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Mißvergnügen in Helsing0r

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Mit der Kundmachung der beiden „Volksgruppengesetze“, die mit ganz • ungewöhnlicher Verspätung nach dem Passieren der Vorlagen durch Nationalrat und Bundesrat erst am 5. August 1976 erfolgt ist (BGBl. Nr. 396 Volksgruppengesetz und BGBl. 398 Änderung des Volkszählungsgesetzes), ist die erste Etappe einer staatlichen Regelung der Minderheitenfrage abgeschlossen. Mit der Novelle zum Volkszählungsgesetz werden die slowenische und die kroatische Minderheit in Österreich in der Form gezählt, daß nach der Muttersprache gefragt (und nicht, wie früher vorgesehen, nach der Haus- und Familiensprache, doch ist die Frage nach der Muttersprache wohl die minderheitenfreundlichste) und daß im Rahmen einer außerordentlichen Volkszählung die Zahl der Angehörigen der Sprachmin-derheit(en) erhoben wird.

Die Sprachzählung kann geheim sein, muß es allerdings nicht; für den Fall der geheimen Zählung bestimmt das Gesetz nähere Modalitäten. Die Sprachzählung besonderer Art kann, muß aber nicht im ganzen Bundesgebiet erfolgen. Voraussichtlich wird eine geheime Ermittlung angeordnet werden und voraussichtlich wird sich der Verordnungsgeber auch dazu entschließen, am Ende doch nicht im ganzen Bundesgebiet eine solche Zählung durchzuführen (so interessant es gewesen wäre, zu erfahren, wie viele Personen in Vorarlberg als alemannischsprachig ermittelt worden wären). Das Volksgruppengesetz, das ursprünglich Volksgruppenförderungsgesetz heißen sollte, ist nun ein Gesetz „über die Rechtsstellung der Volksgruppen“. Tatsächlich gibt es nur teilweise über die Rechtsstellung der Volksgruppen Auskunft, es ist vom Prinzip her aber durchaus zu bejahen, obgleich den Volksgruppen als solchen darin keine Rechtspersönlichkeit zuerkannt wird und damit bereits in der Anlage ein Kardinalfehler liegt. Vieles ist sehr zu bejahen, vor allem bereits die Wahl des Wortes „Volksgruppe“ (statt „nationale Minderheit“), weil damit ein Bekenntnis Österreichs zu einem heute allgemein (auch im Rahmen der Vereinten Nationen, im italienisch-jugoslawischen Vertrag von Osimo vom 10. November 1975 und in vielen anderen internationalen Deklarationen) an Gewicht gewinnenden Minderheitenschutzsystem abgelegt wird. Eine genaue Durchleuchtung des Gesetzes könnte ein ganzes Buch füllen, wobei im allgemeinen 'die positiven Aspekte überwiegen müßten, aber auch viele negative Aspekte in dem Gesetz zu finden sind.

Allerdings wird der sicherlich zu begrüßende Grundzug der Volksgruppenförderung dadurch entscheidend abgeschwächt, daß die sogenannten Ortstafeln nur in solchen „Gebietsteilen“ zweisprachig anzuordnen sind, in denen mindestens ein Viertel der Bevölkerung bei der Sondersprachzählung als nicht deutschsprachig ermittelt wurde, und zwar der Muttersprache nach als kroatisch, slowenisch, ungarisch (gemeint ist: magyarisch), oder als einer anderen Sprache zugehörig. Solche anderen Sprachen können wohl nur Tschechisch (in Wien, falls dort gezählt werden sollte, was im höchsten Maße zu begrüßen wäre), Slowakisch und die Zigeunersprache sein. Da „Windisch“ keine eigene Sprache, sondern slowenischer Dialekt ist, müßten die Windischsprachigen, wie in der Ortstafelkommission einhellig festgelegt wurde, der slowenischen Sprachgruppe zugerechnet werden, wenn in der Rubrik „andere“ Angehörige der windischen Sprachgruppe ermittelt werden sollten (was mit Sicherheit zu erwarten ist). Dem steht allerdings § 1 Abs. 2 des Gesetzes entgegen, demzufolge „Volksgruppen“ die in Teilen des Bundesgebietes wohnhaften und beheimateten Gruppen österreichischer Staatsbürger mit nichtdeutscher Muttersprache und eigenem Volkstum sind.

