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Zwischen den Mürrischen

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In einer vielsagenden Rede hat dieser Tage der Außenminister der Tschechoslowakei von der Situation seines Staates zwischen Ost und West gesprochen. Obschon Prag seine Teilnahme am Marshall-Plan abgesagt hat, nimmt sich Dr. Masaryk die Freiheit, in diesem Plan nicht das verruchte Teufelswerk des amerikanischen kapitalistischen Imperialismus, sondern doch wohl eine nützliche Vermittlung unpolitischer Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ost und West zu erblicken, und hegt die Hoffnung auf eine Verständigung der Großmächte und die Arbeit der UN, mit deren Bestand er das Interesse der ganzen Welt verknüpft sieht. Die Tschechoslowakei, obwohl dem mächtigen östlichen Nachbar durch Verträge und ein großzügiges politisches System verbunden, meldete damit neuerlich den Anspruch auf die Mittelstellung an, die dieser Staat auf Grund seiner zentraleuropäischen Lage, seiner ökonomischen Interessenverflechtung und auch als der vorgeschobenste slawische Filter westlicher Kultur zu behaupten strebt. So sehen slawische Augen die Aufgabe eines slawischen Landes, das in Mitteleuropa zwischen Ost und West — die großen „Mürrischen” nennt sie Dr. Masaryk — gestellt ist.

Die von dem Prager Außenminister gezogenen Linien einer zentraleuropäisdien Politik erinnern an wiederholte österreichische Formulierungen; sie gewinnen nur ihre besondere Bedeutung dadurch, daß sie von tschechischer Seite und von einem Manne bedeutenden Ranges stammen. Äußert sich hier nicht eine Übereinstimmung, daß Mitteleuropa von einem Mißverständnis überschattet ist, das den Interessen aller Beteiligten widerspricht?

Da ist Österreich. An einem Bergfluß, dessen romantische Felsenwelt die internationale Touristik, aber niemals die Politik der Groß, machte beschäftigt hat, stehen sich heute die ganz Großen der Erde gegenüber. In der Tat, sehr mürrisch. Die Ennsbrücke scheidet sie wie zwei Welten.

Nicht viel mehr als ein Zufall aus der letzten Szene eines kriegerischen Dramas hat sie hier zusammengeführt. Der Krieg ist längst vorüber, der Feind, gegen den sie ausgezogen waren, längst erledigt, aber noch immer stehen sie hier Wache und verschwinden nicht, wie der Soldat, der bei der Ablöse auf seinem Posten vergessen wurde. Der eine auf dem linken Ufer möchte gerne gehen, aber er geht nicht, weil der andere auf dem rechten Ufer nicht geht. Warum, ist schwer zu verstehen. Denn es ist, recht gesehen, ein schlechter Handel, in den er hier verwickelt ist.

Binden den russischen Soldaten etwa strategische Motive, der militärische Wert justament an diesen winzigen Platz der eigenen riesenhaften Front? Solange Prag, Preßburg, Agram, Marburg Machtstellungen russischen Einflusses bedeuten, ist die Ennslinie bedeutungslos und bleibt es überflüssige Mühe, hier Brückenkopf zu markieren. Können rein politische Motive das Verkrampfen am Ostrande der Alpen begründen, Unternehmungen, hier dem politischen System des Ostens den Weg zu bereiten? Nun wird es bald drei Jahre, daß der Osten Österreichs unter dem Schutze der russischen Besatzungsmacht mit den demokratischen und wirtschaftlichen Doktrinen und den politischen Methoden Moskaus bekanntgemacht werden konnte. Fast drei Jahre lang spielt hier ein gigantischer Propagandaapparat, von erfahrenen Männern geleitet. In weite Landstriche, in die nie zuvor eine Vorstellung von der kommunistischen Heilslehre gedrungen ist, flutet ein Strom von kommunistischen Flugschriften, getarnten und ungetamten Zeitungen aller Art, Büchern, Kalendern, Jugendschriften, Nacht um Nacht brausen über das Straßennetz der besetzten Landtelle die Kraftwagen dieses glänzend organisierten Werbebetriebes, eine sorgfältig ausgebreitete Zellenbildung überdeckt das Land, Film und Radio sind großzügig in Dienst gestellt. Es fehlt in diesem wohlangelegten kostspieligen Eroberungszug, in dem Geld keine Rolle spielt, nichts, als der politische Erfolg. Das völlige Mißlingen des politischen Angriffs findet seinen drastischen Ausdruck in der Tatsache, daß, niemals die Distanz zwischen den Massen der sozialistischen Arbeiterschaft und dem, was die Volksdemokratie Moskauer Formung unter Sozialismus versteht, so groß war wie jetzt. Und diese Entfernung geschah trotz aller Lockungen und trotz aller Druckmittel.

