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Hinter den Karawanken

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Marschall Tito ist ein unbequemer Gefolgsmann. Er mischt sich in die europäische Politik des Kremls und sucht sie zu Kursänderungen zu bestimmen. So sind gegenwärtig neue Stockungen in die Londoner Verhandlungen über den österreichischen Staatsvertrag gebracht worden.

Nach der 1947 in London erfolgten — wie es schien — endgültigen Abweisung der jugoslawischen Ansprüche auf Veränderungen der Grenze gegenüber Österreich vermöchte die Hartnäckigkeit, mit der jetzt Belgrad diese Gebietsansprüche erneuert, Verwunderung zu erwecken. Und die Frage liegt nahe, warum Jugoslawien so sehr an der Erwerbung eines Gebietes interessiert sein sollte, dessen volkspolitische, kulturelle, historische, wirtschaftliche und geographische Zugehörigkeit zu Österreich klar am Tage liegt und dessen allfälliger Wert für Jugoslawien die Größe des gewagten Konflikts nicht erklärlich macht.

Um die Gründe dieser Hartnäckigkeit zu verstehen, muß man wie bei allen Handlungen der totalitären Systeme dem innerpolitischen Motiv nachgehen.

Wer ih den kroatischen und slowenischen Siedlungsgebieten durch Jahre nach dem ersten Weltkrieg die Stimmung der Bevölkerung beobachten konnte, mußte stets aufs neue wahrnehmen, wie wenig die erfolgte Loslösung von dem alten Donaureiche, die Sammlung des Südslawentums in dem neuen jugoslawischen Staate, die Erwartungen befriedigt hatte, die von den. Wortführern der jugoslawischen Idee geweckt worden waren. In dem neuen Staate erhob das siegreiche Serbentum den Füh- rungsansprudi, ein zentralistisches Ragierungs-System drängte die Mitbestimmungsanspriiche Agrams und Laibachs, die sich auf dis höhere Kulftirstufe ihrer Länder beriefen, zurück. Stärker als je stießen alte Gegensätze, die aus verschiedener staatlicher, kirchenpolitischer und allgemeiner kultureller Entwicklung entsprungen waren, aufeinander. Die primitiven Methoden des Belgrader Regierungssystems weckten erbitterten Widerspruch. Die Bevölkerung der einstigen österreichischen Kronländer, die Slowenen und Kroaten von Krain, den Küstenlanden, zogen Vergleiche mit der Vergangenheit. Dieses arbeitsame, intelligente Volk hatte den maßvollen und korrekten Verwaltungsapparat des alten Staates nie als ein „Joch” empfunden; die große Masse des Volkes hatte daheim in Frieden und dann draußen auf den Schlachtfeldern des ersten Weltkrieges bis zum letzten ihre tief verwurzelte Staatstreue bewiesen. Sie hatte der Idee der nationalen Eigenstaatlichkeit, als die alte Monarchie zerbrach, sich gerne anvertraut; aber nun waren schwerste Enttäuschungen da. Die Erinnerungen an die wirtschaftliche Blüte, die politische und persönliche Sicherheit und die saubere Verwaltung der alten Staatsgemeinschaft, die man verloren hatte, regten zu Vergleichen an, die unvorteilhaft für die Gegenwart ausfielen. Eine politisch psychologische Umwandlung vollzog sich um die Mitte der zwanziger Jahre, die man 1919 noch nicht für möglich gehalten hätte. Der innere Zusammenhang mit der jugoslawischen Staatsidee war so zerfasert, daß die staatliche Umwälzung, die der zweite Weltkrieg brachte, die hitlerisdie Errichtung des „unabhängigen kroatischen Staates”, trotz jeden Mangels einer Sym-fürhten, daß sie zu einer Bewegung werden. Keine offizielle Propaganda, kein amtlicher Druck kann auf die Dauer diese Wirkung aufheben. Es ist die geistige fünfte Kolonne, die unterirdische Festungen schafft und die selbst die hochentwickelte Komin- formapparatur niht schleifen könnte, die man fürchtet. Darum hat Belgrad den Wunsch, die A nj. a h 1 der Volksgenossen jenseits der Grenzen zu vermindern. Da die Lockrufe zu freiwilliger Umsiedlung, so laut sie erhoben wurden — begreiflicherweise —, niht fruchten, sollen die Grenz- shranken vorverlegt werden, auh wenn dadurch himmelschreiendes Unreht geschehen würde. Dieses und nichts anderes ist der Zweck der jugoslawischen Versuche. Nicht Südkärnten reizt sie; sie wollen die Slowenen Südkärntens in die Hand bekommen, damit in ihren Spredichören kein Mißton klingt und kein innerer Widerstand genährt wird. Ein oft angewandtes Hitler- Rezept. Auf eine kurze Formel gebracht: weil es den Slowenen in Kärnten besser geht als im Tito- Staat und weil dieses Bessergehen in Belgrad störend empfunden wird, soll die „Befreiung” der Kärntner Slowenen dadurch erfolgen, daß es ihnen künftig schlechter gehe, in dem sie das Schicksal ihrer Anverwandten jenseits der Grenze zu teilen gezwungen würden pathie für den deutschen Imperialismus weiten Schichten der Bevölkerung noch willkommener war als der bisherige Zustand, an dessen Haltbarkeit man schon verzweifelt hatte. Doch der totalitäre und der politische Polizeistaat, der nun kam, sorgte rasch für die zweite große Enttäuschung. Als er das Schicksal seiner Urheber teilte, wurde diesem Staate keine Träne nachgeweint. Und man hoffte nach all den bitteren Erfahrungen, die zwei Jahrzehnte schwerer innerer Kämpfe und Zerklüftungen eines blutigen Bürgerkrieges und Heimsuchungen aller Art gebracht hatten, daß Belgrad gelernt habe.