Die sogenannten Windischen sind nun aber nach vorherrschender Auf-Eassung zwar Sprachslowenen, bekennen sich aber nicht zum slowenischen Volk („Volkstum“ ist ein Ausdruck aus früheren deutsch-tümelnden Epochen und gehört in ien Bereich der Volkskunde, allenfalls der Ethnosoziologie und Ethno-psychologie, aber nicht in jene des Volksgruppenrechts, dem das Gesetz zugeordnet sein soll). Das Gesetz umschifft die Klippe, ob nun die deutschsprachigen Österreicher dem Volk („Volkstum“) nach Deutsche sind, mit dem Ausdruck „eigenes Volkstum“ für die Minderheitsgrup-

pen. Bekanntlich haben sich die Landesparteiobmänner der drei im Kärntner Landtag vertretenen politischen Parteien heftigst gegen die Auffassung verwahrt, daß sie, wie in der FURCHE dargetan, „Deutschnationale“ seien. Nun, die Bezeichnung „deutschnational“ kann nicht als abfällig beurteilt werden, denn wenn nach dem Volksgruppengesetz zum Schutz einer Volksgruppe auch ein „eigenes Volkstum“ Voraussetzung ist, dann steht diesen Volksgruppen doch offenbar das deutsche Volkstum gegenüber.

In Kärnten wird neuerdings in manchen Kreisen dem „Nationalslowenen“ der „Nationalösterreicher“, der mit dem deutschen Volk und Volkstum gar nichts zu tun habe, gegenübergestellt. Aber hier liegt eine verhängnisvolle Hinwendung zu einem neuen österreichischen Nationalismus vor, der, wie alle anderen extremen Nationalismen, nicht zu billigen ist. Denn wenn es eine österreichische ethnische Nation und ein österreichisches Volk gibt, dann gehören doch die österreichischen Slowenen, Kroaten und Magyaren, wie auch Tschechen, ohnedies dazu: Die Pflege deutschen Volkstums (hier paßt der Ausdruck) ist für uns Österreicher deutscher Muttersprache etwas durchaus Legitimes, ja eine absolute Notwendigkeit, während die österreichische Nation als Konsensualnation die Summe der Staatsbürger ist (man denke an die Gelöbnisformel bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft), wobei man doch die Slowenen, Kroaten usw., die vielfach besonders „gute“, nämlich staatsbejahende Österreicher sind, nicht vor der Tür stehen lassen darf.

Da sich aus der Art der Formulierung in den beiden Gesetzen zwingend ergibt, daß jedenfalls in Kärnten vermutlich nur sehr wenige-„Gebietsteile“ zu ermitteln sein werden, in denen zweisprachige Ortstafeln aufzustellen sind, was sich auch auf die Zulassung der Minderheitssprache als Amtssprache zusätzlich zum Deutschen in gleicher Weise auswirken muß, auch wenn das Volksgruppengesetz für die Amtssprache die 25-Prozent-Klausel

nicht enthält, vielmehr die Regelung den Durchführungsverordnungen überläßt, haben die Burgenland-kroaten sowohl, wie vor allem die slowenischen Dachverbände Kärntens, letztere in einer 35 Maschin-schreibseiten umfassenden Stellungnahme zu den Gesetzentwürfen (ohne Datum, vermutlich von Ende Mai/Anfang Juni 1976), die beiden Gesetze abgelehnt. Der Bundesgesetzgeber ließ sich davon nicht beeindrucken. Da bei aller begrüßenswerten Formulierung im Volksgruppengesetz zum Begriff „Volksgruppe“ und zum Volksgruppenschutz — diese Formulierungen werden sicher-

lieh im System eines internationalen Volksgruppenrechts als gutes österreichisches Beispiel hervorgehoben werden, und das wird auch der Verfasser dieser Zeilen als Theoretiker des Nationalitätenrechts tun — die Minderheitenermittlung und die 25-Prozent-Klausel der Entfaltung der Volksgruppen entgegenarbeiteten, wird mit dem Ergebnis des Erlöschens des Bestandes der Volksgruppen (von der 3. Subkommission der Menschenrechtskommission der UNO als „cultural genocide“ bezeichnet, während man besser von Ethnocid sprechen sollte, ein Vorgang, der keineswegs irgendwo unter Strafsanktion gestellt ist), haben die kompetenten Vertreter der slawischen Volksgruppen in Österreich ihre Zustimmung verweigert. Vielleicht werden die Durchführungsbestimmungen die Befürchtungen als unberechtigt erscheinen lassen, ob-zwar die fatale 25-Prozent-Klausel nun schon festgelegt ist. Manches ist noch offen.

