6815440-1973_06_03.jpg
Digital In Arbeit

Bloß im Kreise marschieren?

19451960198020002020

Es liegt nun schon wieder einige Zeit,zurück, daß Bundes-kanzler Dr. Kreisky mit der „Kärntner Ortstafelkommission" so etwas wie einen Stein der Weisen gefunden zu haben schien. Wenn man schon den Vollzug eines ordentlich beschlossenen Gesetzes nicht durchführen wollte oder sich daran gehindert sah, so könnte eine solche Kommission, fach- und sachgerecht zusammengesetzt, immerhin einen maßvoll modifizierten „Ausweg" finden. Die „technische" Seite dieses Vorganges ist freilich nicht ganz unbedenklich, denn sie könnte unerwartete Beispielsfolgen nach sich ziehen, die sich am Ende verwüstend auf die Rechtspolitik auswirken müßten. Irgendwo am Ende einer so eingeschlagenen Entwicklung stünde der verfassungsmäßig nicht vorgesehene und hinsichtlich seiner Auswirkungen gar nicht vorhersehbare Umschlag von einer repräsentativen in eine plebis-zitäre Demokratie. Ob das bedacht wurde?

19451960198020002020

Es liegt nun schon wieder einige Zeit,zurück, daß Bundes-kanzler Dr. Kreisky mit der „Kärntner Ortstafelkommission" so etwas wie einen Stein der Weisen gefunden zu haben schien. Wenn man schon den Vollzug eines ordentlich beschlossenen Gesetzes nicht durchführen wollte oder sich daran gehindert sah, so könnte eine solche Kommission, fach- und sachgerecht zusammengesetzt, immerhin einen maßvoll modifizierten „Ausweg" finden. Die „technische" Seite dieses Vorganges ist freilich nicht ganz unbedenklich, denn sie könnte unerwartete Beispielsfolgen nach sich ziehen, die sich am Ende verwüstend auf die Rechtspolitik auswirken müßten. Irgendwo am Ende einer so eingeschlagenen Entwicklung stünde der verfassungsmäßig nicht vorgesehene und hinsichtlich seiner Auswirkungen gar nicht vorhersehbare Umschlag von einer repräsentativen in eine plebis-zitäre Demokratie. Ob das bedacht wurde?

Werbung
Werbung
Werbung

Die „Ortstafelkommission" ist seither nicht aus den Geburtswehen gekommen. Hingegen haben sich ihre Aufgaben und Ziele inzwischen schon wieder einigermaßen verändert. War zunächst nur davon die Rede, einen „Ausweg" aus dem leidigen und anachronistischen „Ortstafelkrieg" zu finden, so trat alsbald eine weit größere Aufgabe hinzu: Jetzt, so heißt es, solle sie den ganzen Problemkreis der Minderheitenrechte und Minderheitengesetze, wie er vom entsprechenden Artikel des Staatsvertrages umrissen wird, diskutieren. Nicht nur, was die slowenischsprachige Minderheit in Kärnten betrifft, sondern auch die kroatische im Burgenland. Die am Rande gleichfalls betroffene Steiermark meldete bereits vorsorglich „Fehlanzeige"; dort, so ließ die Landesregierung wissen, finde sich keine erkennbare Sprachminderheit und deshalb auch kein zu beratendes Problem.

Es wird sich wahrscheinlich sehr bald herausstellen, daß die „Generalisierung" der Aufgabe für die Kommission kein glücklicher Einfall war. Wer immer ihn hatte, er mag übersehen haben, daß die Probleme im Burgenland von denen in Kärnten sehr unterschiedlich sind, und zwar' von der Wurzel auf. Die Zusammenhäufung in einer Kommission muß deren Arbeit unmäßig vermehren, natürlich auch verlängern und schließlich so stören, daß sie überhaupt nicht mehr bewältigt werden kann. Da man diese Kommission und das von ihr erhoffte Ergebnis aber in die sehr sorgfältig erwogene Antwort an Jugoslawien unübersehbar einbaute, hat man sich auf das Verfahren schon wieder festgelegt. Später notwendige Modifikationen könnten dadurch recht schwierig werden.

