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Deutsch und Slowenisch

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Ein angesehener Mann und Vorkämpfer für die Einheit Kärntens ergreift hier das Wort, um eine jüngere Generation auf die Möglichkeit einer österreichischen Lösung in Südkärnten aufmerksam zu machen. Es ist nicht notwendig, sich mit jedem Satz dieses bemerkenswerten Aufsatzes zu identifizieren. Man kann hier und dort ruhig anderer Meinung sein: sehr nötig aber haben wir alle den Geist, die Gesinnung, die aus ihm spricht. Sie allein kann uns in Kärnten, in Südtirol, in aller Welt weiterhelfen.

Die Redaktion

I.

Ein Mensch wird schwer krank, braucht einen Arzt. Seine Mutter- und Umgangssprache ist nicht die des Arztes. Es wäre aber doch vorteilhaft, wenn Arzt und Kranker miteinander reden könnten. Das gesprochene Wort ist notwendig für die Herstellung des so viel genannten Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patienten. Wie soll es nun zu einer direkten Verständigung zwischen beiden kommen? Soll der Patient die Sprache des Arztes oder der Arzt die Sprache des Patienten lernen? Das ist eine Frage, die einen Sonderfall im Komplex der Sprachenfrage in Völkern) isehgebieten darstellt. Oft kommt man bei der Bearbeitung von komplexen Fragen weiter, wenn man zunächst ganz bestimmte, in ihrem Rahmen liegende Einzelfragen löst. So kann es auch vorteilhaft sein, das Sprachenproblem zum Zwecke einer Untersuchung auf das Verhältnis Arzt und Patient einzuengen.

Unsere Annahme dürfte übrigens gelegentlich Wirklichkeit sein. Dr. Guem, der sich in Artikeln in der „Furche“ oft warm für die Deutschsüdtiroler eingesetzt hat, führt auch Klage darüber, daß sich in Südtirol Tiroler „gerade in so entscheidenden Stunden, da es um Leben oder Tod geht, nur durch Zeichen verständigen müssen“, weil die dortigen italienischen Ärzte die deutsche Sprache nicht beherrschen. Solken diese nicht Deutsch lernen? Gehen wir nun nach Unter-kärnten. Da liegt ein Slowene oder Windischer schwer krank darnieder. Es kommt der Arzt, der nur die deutsche Sprache beherrscht. Jetzt ist der Kranke in der traurigen L%ge, seinem Helfer, vielleicht Retter vor dem Tode, nicht oder schnell verständlich machen zu können, was der Arzt für die richtige Beurteilung vielleicht wissen müßte. Auch versteht er kein Wort der Hoffnung aus dem Mund des Arztes. Sollte dieser nicht ein wenig Slowenisch können?

Dr. Guem, der selbst nicht Arzt ist, hat ein treffliches Wort gesagt. Nicht ohne Grund widerhallen die Hörsäle aller medizinischen Kliniken der Welt von Psychotherapie: Mitbehandlung der Seele des Menschen bei der Behandlung seines Körpers. Wie aber soll man Psychotherapie treiben, wenn man nicht den Zugang zur Seele hat, den nur die Sprache ermöglicht?

II.

Wir wollen die hier gestellte Frage nicht selbst beantworten. In nationalen Angelegenheiten kann man ja im allgemeinen nicht auf Verständnis rechnen, weil Leidenschaft vorherrscht. So wollen wir auf ein Vorbild hinweisen. Der Evangelist Lukas war von Geburt

Grieche und von Beruf Arzt. Er übte seine Praxis in Antiochia in Kleinasien aus. Er sprach seine griechische Muttersprache, lernte dann, um mit seinen Patienten reden zu können, Syrisch und Hebräisch, „was angesichts der Mischbevölkerüng der Stadt für den Gebildeten selbstverständlich gewesen sein dürfte“, wie der Biograph dazu bemerkt. Es sei nun dem Leser überlassen, zu entscheiden, ob Ärzte im Völker-mischgebiet die zweite Sprache lernen sollten oder nicht.

Mein Großvater, Theodor von Lerchenthal (die Schulzeugnisse sind noch auf de Lerchenthal Theodor ausgestellt), hat in den Jahren 1849 und 1850 in der vierten und fünften Klasse des Gymnasiums zu Tergestino (Triest) außer den Hauptgegenständen, einschließlich „deutsche Sprachwissenschaft“, lateinische und griechische Sprache, auch noch als Freigegenstände Italienisch, Französisch und Slowenisch gelernt. Alle Gegenstände prima cum eminentia, d. h. mit Vorzug. Er muß ein fleißiger Schüler gewesen sein. Bald nach Absolvierung der juridischen Studien in Wien wurde er für die „Dienstleistung bei den gemischten Bezirksämtern in Kärnten“ ausersehen. In den Jahren 1862 bis 1866 war er dann als k. k. Stuhlrichter-Amtsaktuar in Eberstein tätig. Dabei dürften ihm, der mir als ein vornehmer und menschenfreundlicher Mann in Erinnerung ist. die Kenntnisse in der slowenischeijSprache zustatten gekommen sein sowie Land und Leuten zum Vorteil gereicht haben.

III.

