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Völker im Volke Österreichs

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Das heikelste, schwierigste und schmerzlichste Problem unter den Volksgruppenfragen in Österreich ist heute, aber nicht erst seit heute, jenes der Slowenen in Kärnten. Während zum Beispiel Rudolf Kisz-ling über die Burgenlandkroaten mit gewisser Berechtigung sagt, sie seien eine „gesättigte Minderheit“ (wie wir sahen, stimmte dies allerdings nicht wortwörtlich), während die Burgenlandmadjaren keine Forderungen angemeldet haben und auch die Wiener Tschechen, aus deren Reihen abstammungsmäßig jetzt auch ein Bundespräsident erwachsen ist, in voller Harmonie mit dem Mehrheitsvolk leben, sind die Kärntner Slowenen zweifellos keine „gesättigte Minderheit“. Ihr Forderungsprogramm ist unüberhörbar deutlich erklärt und erst vor kurzem in einem Memorandum formuliert worden1.

Die besondere Problematik der Kärntner Slowenenfrage hat mehrere Wurzeln. Erstens sind die Kärtner Slowenen eine Grenzlandvolksgruppe, das heißt, sie siedeln nicht inmitten eines anderen Volkstums der Mehrheit, sondern am Rand von dessen Siedlungsgebiet unmittelbar an der Grenze eines konationalen Staates beziehungsweise räumlich anschließend an das Gebiet desselben Volkes, von diesem nur durch eine Staatsgrenze getrennt. Allerdings liegt dazwischen eine mächtige Gebirgskette als Grenze, die Karawanken (bei Vellach auch ein Stückchen der Steiner Alpen mit der Mrzlagora und der Skuta in der Vellacher Kotschna). Diese Bergkette hat Jugoslawien beziehungsweise die Slowenen in Slowenien mit dem Kernland Krain nicht gehindert, in übersteigertem Nationalstaatsdenken den von Slowenen bewohnten Teil Kärntens und sogar noch weit mehr zu fordern, also den Anschluß. Das hat zu den Kärntner Abwehrkämpfen 1918/19 und zur Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920 geführt. Darüber ist sehr viel, allerdings nicht immer wirklich der historischen Wahrheit Gemäßes geschrieben worden2.

Die Volksabstimmung ergab eine Mehrheit von 59,04 Prozent für den Verbleib des Abstimmungsgebietes, Zone A, wo 1910 (nach der Umgangssprache) 68 Prozent Slowenen und nur 32 Prozent Deutsche gezählt worden waren, bei Österreich. Wäre allerdings die Drau als Nordgrenze des Abstimmungsgebietes (mit Westbegrenzung Gail-Gailitz) festgelegt gewesen, so hätte sich eine ganz knappe Mehrheit für Jugoslawien ergeben, nämlich 10.405 gegen 10.083 für Österreich, was in der einschlägigen Literatur mit Ausnahme des absolut verläßlichen Werkes des OKH3 und — verklausuliert — bei Sarah Wambaugh nirgends erwähnt wird.

Verzicht bis auf weiteres

Das Territorium einer Grenzlandvolksgruppe ist fast stets Gegenstand von Gebietsansprüchen, mögen diese auch vorübergehend fallengelassen sein. Schon das Königreich S. H. S. (Kraljevina Srba, Hrvata i Slovenaca) wie das spätere Königreich Jugoslawien haben sich mit dem endgültigen Verbleib Südkärn-tens (Zone A) bei Österreich nicht abfinden können und das volksdemokratische Jugoslawien auch nicht, wie die zum Abschnitt über die Burgenlandkroaten erwähnte jugoslawische Denkschrift beweist, wie man aber auch aus schon während des zweiten Weltkrieges in London erschienenen Publikationen und Memoranden von jugoslawischer Seite* entnehmen kann und dann wiederum den von jugoslawischen Delegierten auf der Londoner Außenministerkonferenz 1946/47, Josip Vilfan (nicht zu verwechseln mit dem seinerzeitigen Präsidenten der Europäischen Nationalkongresse ab 1921, dem Triestiner Slowenen Dr. Josip Vilfan). Wenn schließlich diese Forderungen auf der Moskauer Außenministerkonferenz 1949 endgültig scheiterten und Jugoslawien durch Beitritt zum österreichischen Staatsvertrag von 1955 auch dessen Grenzen anerkannt hat, so darf man doch nicht übersehen, daß es sich völkerrechtlich nach marxistisch-leninistischem Völkerrecht, das man in der österreichischen Völkerrechtswissenschaft leider als nicht existent betrachtet, hier um einen typischen Fall des Völkerrechts der Koexistenz handelt und von einem endgültigen Verzicht auf Gebietsrevision gar keine Rede sein kann5.

Zweitens liegt die besondere Problematik der Kärntner Slowenenfrage in dem tief eingewurzelten Gegensatz zwischen den jedenfalls früher tiefgläubig katholischen Slowenen (nur die rein slowenische Pfarrgemeinde Agoritschach ist evangelisch6) und dem noch bis weit in die erste Hälfte unseres Jahrhunderts fanatisch antikirchlichen („antiklerikalen“) deutschen Nationalliberalismus, wodurch es für die slowenischen Pfarren nie genügend einheimische Priester gab und solche entweder aus Slowenien oder auch aus dem tschechischen Siedlungsgebiet zusätzlich herangezogen werden mußten. Wurden schon die Deutschkärntner Katholiken, die sich offen als solche bekannten, auf manchmal heute kaum mehr glaubhaft erscheinende Weise verfolgt und diskriminiert, so galt dies erst recht von den katholischen Slowenen. Gewiß hat dieser antikirchliche' Deutschliberalismus heute seine Virulenz weitgehend verloren; seine Anhänger sind überwiegend in der SPÖ untergekommen, zu einem gewissen Teil in der FPÖ und zum kleinsten in der ÖVP. Umgekehrt sind die Kärntner Slowenen von heute ihrerseits teilweise der angestammten katholischen Religion entfremdet und gehören entweder auch der SPÖ an oder der parallel zum katholischen Narodni Svet (Volksrat) geschaffenen linkssozialistischen Zveza Avstriskijh Slovencev.

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