Ursprünglich schloß der Bundeskanzler eine Mitwirkung des „Kärntner Heimatdienstes", also eines privaten Vereines, in der Kommission ausdrücklich aus, so wie er auch eine Mitwirkung „der Windischen" ausgeschlossen hat. Das schien eine beachtliche Konzession an die Argumentation der Vertreter der großen Mehrheit der organisierten Kärntner Slowenen zu sein. Übrigens eine zumindest politisch zu rechtfertigende Konzession, denn der „Kärntner Heimatdienst" hat eine Anzahl von Ansichten geäußert, die es schwierig machen, herauszufinden, wie diese mit der wahren Aufgabe der Kommission in Einklang gebracht werden könnten. In einer westlichen Demokratie muß es jedermann zwar freistehen, eine wenn auch noch so abweichende Ansicht zu äußern, es steht aber wohl auch der Regierung oder hier dem Bundeskanzler frei, sich die ihm im Sinne der Sache nützlich erscheinenden Berater auszuwählen.

Doch der „Kärntner Heimatdienst" und der „Bund der Kärntner Windi-schen" fand den Weg durch die Hintertüre. Die ÖVP nominierte als ein weiteres, ihr zugestandenes Kommissionsmitglied Dr. Einspieler, einst ihr „Windischer" in der Landtagsfraktion, Obmann des „Bundes der Kärntner Windischen" und Vizeobmann des „Kärntner Heimatdienstes". Dr. Einspieler ist ein gewiß untadeliger Mann, wenn auch von Ansichten erfüllt, die jenen, wie sie die Vertreter der Kärntner Slowenen äußern, geradezu diametral entgegengesetzt sind. Da er seine Ernennung angenommen hat, wohl wissend, daß die Kärntner Slowenen für diesen Fall einen Exodus aus einer Kommission androhten, die mit ihrer Arbeit noch gar nicht begonnen hat, stockte das Unternehmen augenblicklich.

Wenn man einmal das zähe und hintergründige Feilschen um parteipolitische Vor- und Nachteile vor den leider schon wieder zu „Testwahlen" ausgerufenen Gemeindewahlen In Kärnten im kommenden März gutgläubig ausschließt, so war diese Benennung durch die ÖVP, ihre Annahme erst durch Dr. Einspieler und dann durch Dr. Kreisky in keinem Fall ein Akt der Klugheit. Wer auch wen unter Druck gesetzt haben mag, es wird sich zeigen, daß der allgemeinen und höheren Sache des Landes damit eine Art Bärendienst erwiesen wurde.

Eine Folge davon ist schon zu sehen: auf Seiten der Vertretung der Kärntner Slowenen bekamen jene Oberwasser, die das politische Gezerre um Volkstumspolitik sozusagen in Profession bewältigen. Sie begaben sich zunächst nach Laibach — was ihnen ebenso zusteht, wie es den Südtirolern zugestanden hat, sich immer wieder nach Innsbruck oder Wien zu begeben — und kamen mit „verschärfter Haltung" zurück. In Laibach, das weiß jedes Kind, sieht man . das Problem mit anderen Augen als in Belgrad, wo man es wahrscheinlich, ebenso wie in Wien, könnte man, wie man wollte, lieber unter dem Teppich hätte.

Zur gleichen Zeit verstärkte sich ein subtiler Druck der in Wien und Graz studierenden und dort organisierten Angehörigen der slowenischen Volksgruppe in Kärnten. Diese studentischen Kreise sind sowohl „volkspolitisch" als auch „ideologisch" radikaler als die meisten Im Lande wirkenden offiziellen Vertreter der Kärntner Slowenen. Unter deren Einfluß beginnt nun das leidige Problem allmählich eine andere Farbe anzunehmen; zu den Staatsvertrag betreffenden „Erfüllungserwägungen" tritt ein Substrat aus politischer Gesellschaftsveränderung überhaupt und aus ein wenig irre-dentistisch angereicherter Argumentation — also eine Verbindung von Nationalismus und Sozialismus besonderer Art, um die es aber weder dem Sinne des Staatsvertrages nach noch in der Sache selbst geht. Man mag das als die Folge jener verhängnisvollen „Politik der langen Bank" begreifen — und beklagen —, mit der man alles, was vom Artikel 7 des Staatsvertrages noch offengeblieben war, zu bewältigen trachtete. Sie hat sich — wieder einmal, möchte man klagen — als Ursache eines Desasters erwiesen.

