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Progressive Assimilanten

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Auf der Sicherheitskonferenz in Genf deponierte die jugoslawische Delegation einen offiziellen Vorschlag auim Schutz der nationalen Minderheiten. Djuro Nicic\ Leiter der jugoslawischen Delegation, erklärte bei diesem Anlaß, daß unter dem Begriff „nationale Minderheit“ jene Teile eines Volkes zu verstehen seien, die sich in einem Staate von der Mehrheit der Bevölkerung unterscheiden und mit der Bevölkerung eines Nachbarstaates identisch seien. Er betonte ferner, daß die Frage der nationalen Minderheiten unter den Schutz der Menschenrechte im Sinne der UNO-Deklarationen falle.

Viele Delegationen, vor allem die österreichische, die italienische und die maltesische, erkannten die Notwendigkeit, den jugoslawischen Vorschlag multilateral durchzustudieren. Des weiteren setzten sich die Delegationen] Polens, Rumäniens und der Sowjetunion dafür ein, den jugoslawischen. Vorschlag vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen. Gegen den jugoslawischen Vorschlag sprachen sich die Delegationen Griechenlands, Frankreichs und Spaniens aus.

Der jugoslawische Vorschlag stellt übrigens fest, daß die Rechte der Minderheiten, falls es sich um nationale handelt, nur kollektiv zu sichern sind, da diese Rechte in ihrem Wesen mit der Existenz der Minderheit, als einer Gemeinschaft eigener Tradition und Kultur, verbunden seien und nur in einem solchen Zusammenhang ihre volle Bedeutung erhalten. Der jugoslawische Vorschlag will erreichen, daß nationale Minderheiten nie wieder Ursache von Mißverständnissen und Spannungen, sondern ein Faktor der Annäherung und der Freundschaft unter den Völkern sein sofflen.

Der Vorschlag Jugoslawiens läuft jedoch, obwohl er deutlich jedwede nationale Irredenta ablehnt und eine positive Haltung der Mehrheit gegenüber der Minderheit vorsieht, nicht darauf hinaus, daß die Minderheiten als Objekt statt als Subjekt zu betrachten wären. Da er lediglich das Verhältnis der Mehrheit zur Minderheit behandelt, läßt er das Verhältnis zwischen der Minderheit und dem Muttervolk oder auch der Regierung im Nachbarstaat außer Betracht. Denn obwohl es selbstverständlich sein sollte, daß das Muttervolk seiner Minderheit im Nachbarstaat kulturelle und materielle Hilfe leistet, sind die politischen Systeme vieler benachbarter Staaten in solchem Maße verschieden, daß es nicht klar ist, wann eine Hilfe der Einmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen Staates gleichkommt und wann nicht.

Jugoslawien selbst setzt sich für die Anerkennung der Rechte slowenischer Minderheiten in Italien und in Österreich ein und leistet diesen Minderheiten kulturelle und materielle Hilfe. Doch unterstützt und fördert Jugoslawien nur jene Gruppen innerhalb der Minderheiten, die „links“ stehen. Es unterstützt ihre Presse, in der dann natürlich die jugoslawische Politik gepriesen wird. Dies wäre noch kein Anlaß zur Beunruhigung, führte ein solches Vorgehen nicht dahin, daß man seitens des Muttervolk-Staates die Minderheiten in ihren kulturpolitischen und politischen Entscheidungen zu beeinflussen trachtet, was wieder nichts anderes wäre als Einmischung in innere Angelegenheiten des Staates, in dem die Minderheit lebt — ganz abgesehen davon, ob die Regierung dieses Staates sich deswegen beunruhigt fühlt oder nicht.

In Kärnten teilten sich, wie bekannt, die Slowenen 1949 in ein christliche und in eine linksstehende Gruppe. Daß von Jugoslawien vor allem die linke Gruppe unterstützt wird, ist klar, doch führt dies zur Spaltung der ganzen Minderheit.

In “Briest und in Friaul wird von Jugoslawien die linksgerichtete überparteiliche slowenische Minderheitsgruppe SKGZ (Slowenischer Kulturwirtschaftlicher Verband) unterstützt und angeleitet, für die italienische KP oder die Nenni-Soziali-sten zu agitieren, obgleich ja der Beitritt zu einer italienischen Partei der Assimilierung gleichkommt. Die progressive SKGZ bemüht sich ferner, die selbständigen katholischen, demokratischen und selbst linken Vereine der Slowenen zu untergraben und als einzige die slowenische Minderheit in Italien (insofern diese noch existiert) zu repräsentieren. Es wäre immerhin noch verständlich, würde das sozialistische Jugoslawien die „progressiven“ slowenischen Minderheiitsvereine in den Nachbarstaaten unterstützen, kaum zu erklären ist aber, warum es eine Eingliederung der Minderheit in italienische Parteien, seien diese auch „progressiv“, und damit die Assimilierung fördert.

Als der jugoslawische Parteisekretär Staine Dolanc in der serbischen Industriestadt Kragujevac aus Anlaß eines lokalen Selbstverwaltungskongresses sprach, lehnte er die zentralistischen und unitaristischen Tendenzen einer „dogmatischen“ Fraktion in Jugoslawien ab. Die „nationalistischen“ Tendenzen ist man nach wie vor zu bekämpfen entschlossen. Und es scheint, daß schon die bloße Existenz der slowenischen Minderheit außerhalb Jugoslawiens als nationalistische Verirrung gilt, denn die SKGZ in Triest hat sich enger denn je der italienischen KP angeschlossen. Sogar in der Benecja Slovenska der Provinz Udine hat die SKGZ ihr Blatt „Matajur“ eingestellt und begonnen, „Novi Matajur“ mit einem KPI-Mitglied als Redakteur herauszugeben.

Wenn man also an den guten Willen der Mehrheit gegenüber nationalen Minderheiten appelliert, so setzt eventuell kritische Einstellung gegenüber dem Muttervolk und seinem Staat steht ihnen ebenso zu wie ihren Mitbürgern. Nicht nur die Sprachrechte der nationalen Minderheiten sind somit zu sichern, sondern auch das Recht, ihrem politischen Willen Ausdruck zu verleihen, der ein anderer sein kann als jener des Muttervolkes im Nachbarstaat.

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