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Südkärnten in slowenischer Sicht

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Von Borut Zer ja v, Lektor der jugoslawischen Sprachen an der Universität de l’Europe Libre in Straßburg

Aus Straßburg geht uns der untenstehende Beitrag zu. Seine vornehme Haltung und maßvolle Sprache verdienten eine ernste Diskussion. Die hier aulgerollte Problematik ist uns wohlbekannt. Ihr heikler Charakter kann nicht zu einer Haltung verleiten, als ob das Thema nicht bestünde und das Bemühen um seine Materie nicht des Schweißes aller Edlen wert wäre. Unsere Veröffentlichung will als ein Beitrag des guten Willens verstanden sein.

Die „Furche“

Als gelegentlicher Leser Ihrer so modern und weltoffen redigierten Zeitschrift habe ich an dem Artikel des Dr. Walter J. Otis besonderes Gefallen gefunden.

Was der Autor über „Südtirol in italienischer Sicht“ schreibt, zeugt von dem so notwendigen und seltenen Interesse für den Standpunkt „des anderen", des Nachbarn.

Das italienisch-österreichische Mißverständnis um Südtirol ist für uns Slowenen um so weniger eine Terra incognita, als fast eine halbe Million unserer Landsleute sich 25 Jahre hindurch in derselben — wenn nicht in einer noch schlimmeren — Situation befand wie die deutschsprachigen Bewohner des Alto Adige. Die Slowenen in der ehemaligen Venezia Giulia haben die italienische Nationalitätendoktrin sattsam kennengelernt. Ich teile vollkommen die Meinung des Herrn Dr. Otis: Die Gedankengänge Prof. Jemolos, sollten sie auch hie und da mit edler Ueber- zeugung vorgebracht werden, dürften nach der Erfahrung der letzten 30 Jahre „nicht mehr zur Lösung zeitgenössischer Probleme angewendet werden, wenn die Beziehungen der Völker, nicht nur im engbegrenzten Tirol, sondern in großen Teilen Europas, auf eine neue, friedlichere und fruchtbringendere Grundlage gestellt werden sollen“.

Es sei nebenbei bemerkt —, ich halte es für erwähnenswert —, daß die slowenische Oeffentlichkeit seit 1918 stets mit dem Existenzkampf der Südtiroler sympathisiert hat. Ich denke dabei nicht nur an unseren damaligen Triestiner Abgeordneten Dr. Josip W i 1 f a n, den späteren Präsidenten der Minoritätenliga, sondern an die breitesten Kreise der slowenischen Bevölkerung in Italien, in Jugoslawien und — in Oesterreich.

Das Jahr 1918 hat dem Hauptteil der Nation wohl die langersehnte Freiheit gebracht im gemeinsamen Südslawenstaat der Serben, Kroaten und Slowenen; die Nation als Ganzes, das ethnische Slowenien, hat aber nach dem Zusammenbruch der Monarchie eine Amputation erlitten, die der französische Historiker Emile Haumant mit Recht „un demembrement“, eine Zerstückelung nennt. Es ist also kaum verwunderlich, daß sich die Slowenen allen jenen verbunden fühlen, die an irgendeiner Stelle Europas Opfer des „cuius regio eius lingua“ geworden sind.

Wir alle haben vom alten Oesterreich Gutes und Schlechtes geerbt. Die von der Monarchie ungelösten Probleme des Zusammenlebens der altösterreichischen Völker haben nach der Zäsur von Anno 1918 an Virulenz leider kaum etwas verloren. Was das Bestehen der innerösterreichischen kron- länder auch für das deutsch-slowenische Verhältnis bedeutete, können wir bei Dr. Karl Renner noch immer nachlesen. Die Behandlung der Minderheit von der deutschsprachigen Mehrheit in den gemischtsprachigen Kronländern ist aber unglücklicherweise in

Kärnten auch nach der Ausrufung der Republik geblieben. Und doch sind die politischen Grundlagen seit 1918 und noch mehr heute radikal verschieden.

Ein selbständiges Oesterreich ist nicht nur eine „europäische Notwendigkeit“ im Sinne der westlichen Diplomaten. der Zwischenkriegszeit, die vor allem das Reich vom Donauraum fernhalten wollten. Europa, und nicht zuletzt der Südosten braucht dieses Land wegen seiner möglichen geistigen Sendung und Eigenart. Politisch aber ist das zeitgenössische Oesterreich eine kleine Alpenrepublik geworden, die mit dem deutschen Nationalismus nichts mehr zu gewinnen hat. Die deutschnationale Unduldsamkeit gewisser Kreise. in den Alpenländern ist schon der Monarchie zum Verhängnis geworden; daß sie den Anschluß mitherbeigeführt hat, ist eine Binsenwahrheit. Meiner Meinung nach würde Oesterreich seine moralische und politische Position in Europa nur stärken, wenn es seine Nationalitätenpolitik dem Schweizer Muster anpassen würde. Es hat nichts zu verlieren, indem es etwa der Ausweisungspraxis der Tito-Regierung eine gerechte und großzügige Behandlung der Südkärntner Slowenen gegenüberstellt.

Die nationalen Bestrebungen der Slowenen in Kärnten sind nicht notwendig irredenti- stisch — wie man es allzuoft annimmt. Die Treue zur slowenischen ethnischen und kulturellen Gemeinschaft schließt den österreichischen Patriotismus, die Loyaliät zum österreichischen Staate nicht aus. Italienischsprechende Tessiner sind z. B. genau so gute Schweizer wie etwa die Berner und die Basler.

Dabei hat das deutsche Element wegen seiner politischen und ökonomischen Ueberlegen- heit in den letzten 100 Jahren in Südkärnten so große Fortschritte gemacht, daß es von einer liberalen Sprachenpolitik wirklich nichts zu fürchten hätte.

Worum geht es?

Es geht um die Frage, ob eine „Eindeutschung des südkärntnerischen slowenischen „windischen“ Sprachgebietes zu wünschen oder gar berechtigt ist. Ich glaube, diese Frage mit einem entschiedenen Nein beantworten zu müssen.

Ich brauche da nicht länger über den ethischen Wert der Muttersprache zu diskutieren; es handelt sich wohl um ein Postu- lat der edelsten deutschen Kultur. Es geht aber auch um eine Probe der Demokratie. Das Recht auf Gebrauch und Pflege der eigenen Sprache gehört mft zu den von den Vereinten Nationen proklamierten Menschenrechten. Moderne Demokratie fußt auf der autonomen Verwaltung überall, wo lokale Besonderheiten eine solche Lösung verlangen.

Die Schulverhältnisse in Südkärnten — in puncto Minderheitsrechte — sind unbefriedigend. Die Verordnung über zweisprachige Schulen ist nicht durchgeführt worden. Es gibt weder genügend Lehrkräfte noch genügend Schulbücher für die slowenischen

.Schüler. Es sind neuerlich sogar offizielle Tendenzen aufgetaucht, die das gesetzlich bestimmte Gebiet des zweisprachigen Unterrichts einengen, reduzieren wollen. Eine Parität der deutschen und slowenischen Sprache im öffentlichen Gebrauch besteht nicht.

Ich glaube, das demokratische Oesterreich, das einzige noch freie Land im Donaubecken, wäre durchaus imstande, der ganzen Welt zu zeigen, daß unser unglückseliges Mitteleuropa nicht auf ewige Zeiten auf seine alten Widersprüche verurteilt ist. Eine mutige, gerechte und vernünftige Sprachenpolitik — auch in der Praxis — in Südkärnten würde ein beachtlicher Beitrag sein zu der notwendigen Annäherung zweier Völker, die seit tausend Jahren nebeneinander wohnen.

Zum Schluß noch eine Bemerkung: Eine Diskriminierung der Slowenen in Italien und Oesterreich nährt die interne antiwestliche Propaganda des kommunistischen Regimes in Jugoslawien. Eine weise Nationalitätenpolitik ist also in gemeinsamem Interesse der freien Welt in ihrer Abwehr gegen die kommunistische Expahsion.

Südtirol und Südkärnten — zwei Aspekte eines ungelösten, aber gewiß nicht unlösbaren Problems…

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