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Terror gegen die Vernunft

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Das christliche Gebot, einander zu lieben, ist, wie wir wissen und leider nur zu oft auch leiblich erfahren haben, in der Praxis schwer durchsetzbar, zumal in der politischen Praxis. Man kann niemanden zur Liebe zwingen. Auch den vielhundertjährigen Nachbarn oder Mitbewohner nicht. Als Ersatz für Liebe muß — oder sollte! — Vernunft herhalten. Jene Vernunft, die uns allen sagt, so wir uns bei gesundem Menschenverstand befinden, daß Nationalitätenfragen durch Haß, Gewalt, Propaganda und Terror weder zu beantworten noch zu lösen sind. Zumal nicht in Mitteleuropa, das nur überleben wird, wenn es vernünftig bleibt. Bleibt es das nicht, wird es untergehen...

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Das christliche Gebot, einander zu lieben, ist, wie wir wissen und leider nur zu oft auch leiblich erfahren haben, in der Praxis schwer durchsetzbar, zumal in der politischen Praxis. Man kann niemanden zur Liebe zwingen. Auch den vielhundertjährigen Nachbarn oder Mitbewohner nicht. Als Ersatz für Liebe muß — oder sollte! — Vernunft herhalten. Jene Vernunft, die uns allen sagt, so wir uns bei gesundem Menschenverstand befinden, daß Nationalitätenfragen durch Haß, Gewalt, Propaganda und Terror weder zu beantworten noch zu lösen sind. Zumal nicht in Mitteleuropa, das nur überleben wird, wenn es vernünftig bleibt. Bleibt es das nicht, wird es untergehen...

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Zunächst schien alles auf das Prinzip der Hoffnung hinzudeuten. Nach dem schändlichen Ortstafelkrieg, dessen Fernwirkung noch lange zu spüren sein wird, geriet die Entwicklung in die ruhigeren Gewässer fachlich kompetenter Gremien. Obschon es eine Reihe von Queirschüssen gab, entwickelte sich die Arbeit in der sogenannten Ortstafelkommission günstig. Gleiches kann vom sogenannten Kontaktkomitee gesagt werden, das sich im Bundeskanzleramt etablierte. Daß sich die ÖVP von diesem fernhält, weü sie gegen „Zweigeleisigkeit“ ist, ist nicht recht verständlich; nach all den Verwicklungen und Verwirrungen kann man auf gar nicht genug Geleisen einer vernünftigen Lösung entgegenfahren. Überdies gehört es zu der grundsätzlichen, wenn auch nicht einzigen Aufgabe der „Ortstafelkommission“, eine vernünftige Novelle zum Ortstafelgesetz zustande zu bringen, hingegen ist es Aufgabe und Ziel des Kontaktkomitees, in regelmäßigen Zusammenkünften mit den politischen Vertretern der slowenischsprechenden Kärntner deren Probleme, Anliegen und Wünsche zu erörtern und in angemessener Weise zu lösen. Die slowenischsprechenden Kärntner sind wiederum der „Ortstafelkommission“ ferngeblieben, weil man sie dort mit einem Exponenten der „Windischen“ konfrontierte, was unklug war. Sowohl im Staatsvertrag als auch in der daraus hervorquellenden Streitfrage um Schul-, Amts- und Gerichtssprache, um doppelsprachige topographische Bezeichnungen usw., wird aus vielen guten Gründen auf die Existenz der „Windischen“ nicht eingegangen. Sie sind nach wissenschaftlichem und völkerrechtlichem Begriff als „nationale Minderheit“ nicht zu fassen.

Da man nicht gut Regelungen für die Minderheit ohne diese Minderheit aushandeln kann, erwies sich die Installation des „Kontaktkomitees“ als gute Brücke. Die kritisierte „Zweigeleisigkeit“ kann nicht nur das sich schon so_ lange hinziehende Verfahren abkürzen, sondern auch vernünftig ergänzen.

