6829231-1974_29_03.jpg
Digital In Arbeit

Vor lauter Pose wenig Haltung

19451960198020002020

Einmal mehr blieb eine Möglichkeit ungenützt. Die Debatte über die Ernennung Bielka-Karltreus zum neuen Außenminister ging sehr schnell an diesem Anlaß vorbei und zielte auf die politischen Trümmer, die uns vom unheiligen Ortstafelkrieg geblieben sind, Aber statt klarer Haltung und lupenreiner Sachlichkeit blieb man wieder einmal mehr in der bloßen Pose stecken. Die Taktik siegte neuerlich über die Strategie.

19451960198020002020

Einmal mehr blieb eine Möglichkeit ungenützt. Die Debatte über die Ernennung Bielka-Karltreus zum neuen Außenminister ging sehr schnell an diesem Anlaß vorbei und zielte auf die politischen Trümmer, die uns vom unheiligen Ortstafelkrieg geblieben sind, Aber statt klarer Haltung und lupenreiner Sachlichkeit blieb man wieder einmal mehr in der bloßen Pose stecken. Die Taktik siegte neuerlich über die Strategie.

Werbung
Werbung
Werbung

Die ÖVP ließ durch ihren Kärntner Abgeordneten Valentin Deutschmann einen Antrag einbringen, nach welchem die Regierung in Kärnten eine ,,besondere Volkszählung“ einleiten solle und das bald. Was jetzt so genannt wird, hatte früher den wenig schönen Titel „Minderheitenfeststellung“ und stellt in der Tat den harten Kern jener Diskussion dar, die jahraus, jahrein um die volle Erfüllung des Artikels VII des Staatsvertrages im Gange gehalten wird.

Wie man weiß — und wie es auch die ÖVP und die dem Antrag beipflichtende FPÖ wissen dürften — gehen über so „besondere Volkszählungen“ die Meinungen der Experten weit auseinander: Minderheitensachverständige, Völkerrechtler, Politiker werden und werden sich da nicht einig. Das ist so evident, daß jedermann in diesem Kreise auf das Stichwort hin eine ganz bestimmte Pose einnimmt. Man bleibt, wo man ist, und tritt weiterhin auf der Stelle.

Minderheiten, durch viele, viele Jahrhunderte bodenständige zumal, lehnen solche ,,besonderen Zählungen“ nahezu überall in der Welt ab. Sie betrachten sich als Bewohner eines bestimmten „Gebietes“ und dieses soll zur Anwendung besonderer Schutz- und Rechtsbestimmungen herangezogen werden, nicht nur jede einzelne Seele. Mehrheiten nehme- dazu, je nach Reifegrad und. weiser Gesinnung, eine unterschiedliche Haltung ein. Die Kärntner Parteien, vor allem ÖVP und PPÖ, ein wenig abgesetzt die SPÖ, schwärmen nach wie vor von „besonderen Zählungen“, freilich ohne den Schlüssel für deren angemessene „Besonderheit“ zu besitzen. Den tragen andere mit sich. Und diesen anderen sind allen Parteien — sehr zu deren eigenen und einmal womöglich auch zu unser aller Schaden! — offenkundig ausgeliefert. Daher: Weniger Haltung, mehr Pose!

Keine Rede mehr davon, daß im ,, Ortstafelkrieg“ die Straße gegen ein auf verfassungsmäßige Weise zustande gekommenes Gesetz mobilisiert wurde. Ja, offenbar überhaupt keine Rede mehr von zweisprachigen Ortstafeln! Denn als der Bundeskanzler, ein wenig nervös und um noch unerledigte Kommissionsarbeit fürchtend, den Abgeordneten Deutschmann die rhetorische Frage stellte: „Wollen Sie nun die Aufstellung von Ortstafeln wieder oder was sonst eigentlich?“, anwortete dieser mit schöner (aber unbedachter) Offenheit: „Wir wollen sie nicht haben!“

Hier spätestens wäre — von wem auch immer kommend — die Belehrung angebracht gewesen: die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln ist keine Frage danach, wer und ob sie jemand haben will, sondern eine Frage der vollen Erfüllung des Artikels VII des Staatsvertrages und daher nachträglichen, anderlautenden Willensäußerungen schon seit 19 Jahren entzogen. Die Belehrung blieb aus, leider. Denn erst daran wäre auszuloten gewesen, wie sich die verfassungsmäßige Repräsentanz, das Parlament, zum Artikel VII verhält und ob sie begreift, daß es um einen längst abgeschlossenen Vertrag und nicht um eine beliebige Interpretation oder gar um einen Gnadenerweis geht.

Sicherlich hatte Dr. Kreisky recht, als er sagte, die jüngsten Gemeindezusammenlegungen in Kärnten hätten so neue Voraussetzungen geschaffen, daß die Heranziehung früherer Volkszählungen für die Aufstellung' neuer, zweisprachiger Ortstafeln nicht mehr genügen kann. Er hatte recht, wenn man vom „Bekenntnisprinzip“ ausgeht. Wenn man jedoch vom „Territorialprinzip“ ausgeht — der Artikel VII bietet Anhaltspunkte für beides! —, dann hat er natürlich nicht recht. Und das ist die „essentielle Frage“, die er erwähnte: Bekenntnisprineip oder Territorialprinzip. Und genau diese essentielle Frage zu lösen ist bisher nicht gelungen.

