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Sprachzählung, kein Volksgruppenschutz
Mit der ihm eigenen Geschicklichkeit und politischen Klugheit hat Bundeskanzler Kreisky sich entschlossen, sich mit dem jugoslawischen Staatschef Marschall Tito — er ist in der neuen jugoslawischen Verfassung von 1974 als solcher auf Lebenszeit ausdrücklich genannt, was sonst keine Verfassung und auch kein noch so autoritäres Regime kennt — zu treffen, um die Kärntner Minderheitenfrage zu erörtern. Zuvor hatte man am Ballhausplatz mehrfach abgeänderte Regierungsvorlagen betreffend ein Minderheitenschutzgesetz bzw. ein Gesetz zum Schutz der Volksgruppen in Osterreich ausgearbeitet, das der Öffentlichkeit bisher aber nur ansatzweise bekanntgeworden ist. 1976 ist jedenfalls das Jahr der Entscheidung.
Mit der ihm eigenen Geschicklichkeit und politischen Klugheit hat Bundeskanzler Kreisky sich entschlossen, sich mit dem jugoslawischen Staatschef Marschall Tito — er ist in der neuen jugoslawischen Verfassung von 1974 als solcher auf Lebenszeit ausdrücklich genannt, was sonst keine Verfassung und auch kein noch so autoritäres Regime kennt — zu treffen, um die Kärntner Minderheitenfrage zu erörtern. Zuvor hatte man am Ballhausplatz mehrfach abgeänderte Regierungsvorlagen betreffend ein Minderheitenschutzgesetz bzw. ein Gesetz zum Schutz der Volksgruppen in Osterreich ausgearbeitet, das der Öffentlichkeit bisher aber nur ansatzweise bekanntgeworden ist. 1976 ist jedenfalls das Jahr der Entscheidung.
Bemerkenswert ist hiebei übrigens, daß der Ausdruck „Volksgruppe (n)“ auch amtlich immer häufiger an die Stelle von „Minderheiten“ tritt, so auch schon in der amtlichen Benennung der Ortstafelkommission, womit dem Wesen und Charakter der ethnischen Gemeinschaften der slowenischen und kroatischen Mitbürger und Mit-Österrei-cher (allenfalls auch der magyarischen im Burgenland, die im Staatsvertrag nicht genannt sind) weitaus besser entsprochen ist als mit dem abschätzigen, wenn auch noch für lange Zeit kaum ausrottbaren Wort „Minderheit“, das besonders in Kärnten seitens nahezu aller Politiker der politischen Landtagsparteien mit „Minderwertigkeit“ identifiziert wird. Im übrigen ist heute auch die internationale Doktrin, besonders auch in der UNO zu Volksgruppen (ethnic group, communitä etnica, gruppo etnico, groupe ethnique, et-nitscheska gruppa usw.) übergegangen.
Der Weg zu Josip Broz Tito ist deshalb so bemerkenswert, weil den beiden slawischen Volksgruppen in Österreich, von welchen allerdings nur die slowenische bei der jugoslawischen Schutzmacht — von einer solchen wird oft gesprochen, und faktisch handelt es sich um eine solche, obwohl Jugoslawien rein völkerrechtlich eine solche Position nicht hat — eine Stütze hat, eine entscheidende Hilfe in ihrem Kampf um Gleichberechtigung und Volksgruppenschutz sowie Schutz vor Diskriminierung von außen her zuteil werden kann, wenn und solange Jugoslawien diese Forderungen diplomatisch und allenfalls auch vor der UNO („Internationalisierung“) vertritt. Es sei an die sehr massiven, im wesentlichen berechtigten, aber zum Teil inhaltlich auch falschen und weit übers Ziel schießenden jugoslawischen Noten an Österreich vom Herbst 1974 erinnert, auf die der Ballhausplatz allerdings so kläglich geantwortet hat, daß selbst die Antwortnoten noch zu einer Selbstanklage wurde.
Wenn es aber dem Bundeskanzler gelungen sein sollte, mit dem jugoslawischen Staatschef zu einer Abgrenzung der Schutzrechte der slowenischen Volksgruppe in Kärnten zu gelangen, kann die Volksgruppe,die zudem aus Jugoslawien auch finanzielle Förderungen (besonders ihrer Presse) erfährt (wie auch die Südtiroler durch die zuständigen österreichischen Regierungsstellen), nicht nennenswert mehr verlangen als der Chef ihrer Schutzmacht mit Österreich abspricht. Wie sehr der Wandel in der Gesinnung einer Schutzmacht die Volksgruppe zu beeinflussen vermag, zeigte erst 1975 der Vertrag zwischen dem Iran und dem Irak über Gebiete am Schatt-el-Arab und die Zurückziehung des Schutzes für die kurdischen Flüchtlinge im Iran.
Natürlich kann die allfällige jugoslawisch-österreichische Einigung, die übrigens kein völkerrechtlicher Vertrag sein dürfte, ausgenommen als Durchführung von Art. 7 des Staatsvertrages 1955, nicht über Lebensinteressen der slowenischen Volksgruppe in Kärnten (und auch der kroatischen im Burgenland, auf die für gewöhnlich mangels Virulenz des Problems vergessen wird) hinweggehen und hinwegsehen. Wenn es zu des Bundeskanzlers Iieblings-idee der Verwirklichung einer „Volkszählung besonderer Art“ 1976 käme, was zur Zeit aber nicht mehr so wahrscheinlich ist wie noch vor wenigen Monaten, müßte man wohl damit rechnen, daß alle volksbewußten Slowenen auch weiterhin eine solche ablehnen. Wenn und solange die slowenischen Dachverbände sie ablehnen, die ja am besten wissen müssen, was für die Fortexistenz der Volksgruppe unerläßlich notwendig ist, darf kein österreichischer Gesetzgeber, will er dem Land den inneren Frieden und sein Ansehen nach außen erhalten, eine solche Minderheitenfeststellung Gesetz werden lassen.
Es scheint, daß der Bundeskanzler dem auch Rechnung tragen will. Wenn der Kärntner Heimatdienst kürzlich zudem einen Volksgruppenschutz nur in Bezirken (Gemeinden) zugestehen will, wo bei einer solchen Zählung sich, mindestens 30 Prozent der Befragten aussdilie/Slich. zur slowenischen Sprachzugehörigkeit bekennen, und die politischen Parteien 25 Prozent als Mindestprozentsatz verlangen, kann man verstehen, daß die Slowenen eine solche Sprachzählung ablehnen. Dann wäre Slowenisch nämlich nur in etwa drei Gemeinden und in keinem einzigen politischen Bezirk zugelassen und die Minderheit hätte weniger als heute...
Dem Bundeskanzler ist sehr zuzustimmen, daß er den Volksgruppenschutz enttabuisieren' und ein allgemeines Volksgruppenförderungs-lind Schutzgesetz realisieren will. Wie segensreich so etwas sein kann, sieht man in Finnland, Kanada (Que-1 bec), Dänemark (Färöer) und Bel-j gien — mögen auch die Verhältnisse ; und Regelungen dort völlig anders j sein. Es kommt nämlich immer auf j das Prinzip der Toleranz an.
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