International gesehen, haben die beiden Gesetze zu verschiedenen Reaktionen geführt, die Österreich wohl voraussah, aber in Kauf nahm. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang die Ende Juli in St. Vin-cent/Chätillon im Aostatal erfolgte Stellungnahme der A. I. D. L. C. M. (Internationale Vereinigung zum Schutz bedrohter Sprachen und Kulturen) zugunsten der slowenischen Haltung und gegen Österreich, die Aufforderung der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) in Kopenhagen, die ungleich mehr Gewicht hat als die A. I. D. L. C. M., an die österreichische Bundesregierung, von Gesetzen abgesehen, die von den Volksgruppen rundweg abgelehnt werden, eine ähnliche Stellungnahme der Londoner „Mino-rity Rights Group“ (die ein sehr großes internationales Ansehen genießt). Und auch der Gesamttenor des vom Dänischen Nationalinstitut (Det Danske Selskab) mit der Brüsseler EG-Kommission Anfang August 1976 in Helsing0“r durchgeführten Tagung über Regionalismus und den Schutz kleiner Gemeinschaften (small comunities) war eine klare

Stellungnahme gegen die österreichische Volksgruppenpolitik (den Vorsitz hatte Northcote Parkinson, also einer der bedeutendsten Männer unserer Tage). Sicher werden schon bald weitere Stellungnahmen ähnlicher Art erfolgen.

Allerdings wurde in Helsing0r auch die Meinung vertreten, und dies auch durch Delegierte der FUEV, daß die Kärntner Slowenen nicht gut beraten seien, wenn sie sich der immer deutlicher werdenden Schützenhilfe der jugoslawischen Regierung versicherten, einer Regierung, die in ihrem eigenen Land Minderheiten teilweise gar nicht gut behandelt (Albaner in Kossovo) oder ganze Volksgruppen, vor allem die deutsche, unter völkermordartigen Begleiterscheinungen aussiedelte und bei ihrer Schützenhilfe vermutlich in erster Linie sozialistisch-marxistische Ideen durchsetzen wilL Knapp vor der in jeder Hinsicht bemerkenswerten Tagung von Helsing-

0r bereisten führende Persönlichkeiten der FUEV Rumänien, um Kontakte zu den dortigen Volksgruppen (Szekler, Sachsen, Schwaben) herzustellen und der FUEV auch dort Mitgliedsvolksgruppen zu gewinnen. Das Experiment mußte scheitern, wie früher schon ähnliche Ver-

suche bezüglich der Sorben in der DDR oder der Italiener und anderer Volksgruppen in Jugoslawien oder der ungarländischen Deutschen und der Kroaten und Slowenen in Ungarn. Man braucht ja nur die letzte, in deutscher Sprache erschienene Publikation der rumänischen KP über die „sozialistische Nation“ zu lesen oder die neuesten sorbischen Domowina-Publikationen (stets von einem Autorenkollektiv verfaßt), um zu wissen, daß Volksgruppen in keinem kommunistischen Staat politisch frei sind und frei sein können.

Rein formell wird auch Österreich es Jugoslawien nicht verwehren können, sich als Signatarstaat des Staatsvertrages um den Volksgruppenschutz in Österreich zu kümmern, wie Österreich das seinerseits bezüglich der Südtiroler (leider nicht auch der Kanaltaler) getan hat und tut. Wäre in Jugoslawien das Regierungssystem ein solches freiheitlicher Demokratie, lägen die Dinge

anders. Aber ziemlich einhellig wurde in Helsing0r die Auffassung laut, daß man den Slowenen in Kärnten wirkungsvoller helfen könnte, wenn keinerlei Vermutung berechtigt wäre, daß sie ihre Daseinsgrundlage in der Hilfe eines Staates mit kommunistischer Staatsreligion erblicken.

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