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Südkärnten — und Belgrads Innenpolitik

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Prominente Politiker der Oppositionsparteien äußerten kürzlich, manche beschwörenden Formulierungen Kreiskys hörten sich geradezu wie Einladungen an Jugoslawien an, den Kärntner Ortstafelkrieg zu internationalisieren. Das ist ein schwerer Vorwurf, der gewiß nicht leichter wiegt, wenn er unbesonnen erhoben wurde. Auch geht er, obwohl agitatorisch effektvoll, an der Sache selbst vorbei.

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Prominente Politiker der Oppositionsparteien äußerten kürzlich, manche beschwörenden Formulierungen Kreiskys hörten sich geradezu wie Einladungen an Jugoslawien an, den Kärntner Ortstafelkrieg zu internationalisieren. Das ist ein schwerer Vorwurf, der gewiß nicht leichter wiegt, wenn er unbesonnen erhoben wurde. Auch geht er, obwohl agitatorisch effektvoll, an der Sache selbst vorbei.

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Was den sogenannten Ortstafelkrieg zuletzt auslöste, ist ein Gesetz, das nicht dem völlig freien Willen des Gesetzgebers entsprang, sondern einem internationalen Vertrag, dem auch Jugoslawien beigetreten ist. Man unterschätzt Jugoslawien und man unterschätzt die slowenische Teilrepublik, wenn man annimmt, es bedürfe erst mehr oder weniger eindeutiger Aufforderungen, sich in den nur dem ersten Anscheine nach lokalen und völlig dem Belieben Österreichs unterstellten Konflikt einzumischen. Der Artikel VIII des österreichischen Staatsvertrages ist ebensowenig eine „rein österreichische Angelegenheit“ wie etwa das im Staatsvertrag selbst gar nicht vorkommende Neutralitätsgesetz. Beide stellen — zusammen mit den anderen Texten des Staatsvertrages — eine entweder internationale oder im speziellen Fall eine bilaterale vertragliche Verpflichtung dar. So, wie ja auch die diversen Grenzziehungsabkommen zwischen Österreich und Jugoslawien nicht etwa nur die Sache jeweils eines der beiden Staaten sind, sondern naturgemäß eine zweiseitige.

Im Artikel VIII ist Österreich, zugunsten seiner durch den Staatsvertrag erlangten Freiheit (was man auch nach 17 Jahren nicht vergessen sollte!), große Verpflichtungen eingegangen, die unter anderem Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheit auf eigene Schulsprache, Amts- und Gerichtssprache, topographische Zweisprachigkeit und auf freie kulturelle Entwicklung enthalten. Es liegt auf der Hand, daß solche Bestimmungen, in einem Staatsvertrag angeführt, internationalen Charakter haben. Schließlich gibt es ja für den Staatsvertrag beziehungsweise für seine Einhaltung eine Art „Schiedsgericht“, die im gegebenen Fall anzurufende Botschafterkonferenz der Signatarmächte.

Österreich hat sich, was kein Ruhmesblatt für uns alle ist, 17 Jahre lang mit der Erfüllung des Artikels VIII insoferne Zeit gelassen, als es sich nur zu Stückwerk entschließen konnte. Auch dabei ist es längst nicht so souverän und freiweg österreichisch zugegangen, wie viele es gerne glauben möchten: es gab zu jeder Detailfrage ein reges Hin und Her zwischen Laibach und Klagenfurt, zwischen Belgrad und Wien, zwischen den Vertretern der Republik Österreich und auch des Landes Kärnten einerseits und jenen der slowenischen oder kroatischen Minderheit anderseits. Die Begleitmusik dazu lieferten nicht nur Massenmedien hier und dort, sondern auch die Diplomaten, diese agierten allerdings, wie es ihrer Aufgabe entspricht, mehr im stillen.

Das war schon so unter den Kanzlern Raab und Gorbach, und so ist es auch unter den Kanzlern Klaus und Kreisky geblieben. Den drei Erstgenannten kam dabei eine besondere „Gunst der Stunde“ zuwege; die sowjetisch-jugoslawischen Beziehungen waren entweder sehr schlecht oder späterhin nicht besonders gut. So durfte Jugoslawien auch nicht hoffen, für einen eventuellen Versuch, schwebende oder unbefriedigend gelöste Streitfragen zu internationalisieren, einen entsprechend starken Fürsprecher zu finden. Eher das Gegenteil war der Fall und das bestimmte die Zurückhaltung Belgrads beziehungsweise Laibachs nicht unerheblich. Ähnlich ist es ja auch Österreich lange Zeit im schwelenden Südtirolkonflikt mit Italien ergangen. Es fand die „großen Freunde“, die es gerne gefunden hätte, nicht, die aber, welche sich zeitweise anboten, wollte es aus einer Reihe wohlerwogener Gründe nicht für sich agieren sehen.

