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Akrobat nicht schon!

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Auf einem rührseligen Kitschbild war ein alter Clown zu sehen, der — halb, weil es ihn immer wieder in die Zirkusarena zog, halb weil ihn die sonst unvermeidbare Not dazu zwang — mit erlahmender letzter Kraft, mehr traurig denn zornig über seine versagende Gewandtheit, noch und noch die Kunststücke und Witze versucht, durch die er einst Erfolge, Beifall und glänzendes Honorar geerntet hatte. Wir wollen nicht so unartig sein, einen Staatschef und Marschall mit einem Clown zu vergleichen, und wir sprechen also vom Jongleur, der nicht, wie einst, meisterhaft mit vielen Bällen zugleich Fangball spielt oder in nachtwandlerischer Sicherheit über das dünne Seil dahingleitet. Denn das ist der Kern der weltpolitischen Tragödie, der wir beiwohnen: Tito möchte, vor eine der von 1948 analoge Situation gestellt, ihr mit ähnlichen Mitteln beikommen wie damals. Doch er selbst jst krank, an der Schwelle des Greisentums, und die Lage ringsum hat sich sehr zu seinem Ungunsten verschoben. Ehe er in diese Bedrängnis geriet, durfte er eine Zeitlang den stolzesten Träumen huldigen. Um so schlimmer ist das Erwachen aus derlei Illusionen.

Während man im vorigen Herbst und im heurigen Winter zwischen der UdSSR und den Volksdemokratien einerseits, Jugoslawien anderseits, ungeachtet der wiederholten, auch nach der Versöhnung von 195 5 beobachteten Unstimmigkeiten, alles in Butter glaubte, ertönte plötzlich ein zwar vereinzelter, doch warnender Kanonenschuß. Marschall Konjev, der Oberbefehlshaber des Warschau-Bündnisses, „übersah“ in einem unter seinem Namen im Prager „Rüde Prävo“ veröffentlichten Artikel über den zweien Weltkrieg und den Anteil, den die Oststaaten daran hatten, die Leistungen der jugoslawischen Partisanen. Das weckte heißen Zorn bei Tito und den Seinen. Der Prager kommunistische Moniteur mußte die fadenscheinige Entschuldigung vorbringen, der Jugoslawien betreffende Abschnitt im Aufsatz des Sowjetmarschalls sei versehentlich nicht mitgedruckt worden. Die kleine Episode, schnell von der westlichen Welt vergessen, bezeugte aber, wie nachhaltig der Groll gegen die Belgrader Häretiker bei den sowjetischen Stalinisten und in der tschechischen, der bulgarischen und der albanischen Partei fortlebte.

Allein die General-, die Marschallslinie Jugoslawiens blieb, von Moskau her gesehen, untadelig, wenigstens auf diplomatischem Terrain. Tito unterstützte vorbehaltlos den Sowjetstandpunkt in der Frage der atomaren Abrüstung und in der Deutschlandpolitik. Ein Besuch Woro-schilows in Belgrad wurde für Mitte Mai angekündigt, und Ende desselben Monats sollte sich Tito nach Warschau begeben. Vor allem aber war der jugoslawische Staatspräsident bereit, nunmehr Kädär in Ungarn beizustehen. Er konferierte mit ihm am 28. März in Kara--djodjevo. Und das betrachtete man allerorts als Beweis besonderer Eintracht mit dem Kreml. Es wurde auch eine neuerliche Begegnung Titos mit Chruschtschow erwartet, der vom 2. bis 10. Mai in Ungarn weilte. Die innere Lage, in der UdSSR wie in Jugoslawien, schien beiden den sichersten Rückhalt an ihrer eigenen Heimat zu verbürgen. Chruschtschow war am 27. April zum Ministerpräsidenten gewählt worden und hatte damit eine ähnliche Machtfülle wie vordem Stalin empfangen. Tito wurde durch die Parlamentswahlen vom 23. März ohne Zwischenfall, zum mindesten formell, als Erkorener des Volks bestätigt; er persönlich hatte mehr als 99 Prozent' der Stimmen erhalten. Nach der Entrevue mit Kädär kam das rumänische Staatsoberhaupt Maurer nach Belgrad. Doch gerade an jenem 6. April fingen die kundigen Beobachter an, aufzuhorchen.

