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Zurück zum Ausgangspunkt

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„Der Kampf gegen die aufgehäuften Schwächen im Bund der Kommunisten bezeichnete die Rückkehr des letzteren zu den klassenmäßigen Ausgangspunkten der sozialistischen Revolution“, konstatierte der wiedergewählte. Zentralsekretär des BdKJ, Stane Dolanc, auf der 4. Konferenz dieses Bundes, die am 10. und 11. Mai in,Belgrad veranstaltet wurde. Rund 400 Delegierte und Gäste, unter beiden für westliche Augen auffallend viele Offiziere, applaudierten. Diese Grundthese beherrschte nicht nur die Konferenz, sondern sie beherrscht auch derzeit die Politik in Jugoslawien. Viele sagen, eine Art „Kulturrevolution“ sei im Gange, die Form und Inhalt des BdKP verändere. Andere wiederum meinen, das alles sei nur Weichenstellung für den Tag, an welchem die höchste Autorität Titos auf andere übergehen werde.

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„Der Kampf gegen die aufgehäuften Schwächen im Bund der Kommunisten bezeichnete die Rückkehr des letzteren zu den klassenmäßigen Ausgangspunkten der sozialistischen Revolution“, konstatierte der wiedergewählte. Zentralsekretär des BdKJ, Stane Dolanc, auf der 4. Konferenz dieses Bundes, die am 10. und 11. Mai in,Belgrad veranstaltet wurde. Rund 400 Delegierte und Gäste, unter beiden für westliche Augen auffallend viele Offiziere, applaudierten. Diese Grundthese beherrschte nicht nur die Konferenz, sondern sie beherrscht auch derzeit die Politik in Jugoslawien. Viele sagen, eine Art „Kulturrevolution“ sei im Gange, die Form und Inhalt des BdKP verändere. Andere wiederum meinen, das alles sei nur Weichenstellung für den Tag, an welchem die höchste Autorität Titos auf andere übergehen werde.

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Diese 4. Konferenz des „Bundes der Kommunisten Jugoslawiens“ war einer der Höhepunkte in der gegenwärtigen Konferenzserie, die im April 1973 in den großen Parteikongreß münden soll. Etwa 1000, wenn nicht noch mehr solcher Meetings, größere und kleinere, werden noch im ganzen Land vor sich gehen. Allesamt Vorbereitung auf die „neuen Perspektiven“ der Politik, auf eine Re-Ideologisierung des sozio-ökono-mischen und ideologisch-politischen Prozesses, der die Revitalisierung der Partei begleitet. Ubers Jahr wird dann auch eine „von ganz unten bis ganz oben erneuerte Führung der Partei“ vor uns stehen, wenngleich sich auch in dieser noch viele alte Namen finden werden.

Stane Dolanc, 48 Jahre alt, Slowene, ehemaliger Polizeioffizier mit subtilen Referaten, massig, wendig, schlagfertig, oft von brutaler Direktheit, sowohl der englischen wie der deutschen Sprache vollkommen kundig, spricht nur wenig im „Parteichinesisch“. Zweifellos gehört er zu den sichtbarsten Leuten, auf welche nach Tito die Macht übergehen wird.

Für wie lange, wer möchte das heute sagen?

Er wird aber nicht „der nächste Tito“ sein. „Für Tito gibt es keinen Ersatz“, das ist die allgemeine Meinung; wie auf Stalin, wie auf den späteren Chruschtschow, wird auch auf Tito eine Art kollegiale Führung folgen. In ihr wird sich — möglicherweise noch „über“ Dolanc — wohl auch der alte Mitkämpfer Titos, Edvard Kardelj, derzeit sein Stellvertreter, befinden. Aber wer Jugoslawien kennt, weiß, daß zwei Slowenen allein nicht die höchste Autorität bilden können Da die recht gemischte Sitzordnung — anders als etwa bei den Sowjets — darüber keine Voraussagen gestattet, wird sich erst nach und nach zeigen, wer aller den harten Kern der neu eingeführten „zentralistischen Demokratie“ bilden soll.