Ein reiner Zufall: Ich hatte vor 1914 einen jüngeren Gymnasialkollegen — er ist im Rußlandfeldzug des zweiten Weltkrieges als Oberstarzt zugrunde gegangen —, der hieß Hermann Schiffermüller, war der Sohn eines Richters in Eberndorf, immer Vorzugsschüler. Er lernte, ohne daß ihn das irgend jemand geheißen, nebenbei Slowenisch. Wie aber, wenn Heranwachsende im Kärntner Unterland nicht auf die Idee kommen, einige slowenische Brocken in sich aufzunehmen? Da kann man wohl sagen, daß es jedem Gebildeten gelingt, eine Sprache zu lernen, so wie einst dem Offizier in der herrlichen altösterreichischen Armee, „für den Dienstgebrauch genügend“. Der humanistisch geschulte Mensch kann, wenn er sich sehr anstrengt, in kurzer Zeit eine Fremdsprache erlernen. Ein schönes Beispiel dafür ist einer der großen Kärntner Söhne, der in Obervellach beheimatet gewesene berühmte Chirurg Universitätstprofessor Dr. Carl Gussen-bauer. Ein BeamteT des belgischen Unterrichtsministeriums kam auf der Suche nach einem Chirurgen für den Lehrstuhl in Lüttich zum Wiener Chirurgen Professor Dr. Theodor Billroth. Dieser fragte seinen Ersten Assistenten Gussen-bauer, wie es mit seinen französischen Sprachkenntnissen stünde. Dr. Gussenbauer sagte, er könne nur so viel, wie man im Gymnasium lerne, und das sei sehr wenig; er wolle aber die Stelle annehmen. Ein halbes Jahr später hielt er an der Universität in Lüttich eine tadellose französische Antrittsvorlesung und trug auch weiterhin regelmäßig zur vollsten Zufriedenheit der Studenten in französischer Sprache vor!

Wenn die Ärzte sich ein paar slowenische Sätze aneignen, warum sollten dies nicht auch andere Intellektuell; in Unterkärnten tun? Es wird keinem Deutschkärntner eine Perle aus der Krone fallen, wenn er sich in dieser Hinsicht den „deutschen Fürsten“ Kaiser Franz Josef I. oder den jeweiligen Bischof von Kärnten, der bekanntlich auch die zweite Landessprache spricht, zum Vorbild nimmt. Schließlich muß man sich fragen, warum in Orten, wo Deutsche, Windische und Slowenen beisammen wohnen, nicht jeder neben seiner Muttersprache etwas von der zweiten Umgangssprache lernen sollte. Wir lassen die Frage von dem in diesem Jahr so sehr gefeierten Kärntner Dichter Josef Friedrich Perkonig beantworten: „Wie gerecht waren wir Kinder! Wir lernten zu der deutschen Sprache, wenn nur sie allein und von dem väterlichen Hause her geläufig war, auch noch die slowenische hinzu, wir schämten uns ihrer nicht, wir gebrauchten sie, gleich den erwachsenen Leuten, wie es der augenblickliche Anlaß eben gebot, und wahrscheinlich wird auch in uns das scheinbar Zufällige von irgendeinem verborgenen, aber doch wirksamen Gesetz gelenkt worden sein.“

IV.

Warum trete ich für die Zweisprachigkeit ein? Wir gehen der Weihnachtszeit entgegen. Alle Menschen wünschen einarider Frieden. Muß nicht auch jeder, der etwas für den Frieden der Menschen auf Erden tun zu können glaubt, es tun? Ich bin davon überzeugt, daß in Völker-mischgebieten nur die Heimatidee und die Doppelsprachigkeit friedliche Verhältnisse im Lande schaffen und verbürgen können. Auf den besonderen Fall übertragen heißt das: die Kärntner Heimat über alles, daher auch keine Herabsetzung und keine Ablehnung der außer den Deutschen in diesem Lande lebenden Slawen. Das wird am besten durch Schätzung ihrer Sprache zum Ausdruck kommen, wobei die deutsche Muttersprache nicht die geringste Beeinträchtigung erfahren soll. Welches aber ist die zweite Landessprache?

Betont nationale Kärntner führen immer ins Treffen, daß die Windischen keine Slowenen seien und gar nicht Slowenisch verstünden. Windisch, so erklärte mir ein sprachenkundiger Mann, keineswegs ein Slawe, sondern ein waschechter Tiroler, klinge etwas ans Russische an. Es existiere nur als Volkssprache, habe keine Schriftsprache. Das dürfte, so glaube ich, auch der Grund sein, warum in der Politik immer nur von der slowenischen Sprache die Rede ist. Wenn man einen Windischen fragen würde, welches seine Schriftsprache sei, würde er gewiß nicht die deutsche, sondern die slowenische als solche bezeichnen. Diese, so sagte mein Gewährsmann, sei eine sehr schöne Sprache und habe vielleicht die schönste Lyrik der ganzen Welt.

Zu meinen Kindheitserinnerungen gehören die doppelsprachigen Aufschriften in Eisenbahnstationen und bei Bahnübersetzungen. Das Deutschtum hat durch dieselben sicher keine Einbuße'“erlitten! Nach 1918 wurden die slowenischen Inschriften entfernt. Das war nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie bei der Bildung von Nationalstaaten, darunter auch „Deutschösterreich“, ganz in der Ordnung..

Dann aber hat sich gezeigt, daß die Staatenbildung im Don'auraum nach dem Nationalitätenprinzip allein doch nicht so einfach ist. In Kärnten wurde durch den Abwehrkampf und die Volksabstimmung die Einheit des Landes gewahrt und damit, wie auch durch die Bildung des Burgenlandes mit slowakischen und kroatischen Bevölkerungsanteilen, der rein deutschsprachige Charakter Österreichs aufgehoben. Aus „Deutschösterreich“ wurde wieder ein „Österreich“ (der weltpolitische Hintergrund dieser Namensänderung steht hier nicht zur Diskussion) mit derselben Mission, nur im kleineren Rahmen, wie sie sein großer Vorfahre in der europäischen Geschichte erfüllte. Gott sei es gedankt, sonst gäbe es heute kein ungeteiltes Kärnten und überhaupt kein Österreich mehr!

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