Warum war Tito beim Bankett zu Ehren dieses Gastes nicht anwesend? Ach, vermutlich sprach er mit Chruschtschow unter vier Augen; denn an demselben Tag war der sowjetische Allgewaltige viele Stunden den profanen Blicken entrückt, die ihn sonst ausgiebig auf Ungarns Straßen bewundern konnten I Diese Zusammenkunft hat entweder nicht stattgefunden, weil es schon vorher zum Krach gekommen war, oder ebendieser Krach hat sich bei der Begegnung ereignet. Künftigen Historikern wird es vorbehalten sein, zu erfahren, welche dieser Möglichkeiten zutraf. Jedenfalls datiert aus jener Osterwoche der neue schwere Konflikt, der sich zwischen dem Kreml und den Führern des Kommunistenbundes Jugoslawiens erhoben hat.

Die nicht unterrichtete jugoslawische und die schlecht unterrichtete westliche Oeffent-lichkeit erkannte den radikalen Umschwung in Moskau selbst dann noch nicht, als — am 18. April — die Moskauer Parteizeitschrift in einem von drei Autoren verfaßten Artikel den jugoslawischen Bund der Kommunisten verketzerte. Der Lärm, in dem alsbald Stimmen aus der Tschechoslowakei, Bulgarien und Albanien miterklangen, schwoll laut an, je näher der jugoslawische Parteikongreß rückte, der am 22. April die Getreuen Titos zu Laibach vereinte. Die Sowjetunion und, ihr gehorsam, sämtliche Volksdemokratien, bekundeten ihr Mißbehagen, indem sie die anfangs versprochene Entsendung von Delegationen zum Laibacher Kongreß widerriefen und nur ihre in Belgrad beglaubigten diplomatischen Vertreter zur Beobachtung schickten. Das alles hinderte Tito und seine Leute nicht im geringsten, bei ihrer Meinung, bei den wesentlichen wirtschaftlichen und innenpolitischen Thesen ihres Programms zu beharren, noch anderseits die Sowjetunion auf internationalem Gebiet zu unterstützen.

Tito war unterdessen am 19. April durch die Skuptschina zum Präsidenten der Republik wiedergewählt worden. Doch Koca Popovic blieb Außenminister, und Vladimir, sein Namensvetter, hatte das Nachsehen. Vukmanovic' Posten aber wurde mit einem angesehenen Wirtschaftsfachmann, ;MijaIkö Todorövic,' besetz*. \ Aufmerksame Beobachter horchten auf. Und dje 5 chinesische Hilfe? Darüber WAirde man in Europa erst am 5. Mai aufgeklärt, als das führende Organ der Kommunistenpartei im Blumigen Reiche der Mitte die „herrschende Clique“ Jugoslawiens aufs schärfste angriff und als die Nachrichtenagenturen von konzentrischer gesprochener oder gedruckter Offensive der Partei-v führer, der Zeitungen und des Rundfunks Chinas berichteten; man war sich sofort darüber klar, daß Tito, Kardelj und RankoviC geprügelt und auch gemeint wurden, daß aber das eigentliche Ziel der Ferngeschosse Chruschtschow hieß. In Peking war — aus zahlreichen Gründen, die hier zu nennen unmöglich ist — eine Drehung um 180 Grad erfolgt. Dort hatte man enge Fühlung mit dem, wohl allzu kurzsichtig, nach der Mongolei als Botschafter verbannten Molotow und mit anderen russischen Todfeinden des jetzigen sowjetischen Diktators genommen. Tito stand innerhalb des Ostblocks ohne starken Rückhalt da.

Das Peinliche war, daß er es sich durch sein Verhalten während der letzten drei Jahre auch mit dem Westen gründlich verscherzt hatte. Der Verzicht auf amerikanische Waffenhilfe, der Bruch mit Bonn, die Affäre Djilas hatten nacheinander das Staatsdepartement und das Pentagon, Westdeutschland und die Zweite Internationale in Harnisch gebracht. Daß Tito bei den Katholiken des gesamten Erdenrunds sich keiner glühenden Zuneigung erfreut, ist ebenso bekannt wie verständlich. Die unversöhnlichen Gegner, die der Belgrader Allgewaltige in Moskau wie in mehreren Satellitenstaaten besitzt, haben mit der Geduld des zähen Hasses den Moment abgewartet, wo die von ihnen verabscheute Häresie, auch (so ist die offizielle Lesart) der nationale Erbfeind, beziehungsweise das Hindernis des eigenen Imperialismus (dies der eigentliche, tiefere Grund des Zorns) in gefährliche Isolierung geraten ist. Am 22. April hielt Pospelov, der zusammen mit dem einflußreich gebliebenen Suslov als der Hauptfeind Titos in Moskau gilt, bei der Feier des 8 8. Geburtstages Lenins, die Festrede, die Punkt für Punkt das Programm des Bundes der jugoslawischen Kommunisten zergliederte und die entscheidenden Sätze dieser Prinzipienerklärung als unvereinbar mit der Moskauer vom November 1957 verurteilte. Chruschtschow war dabei anwesend. Der ideologische Krieg zwischen dem Kreml und Belgrad war damit ausgebrochen; denn die salbungsvolle Schlußphrase, man hoffe, die lieben Genossen in Jugoslawien würden noch rechtzeitig ihre Irrtümer tiriseh'ett und auf ihrem verderblichen Pfad umkehren, “war nicht ernst gemeint. t