Gewiß, die militärische Besetzung bedeu. tete für die politische Propaganda nicht nur Vorteile, sie behindert auch; in einem politisch reifen, in seiner Freiheit verkürztem Volke läßt sich schwer um Liebe werben. Aber die Situation der russischen Besatzungs- macht ist auch ohne ihre aktive Schuld aus einem tiefen Grunde unverkennbar eine ungünstigere als die der anderen. Während das verwandte angelsächsische Idiom auch in den russisch besetzten Gebieten eine immer breiter werdende Volkszone durchdringt und angelsächsische Literatur und Sprachpflege in einem noch nie dagewesenen Maße Geschmack und Denken des österreichischen Volkes beeinflussen, fehlt für die Missen dieser natürliche unmittelbare Kontakt mit dem russischen Menschen und seiner Geisteswelt nicht aus Vorurteil und Zurückweisung, sondern zufolge der natürlichen und sprachlichen Hindernisse, eine Verbindung lücke, die durch das übertragene Wort nie ausgefüllt werden kann. Je länger die Besatzungsperiode dauert, desto mehr verändern sich mit einer absoluten natürlichen Automatik diese Abstände von Volk zu Volk, zum Nachteile des Ostens. Der Sinn einer Politik, die einen ihr abträglichen Zustand verlängert, ist schwer zu enträtseln.

Zu den stillen Verlustposten einer großen Bilanz gesellen sich sichtbare Fehlrechnungen: Der wirtschaftliche Verkehr mit dem Osten und Südosten, der in dem jetzigen Zustand durch Sperrmaßregeln und Auspowerung des österreichischen Transportwesens behindert wird, ist nicht nur für Österreich eine wirtschaftliche Notwendigkeit, deren freie Entwicklung erlauben würde, manche russische Begehren leichter zu erfüllen, er ist auch ein Interesse jener Staaten, die, heute in der Gefolgschaft Rußlands stehend, ihren mit großer Energie in Angriff genommenen Aufbau nicht ohne geordnete Austauschbeziehungen mit einem lebensvollen zentraleuropäischen Wirtschaftsorganismus vollziehen können. Der Osten und Südosten des Kontinents ist ein blutender Torso ohne gesunde natürliche Beziehung zu seiner Nachbarwelt. Alle Interessen, welche die Sowjetmacht an dem Industriepotential des österreichischen Ostens haben kann, werden verletzt und verkürzt durch ein Verfahren, das diesem Lande den freien Atem und das freie Schaffen unterbindet. Und wie groß auch die Zahlen sein mögen, für deren Deckung Moskau durch seine Anforderungen angeblichen deutschen Eigentums in Österreich streitet, es verlohnt sich ihretwegen nicht ein internationaler Unfriede, indes unendlich größere Werte —• etwa die an die Vereinigten Staaten zu bezahlenden 11 Milliarden Dollar aus dem Leih- und Pachtabkommen der Sowjetunion — des Ausgleiches harren.

Nüchtern betrachtet, Ust die Hinausschiebung des Staatsvertrages für Österreich, die Verlängerung des militärischen Besatzungsregimes und die Behinderung der Lebenskräfte dieses Staates ein weitläufiges politisches Verlustgeschäft für Rußland. Sind es kluge Rechner gewesen, die jetzt knapp vor dem Schlußtermin die Wiederaufnahme der Verhandlungen zur Vorbereitung des österreichischen Staats vertrages durch die Übergabe der erwarteten Vorschläge der Sowjetunion in Sachen des ehemaligen deutschen Eigentums ermöglichen? Jeder Freund des Friedens möchte es wünschen.

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