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Balkan zwischen den Fronten

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Trotzdem die neuen Herren deä Balkans sich bemüht haben, die volksdemokratisch gelenkten Staaten gleichzuschalten, ist dieser ständige Brandherd Europas weit davon entfernt, zu erlöschen. Eine politische Fehlrechnung war die Annahme, daß durch eine uniforme Parteidoktrin in vier Jahren alle jene unauslöschlichen Fehden zwischen der Drau und dem Schwarzen Meer enden könnten. Die Entwicklung nahm gerade den entgegengesetzten Lauf. Noch waren die Photographien, die die einzelnen Balkanführer zu zweit oder in Gruppen auf den Baikonen ihrer Königsschlösser zeigten, nicht in die Archive eingereiht, noch war die Unterschrift noch nicht auf der komplizierten Menge gleichlautender Friedens- und Freundschaftspakte der östlidien Satellitenstaaten getrocknet, als sich bereits arge Unstimmigkeiten zwischen den einzelnen Ländern abzuzeichnen begannen und die einzelnen großen Herren vorsichtig versuchten, sich strategisch günstige Ausgangspositionen zum Angriff auf den Nachbarn zu verschaffen. Die Gründe der gegenseitigen Feindschaften waren ganz verschieden. Während der Konflikt Tito — Dimitrow der Nebenbuhlerschaft in der Führung eines künftigen großbalkanischen Reiches entspringt, ist di Abneigung des jugoslawischen Staatsführers gegen die Lenkerin des rumänischen Außenministeriums AnnaPaukerin ihrer vollkommenen Identifizierung mit Moskau und ihrem Mangel an jeglichem Nationalgefühl zu suchen. Ungarn, allen seinen Nachbarn als nichtslawischer Staat mißliebig, sollte wohl, national zerrieben, im Rahmen der großen slawischen Föderation verschwinden. Die Unverläßlichkeit der anderen Ostblockstaaten und die Geschicklichkeit, mit der sich die ungarischen Kommunisten in die vorderste Linie der Kominformexperten gestellt haben, und ihre Loyalität gegenüber der russischen politischen Linie haben das Vertrauen Moskaus in einer so umfassenden Weise Ungarn zugelenkt, daß man heute in den Volksdemokratien eine Art Wiederholung der Wiener Konferenz unter Ribbentrop befürchtet, in dem auch Ungarn seine bei Kriegsende abgetretenen Gebiete auf Kosten Rumäniens und Jugoslawiens zurückerhalten würde.

Die strategisch dominierende Lage der Sowjetunion erlaubt es den Balkanstaaten nicht, wie früher ihre Feindseligkeiten mit den Waffen auszutragen. Die Auseinandersetzung zwischen den einzelnen feindlichen Volksfrontführern hat sich daher auf die politische und wirtschaftliche Ebene verlagert.