Der „kritische Punkt“ für beide, Kommission und Komitee, liegt offen vor aller Augen: Ein Teil der Experten und Politiker sagt, die, volle Erfüllung des Staatsvertrages sei erst möglich, wenn zuvor durch „irgendeine Art von Minderheitenfeststellung“ genau zu sehen sei, wer sich zu dieser zähle und wo diese Minderheit in nennenswerter Anzahl lebe. Andere Experten, und vor allem die Vertreter der Kärntner Slowenen, sagen, davon stehe nichts im Staatsvertrag. Aus diesem gehe vielmehr die Anwendung des „Territorialprinzips“ mehr oder weniger zwingend hervor. Es gehe also um ein festumschriebenes Territorium, gleichgültig in welcher Anzahl und Dichte darauf Kärntner Slowenen siedeln.

Die eine wie die andere Auffassung ist problematisch. Was auch immer für eine „Minderheitenfeststel-lung“ sprechen mag, eines spricht gegen sie: sie kann niemals „ein für allemal“ gelten, da die Minderheit ein an sich veränderliches, bald wachsendes, bald schrumpfendes Element Ist. Wenn nun starke Emotionen, Ressentiments und andere, oft irrationale, Faktoren mit im Spiele sind — und sie sind es! —, liefe dieser periodische Feststellungsvorgang jedesmal auf einen „ewigen Volks-tumskampf“ um jede Zunge, jede Seele, jede Familie, jedes Haus, jedes Dorf hinaus. Das sind keine schönen Aussichten.

Gegen die sklavische Anwendung des „Territorialprinzipes“ spricht wiederum die Geschichte des in mehreren Wellen besiedelten Raumes. Hier gibt es, kein „geschlossenes Siedlungsgebiet“, vielmehr leben deutsch- und slowenischsprechende Kärntner in unabgegrenzten Streuverhältnissen, wobei die Städte und größeren Märkte zumeist eine überwiegend deutschsprachige Mehrheit haben, ja, in einigen davon gibt es überhaupt nur deutschsprachige Kärntner, während die meist bäuerlichen Gemeinden und kleinen Ortschaften viele slowenischsprechende Kärntner besitzen, in einigen überwiegen diese sogar. Nach dem „Territorialprinzip“ aber würden auch solche Gebiete unter eine „Minderheitengesetzgebung“ fallen, in denen kaum einer oder gar kein Angehöriger dieser Minderheit lebt.

Man wird also nur vermittels viel Vernunft zu einem für beide Teile tragbaren Ergebnis kommen. Dabei wird man darauf achten müssen, daß dieses Ergebnis sich nicht nur als rechtlich und moralisch einwandfrei erweist, sondern auch als realistisch, was soviel heißt wie: praktisch und brauchbar auch auf längere Sicht. .

Kürzlich hat die katholische „Österreichische Gemeinschaft“ in einem Memorandum festgestellt, die der slowenischen Sprache vom ORF täglich zugeteilten 45 Sendeminuten entsprächen keineswegs den Erfordernissen und damit hat sie vollauf recht. Die politischen, informativen und vor allem die kulturellen Bedürfnisse einer Sprachgruppe lassen sich nicht in einem minuziösen Proporz unterbringen, denn das läuft auf Verstümmelung des Volks- und Kulturgutes hinaus. Die „österreichische Gemeinschaft“, die diesen Namen vollauf verdient, monierte auch, daß das Prinzip der Anmeldepflicht zur zweisprachigen Schule im gemischtsprachigen Gebiet eine Diskriminierung darstelle, wenigstens nach den dort von jedermann nachprüfbaren realen Verhältnissen, weshalb es durch das Prinzip des „Abmelderechtes“ ersetzt werden solle. Da wird ein denkbarer und möglicher Kompromiß zwischen „Feststel-lungs-“ und „Territorialprinzip“ sichtbar, für dessen öffentliche Auffindung man der genannten Gemeinschaft allseits dankbar sein müßte.

Andere Vorgänge verdüstern jedoch das Bild. Seit einiger Zeit kommt es wieder häufiger zu meist nächtlichen Übermalaktionen zwei-oder auch einsprachiger topographischer Aufschriften. Es kommt zu „Kirchtagsraufereien“, die sich nicht so abspielen, wie das sonst immer einmal der Fall ist, sondern wo Sänger slowenischer Lieder Hiebe abbekommen und auch in der umgekehrten Richtung ist einiges los. Zuletzt flog ein kürzlich errichtetes Partisanendenkmal in die Luft, wobei anzumerken ist, daß dieses keinerlei provozierende Inschriften aufwies, die etwa auf „Landnahme“ oder ähnliches hindeuteten. Laut Polizeibericht eine „besoffene Geschichte“ und die Massenmedien konstatierten erleichtert: „Kein politischer Anschlag.“ Wirklich keiner?