Es mag den meisten Diskutanten und Zuhörern verborgen geblieben sein, was sich dahinter auftut. Gelingt es nämlich nicht, diese „essentielle Frage“ zu lösen, oder löst man sie gegen den erklärten Willen der Minderheit, dann ist eine Internatio-nalisierung nicht nur nicht mehr auszuschließen, sondern wohl so gut wie sicher. Bloß der Zeitpunkt bleibt noch offen. Doch bis an diesen ,,point of no return“ tastete sich niemand heran. So bekam die ganze Aktion — vielleicht ungewollt, aber dennoch unabweislich — den Beigeschmack einer taktischen Operation mit dem Ziele, Ausgangspositionen für die Kärntner Landtagswahlen im März 1975 entweder zu gewinnen oder nicht preiszugeben. Wie sehen diese Ausgangspunkte aber aus?

Füidie SPÖv^^igf sehr viel davon ab, sich weder in die eine noch in die ändere Richtung gedrängt zü sehen. Und noch mehr hängt für sie davon ab, nach keiner Seite hin den Kontakt zu verlieren. Logisches Ergebnis: die Kärntner SPÖ muß auf eine „Lösung des Bundes“ warten und diese, wie immer sie beschaffen sein mag, sollte für sie erst nach den Wahlen kommen.

Die ÖVP, die seit einigen für sie hoffnungsvollen Wahlergebnissen (Bürgermeister in der Landeshauptstadt Klagenfurt!) sich dem Ziele nahe sieht, wenn schon nicht die SPÖ zu überflügeln, so doch diese um die absolute Mehrheit zu bringen, muß wiederum geradezu zwanghaft die SPÖ in jede nur denkbare Verlegenheit bringen wollen. Angenommen, es käme schon jetzt zu einem „besonderen Zählverfahren“, dann wäre die SPÖ, die dem ja zustimmen müßte, mit Sicherheit die meisten slowenischen Stimmen los und damit ein nicht zu geringes Stück ihrer Mehrheit. Kommt aber das „besondere Zählverfahren“ nicht — und natürlich aus „Schuldhaftigkeit der SPÖ“ kommt es nicht! —, dann wird sie sich ungleich schwerer darin tun, jene „nationalen Stimmen“ zu erhalten oder zu konservieren,' die ihr bisher auch augekommen sind. Daher die Taktik der ÖVP, die SPÖ hier — im Lande wie im Bunde — in „Zugzwang“ zu bringen.

Für die FPÖ steht es viel einfacher: sie opponiert zwar jetzt auch nicht mehr gegen den Artikel VII, ja, sie nimmt diesen sogar mit guten Worten unter Obhut — aber (oh, diese aber!) sie will natürlich das „besondere Zähl verfahren“, denn da sie wohl kaum slowenische Stimmen hat, braucht sie sich um deren Verlust nicht zu sorgen. Indem sie sich aber als Motor für die „einleuchtend gerechte Sache einer besonderen Zählung“ einmal mehr bewährt, darf sie darauf hoffen, der ÖVP, falls diese gar erlahmen sollte, Stimmen abzunehmen.

Da die FPÖ mehr noch als die ÖVP von einer Beseitigung der absoluten SPÖ-Mehrheit erwarten darf, da sie diesfalls zum Züngerl an der Landeswaage würde, kann sie gar nicht aufhören, in diese Richtung z\i bohren.

So stehen die Dinge wirklich. Und nicht viel anders bei der slowenischen Minderheit selbst: auch sie soll unter Zugzwang geraten. Zieht sie zurück (d. h. stimmt sie einer „besonderen Zählung“ zu), ist mit ihrer nachfolgenden politischen Aufspaltung zu rechnen. Lehnt sie die „besondere Zählung“ weiterhin ab, so fördert sie in sich eine Bewegung,die — damit die Sache ein Ende hat — halbherzig zustimmen würde und das wäre auch wieder Spaltung.

Erkennt man nun, was hier für eine Automatik am Werke ist, die am Ende durchaus handlungsfähige Parteien und Politiker zu beinahe beliebig bedienbaren Automaten macht? Und wenn man das erkennt: sieht man das Ende?

Es ist wahrlich nicht der schlechteste Patriotismus, der da meint, man solle endlich den Artikel VII großzügig und ohne taktische Winkelzüge erfüllen. Die Gebiete, die dafür in Frage kommen, sind jedermann im Lande genau bekannt. Dazu bedarf es keiner „besonderen Zählung“. Mag sein, daß dadurch (noch einmal) Emotionen aufwallen: am Ende würde vom ganaen Lande eine große Last genommen sein. Und möglicherweise unsere Enkel nicht mehr begreifen, daß es den Streitfall einstens geben konnte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung