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Mit Zwei Zungen

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Auf dem Friedhofe von Maria-Wörth wachsen zwei Bäume, eine Eiche, eine Linde, und ihre Stämme umschlingen einander in einer Weise, daß man kaum auszunehmen vermag, welches der eine ist und welches der andere; auch ihr Laub ist vermischt, als hingen verschiedene Blätter an ein und demselben Zweige, denn zwei Baumkronen sind in langen Jahren zu einer geworden. Da nun Eiche und Linde als germanischer und slawischer Baum gelten, kann man ihre brüderliche Vereinigung dort auf dem ehrwürdigen Boden von Maria-Wörth, wo man das verborgene Herz des Landes schlagen hören kann, als ein Gleichnis für zwei Seelen hinnehmen, deutscher Seele und slowenischer Seele, die hierzulande in paradiesisch-friedlicher Zeit zueinander gefunden haben und ewig lange nichts von Zwietracht wußten; dachten sie überhaupt daran, daß jemals ein Hader oder auch nur ein unmutiger Gedanke sie entzweien könnte?

Sie waren Adam in zwei Gestalten iind ahnten wie er in einer arkadischen Unschuld nicht, daß sie nackend umgingen, und als sie sehend wurden, da ihnen eine unholde Zeit gewaltsam die Augen geöffnet hatte, da weinten wohl ihre Besten in stiller Kammer und trauerten, daß ihnen das unbefangene Herz genommen war. Ich vermag ihm noch viele Namen zu geben, die nun freilich längst auf Grabsteinen stehen, aber einmal Fleisch und Blut gewesen sind, bald reden sie deutsch auch in meiner Erinnerung, bald slowenisch, und es rechtet deshalb niemand mit ihnen, wie es auch damals nicht geschah, als sie noch zu den Lebenden zählten. Sie haben es gottlob nicht mehr erlebt, daß man sie an dem eine Orte schalt, weil sie ihre slowenische Mundart sprachen, die man windisch nannte, und an dem anderen Orte wieder, weil sie durch deutsche Rede ihrem Volke abtrünnig geworden zu sein schienen; so war es den letzten von ihnen geschehen, die zu lange gesäumt hatten, aus einer friedlos gewordenen Welt fortzusterben Sie wußten sich in sie ohnedies nicht mehr völlig zu schicken, es war ihnen unbequem und schmerzlich, sich für eine der zwei Sprachen zu entscheiden, die ihnen beide eingeboren waren, sie blickten mit verwundertem Auge auf ein unduldsames Zeitalter und träumten von einem anderen schon fernen, das sie weitherzig hatte gewähren lassen.

Von ihren Familien her konnten viele Einheimische das Slowenische reden. Es war eine gemütvolle, halb gesungene Mundart, auf ihrem weiten Wege durch die Jahrhunderte herauf hatte sie eine große Anzahl von deutschen Worten aufgelesen, die ihr handlicher oder vielmehr mündlicher schienen als die Ausdrücke der reinen slowenischen Sprache, und sie verwendeten sie nun tapfer und hartnäckig. Die Eisenbahn hieß Eisenbahn, der Pfarrer Fein- moschter, die Schuhe hießen Puntsche, das hatte teilweise schon einen verdunkelten Sinn, war aber doch noch immer zu erkennen als „feiner Meister" und als „Bundschuhe". Man gab dem einen und anderen Worte einen neuen Klang, man veränderte es in seinem Charakter nicht, man kleidete es gewissermaßen nur anders, und es gehörte nun zu der Sprache, die es von der anderen geschwisterlichen entlehnt hatte; solche Anleihen gingen in aller Stille vor sich, sie wurden kaum bemerkt und schon gar nicht beredet, es lebten die zwei Völker in einer friedlichen Einfalt und gönnten einander, was eines dem anderen aus seinem Wesen, seiner Sprache zueignen konnte.

Es nahm nun nicht etwa nur die slowenische Mundart von der deutschen Sprache, auch diese scheute sich nicht, von der slowenischen Mundart zu nehmen, hie und da ein Wort, einen ortsansässigen Ausdruck, ja ihr ganzer Tonfall kam von ihr, es war der verhaltene, in Worten gebannte Gesang eines heiteren, r.rbeitramen, braven Volkes; eine ferne Musik schwebte weit, weit hinter der Sprache hinweg, und die zugewanderten Kinder in der Schule, auf den Wiesen, auf den Tummelplätzen waren fremd zunächst deshalb, weil sie ihnen fehlte. Ich habe sie lang in das Leben hinein behalten, wie sie überhaupt jeden Rosentaler verrät, kaum daß er den Mund aufgetan hat, und es war wirklich ein Verlust, als sie mir in der Welt abhanden kam.

Ihr geisterhafter Nachhall aber ist mir im Ohre verblieben und zaubert mir wieder alle verträgliche Meinung zurück, in der man zu jener Zeit lebte; doch auch die Menschen, die in zwei Zungen zu reden vermochten, es sich aber niemals einfallen ließen, den anderen zu der Sprache zu bekehren, die ihnen lieber war und leichter vom Munde ging. Wahrscheinlich wären die meisten von ihnen sehr verlegen, ja unglücklich geworden, hätte man sie gedrängt, sich für die eine oder andere zu entscheiden, sie sprachen sie beide sozusagen unbewußt, aus einem unbefangenen Herzen herauf, wie es ihnen gerade in den Sinn kam. die Muttersprache und die andere in der Schule und durch den Umgang erlernte.

Erst viel später, nachdem die unselige Politik es ihnen aufgetragen hatte, darauf zu achten, ertappten sie sich manchmal plötzlich dabei, daß sie eben in jener Zunge geredet hatten, der abzuschwören sie im Begriffe standen, weil es unduldsame Leute so haben wollten, und sie meinten, eines seltsam zwiespältigen Wesens an sich gewahr . zu i .werden; sie wurden/unsicher und1 waren ¿auf einmal nicht mehr sie selber. Damals ‘absn,l,~ajsbffch‘ sie .baidLdeutsch cibald- slowenisch reden hörte, wie es eben eine bewegliche Eingebung fügte, waren sie es noch, und sie haben deshalb in meiner Erinnerung eine eigentümlich warme Färbung; auch ich habe; so wie jene gemütvolle Zeit, keine Veranlassung, sie dem einen oder anderen Volke zuzuzählen, ihre Sprache war ein Zufall, oft von dem Augenblick eingegeben; allerdings meine ich zu wissen, wie in tiefer Seele die Auswahl der beiden Mundarten zustande kam, an dem Beispiel meines Vaters kann ich, freilich nicht schon seit der noch unwissenden Kindheit, erspüren, wann die eine Sprache den Vorzug hatte und wann die andere.

Mein Vater, der 1860 geboren worden war, kam noch aus. der friedfertigen Zeit, er konnte slowenisch reden und singen wie alle Menschen seiner Generation im Rosentale, er sprach gleich ihnen mit Vorliebe slowenisch, er dachte wahrscheinlich auch darin; noch beschied sich die deutsche Sprache mit dem Range eben einer zweiten, nicht aber der einzigen rechtmäßigen Sprache. Mein Vater heiratete eine Bauerntochter aus der deutschen Gegend, die kein slowenisches Wort zu reden wußte, es übrigens auch später nicht erlernte, und so wurde denn Deutsch meine Muttersprache, das Slowenische habe ich erst auf der Gasse gelernt, es flog mir zu, wie einem in frühem Alter gleichsam über Nacht alles zugetragen wird. Kenntnis und Eigenheit, ohne daß man um seinen Besitz weiß, bis man seiner mit einem Male verwundert gewahr wird.

Zu meinem Vater kamen häufig Menschen in die Werkstatt, Nachbarn, Freunde, meistens waren es Büchsenmacher, und da wurde dann, wenn nur einmal die Arbeit beendet war: eine Gravierung, die mein Vater an einem Gewehr anbringen mußte, oder auch eine andere, die wieder mein Vater zu vergeben hatte, der nicht nur Graveur war, sondern selbst auch Gewehre et zeugte, das Leben in weitem Umkreis ab- getastet, da kamen Abenteuer des einen und anderen zutage, nicht wenige von ihnen waren in der Fremde gewesen, Erfahrung und Ansicht wurden in der Werkstatt ausgebreitet; alle diese Büchsenmacher waren redselige Leute, und da geschah es denn, daß sie bald deutsch redeten, bald slowenisch, sie verharrten mit meinem Vater zusammen manchmal lange in der einen Sprache,- zuweilen aber wechselten sie schnell in die.andere Sprache, hinüber, um doch (gleich; wiederzukehren; es schien, als hätte der Gebrauch der beiden Sprachen keine Regeln, als wäre er der Willkür des Augenblicks und einer plötzlichen Laune überlassen

Heute, im seelischen Halbdunkel einzelne Gegenstände jener fernen Gespräche überdenkend, soweit sie nicht längst verschollen sind, meine ich allerdings zu wissen, daß die Flucht aus der einen in die andere Sprache nicht so regellos und etwa nur beiläufig vor sich ging, wie es den Anschein hatte; es waren vielmehr geheimnisvolle Mächte im Spiele, die da bestimmten, was deutsch auszudrücken sei und was slowenisch, sie wiesen jedem Stoff die ihm verwandte Sprache zu, es geschah dies alles aber irgendwo in der Tiefe des Herzens, wohin sie selber mit keiner Begier gereicht haben würden, hätten sie es erforschen wollen. Auch ich vermag nicht im einzelnen zu sagen, wann der Wechsel zwischen den Sprachen eintrat, doch ist mir, als hätten die Leute und mein Vater slowenisch geredet, wenn das Herz in besonderem Maße daran beteiligt war, wenn es um Dinge ging, die ihr engeres Leben betraf; vielleicht sprach dann auch ihre Jugend aus ihnen, und die hatte vorwiegend slowenisch geredet. Sobald sie in ihrem Gespräch aber aus den Grenzen ihres stillen Daseins traten, das sich in ärmlichen Werkstätten, in kleinen Hausgärten, im Schöße großer Familien und nur selten in Wirtshäusern abspielte, sobald sie sich auch ein wenig in der Welt umtun wollten, damit ihnen der Anteil an ihr nicht vorenthalten blieb, redeten sie deutsch; die Schule hatte es sie gelehrt, der Umgang mit der Zeit, und sie mußten gelehrige Schüler gewesen sein, denn sie sprachen das Deutsche wie ihre Muttersprache; doch es befragte sie niemand, wie es gekommen war, es gehörte als eine natürliche und selbstverständliche Sache eben zu ihnen.

Als man sich darüber zu wundern anfing, daß sich die beiden Sprachen so brüderlich umfingen, da zog damit schon die erste Unruhe herauf, und eine Scham trübte das unbefangene Gemüt; da verleugneten einzelne schon ihre alte slowenische Mundart, weil ihr törichte Menschen, die einen sogenannten Fortschritt zu bringen Vorgaben, einen geringeren Rang zugewiesen hatten und sie in den Augen von Sdiwacheij„ Aengstjjchep und Rassigen, ihm 2!? setppq. Pfh.t&jijj und.,¡andere wiedetüVerhärteten ' ihr Herz gegen die deutsche Sprache, weil sie einen Verrat an ihrem eigentlichen Wesen zu begehen vermeinten, wenn es nicht geschah.

Ach. wie ferne war dies noch denjenigen, die so zwischen Gesprächen hindurch oder auch an ihrem Anfang und Ende ein Lied sangen, eines der alten bodenständigen Lieder, in dem sie sich plötzlich ohne Verabredung fanden, und auch die Texte dieser Lieder waren einmal deutsch, einmal slowenisch. Es ist mir nicht, als wären deren Melodien verschieden gewesen, sie umkleideten deutsche Worte, slawische Worte mit der gleichen einfachen, ein wenig schwermütigen Weise, es war die grüne Melancholie des Gebirges darin; sie gaben sich ihr hin in der nämlichen Stellung, in der sie sich eben befunden hatten, als sie den Gesang anstimmten; da lehnte in der Werkstatt meines Vaters einer an dem hohen Tische, auf dem die vielen Werkzeuge lagen, einer stützte sich auf der anderen Seite mit der Hand daran, einen hatte es mitten in das Zimmer gebannt, und der Vater stand an seinem Schraubstock, Hammer und Gravierstichel noch in den Händen; und so, wie die sehr lebensgetreuen Puppen in einem Panoptikum regungslos verharren, als würden sie in einem Liede ihrer Meinung einen verwandelten Ausdruck gebe , sangen sie eine Zeitlang, und ich denke mir, sie haben sich wohl und glücklich dabei befunden, wohler jedenfalls, als hätten sie von der Unruhe geredet, die auch in ihren Zeitläufen vorhanden gewesen sein mag.

Daß ich in jenen Jahren manches slowenische Lied gehört haben muß, ist mir erst viel später zum Bewußtsein gekommen, und vielleicht träumt irgend etwas in mjr ihnen nach; es ist mir jedenfalls, als hörte ich zuzeiten das melancholische Echo eines fernen Gesanges, ohne daß ich die Sprache seiner unterlegten Worte ausnehmen könnte. Gehört also muß ich als Kind slowenische Lieder haben, selber gesungen habe ich keines, und es ist mir heute, als hätte ich in meinem Leben etwas versäumt. Ich bin durch eigene Irrtümer, die freilich auch von falschen Propheten stammten, und fremde Schuld überhaupt der zweiten, der anderen, nicht weniger schönen Seele meiner Heimat entfremdet worden. es wurde mir ein ganzes junges Leben lang von dem Zeitgeist eingeredet, und ich habe mir — Gott sei es geklagt! — es auch einreden lassen, daß die slowenische Sprache nur noch ein minderes Gastrecht bei uns im Lande habe, daß sie verhalten sei, an dem Tische der Herren zu schweigen und sich mit freiwillig gespendeter Liebe von getreuen Anhängern zu bescheiden. Und es gab in dem anderen Lager — nicht minder schmerzlich sei es beklagt — kluge, gute Menschen, denen ein anderer höllischer Dämon zugeflüstert hatte, die deutsche Sprache habe alles Recht auf den slowenischen Fluren verwirkt.

Wie gerecht waren wir Kinder! Wir lernten zu der deutschen Sprache, wenn nur sie allein und von dem väterlichen Hause her geläufig war, auch noch die slowenische hinzu, wir schämten uns ihrer nicht, wir gebrauchten sie, gleich den erwachsenen Leuten, wie es der augenblickliche Anlaß eben gebot, und wahrscheinlich wird auch in uns das scheinbar Zufällige von irgendeinem verborgenen, aber doch wirksamen Gesetz gelenkt worden sein. Gebetet habe ich eine Zeitlang slowenisch, weil es uns der Pfarrer im Religionsunterricht so beigebracht hatte; geflucht und geschimpft habe ich deutsch, weil mich die Unart so gelehrt worden war; gespielt haben wir in Ausdrücken aus beiden Lagern; so lautete ein Auszählvers, den wir uns selber gedichtet hatten: „Adn, dwa, tri (was in der slowenischen Mundart ,eins, zwei, drei' heißt), du stoßt mi und i stoß di.“

Solcher Verflechtungen, die mich jener geschwisterlichen Umschlingung der beiden Bäume auf dem Friedhofe von Maria-Wörth gedenken lassen, gab es noch andere. Eine alte Frau, zu der wir Kinder manchmal unsere Zuflucht nahmen, wenn wir die gegenständliche Welt satt geworden waren, erzählte uns ihre Geschichten in der nämlichen Weise, und märchenhaft friedlich war nicht nur das Geschehen in ihnen, sondern auch die Art, in der sich die beiden Sprachen vertrugen. Es gab lange Dialoge darin, die waren alle slowenisch, und auch andere Stellen waren es, so wie ein Erzähler plötzlich und unvermittelt aus einer Vergangenheitsform in die Gegenwart hinüberwechselt; dann war die Geschichte auf weite Strecken hin wieder deutsch. Doch ich habe nichts mehr von dem anmutigen Zwiegesang im Ohr, eine unduldsame Zeit hat alles hinweggenommen.

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