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Ein neuer Lokomotivführer der Weltgeschichte

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Wer in diesen Tagen die Nachrichten über Titos Rußlandfahrt und den Text der ihm. von der sowjetischen Presse gewidmeten Artikel, vor allem aber den der aus Anlaß dieses Staatsbesuchs gehaltenen Reden kritisch zu lesen verstand, der wußte Antwort, auf eine'im Westen lange und eifrig erörterte Frage. Sie lautete: ist es Chruschtschew oder Bulgariin, der nun im Kreml und damit in der gesamten östlichen Welt den ersten Platz einnimmt? Und nun der ein-drucksame, überzeugende Bescheid: der neue Führer heißt Tito, Stalins überlebender siegr reicher Gegenspieler und Rivale. Der Irrlehrer hat den Antikirchehvater entthront, die jugoslawische Ketzerei ist zur wahren Rechtgläubigkeit und die stalinistische Orthodoxie ist zur Häresie geworden. Nicht nur sind im Vorjahre, ebenfalls gegen Frühlingsende, die beiden ragendsten Berge des sowjetischen Partei-Hochlands zum neuen Mohamme| nach Belgrad gepilgert; jetzt, da der im kommunistischen Erz-vaterland als Prophet Anerkannte die UdSSR mit seiner Anwesenheit beehrt, findet er seine Auslegung des,leninschen Korans als die alleinrichtige auch in..4er. Sowjetunion und bei deren Vasallen, verpflichtend. Noch, mehr, für ihn gelten die Regeln nicht, die — wenigstens in der Theorie — derzeit überall in der kommunistisch-volksdemokratischen Welt beobachtet werden. Er hat den Grundsatz durchgesetzt, um dessentwillen er sich Stalins unversöhnlichen Haß zugezogen hatte, daß nämlich „in jedem Lande der Sozialismus (und später der Kommunismus) auf eigenen, den besonderen Gegebenheiten angemessenen Wegen verwirklicht werden solle“. Was bedeutet, daß die Kommunisten-Leader jeder Nation soviel Macht besitzen dürfen, wie sie gegenüber rivalisierenden Parteikoryphäen zu erringen vermögen und daß sie -von Moskau unabhängig bleiben. Ein Drittes hat Tito begreiflicherweise nie offen eingestanden : daß es Kommunistenchefs eines Staates erlaubt sein müsse, ihre Autorität den Kollegen in anderen schwächeren Ländern aufzuzwingen, ohne daß sich der Kreml dabei einmengte. Diesen Anspruch hat er auch heute noch nicht durchdrücken können. Er richtete sich vornehmlich auf Bulgarien und Albanien. Es ist bezeichnend und keineswegs zufällig, daß in denselben Tagen, da Tito die UdSSR bereist, ein sowjetisches Geschwader Durazzo anläuft, nachdem es vorher bei den Jugoslawen zu Gaste war; gewissermaßen um die Selbständigkeit Albaniens zu unterstreichen ...

Doch zurück zu Titos Ausnahmeposition. Allerorts im Bereich der unmittelbaren sowjetischen Einflußzone ist der „Personenkult“ verpönt, wird das kollektive Prinzip betont. Im China Mao Tse-Tüngs und ... im Jugoslawien Titos ist der beherrschende Einfluß des Einzelstaatsoberhaupts unvermindert, das zugleich Parteiführer und Regierungschef geblieben ist. Mögen zum 64. Geburtstag des Marschalls in Belgrad befehlsgemäß weniger Bildnisse des Gefeierten in den Geschäftsauslagen zu sehen gewesen sein, das Erscheinen des Allgewaltigen wird nach wie vor mit dem rituellen Zuruf „Held Tito“ begrüßt und wir möchten niemand raten, bei den Koilektivberatungen, die er, in Gegenwart seiner „Mitarbeiter“, mit sich abhält, andere Meinung zu bekunden, als Genosse Staatspräsident. Dieser darf auch sonst seine eigenen Wege zum Sozialismus-Kommunismus wandeln. Da gibt es keine saloppe Kleidung, keine gemimte Schlichtheit. Und vor allem, die Gemahlinnen der Großen sind nicht in die Anonymität des grauen Allt- gs verwiesen, aus der' sie weder durch die Bildpresse, noch bei gesellschaftlichen Veranstaltungen zu Ehren fremder Besucher herausgeholt werden. Tito hat vor den kritischen Augen der Londoner Schneider seinen Mann gestellt und Frau Jovanka ihre Dame.vor den noch kritischeren Bücken der vornehmen Pariser Society. Der Marschall lebt in königlichem Stile, mit wohlgeschulten Kammerdienern, betreibt die feudalsten Sporte und vor allem: die Photographen dürfen ihn, samt Gattin, Sohn und Freunden, in sämtlichen eleganten Lebenslagen auf der Platte festhalten, nicht nur, wenn er gerade Kolchosen inspiziert oder in Fabriken aufs Brüderlichste mit Arbeitern scherzt, Proletarierkinder abküßt oder im Kreise seiner Kollegen vom Parteiolymp über heilsame Pläne für die Zukunft der Werktätigen nachsinnt.

Kurz und gut, Tito macht, was er will, und zum Ausgleich dafür machen die Sowjetführer auch das, was er will, also zunächst nach innen, wie eh und je, einen Wirtsehaftskuts, der die Schwerindustrie voranstellt, und eine Politik, die unter dem Schlagwort des Kampfes gegen Stalinismus, Bürokratie: und Polizeiübergriffe, alle den heutigen Machthabern Unbequemen beseitigt. Der Kreml betreibt ferner im größten Maßstab jene Außenpolitik der Koexistenz, die es seinerzeit Tito gestattet hatte, sich von der sklavischen Bindung an Stalins Oberherrschaft zu befreien. So nebenbei waltet noch Ueberein-stimmung in der feindseligen Haltung gegenüber der Katholischen Kirche. Den Ausschlag für die überragende Position des jugoslawischen Staatschefs gibt jedenfalls Seine geschickte Diplomatie, die ihm ebenso von Erfolg zu Erfolg vefhalf wie Stalins Kalter Krieg eine Niederlage“ nach der andern auslöste. Ohne sich geradezu einzugestehen, daß sie von Stalinisten zu Titoisten geworden sind, haben Chruschtschew und Bulganin, samt dem ihnen beiden geistig überlegenen Mikojan, .begriffen, daß Tito nicht nur deshalb wichtig ist, weil Jugoslawien eine militärgeographische Schlüsselstellung, besitzt.

Sie haben von ihm, der bald wendig hin- und herpendelt, bald von stahlharter Festigkeit ist, gelernt, daß man den Westen nicht durch sturen Frontalangriff überrennen kann, sondern daß für die Kommunisten nur eine, allerdings erhebliche Chance sich eröffnet: die kapitalistische Welt aufzuweichen, die Front der Atlantikpaktstaaten durch Gegeneinanderausspielen ihrer Interessen zu zerbrechen und im Innern jedes noch nicht von Marxisten regierte Land auf friedliche Manier, vorab auf dem Umweg über eine Volksfront, in die Hand zu bekommen.

Unter diesem Gesichtspunkt ist Titos Triumphzug durch die UdSSR zu betrachten, aus eben diesen Voraussetzungen erklärt sich die verschlungene jugoslawische Außenpolitik. Beschränken wir uns auf deren Entwicklung in der ereignisreichen Periode seit Anfang Mai. Der Pariser Besuch des Belgrader Diktators hatte zweifellos zu Hauptzwecken, erstens die Rußlandfahrt Mollets und Pineaus vorzubereiten, die dann so wenig nach Titos Wunsch geendet hat. Der hohe Gast erteilte den französischen Staatsmännern selbstlose Ratschläge, schilderte ihnen in rosigsten Farben den Umschwung in der UdSSR und die Männer, die ihn bewirkt hatten. Er suchte die Parlamentarier und Minister, die Wirtschaftspotentaten und die führenden Intellektuellen, mit denen er in Kontakt kam, an ihrer schwachen Stelle zu packen, sprach viel von der deutschen Gefahr, die Jugoslawien ebenso bedrohe wie die UdSSR und Frankreich, zeigte sich auch französischem Zureden geneigt, mit Italien endlich zu einer wahren Aussöhnung zu gelangen, hörte geduldig, ohne sich irgendwie festzulegen, die Gespräche an, aus denen der Wunsch der Pariser Regierung hervorging, durch Titos Vermittlung Frieden in Algerien zu schaffen. Er sprach sich gegen den vom Quai d'Orsay verabscheuten Bagdadpakt aus, ließ durchblicken, daß dessen Parallelorganisation, der Balkanbund, nur mehr auf dem Papier bestehe, verteidigte die Sache Griechenlands und. der Zyprioten und wich geschickt den Anregungen aus, im Palästinakonflikt, wo Frankreich aus naheliegenden Ursachen eher den Israeli zuneigt, auf die arabischen Staaten ernstlich einzuwirken.

Alles schien in Butter, als Mollet und Pineau, in Moskau bei ihrem vordringlichsten Begehren, die UdSSR . möge auf die Kommunisten Nordafrikas .. . und Frankreichs einen Druck im Sinne der französischen Interessen ausüben, • deutliche Ablehnung fanden. Schwer verärgert, ungeachtet aller Bankette, Artigkeiten, Rund-t fahrten, kehrten die sozialistischen Staatslenker der vierten Republik heim. Die Saareinigung mit, Adenauer war davon die wesentliche Folge. Tito., der wohl erwartet hatte, in Moskau nur mehr die letzten Verhandlungen über eine sowjetischfranzösische Entente zu führen, hat in d i e s e m Punkte seiner weltweiten Konzepte vorläufig eine Enttäuschung zu verzeichnen. Sicher, wird er mit den Herren des Kreml neue Pläne - in bezug auf Frankreich erörtern. Zweiter, Gegen-. stand seiner Unterredungen, vom ersten unr zertrennbar, ist dje deutsche. Frage.-Tito?: Solidarität mit der UdSSR hat er in dieser Hinsicht mehrmals genugsam betont. An dritter Stelle ersehen wir das Verhältnis zu,Italien. Togliatdä Blitzbesuch, vom 28. zum 30. Mai, hat einerseits diesem Problem gegolten, anderseits einer zwar innerkommunistischen, doch weltweiten Angelegenheit: der Ausschaltung der.noch übrigen Parteiführer rein sfalinistischer Prägung. Für Italien sind da weniger Hindernisse, zu überwinden als in Frankreich oder in einigen Volksdemokratien. Im Augenblick als Togliatti mit Tito, Kardelj und Rankovic, mit Pijade, Vukmanovic und Gosniak am Beratungstiscli beisammensaß, richtete die Belgrader offiziöse „Borba“ heftige Angriffe gegen die „Humanite“.. und mittelbar gegen die Pariser kommunistische Parteileitung, die des Stalinismus beschuldigt wurde. Der Anstoß zu dieser Offensive ist nicht minder bezeichnend, als ihr Zeitpunkt, am Vorabend der Moskaufahrt Titos. Die französischen, Genossen hatten für den albanischen Parteiführer Enver Hoxha sieh eingesetzt, der seiner-r seits nicht bereit war, den wegen Verbindung zuJugoslawien abgeurteilten Xoxhe zu rehabilitieren.

Enver Hoxha in Albanien, Räkosi in Ungarn: das sind die aus der Stalin-Epoche hinübergeretteten Duodezkopien des , verfluchten Originals, die Tito unbedingt zur Strecke bringen will. Außerdem ist er mit der halben Ausschaltung Cervenkovs nicht zufrieden und er hat seine fortdauernde Verstimmung gegenüber Bulgarien dadurch bekundet; daß zwei' Mi gliedern einer Sofioter Parlamentsdelegatiön, die' den Besuch jugoslawischer Kollegen erwidern sollte, die Einreise verweigert wurde; worauf dann die Bulgaren die Freundschaftsvisite'überhaupt absagten. Nicht nur mit den Kommuni1-stenführern des vorigen Kurses hat sich Tito nicht ausgesöhnt, er steht auch zu seinembis-' herigen Verbündeten im Balkanpakt, zur Türkei, in sehr kühlen Beziehungen. Mit dem königlichen Griechenland dagegen pflegt er weiter' eine aus der gemeinsamen Gegnerschaft zu den Angelsachsen und speziell aus der Zypernaffäre • genährte Gemeinsamkeit, als deren sichtbarer Beweis das nach der Rußlandreise -Titos ge plante Zusammentreffen mit Paul I. zu werten ist. Schon jetzt darf man vorhersagen, daß der kommunistische Staatspräsident dabei den Monarchen zur engen Annäherung an die Sowjetunion wird überreden wollen. Als. Werber für-den Osten denkt Tito endlich den österreichischen Bundeskanzler Raab .zu bearbeiten, der mit immer größerem Nachdruck ins schöne Jugoslawien eingeladen wird. Die Beziehungen des Marschalls zu den asiatischen Neutralen sind zu bekannt, als daß darüber noch viel zu sagen wäre. So tritt er überall auf in der Rolle eines Schrittmachers für die kommunistische Welt (nicht etwa in der eines Vasallen der UdSSR), und die Propaganda Moskaus wie die Belgrads bemühen sich sehr, den Pcace-maker zu einem Pace-maker, einem Friedensstifter, umzudeuten. Dem aufmerksamen Beobachter aber enthüllt sich der seines Zieles sichere, vielgewandte, mit Energie geladene Mann am Motor einer mit Friedenspalmen und Friedenstauben geschmückten Maschine, die einem mit Danaergeschenken vollgestopften Fest-Zug det Koexistenz voranwuchtet, er entpuppt sich bald als der neue Lokomotivführer der kommunistischen Maschinenwelt-Gcschichte.

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