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Der Adriahafen

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„Jugoslawiens Staatspräsident Marschall Josip Broz Tito wird auf seiner Adria-Insel unter Hausarrest gehalten. Einer der beiden stellvertretenden Ministerpräsidenten hat in Belgrad die Macht übernommen.“ Mit unwahrscheinlicher Hartnäckigkeit wurde dieses unsinnige Gerücht in Westeuropa verbreitet, und stets wurde die „Glaubwürdigkeit“ seiner Quelle unterstrichen — einer Quelle, die in westdeutschen Gefilden zu sprudeln schien. Man wird deshalb auch in der Annahme nicht fehlgehen, daß jugoslawische Emigrantengruppen am Werk waren.

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„Jugoslawiens Staatspräsident Marschall Josip Broz Tito wird auf seiner Adria-Insel unter Hausarrest gehalten. Einer der beiden stellvertretenden Ministerpräsidenten hat in Belgrad die Macht übernommen.“ Mit unwahrscheinlicher Hartnäckigkeit wurde dieses unsinnige Gerücht in Westeuropa verbreitet, und stets wurde die „Glaubwürdigkeit“ seiner Quelle unterstrichen — einer Quelle, die in westdeutschen Gefilden zu sprudeln schien. Man wird deshalb auch in der Annahme nicht fehlgehen, daß jugoslawische Emigrantengruppen am Werk waren.

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Daß das wirkliche Problem nicht darin besteht, Tito die Macht zu entreißen, sondern vielmehr, sie ihm so lange wie möglich zu belassen, liegt auf der Hand, aber das Brioni-Mär-chen beweist ein Doppeltes: die politische Hochspannung, unter welcher der südosteuropäische Vielvölkerstaat lebt, und die Kampfmethoden, deren sich seine Gegner bedienen.

Die politische Hochspannung ist das Ergebnis einer verzwickten Wechselwirkung zwischen der altersbedingt über kurz oder lang bevorstehenden Machtablösung, der internen wirtschaftlichen und sozialen Unruhe, der. Meinungsverschiedenheiten zwischen den Nationalitäten und der weltpolitischen Entwicklung.

Balanceakt

Die Weltpolitik beunruhigt Jugoslawien sowohl vom Westen wie auch vom Osten her. Im Westen ist es selbstverständlich in erster Linie die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes, des wichtigsten Wirtschaftspartners Jugoslawiens. Nicht zuletzt aus diesen Überlegungen fanden kürzlich in Belgrad jugoslawisch-französische Besprechungen statt, die zwischen Herve Alphand, dem Generalsekretär des französischen Außenministeriums, und Jaksa Petric, dem stellvertretenden jugoslawischen Staatssekretär, geführt wurden. Jugoslawien bangt vor allem vor einer allzu weitgehenden Integration der Europäischen Gemeinschaft. Es hofft, daß der Beitritt Englands zum Gemeinsamen Markt diesen zwar erweitern, in seiner Struktur aber eher etwas aufweichen wird.

Noch mehr aber ist Jugoslawien in den Sog der großen Weltpolitik geraten, nachdem von Washington plötzlich die chinesische Karte ausgespielt wurde. Moskau übt massiven Druck auf Belgrad aus. Man weiß, daß der sowjetische Marschall

Gretschko anläßlich seines letzten , Besuches in Belgrad mehr als deut- . lieh geworden ist. Die sowjetische “ Mittelmeerflotte, der die Insel Malta , im letzten Moment davongeschwom-men ist, begehrt einen Stützpunkt an , der jugoslawischen Adriaküste. Ein . solches Abkommen sollte — wenn es , nach dem Wunsch Gretschkos ginge , — feierlich in Moskau zwischen der ' sowjetischen Führungsspitze und Marschall Tito unterzeichnet werden. Aus diesem Grund hat man denn Tito in die sowjetische Hauptstadt eingeladen, legt aber Wert darauf, daß dieser Besuch noch vor der Moskaureise des amerikanischen Präsidenten Nixon zustande komme.

Jugoslawiens Alternative ist also keine sehr erfreuliche. Besonders seit Washington quer über Europa hinweg die Verbindung mit Peking aufgenommen hat, muß sich Jugoslawien davor hüten, zwischen zwei Sessel zu geraten. Zudem gibt es Leute in Belgrad, die eine Annäherung an Moskau nicht zuletzt im Hinblick auf einen möglichen Rücktritt Titos befürworten, indem sie sich damit für jenen Zeitpunkt eine etwas gemäßigtere Haltung der Sowjetunion versprechen. Daß auch dies wieder ein Balanceakt wäre, liegt auf der Hand, denn noch gibt es Kräfte um den seinerzeit ausgebooteten Rankovic, die in der stalinistischen Linie das Heil erblicken. Gerade das aber würde nicht nur Tito und seinen Anhängern, sondern auch dem Willen des jugoslawischen Volkes widersprechen.

Uber all diese weitgespannten

Probleme hinaus lasten auf Jugoslawien aktuelle Schwierigkeiten. Die Pockenepidemie, die bereits etwa 20 Todesopfer gefordert hat, ist neben all ihren menschlichen Aspekten vor allem auch ein wirtschaftliches Problem. Die Osterfeiertage haben bewiesen, welch schwerwiegende Einbußen der jugoslawische Tourismus erleiden wird, wenn es nicht gelingt, bis zur sommerlichen Hochsaison das Vertrauen des Auslands wieder zu gewinnen.

„Typisch Kismet“, so kommentierte ein Slowene diese Epidemie, ger in die autonome Region Kosovo-Methochia eingeschleppt wurde. Und er fuhr fort: „Wenn wir Slowenen nach Rom oder Lourdes pilgern, schadet dies wenigstens der Volkswirtschaft nicht.“ Damit war wieder auf die Animosität der Nationalitäten angespielt, die weiterhin unter allem schwelt. Das große Fest, das Ende Mai bevorsteht, soll nicht zuletzt der Stärkung der jugoslawischen Einheit dienen: Am 25. Mai wird Marschall Tito 80 Jahre alt. Aber im Ausland gibt es viele Kräfte, die ihm bei diesem Anlaß beweisen möchten, wie brüchig sein Lebenswerk ist.

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