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Freiberg - Frajberg - Borovnica

19451960198020002020

Das alte Österreich, so weiß man, ging zuletzt am verwir- sehr, sehr weitherzig gelöst, gottlob, zogen hat - die sich aber nur wenig renden Nationalitätenstreit zugrunde. Blieb ein Keim davon auch in Istrien un Dalmatien, wo zwi- von jener Wiens oder Innsbrucks im noch für die Zweite Republik zurück? Diese Frage stellt sich in sehen den slawischen Mehrheitsvöl- Falle Südtirols unterscheidet und die

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Das alte Österreich, so weiß man, ging zuletzt am verwir- sehr, sehr weitherzig gelöst, gottlob, zogen hat - die sich aber nur wenig renden Nationalitätenstreit zugrunde. Blieb ein Keim davon auch in Istrien un Dalmatien, wo zwi- von jener Wiens oder Innsbrucks im noch für die Zweite Republik zurück? Diese Frage stellt sich in sehen den slawischen Mehrheitsvöl- Falle Südtirols unterscheidet und die

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Kärnten immer wieder neu. Und immer wieder bleibt die Ant- kern, Kroaten und Slowenen, auch man, ob es einem nun paßt oder wort unbefriedigend. viele Italiener leben, ist diese Weit- nicht, als legitim, zumindest aber als

-__________ herzigkeit nicht viel geringer, wie Realität hinnehmen muß. Im übrisich jedermann überzeugen kann, gen muß auch jedermann, der zu den

Jetzt geht es um zweisprachige Gerade diese Zählung aber lehnen Bundes- und Landesregierung ent- Ergebnissen der besagten Volksab-

„topographische Aufschriften“, wie die „bewußten Slowenen“ leiden- schieden sich jedoch für eine sehr sie ein gegen die Stimmen der ÖVP schaftlich ab. Sie sagen, ob geheim enge Auslegung: nur die Ortstafeln und FPÖ verabschiedetes Bundes- oder nicht, ein großer Druck läge auf und gewisse Wegweiser sollen eine gesetz in 205 von insgesamt 2871 ihrem Volk und es stehe zu befürch- slowenische Aufschrift bekommen.

Kärntner Ortschaften (nicht Ge- ten, daß dadurch eine zu geringe Ein Entschluß, dessen man nie recht meinden) vorschreibt. Das nach Zahl herauskomme; die vornehmlich froh werden wird. Hat man aus dem langem Hin und Her zustande ge- in Laibach gepflegte Version vom altösterreichischen Schicksal und aus kommene Gesetz ist ein weiteres „Slowenisch-Kärnten“, worunter dem leidenschaftlichen Engagement

Stückwerk in der traurigen Ge- Südkärnten, also der keinesfalls rein für die Südtiroler wirklich so wenig schichte um die Erfüllung des Arti- slowenische, sondern allenfalls ge- gelernt? kels 7 im österreichischen Staats- mischtsprachige Landesteil zu ver- Der Gelehrtenstreit wurde durch vertrag. Die Geschichte ist deshalb stehen ist, würde einen argen Stoß einen sehr leichtfertigen Vorsatz so traurig, weil sie so lang ist. So erhalten. Die SPÖ pflichtet dem, heraufbeschworen. Die Landesregie-lang, wie die berühmten „langen wenn auch aus anderen Gründen, rung suchte durch ihre Experten, die Bänke“ in Österreich zu sein pfle- bei. Sie weiß, daß man „Minder- freilich nicht recht sattelfest zu sein gen, auf denen man vermeintlich heitenfeststellungen“ nicht gegen scheinen, 205 Ortsnamen heraus — oder wirklich unangenehme Pro- den erklärten Willen der Minderheit zumeist aus den Landesarchiven — blemlösungen vor sich herschiebt, und schon gar nicht gegen einen .-wie sie landesüblich sind, weil ja „Allen recht getan, ist eine Kunst, solchen Willen der „Schutzmachl“ die Landesüblichkeit der Kärntner die niemand kann“ sagt ein altes, vornehmen soll. Das hat sie aus den Slowenen zu deren Vorteil erhalten naives Sprichwort. Indem die Kämt- Erfahrungen mit dem Problem Süd- bleiben soll“. Das klingt gut — ist es ner Landesregierungen und die Bun- tirol gelernt. Sie hat aber außerdem aber nicht. desregierungen seit Gründung der zu befürchten, daß eine möglicher- Wir können das, stellvertretend