Und abermals wurde dieses unglückliche Volk um seine bescheidenen Hoffnungen betrogen: es kam unter Donner und Blitz die neue Auflage des Polizeistaates, nur mit anderen Vorzeichen; nicht weniger blutig, nicht weniger grausam als der vorausgegangene, das Tito-Regime, die dritte große Enttäuschung. Sie war in mancher Hinsicht noch schwerer zu ertragen als ihre Vorgängerinnen, nicht zuletzt deshalb, weil sie ein Volk befiel, das nun schon durch ein Menschenalter von einem Unglück zum anderen getrieben worden war. Nun ist die Friedenssehnsucht ungeheuer groß. Nun sehen aller Augen nach Rettung aus, nach einem besseren Beispiel, nach ihrer Nachbarschaft, die dieses Beispiel zeigen könnte. Eine freie Volksabstimmung für ein Bekenntnis zu dieser Volksdemokratie von heute würde eine Enthüllung bedeuten. In einem demokratischen Gemeinwesen wird die Unzufriedenheit der Massen im entscheidenden Augenblick durch die nationalen und ideologischen Kräfte auf demokratischem verfassungsmäßigem Wege überwunden. In einem totalitären System — um nicht den abgebrauchten Namen „faschistisch” zu wählen — gjbt es keine Reform von unten her. E i n solches System vermag nur durch Polizei und Absperrung von der Außenwelt gegen die Unzufriedenheit anzukämpfen. In dieser Lage erscheint der Einfluß der Lebensform der jenseits der eigenen Grenzen siedelnden, wenn auch nicht .zahlreichen Volksgenossen von entscheidender Bedeutung. Wem es im allgemeinen heißt „die Österreicher” hätten es besser, so wird das nur teilweise bekannt, - nur teilweise geglaubt und letzten Endes als eine fremde Realität resigniert hingenommen. Aber der unvermeidliche Kontakt mit den Verwandten und Freunden eigener Nationalität jenseits der Grenze erweckt neidvolle Wünsche. Diese Wünsche werden zu Plänen, man mag

Und für eine solche Politik sollen die großen Mähte ihre Verständigung und die Welt ihren Frieden opfern!

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