Zu den politischen Möglichkeiten, die sich Tito durch seine Opposition zur Generallinie geschaffen hat, kommen wirtschaftliche. Man war sich in den meisten volksdemokratischen Ländern im klaren, daß die Einhaltung der verschiedenen’ Drei-, Vier- und Fünfjahrespläne Ohne die Hilfe des Westens undenkbar war. Sosehr auch Rußland Unterstützung versprach, so war es doch bekannt, daß die Zerstörungen des zweiten Weltkrieges den Erfolg zweier russischer Fünfjahrespläne ausgelöscht hatten und die Sowjetproduktion, gemessen am Volumen des Jahres 1940, im Jahre 1945 nur die Hälfte der Produktion erreichte. Die UdSSR mußte alle Anstrengungen vereinen, um im eigenen Land den Schaden wieder aufzuholen. Industriell noch kaum entwickelte Staaten zur modernen Industrialisierung zu führen, war ihr unter solchen Umständen nicht möglich. Tito wußte daher, daß es dort in wirtschaftlichen Kreisen verstanden werden würde, wenn er bei dem Wiederaufbau Jugoslawiens durch Kompensationsgeschäfte mit dem Westen ohn politische Opfer die russische Industrie entlasten könnte. In der Tat konnten bald die USA auf das vortreffliche Anlaufen der Handelsbeziehungen mit Jugoslawien nicht in Belgrad, sondern in den anderen Kom- informhauptstädten hinweisen. Hauptsächlich in Sofia erregte es Empörung, daß Tito seit Anfang Dezember vorigen Jahres 3 ‘/ Millionen Tonnen wertvolle strategische Materialien, wie Kupfer, Blei, Chrom, Antimon und Quecksilber, an die Vereinigten Staaten geliefert hatte. Durch bereitwillige Informationen erfuhr man sogar genaue Zahlen. So erreichte der Bleiexport Im vergangenen Jahre die Höhe von 7 0 0.0 0 0 Dollar, Antimon wurde für 29.000 Dollar, Quecksilber für 16.000 Dollar ausgeführt. Diese Exporte haben sich aber noch erhöht. So wurden anfangs dieses Jahres Chromkonzentrate im Werte von 180.000 Dollar und Blei für nahezu ein Million Dollar verschifft. Man hatte genau Informationen, welche Schiffe und mit welchen Materialien beladen und von welchen amerikanischen Firmen bestellt im Hafen von New York erwartet wurden. Selbstverständlich warf die Presse in Bukarest und Sofia, in Prag und Warschau dem jugoslawischen Staatsführer vor, daß er kriegswichtiges Material, das unerläßlich für den Bau von Flugzeugen, für die Anfertigung von Raketen und die Herstellung von Explosivstoffen ist, den „kapitalistischen“ Staaten zu ihren Kriegsrüstungen gegen die Volksdemokratien liefere. Da und dort aber konnte man doch die Stimme leiser Kritik vernehmen, daß der Verräter Tito sich alles und vor allem die lebenswichtigen Devisen verschaffen könne, während der Parteilinie treu Gebliebene sich einem strikten Verbot der auch nur indirekten Teilnahme an dem Marshall- Plan gegenübersahen. Diese Kritik zwang die Kominform, ihre Haltung zu ändern und dem Ost-West-Handel entgegenzukommen. Die Stimme verschiedener östlicher Wirtschaftsminister, die ihre Bereitwilligkeit zur Teilnahme am Marshall-Plan bekundeten, blieb nicht ohne Wirkung. Tito hat sich indessen weitere wirtschaftliche Unterstützung verschafft. Der italienisch -jugoslawische Handelsvertrag, der einen Warenaustausch von 15 Milliarden Lire jährlich vorsaih und ein Abkommen auf lange Sicht enthielt, dahingehend, daß Jugoslawien die Lieferungen von Kohle, Metallen und anderen Rohstoffen gegen italienische Maschinen und Material für hydroelektrische Zentralen auferlegte, hatte sich als zu gering bemessen erwiesen. Die gegenwärtig in Rom beginnenden Verhandlungen werden sich mit einer beträchtlichen Ausweitung befassen. Bisher hatte Italien nur wenig geliefert, weil es nach dem Marshall-Plan kein schweres Industriematerial in ein kommunistisches Land liefern durfte. Die Änderungen der Intentionen des State Departements werden auch hier sich für Tito günstig geltend machen. Italien wieder erwartet sich unter anderem auch eine wesentliche Entlastung an der dalmatinischen Front. Man hat ja in Rom gewiß nicht die kürzlich gehaltene Rede de jugoslawischen Außenministers Kardelj vergessen, der im Belgrader Parlament zu verstehen gab, daß er mit dem günstigen Fortschreiten der Handelsvertragsverhandlungen sich auch die Lösung anderer Divergenzen mit Italien vorstellen könne. Er soll sich auch bezüglich Triest konziliant gezeigt und festgestellt haben, daß die Italiener bereits ein Optionsrecht und wirtschaftliche Konzessionen in dem jugoslawischen Teil des Territoriums erhalten hätten. Der Punkt des härtesten Widerstandes scheint noch im Ausgleich der österreichisch-jugoslawischen Interessen zu liegen. Hier benützt Tito seine unhaltbaren Forderungen, um sich innenpolitisch Rückhalt zu schaffen. Die Reden seines Emissärs sind in London nicht sosehr bestimmt, die Delegierten der Westmächte zu überzeugen, als die eigene Presse gegenüber Ost und West manövrieren zu lassen.

Zieht man die Resultierende aus diesen politischen und wirtschaftlichen Begebenheiten, so zeigt es sich, daß in diesem labilsten Gebiete Europas die Dinge noch immer in ständigem Fluß sind. Es wäre verfehlt, die Entwicklung von vier Jahren bereits als endgültig zu betrachten. Es ist auch nicht am Platze, die Ereignisse in diesen Ländern mit westeuropäischem Maßstabe zu messen. In diesem Raume können auch heute noch Fahnen, die nebeneinander friedlich auf dem gleichen Maste wehen, kurze Zeit später im Kampfe gegeneinander getragen werden, können, Männer, die sich umarmten und der Brüderlichkeit versicherten, die Blutrach einander schwören. Der Druck der beiden Fronten, die sich genau so wie in früheren Epochen der Geschichte langsam, aber stetig gegeneinander schieben, kann einmal zu einer unvorhergesehenen Explosion führen, bei der die Parteien noch gar nicht klar abgezeichnet sind. Bevor es aber einer Macht gelingen wird, in diesem Raume ein Volk von sich liebenden Brüdern zu schaffen, werden die letzten Steinadler in den rauhen Gebirgsketten von Jugoslawien bi Bulgarien wahrscheinlich bereits ausgestorben sein.

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