Nun haben sich die Verhältnisse in und um Jugoslawien aber sehr verändert. Und zwar nicht erst „seit gestern“, was sich einzubilden nur einem in Österreich allerdings häufig anzutreffenden Verstand gelingen kann, dem alles Außenpolitische wesensfremd und sozusagen „wurscht“ ist. Diesbezügliche Meldungen werden nämlich gerne und sehr allgemein überhört, überlesen, beiseitegeschoben, verdrängt also — wenn sie überhaupt wahrgenommen werden.

Doch der erst einige Monate zurückliegende Besuch des jugoslawischen Ministerpräsidenten lieferte zwei deutliche Hinweise: erstens, daß sich Jugoslawiens Außenpolitik allmählich zu verändern begann und zweitens, daß im Zuge dieser Veränderung auch die Forderung nach der restlosen Erfüllung des Artikels VIII viel deutlicher akzentuiert wurde als in einer Reihe von Jahren zuvor.

Kenner Jugoslawiens und berufsmäßige Beobachter der inneren und äußeren Entwicklung dieses Nachbarstaates meldeten seither mit zunehmender Intensität und Ausführlichkeit, wie sich der Staat Titos und der „Titoismus“ überhaupt einem Wendepunkt näherten und wie diese Entwicklung jüngst umschlug. Seit der wie auch immer aufzufassenden „Aussöhnung“ mit der Sowjetunion, unübersehbar schon seit dem Besuch Breschnjews in Jugoslawien, veränderte sich auch die Innen- und Außenpolitik Jugoslawiens. Im Inneren wird sie zweifellos „kommunistischer“, das heißt „die Partei“ führt jetzt wieder an. Mit einer „Säuberungswelle“ — Tito und einer der neuen starken Männer, der Slowene Dolanc nennen es „Selbstreinigung“ — deren Ausmaß noch gar nicht abgeschätzt werden kann, kommt ein administrativer, ideologischer und politischer Zentralisationsprozeß in Gang, der, wenn schon nicht in allem, so doch in vielem auch den sowjetischen Vorstellungen von einem „sozialistischen Staat“ entspricht.

Zug um Zug damit durchweht Jugoslawiens „Westpolitik“ ein Hauch von Kühle und Distanz. War man früher sehr an einer „Mittel“-Stel-lung zwischen West und Ost interessiert — und das nicht nur in Belgrad, sondern womöglich mehr noch in Agram und Laibach — und gab man sich sogar mitunter der Hoffnung auf eine „Mittler“-Stellung hin, so erfolgt nun eine „dialektisch logische“ Umorientierung: mehr auf Moskau, mehr auf den COMECON, mehr auch auf den Waschauer Pakt (wie es die jüngste Großmanöverannahme, feindliche Landungen an der Adria-küste, zeigt).

Diese „neue Politik“ ist, wie man im Land unschwer feststellen kann, nicht in einem die Führung befrie-diegenden Maß populär. Für sehr viele Angehörige der jugoslawischen Völker kommt sie überraschend. Was gestern noch galt oder zumindest toleriert wurde, gilt heute nicht mehr und wird schon gar nicht toleriert.

In solchen Situationen sind „nationale Interessenskonflikte“ oft ein willkommenes Stimulans, das sich wie von selbst anbietet. Einmal, um die erstaunte oder erbitterte Aufmerksamkeit der Völker abzulenken und abzureagieren, zum anderen Mal vielleicht auch, um diesen Völkern, Kroaten und Slowenen, vor Augen zu führen, daß „die wahren Freunde der Nation“ nicht im Westen zu finden sind. Dafür aber wird man unter Umständen, die herbeizuführen auch nur mitzuhelfen Österreich sich scheuen sollte, den wiedergewonnenen großen Freund im Osten wenn schon nicht ins Treffen führen, so doch aus dem Hintergrund auftauchen sehen können. Die Sowjetunion hat — wie jede andere Großmacht auch — ein ursächliches Interesse, ein politisches und eines des Prestiges gleichermaßen, in derlei „Konfliktsituationen“ die Vermittlungsrolle zu übernehmen, sobald es sich zeigt, daß

die kleineren oder kleinen Staaten „unter sich“ nicht handelseins werden können. Dies zumal dort, wo zumindest ein Streitteil sein politisches Quartier in der sozialstischen Hemisphäre aufgeschlagen hat.