Daran erlaubte der Verlauf des Laibacher Parteitags keinen Zweifel. In drei großen Reden wandten sich der Reihe nach, vom 22. zum 24. April, Tito, RankoviC und Kardelj gegen den Druck, den die Sowjetunion neuerlich auf Jugoslawien ausüben wolle. Und Tito betonte in seinem Schlußwort, jede Hoffnung, sein Land werde die bisherige Haltung ändern, sei Zeitvergeudung. Die Rückkehr zur Situation von 1948 wäre tragisch, doch — so durfte man den unausgesprochenen weiteren Gedanken fortsetzen — unvermeidlich, wenn Moskau auf seinem jetzigen Standpunkt beharre.

So nahmen die Dinge den zu erwartenden Verlauf. Auf einer, mehrmals verschobenen, Sitzung des Zentralkomitees der KPSS am 6. und 7. Mai wurden energische Maßnahmen gegen die wieder aufmuckenden jugoslawischen Ketzer gebilligt. Der zum Bericht über den Laibacher Kongreß in die sowjetische Hauptstadt berufene Botschafter Zamcevskij erhielt scharfe Weisungen. Nach Belgrad zurückgekehrt, teilte er zunächst die Absage des für 11. Mai verabredeten Besuchs Woroschilows mit. Zugleich übermittelte er in einer Unterredung mit RankoviC eine Reihe Forderungen, die zwar formell keinen ultimativen Charakter trugen, ihn jedoch faktisch besaßen. Die UdSSR begehrte eine unzweideutige Haltung Jugoslawiens, dessen Wiedereintritt ins sowjetische Lager und damit die Unterwerfung unter die Befehle der „ersten sozialistischen Macht“. Im Weigerungsfall drohten wirtschaftliche Repressalien, die schwer auf den Widerspenstigen lasten mußten. Sofortiges Aufhören der Lieferungen aus der UdSSR und aus den Volksdemokratien, radikale Unterbindung des Handels mjt allen diesen Staaten waren zu befürchten. Ob jedoch der Westen wiederum, wie vor einem Jahrzehnt, rettend und ausgiebig eingreifen würde, das war nicht vorherzusagen und eher fraglich. Und ringsum schwoll der Rachechor der während dreier Jahre nur mühsam gedämpften Feinde Titos an.

Tito und seine Leute trotzten dem Sturm. Ihre Zeitungen und ihr Rundfunk greifen den homerischen Streit der Worte wacker auf. Argumente und Zitate aus den Schriften Marx' und Lenins werden als Geschoße verwendet. In Wahrheit geht es nur um die nackte, erbarmungslose Tatsache: Die Führer der Sowjetunion möchten die gegenwärtige Konjunktur ausnützen, um ein isoliertes Jugoslawien in ähnlicher Weise wie das Polen Gomulkas, dazu zu zwingen, wieder zum gefügigen Vasallen der Sowjetunion zu werden.

Die Aspekte sind dabei für die UdSSR günstig: Chinas Volte-Face, die Ereignisse in Frankreich-Algerien und im Nahen Osten (wodurch die USA anderwärts stärker interessiert und gefesselt werden), das berechtigte Mißtrauen gegen Tito wirken sich gegen diesen aus. Doch man darf auch nicht die Zähigkeit, das Geschick und den Mut der Belgrader Machthaber unterschätzen, am allerwenigsten den alten Jongleur, der im entscheidenden Moment die Geschicklichkeit seiner kräftigsten Manneszeit wiedergewinnen könnte und der, in der schlimmsten Hypothese, zu zeigen wüßte, daß man, zwischen zwei Stühlen auf die Erde gefallen, bei einer allgemeine Schlägerei dort vielleicht besser daran ist, als auf einen von ihnen sitzend oder stehend.

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