Zweiten Republik und auch nach weise wirklich geringere Zahl als die für alle rund 50 Streitfälle, am dem Abschluß des Staatsvertrages erwartete ihr, die seit 1945 die Lan- besten an einem einzigen demonstets versucht haben, das Unmög- desregierung führt und seit langem strieren. Die Ortschaft mit dem liehe doch möglich zu machen, näm- die absolute Mehrheit im Landtag deutschen Namen „Freiberg“ erhielt lieh es „allen recht zu tun“, innehat, der wenn auch nur theore- die „landesübliche Zweitbezeich- Stimmung steht, durch welche die scheiterten sie in ihren Bemühungen tische Vorwurf gemacht werden nung“ zugeteilt, die nun „Frajberg“ Landeseinheit glücklicherweise eram erwiesenen Wahrheitsgehalt der könnte, an der „Entnationalisierung“ lautet. Ein Aufschrei ging durch die halten blieb, sich eingestehen, daß volkstümlichen Phrase. des slowenischen Volksteiles die Vertretung der „bewußten Slo- die Geschichte keine „ewigen Lösun-

Stets war „den einen“ zuviel, was „politische Hauptschuld“ zu tragen, wenen“, ging bis Laibach und kam gen“ kennt, woraus wiederum her-

„den anderen“ zuwenig zu sein ein Vorwurf, der sie freilich zu Un- von dort als gewaltig verstärktes vorgeht, daß eine realistisch-pragschien. „Die einen“, das sind die be- recht träfe. Echo zurück: im Schriftslowenisch matische Politik sich durch unabläsrufenen oder selbsternannten Ver- So griff die SPÖ, nun auch mit der heißt „Freiberg“ nämlich „Borov- sige Maßnahmen um eine ständige treter deutsch-völkischer, deutsch- Parlamentsmehrheit in Wien ver- nica“ und das klingt schon sehr viel neue „Konservierung“ zu bemühen nationaler oder deutsch-kärntneri- sehen und allein regierend, auf die anders. hat: durch ökonomische, soziale, kulscher Interessen, was immer man Volkszählung von 1961 zurück, der „Frajberg“ ist jener „Misch- turelle und politische Maßnahmen, darunter verstehen mag. „Die ande- ersten nach Abschluß des Staatsver- spräche“ entnommen, die von den Förderungen und vieles mehr. Denn ren“ sind die christlich-demokrati- träges. Damals wurde in einem ver- Kärntner „Windischen“ gesprochen der einzige dauerhafte Garant für sehen oder sozialistisch-progressiven wirrenden Formular nach allerhand wird, die wiederum ein Sonderfall die Erhaltung eines solchen Zustanberufenen oder selbsternannten Umgangssprachen gefragt (zum Bei- von Assimilation sind, wie er in Ge- des, wie er 1920 geschaffen wurde, ist

Wortführer der, wie sie es nennen, spiel: Slowenisch-Deutsch, Windisch- bieten mit lebhafter Geschichte und eine maximale Zufriedenheit aller

„bewußten Slowenen“ Kärntens. Die Deutsch, Deutsch-Slowenisch usw.) vielen völkischen unterschiedlichen Beteiligten. Es genügt eben nicht, einen wie die anderen residieren Obwohl die „bewußten Slowenen“ Streusiedlungen immer vorkommt, „gesiegt zu haben“ — es gab nämlich nicht nur in Kärnten, es gibt sie auch mit damit niemals Freude hat- Für „bewußte Slowenen“, das liegt auch rund 44 Prozent die damals einerseits bis „hinauf“ nach Wien, ten, fügten sie sich nolens volens eigentlich auf der Hand, ist deren „die Verlierer“ gewesen sind; und anderseits bis „hinunter“ nach Lai-bach oder sogar noch weiter, ebenfalls in beiden Richtungen.

Solches behindert besonders die beiden großen Parteien sehr; die FPÖ mit einem eindeutigen „deutsch-völkischen“, „deutsch-nationalen“ oder „deutsch-kärntnen-schen“ Bekenntnis, was immer darunter verstanden werden mag, hat es leichter. Sie stand bisher so sehr auf „der einen Seite“, daß sie auf die „bewußten Slowenen“ keine Rücksicht nehmen muß, nicht einmal außenpolitische, die da aus den verschiedenen Positionen Jugoslawiens, darunter auch der einer „Signatarmacht des Staatsvertrages“ hervorgeht.

Doch die großen Parteien lagen in Kärnten seit jeher im heißen Wettstreit um die Gunst sowohl der „Nationalen“ als auch der „Bewußten“ und sie integrierten sich beide, steht das barbarische „vae victis“ über allen. Für immer? Und immer wieder?

So hat es gewiß keinen vernünftigen Sinn, wenn, unterschwellig oder sogar laut, sich beide Völker andauernd „alte Rechnungen aus der Geschichte“ vorhalten. Wer von den heute, wer gar von den' morgen Lebenden, soll diese denn bezahlen und womit?

Volkstumskämpfe, scheint es, werden wieder Mode im uraltgewordenen Europa. Da und dort spürt man davon. Sind das nun nur „Übergangsschwierigkeiten“, wie sie sich auf dem Wege zu einem „geschlossenen Kontinent“, zu einer „geschlossenen Gesellschaft“ auf diemit weitaus größerem Erfolg aller- darein In jenen 205 Ortschaften, die Sprache eher eine Herausforderung mit diesen Landsleuten muß man dings tat das die SPÖ. So tragen sie, auf Gruncj (üeser Volkszählung eine als eine Sprache von Verwandten. sich versöhnen, mit ihnen muß man die Großparteien, in Kärnten auch sloweniscne Einwohnerzahl von Kreisky, am Wörthersee auf sich arrangieren und dabei muß, so zwei Seelen m ihrer Brust und stets meh_ aJg 20 Prozent stellen, sollen Urlaub, warnte vor einem „Orts- ist das nun einmal, zunächst stets die will die eine sich von der anderen trennen. Trennten sie sich einmal wirklich, würden, wie es auf gut angebracnt werden. Kärntnerisch heißt, „jeweils ein bis möglicherweise sogar zwei Land- Es gab Proteste, von den einen“, relb j Lösung6n sehr ge tagsmandate rogglert“. Damit dies wie von „den anderen , weil den j . gtets ins Große denkende führten nichts als „Germanisierung nicht geschehe, wurde die Quadratur einen wieder einmal „zuviel“ schien, p^.^. fmt sich plötzlich in ein oder „Assimilierung“ im Schilde nun die „typographischen Aufschrif- tafelkrieg“, bei dem es zwar um Mehrheit großzügiger sein als die ten“ auch in slowenischer Sprache achtbare „Symbole“ gehe, der aber Minderheit. an sich eher grotesk anmute. Da er unter Zugzwang steht, ist ihm an Die bewußten Slowenen“ wiederum argwöhnen, ihre Widersacher des Zirkels bis zum Überdruß ver- was den anderen „zuwenig“ scheint, sucht; erfolglos, wie zu erwarten Und gleich darauf entzündete sich stan(j. ein Juristen- und Gelehrtenstreit

Der Hauptgegensatz bei allen Ver- von großer Hintergründigkeit. Ordnungen, Erlässen und Gesetzen Juristen gerieten einander zunächst. anscheinend unlösbares Kleinpro- und wer ehrlich ist wird zugeben blem verheddert. müssen, daß die Minderheit durch katastrophale historische Ereignisse Nun verbergen sich hinter diesen in ihrer Furcht bestärkt wird. Wie ja Symbolen“ geschichtsmächtige und auch, man darf es nicht verschweibesteht darin, daß ÖVP und FPÖ ein darüber in die Haare, was alles geschichtsträchtige Vorgänge. In ex- gen, denn so ist Geschichte, von ihr

„Minderheitenfeststellungsgesetz“ unter „typographischen Aufschrif- tremis argwöhnen „die einen“, den der Mehrheit mitunter recht Übles wünschen, eine Art „geheimer ten“ zu verstehen sei. Nur die Orts- „bewußten Slowenen“, die sie streng angetan wurde, vor 1920 so gut wie

Volkszählung“, in welcher ermittelt namen? Oder nicht auch Straßen-, von der „Kärntner Slowenen“ zu 1945. Doch in der grausamen Regel, werden soll, wo wie viele Slowenen Gassen-, Wege- und Platznamen, trennen pflegen, gehe es hintersinnig die nur wenige Ausnahmen kennt, siedeln. Denn, so ist's internationaler Bezeichnungen in den (amtlichen) um nichts anderes, als darum, „die zahlen den schweren, oft blutigen

Brauch, wo es ungefähr 20 Prozent Landkarten, Grundbucheintragun- Geschichte zurückzuspulen“ und in Preis nie die „Professionals“, an oder mehr davon gibt, dort erst sol- gen, Kataster, Aufschriften an naher oder ferner Zukunft das denen es auf allen Seiten niemals len Zweisprachigkeit, eigene Schulen öffentlichen Gebäuden, vielleicht Ergebnis der Volksabstimmung von fehlt, sondern stets jene Menschen, und auch die „typographischen Auf- auch an privaten, wenn diese dem 1920 zumindest in Frage zu stellen, um deren Bestes es angeblich allen schritten“ öffentliche Geltung haben. Publikumsverkehr dienen? Diese Emotion nährt sich an der diesen „Professionals“ geht. Grausig sem zwangsläufig ergeben? Verdanken wir sie den verzweifelten Anstrengungen dann sich arbeitslos fühlender „Profis“? Ist es tatsächlich unmöglich, aus fernerer, näherer, ja hautnaher Geschichte zu lernen? Ist dem „Nationalismus, dieser destruktivsten Idee des 19. Jahrhunderts“ (Guido Zernatto in „Vom Wesen der Nation“) wirklich nie und niemals ganz beizukommen?

Sei dem, wie immer: jede Zeit braucht ihre Lösungen und keine wird vollkommen sein. Findet man sie nicht durch Vernunft, so folgt die Strafe auf dem Fuße. Vernunft verlangt politische Weisheit und diese gedeiht nur auf einem Boden, den man „historischen Realismus“ nennen möchte. Weisheit paart sich mit Großzügigkeit, die dann nicht Schwäche, nicht Schlamperei und ohne Hintersinn ist.

Davon, ob der ausbrechende „Ortstafelkrieg“ weise und großzügig gelöst werden wird, hängt viel für alle ab — bis „hinunter nach Laibach“ und „bis hinauf nach Wien“. Die „Profis“ werden gebeten, für einen Augenblick zu schweigen. Es liegt in der Natur der Bevölkerung dieses Landes, gut miteinander auszukommen, und das zu tun, ist der an sie ergangene Auftrag der Geschichte. Da gibt's nichts mehr zu trennen. Aber es gibt auch nichts mehr zu assimilieren, zu entnationalisieren oder was immer sich da noch alles ausdenken ließe.

Den besten Ruf in der Geschichte aber werden sich jene erwerben, die einmal nicht auf die zwei oder noch mehr Seelen in ihrer Brust lauschen (denn es gibt da noch differenzierte ideologische, religiöse, soziale und viele andere mehr) sondern, selbst auf die Gefahr einer zeitweisen Unpopularität, durch eine „große Lösung“ endlich Schluß mit dem Problem machen. Das wird zwar auch nicht „Ewigkeitswert“ oder „Vollkommenheit“ besitzen, aber wenn jedermann sich guten Willens täglich bemüht, vielleicht doch von langer Dauer sein. Zum Besten von allen, deren Bestes ja alle wollen!

Übrigens: Schon meldeten sich auch die burgenländischen Kroaten, bisher scheinbar „wunschlos“, zu Wort, stark orientiert an den Kärntner Slowenen. Noch fehlt dort dem Problem, das auch ganz andere historische Wurzeln hat, jegliche Schärfe. Man wäre schlecht beraten, wenn man sich auf das leider nur allzu österreichische „net amol ignorieren“ verließe. Ignoranz hat nämlich noch kein Problem gelöst. Nicht einmal viel kleinere ...

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