Hier könnte sie — und damit rechnet man in Belgrad und Laibach auch — beweisen, wie echt und tief die wiedergewonnene Freundschaft zu Jugoslawien ist und hier könnte sie zusätzlich eine „europäische Gesinnung“ zeigen, die vor, während auf oder nach der schwebenden Sicherheitskonferenz nicht ohne Eindruck auf eine Reihe von Staaten bleiben würde.

Je mehr man dies bedenkt, um so unverständlicher, ja, um so unbesonnener mutet der Ortstafelkrieg und die Meinung an, das sei eine „rein kämtnerische Angeigenheit“. Denn, wie immer man es dreht und wendet, welche Emotionen emporsteigen und welche Argumente man gebraucht: Österreich gerät in die Rolle des säumigen Schuldners, und das ist für einen Staat von einiger Reputation keine gute Rolle. Für einen kleinen, nicht nur relativ, sondern absolut machtlosen sogar eine gefährliche Rolle. Denn in der Welt von heute besteht für kleine, neutrale Staaten nur dann hinreichender Schutz, wenn sie ihre Verträge und Verpflichtungen getreulich einhalten, so getreulich, daß jeder Anwurf oder Angriff zu einer schreienden Ungerechtigkeit würde, die von der Mächtekonstellation der Welt nicht schweigend und nicht tatenlos hingenommen werden könnte.

Wenn nun ein Politiker, Minister, Bundeskanzler, wer immer er auch sein mag und von welcher Partei er-auch komme, versucht, dem — trotz einer nun 17 Jahre währenden Diskussion, die nie abgerissen ist! — angeblich „überraschten Volk“ die zwangsläufige „Internationalität“ des Konfliktes vor Augen zu führen, so macht er, mehr zu spät als zu früh, auf gravierende Umstände aufmerksam, die nicht bloß zur „politischen Bildung“ dieser der „Bildungsexplosion“ angeblich so ausgesetzten Gesellschaft gehören, sondern zur täglichen Orientierungshilfe jedes einzelnen gehören sollten. Man hat in dieser „Kärntner Frage“ viel zu oft und viel zu lange alles vom Tisch geschoben, ehe es „kritisch“ wurde. Dabei sind sowohl parteipolitische Opportunitäten Pate gestanden als auch der berühmte „Volkscharakter“ (in Kärnten: „lei lossn!“), der an das Wunder glauben möchte, auch in der Weltpoltitik erledigten sich schwierige Probleme durch längeres Liegen.

Wenn nun ein Teil — Gott sei Dank: nur “ein Teil! — der „Volksseele aufkocht“, wobei gewisse Köche ihre gewisse Rolle spielen, so kann das nicht ,,den Politikern“ allein in die Schuhe geschoben werden, etwa nach dem Motto: „Sie haben uns ja nicht aufgeklärt!“ Ich wage die Behauptung, daß es keinen Kärntner gibt, der bei einigermaßen gesundem Menschenverstand ist und nicht seit Jahr und Tag von den Problemen gehört, wenn nicht sogar auf irgendeine Weise an ihnen teilgenommen hat. Zu oft war vom Artikel VIII und was er enthält, zu oft von Kritik daran und von der Minderheitenfrage bis zur Minderheitenfeststellung die Rede. Was unterlassen und, auch das muß man sagen: von so manchen Landespolitikern oft genug auch verhindert wurde (wovon Raab, Gorbach und Klaus ein Lied singen könnten!), ist ein so energisches wie gerechtes „basta!“ Dieses „Basta“ aber konnte, der Staatsvertrag enthält das, nur ein Gesetz auch über die topographische Zweisprachigkeit sein. Was daran konnte wen überraschen?

Den Verdacht, die herannahenden Gemeinderatswahlen im März 1973 könnten einige Begründung für das höchst seltsame Verhalten der entweder reichlich unentschlossenen ÖVP oder der offenbar finster entschlossenen FPÖ liefern, wollen wir erst gar nicht aufkommen lassen. Das wäre nämlich das allergrößte Unglück: hier wie überall anderswo würde um eines vermeintlichen Wahlerfolges eine Saat der Zwietracht gestreut werden, die späterhin fürchterlich aufgehen müßte! Ein mit Volkstumskampf angereicherter Wahlkampf, sozusagen im Schatten des Staatsvertrages, wäre das Letzte, was Kärnten und Österreich brauchen könnten.