Gewiß, es hagelte Proteste von fast allen Seiten, und wer nicht gerade protestierte, distanzierte sich wenigstens von der Gewalt. Dennoch besitzt der Anschlag einen urpolitischen Charakter. Nach 18jährigem Zaudern, ganzen Versprechungen und halben Erfüllungen einerseits und ungehinderter Emotionalisie-rung anderseits, muß ja einmal das Klima so aufgeladen sein, daß auch schon ein mittlerer Rausch genügt, eine Bombe gegen die Vernunft zu werfen.

Als seinerzeit der Ortstafelkrieg wie über Nacht losbrach (in Wahrheit hat er eine lange Vorgeschichte), hieß es ganz allgemein und vor allem in den Massenmedien, dies komme eben davon, daß die Öffentlichkeit nicht oder nur ungenügend informiert sei über den wahren Charakter des Problems. Von einigen löblichen Ausnahmen abgesehen, blieb es bei dieser Feststellung. Mit dem Ende der „Sensation“, daß Ortstafeln niedergerissen wurden, bloß weil sie einem Gesetz entsprachen, das zwingend aus dem Staatsvertrag hervorgeht, und als auch nicht mehr zu vermelden war, daß ein Landeshauptmann mit Paradeisern und ein Bundeskanzler mit aus alten „Stürmer“-Ausgaben entlehnten Verbalinjurien belegt wurde, riß der urgierte „Informationsstrom“ auch wieder ab.

Das aber ist es, was Kärnten und was Österreich fehlt, vor allem Österreich, denn dieses, nicht eines seiner Bundesländer, ist Vertragspartner: die laufende Information, die sachliche Erklärung, die Perspektive zur bundesstaatlichen und zur internationalen Szene. Damit, daß ab und zu, meist in verstümmelten Kürzeln, irgend etwas bekanntgegeben wird, ist nichts getan. Im Gegenteil: dieses so beliebte „Kürzelverfahren“ massenmedialer Produktionsmethoden führt und verführt zu immer neuen Mißverständnissen und Mißerfolgen.

Längst ist dieser Suppentopf, in dem es bereits gefährlich brodelt, von vielen Köchen umstellt. Da gibt es Nationale und Patrioten da und dort, denen — denn sie sind nicht, was sie sich nennen! — eine Vernunftlösung das Geschäft verdürbe. Da sind die Heger und Pfleger alter Ressentiments, die, selbst wenn sie das nicht wollten, immer neue erzeugen. Da gibt es solche, die alle Vernunft am Ende auf den Parteivorteil reduzieren, dessen Gefangene sie schließlich sind. Und da gibt es viele Ehrliche, Anständige und Vernünftige, die — wie zumeist in solchen Geschichten — erst verlacht und dann verrufen werden und die schließlich (wieder einmal)' unter die Räder geraten.

Alles, das sollte sich auch die Polizei und das sollten sich auch die Medien sagen, was in so einem Klima geschieht und explodiert, ist von politischer Natur und wäre es noch so irrational. Da bedarf es erst gar nicht der Voraussetzung geheimer oder offener Planung und organisierter Ausführung. Unter solcher Sonne vollzieht sich Politik, in jedem und aus allem bricht sie hervor.

Was das bedeutet, liegt eigentlich auf der Hand: wer nicht möchte, daß just an dieser Stelle die Axt an einen Ast gelegt wird, auf dem wir (auch: wieder einmal!) alle sitzen, der hat den Anfängen zu wehren. Und er hat mitzusorgen und mitzuwirken, daß endlich jene Vernunft siegt, ohne die jedes auf Demokratie, Gerechtigkeit und Anstand aufgebaute Gemeinwesen rasch verdirbt und verkommt.

Die berühmte lange Bank, von der die Österreicher besonders viel halten, ist oft der kürzeste Weg in die Katastrophe. Katastrophen kommen in Politik und Geschichte nie über Nacht. Sie haben ihre untrüglichen, wenn oft auch nur wenigen sichtbaren Vorzeichen. In Kärnten gibt es jetzt einige, die allen sichtbar sind. Die Vernunft ist herausgefordert, in aller Festigkeit zu reagieren. Wird sie es?

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