Nunmehr erklärten die Vertreter der Kärntner Slowenen, abweichend von einer christlich-demokratisch gesonnenen Minderheit, die da nur widerstrebend und unter dem Zwang des Prestiges folgt, an der Kommission nicht mitwirken zu wollen. Ob das ein allerletztes Wort ist, wird man demnächst sehen. Man muß aber damit rechnen. Dr. Kreisky seinerseits erklärte, die Kommission werde ihre Arbeit dennoch aufnehmen und abschließen.

Was könnte dabei herauskommen? Einmal dies: Die Kommission schließt ihre Arbeit ab und der Bundeskanzler muß das Ergebnis noch einmal verhandeln, nämlich mit den Vertretern der Kärntner Slowenen direkt, da man sich ja in die schwierige Prozedur unmöglich eingelassen haben konnte, ohne schließlich den Konsens der Minderheit zu suchen.

Oder das: Die Mehrheit der Kärntner Slowenen bringt es zuwege, daß das Ergebnis der Kommission „nicht anerkannt" wird und gemäß wenn schon nicht dem Worte, so doch dem Geiste der österreichischen Antwort an Jugoslawien mit Laibach (oder Belgrad) beziehungsweise unter dessen Einschaltung noch einmal diskutiert werden muß, womit dem „Image" einer gewissen „Internatio-nalisierung" Rechnung getragen würde.

Schließlich aber könnte auch ein camoufliertes „Nein" der Kärntner Slowenen und Laibachs herauskommen, in der Hoffnung, die Frage damit „reif für die UNO" oder irgend ein anderes internationales Forum zu machen.

Es scheint zwar kaum glaublich, daß „die Welt" es sich angelegen sein lassen wird, hier „diplomatische Fallstricke" zu knüpfen, aber das kann im Lichte einer zukünftigen politischen Situation, die heute nicht sichtbar ist, auch anders kommen. Da wäre ja auch noch die Europäische Sicherheitskonferenz als „Bratofen" anzusehen, wenn auch die Erwartung, diese würde in das europäische Wespennest von „Minderheitenproblemen" stechen, nicht hochgeschraubt werden sollte.

Immerhin scheint zur Stunde eines „erreicht" zu sein: Die Kommission marschiert, noch bevor sie sich richtig auf den Weg machen konnte, bereits im Kreise. Gute Nerven und viel Geduld werden nötig sein. Auf allen Seiten. Aber damit allein wird man nicht auskommen. Man wird auch Stärke zeigen müssen. Nach allen Seiten. Stärke, gegründet auf Gerechtigkeit, die jeder Anfechtung widersteht. Von wem sie dann auch kommen mag.

Als Nachsatz zu verstehen: Zur Stunde werden von der Gendarmerie an die 300 Fälle von „Ortstafel-stürmerei" behandelt. Das ist der Lauf der Dinge, wenn man ein Straßenplebiszit gegen Gesetze betreibt und/oder duldet. Solche Vernehmungen sind für niemanden angenehm. Wenn es aber stimmt, was man gleichfalls hört, daß diese „Fälle" nun auch wieder der „heimtdienstli-chen" Munitionierung zugeführt werden sollen, damit zur vermeintlichen „rechten Stunde" erneut „spontane Emotionen" aufschießen, so wird man auch zu fragen haben, eine wie kluge Auffassung von Dienst an der Heimat, in der es Gesetze und Respekt vor diesen geben muß, soll sie Heimat sein können, da vertreten wird?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung