch den Hinweis auf folgenden Tatbestand entkräftet: Durch seine räumliche Entfernung vom Westen kann Rumänien, seiner mitteleuropäischen Kauf- und Absatzmärkte durch deren völlige Verwüstung beraubt, sich zur Zeit in kein anderes Wirtschaftssystem als das seines östlichen Nachbarn eingliedern, und bei den Mißernten, die das durch die Agrarreform produktionsmäßig ohnedies stark geschwächte Land nun zweimal hintereinander betroffen haben, hat allein Rußland mit Lebensmittellieferungen ausgeholfen, hauptsächlich mit dem als Volksnahrung in Rumänien besonders geschätzten Mais. Weite Schichten der Bevölkerung haben das Gefühl, dadurch förmlich vom Hungertod errettet worden zu sein.

Das sind Argumente, die Gewicht haben. Die russische politische und kulturelle Propaganda unterstreicht sie. Rußland braucht Rumänien nicht nur als traditionellen Hüter der Donaumündungen und zweitgrößten Erdölproduzenten Europas, sondern in der staatlichen Nachkriegskonstellation auch als nach Westen vorgeschobenen Posten: die Bastion Siebenbürgen, die Rumänien wiederum in seinen Besitz gebracht hat, dominiert strategisch die moldauische, walachische und ungarische Tiefebene und ergänzt das Rußland gehörige Glacis der Karpato-Ukraine diesseits der Karpaten. Die Angelsachsen wiederum bedürfen eines befreundeten Rumäniens als Flankendeckung für die Dardanellen und den Nahen Osten.

Gelingt — woran die Staatsmänner der Welt mit solcher Hingabe arbeiten — die Befriedung Europas, dann behält Rumänien, das Land des Weizens, Holzes und Erdöls, ganz abgesehen von seiner geopolitischen Bedeutung, seine wirtsdiaftliche Anziehungskraft für den Westen in gleicher Stärke, als der Osten es als natürliche Ergänzung seines Raumes betrachten und in sein Wirtschafts- * (und Weltanschauungs-) System dauernd einzugliedern bemüht sein wird. Der in Paris um die freie Donauschiffahrt geführte Kampf zwischen den Westmächten und der Ostmacht ist nur e i n, wenngleich symptomatisches, Zeichen dieses Tatbestandes.

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