Vorerst freilich ist Tito — als Staats-, Partei- und Armeechef auf Lebenszeit eine Art „sozialistische und nationale Dreifaltigkeit“ — noch präsent, wenn auch nicht persönlich anwesend auf der wichtigen Konferenz. Die offizielle Version lautet, er sei überarbeitet und benötige Erholung. Doch weiß man, daß ihm während des eben erst vorübergegangenen Aufenthaltes des japanischen Außenministers ein Schwächeanfall ereilte, der sich auclubeim gleich an-

schließenden Besuch des Polen Gie-rek nur insofern besserte, daß dieser, statt wie vorgesehen in Belgrad, nur im besseren Reizklima Krains von Tito empfangen werden konnte. Erst zu seinem 81. Geburtstag, am 25. Mai, kam Tito wieder nach Belgrad, um die Staffeln, die von allen Gegenden des Landes anrückten, zu empfangen. Immerhin: das Protokoll, nach Dolanc „das konservativste in Europa, ausgenommen das britische“, hat man ändern müssen, „denn es war dem 81jährigen nicht mehr zuzumuten, auf Flugplätzen, Bahnhöfen und ähnlichen Plätzen stundenlang herumzustehen“. Titos derzeit naturbedingte Abwesenheit fügt sich übrigens in einen Stil, den er schon immer mit Raffinesse gepflegt hat: sehr oft war er, wenn ganz neue Ent-scheidungsprozesse gärten und an ihrem Kulminationspunkt „neue Perspektiven“ hervorbrachten, „gerade nicht da“. So behielt er stets Handlungsfreiheit, sich vom später vielleicht mißlichen Ergebnis einigermaßen zu distanzieren, ja, es zu kritisieren und auch zu korrigieren, ohne daß seine natürliche oder funktionelle Autorität darunter hätte leiden müssen.

Dieser 4. Konferenz ging eine bedeutsame Aktion voraus. Bekanntlich stand ganz am Anfang des „Kampfes gegen den Nationalismus“, der schließlich in einen umfassenderen gegen „Bürokratismus, Technokratismus, Fraktionismus, Demokratismus, Liberalismus und Neo-Stalinismus“ umfunktioniert wurde, ein überaus zorniger Brief Titos an das Präsidium des BdKJ und die Partei. Dieser „Brief“, der jetzt in allen Referaten, Reden und Artikeln wie eine erhabene Botschaft wiederkehrt, leitete eine Veränderung des bisher bekannten „Jugoslawischen Modells“ (und eine Welle von Säuberungen, Pensionierungen, ja, Verhaftungen und Prozessen) ein und zwar „ex tunc“. Er kündigte die „Rückkehr zum Ausgangspunkt“ an

Erinnern wir uns zurück. Als 1948 und die Jahre danach sich der Bruch mit Moskau zur Kluft weitete, als Titos Staat aus dem „sozialistischen Lager ausgeschlossen“ wurde und Jugoslawiens Fühler nach dem Westen sich durch östliche Boykotts noch beträchtlich länger als vielleicht, geplant, ausreckten, gab es für diese Entwicklung keine entsprechende ideologische Unterlage. Der Zuschnitt der Partei, das soziale und das ökonomische, das administrative und das exekutive System unterschied

sich von dem eines auf die Sowjetunion orientierten „normalen sozialistischen Landes“ nicht besonders stark. Vollends zur „Häresie“ wurde das „Jugoslawische Modell“ erst, als man sich nach einem geeigneten und der eigenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen, sowie der nationalen Struktur entsprechenden „ideologischen Unterbau“ umzusehen be-

gann. Was man dabei herausfand wurde schrittweise durch „Reformen“ und „Verfassungsänderungen“ zum Faktum.

Herausgefunden hatte man die „räte-genossenschaftliche Arbeiterselbstverwaltung“, die einer revolutionären sozialen und ökonomischen Dezentralisation gleichkam. Flankiert wurde dieser Vorgang alsbald mit einem erst vorsichtigen, dann progressiven und schließlich den Erfindern davonlaufenden Föderalismus, der die sechs Teilrepubliken (Serbien, Kroatien, Slowenien, Bosnien-Herze-govina, Makedonien und Montenegro), sowie die beiden autonomen Provinzen (Wojwodina und Kosovo) wenn schon nicht „unabhängiger“, so doch ungemein „selbstständiger“ machte. Wiederum eine Folge davon war, daß die Partei „als zentrale Klammer des Ganzen“ immer mehr aus der Öffentlichkeit verschwand; sie wurde zu einer Art „Orden“ mit zwangsläufigen „Dogmen“, aber die Praxis regierten ganz anders „Sach-zwänge“, die nur sehr „liberal“ bewältigt werden konnten. „Die neue Klasse“, die Titos einstiger enger Freund und später verfolgter Abtrünniger, Milovan Djilas, wenngleich in etwas anderer Gestalt hatte heraufsteigen gesehen, breitete sich über allem aus. Die „Klasse“ der Bürokraten, der Technokraten, der Manager schlechthin.