Die slowenische Minderheit hat sich in den zurückliegenden Wochen sehr zurückgehalten, was ihr jedermann bescheinigen muß. Das mag auch Gründe haben, die in Laibäch gelegen sind. Aber das muß nicht so bleiben, wie es uns viele Beispiele in aller Welt auch zeigen.

Nicht aus kindischer Angst sollte man es daher unterlassen, eine Radikalisierung auch der Minderheit zu provozieren, sondern aus Weisheit.

Die Weisheit sagt uns — und diesfalls unterbaut von einer recht allgemeinen persönlichen Erfahrung jedes einzelnen — daß Gerechtigkeit sich am besten mit Großzügigkeit paart; wenn man andernfalls in Krisen und schließlich wiederum in Katastrophen schlittert — das Eis, auf welchem die friedliche Sicherheit Europas einherwandelt, ist ungemein dünn! — würde man wieder einmal gerne „alles geben“, jedes Recht zubilligen, jeden Vertrag unterschreiben, wenn nur wieder Frieden, Freundschaft und Freiheit damit zu gewinnen wären.

Wenn man aus Laibach kommt, versteht man auch, warum die Minderheitenvertreter so sehr gegen eine plebiszitäre Minderheitenfeststellung sind. Da geht es nicht nur um Volks-tumspolitik, da geht es um handfeste Politik überhaupt. Es Megt in der Natur des totalen sozialistischen Staatssystems, daß es im Ausgang solcher Plebiszite nicht nur das Walten freier Entscheidungen begreift — was im herrschenden Klima auch nicht so ohne weiteres vorausgesetzt werden kann — sondern auch eine Art Zustimmung oder Ablehnung der im Ausland lebenden Volksangehörigen zu den Zuständen im Mutterland selbst. Das kann Österreich nicht dazu verpflichten, nun auf überhaupt keine objektive Weise festzustellen, wo Angehörige der Minderheit ansässig sind und wo wie viele. Es sollte aber unserer Weisheit und jener großzügigen Gerechtigkeit entsprechen, die wir uns gerne beim Wein ansingen, nicht justament — womöglich noch durch „Volksbegehren“ — einen Modus anzuwenden, der zwar der Mehrheit oder jenen, die sich dafür halten, gefällt, den aber die Minderheit entweder nicht hinnehemen kann oder nicht hinnehmen will.

1920 hat sich die Einwohnerschaft der Abstimmungszone nicht für ein „Kärnten der Mehrheit“ entschieden, sondern für eines, dessen Angehörige sich auf dem berühmten Bilde gelobten, „ein einig Volk von Brüdern“ sein wollen. Versinnbildlicht wurde das durch zwei einander die Hände reichenden Kärntner, einer mit mehr deutschen, der andere mit mehr slowenischen Äußerlichkeiten als Protototyp kenntlich gemacht. Das heißt — und etwas anderes sagt der Artikel VIII des Staatsvertrages nicht aus — daß Kärnten als ein liebenswert gemischtsprachiges, gemischt-volkliches Gebiet erhalten bleiben soll: „nicht „rein deutsch“ und nicht „rein slowenisch“, sondern eben beides, denn das erst macht Kärnten aus!

Die wüsten Aktionen, in denen vom „Tschuschen“ über den „Judas“ bis zum „Saujud“ alles laut wurde, was schon zweimal in historisch kurzem Zeitabstand zur Katastrophe geriet, sind ein Schlag gegen die „Idee Österreich“. Sie sind ein Schlag gegen den Rechtsstaat, in dem man Gesetze zwar politisch bekämpfen darf mit dem Ziel, sie auf verfassungsmäßige Weise zu ändern, nicht aber durch sinnlose Gewalt. Würde man dieser „Strategie der Straße“ nachgeben, müßte man sie bald auch auf allen anderen Gebieten des sozialen Lebens tolerieren. Womit das Ende bereits gekommen wäre. Sie sind auch ein Schlag gegen unsere Verfassungnorm: Österreich ist keine plebiszitäre, es ist eine repräsentative Demokratie!

Allen solchen Schlägen, das lehrt uns die Geschichte, folgen Gegenschläge. Hieb um Hieb, Stich um Stich! Wer möchte haben, daß davor Vernunft und Venstand kapitulieren?

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