Es liegt auf der Hand, daß unter solchem Aspekt die „Arbeiterselbstverwaltung“ einen ganz anderen Charakter annahm als es die Theoretiker gemeint und erwartet haben mochten. Zumal, als die „sozialistische Solidarität“ — also das „Klassenbewußtsein und die Herrschaft der Arbeiterklasse“ — recht rasch hinter „Betriebsegoismus“ und schließlich auch hinter den „nationalen Egoismen“ verschwand. Dazu Tito: „Die Kroaten — aber auch die anderen Völker — sehen nur noch die Nachteile des sozialen und nationalen Ausgleiches, nicht aber die Vorteile“.

Die Vorteile lagen, simplifiziert ausgedrückt, darin, daß auch ein genossenschaftlich selbstverwaltetes Unternehmen in der „sozialistischen Marktwirtschaft“ nicht in Konkurs gehen kann (weil nicht sein kann, was nicht sein darf!) — und ergo bei den auftretenden krisenhaften Erscheinungen „der Staat“ (oft unter Re-Delegierung autonomer Rechte der kleinen Einheit an ihn = „Bürokratismus“) Hilfe leisten mußte. Die Nachteile, wiederum simplifiziert, lagen darin, daß auf diese Weise die „reichen Länder und Regionen“ einen wesentlichen Teil ihres erarbeiteten „Mehrwertes“ nicht für sich

und für jene, die ihn erarbeitet hatten, verwenden konnten, sondern diesen — via Zentrale — an die „armen Länder und Regionen“ abzuführen hatten, ohne daß diese indessen wirklich fühlbare Fortschritte machten.

Schließlich braute sich — technokratisch und ökonomisch „zwangsläufig“ — das zusammen, was Dolanc

jetzt die „kleineigentümerische Elementargewalt“ nennt. Die Industrialisierung brachte die Manager wohl darauf, daß gewisse Funktionen nicht mehr cooperativ oder genossenschaftlich bewältigt werden können, sondern von Kleinstkollektiven und Privaten besser zu besorgen sind. Dies beeinflußte die Agrarwirtschaft, die Touristik, Gewerbe und Handwerk, verschiedentlich auch den Handel, von wo aus das „Kleineigentum“ — wie nicht anders zu erwarten — sehr bald auch seine „ideologische, soziale, kulturelle und politische Elementargewalt“ zu entfalten begann.

Auf der „Gegenseite“ ballten sich „zentralistische Zirkel“, sogenannte „Neo-Stalinisten“ zusammen, gewisse serbische Kreise strengten unter ideologischer Artikulierung die Rückgewinnung ihres Monopolanspruches auf „Gesamtstaatlichkeit“ an und jene, wenn auch nicht immer sichtbaren, so doch latent vorhandenen Gruppen von Funktionären und Ideologen, die das „sowjetische Modell“ bevorzugen würden, entfalten gleichfalls eine emsigere Tätigkeit.

Früher einmal wäre es — sehen wir einmal vom wirtschaftlichen Desaster ab, in welchem das „Jugoslawische Modell“ derzeit steckt, was aber auch „Wachstumsgründe“ hat — für Tito ein leichtes gewesen, souveräne Korrekturen vorzunehmen. Nun aber traten übermächtige Zwänge auch von außen her auf. Im Zuge eines West-Ost-Ausgleiches, vor allem aber eines versuchten Ausgleiches USA-SU verliert Jugoslawiens Lage auf dem etwas entrückten west-östlichen Diwan an Attraktivität. Der „Block der Blockfreien“ — immer mehr eine Schimäre als ein Faktum — scheint Vorerst ausgehöhlt, ein Name bloß. Die zwischen dem jungen Staat und dem „sozialistischen Lager“ bestehende Kluft mußte zugeschüttet werden. Die Export- und die Investitionsbedürfnisse Jugoslawiens verlangten gebieterisch auch nach östlichen Kontakten. Die „Versöhnung“, schon von Chruschtschow eingeleitet („Ihr habt Djilas ausgeschaltet, wir Berfa, es gibt keine Gegensätze mehr“!), endete in einem nunmehr gewährten 1,3-Mil-liarden-Dollar-Kredit der Sowjetunion. Der hat natürlich nicht nur ökonomische Folgen. Wirtschaftliche Kooperation, touristische und sonstwie „sachbezogene“, zieht nicht nur in diesen Breiten auch „soziale An-gleichungen“ nach sich und auf diese hat Breschnjew Tito sowohl in Moskau als auch in Belgrad angesprochen. Der große alte Mann, der laut dem zum „Staatsfeind“ ausgerufenen Djilas (so wie Tito einst von Stalin

zum „Agenten des Kapitalismus“ ausgerufen worden war) „die Russen am besten von uns allen kennt“, und der natürlich nie aufgehört hat, ein Kommunist in allen mentalen Disziplinen zu sein, machte sich auf den verschlungenen „Weg zurück“. Bei seinem Alter kein leichtes, weil immerhin eilig zu erledigendes Vorhaben.

Diesar Weg führt jetzt zum „Ausgangspunkt der sozialistischen Revolution“. Das heißt: zurück zur „zentralistischen Demokratie“, die eine der Partei ist. Indem die Partei aber „alle Macht in die Hand nimmt“, verblassen die inzwischen stattgehabten „Demokratisierungen“, „Liberalisierungen“, „Bürokratisierungen“ und „Föderalisierungen“. Sie, die Partei, wird nun nicht bloß wieder zur „Klammer“, die alles zusammenhält, sondern auch zur ersten und einzigen Instanz, die alles entscheidet; auch den ökonomischen Prozeß.

Der „unerbittliche Kampf“ gegen die „kleineigentümerische Elementargewalt“, gegen den ideologischen und philosophischen „Fraktionismus“ (sprich: politische Liberalität), gegen „Technokratie und Manager“, gegen „Djilasismus“, worunter dezentralisierte Sozialdemokratie verstanden wird, und gegen „Nationalismus“ wie „Neo-Stalinismus“, kann nur, so Dolanc und der 4. Kongreß des BdKJ, durch ein „verstärktes Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Bauern gewonnen werden“. Man wird die „Arbeiterselbstverwaltung“ nicht aufgeben — aber man wird sie „ideo-logisieren“; man wird „die Manager, die Privaten und die Reichen“ — die es in großer Zahl gibt — schröpfen, ja in Teilbereichen wieder „abschaffen“ (so in einigen Regionen die privaten Gaststätten- und Beherbungs-betriebe) und den Cooperativen, also der „Arbeiterselbstverwaltung“ unterstellen; man wird die „Demokratie verändern“. An Stelle der bisherigen Wahlen, die teilweise eine etwas differenziertere Auswahl kannten, tritt das „Delegiertensystem“, wobei von unten nach oben „delegiert“ wird, wobei die jeweiligen „Delegierten“ aber nicht, wie bisher, mit aufsteigen, sondern an ihren Plätzen verbleiben, die „zur Wahl“ gestellten Personen aber werden wieder ausschließlich von c!er Partei bestimmt; und natürlich wird man die „separatistischen Auswüchse“, die in den Teilrepubliken zu beobachten waren, unter eine schärfere, zentrale Kuratel stellen.

Vor allem aber will die Partei ihren Ideologie-Anspruch in der Erziehung wieder durchsetzen. Das „sozialistiche Bewußtsein“ soll gestärkt und als Dominante über den Fach- und Sach-Partikularismus gestellt werden.

Weicht damit das „Jugoslawische Modell“ einem, das dem sowjetischen Zentralismus gleicht? Endet der „Weg zurück“ im Schöße Moskaus? Die „neuen Männer“ bestreiten das. Sie sagen, erst jetzt werde der Sozialismus auf durchaus eigene und ursprüngliche Weise „errungen“. Wie dem auch sei — die „neuen Perspektiven“ verlaufen so, daß Moskau mit Sicherheit weniger „Anstoß“ nehmen kann als zuvor. Bei Fortbestehen des absoluten „Souveränitätsanspruches“ Jugoslawiens gegenüber jedermann in der Welt — der schon auf Grund der geopolitischen Lage sowohl im Westen als auch im Osten nicht verneint werden kann! — mag sich immerhin eine nähere „innere Verwandtschaft“ zum „sozialistischen Lager“ herausbilden. Dazu wird es noch manche „Reform“ und manche „Säuberung“ geben, denn wie gesagt, „die im BdKJ aufgehäuften Schwächen“ sind immer noch sehr evident. Ihre Behebung mag allerdings wiederum „andere Schwächen“ nach sich ziehen, Schwächen, die man im „sozialistischen Lager“ deutlich erkennen kann.

Stane Dolanc hält den „Weg zurück zum Ausgangspunkt“, der mitunter dem sozio-politischen Purgans einer „Kulturrevolution“ gleicht, für die wohl einzig realistische Möglichkeit, ideologisch wie praktisch. Der große „Stumme“ im Lande, Djilas, jedoch denkt an eine Zukunft, in welcher „Sozialismus, Humanismus und Demokratie nicht miteinander in Widerspruch geraten werden“. Aber diese Problemstellung wird wohl kaum von Jugoslawien und schon gar nicht von diesem allein gelöst werden können.

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