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Volkszählung

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Die für die erste Hälfte des nächsten Jahres vorgesehene Volkszählung ist die neunte in der im Jahre 1869 begonnenen Reihe moderner Volkszählungen und die vierte seit Bestehen der Republik. Schon zweimal in der Nachkriegszeit (1947 und 1948) sind vom zuständigen Bundesministerium Gesetzesvorlagen für Volkszählungen ausgearbeitet worden, doch ist ihre Verabschiedung immer wieder zurückgestellt worden, da man — mit Recht — glaubte, infolge der starken, damals noch nicht abgeschlossenen Bevölkerungsfluktuationen der ersten Nachkriegszeit (Ost-West-Verschiebung, Heimkehrer, DPs usw.) nur ein zufälliges, bald entwertetes Augenblicksbild zu erhalten, das die erheblichen Aufwendungen nicht lohne. Nachdem der Wanderungsprozeß nun jedoch im wesentlichen abgeschlbs sen oder zumlndestens erstarrt ist, und da das Fehlen exakter, neuerer Zahlen für die Verwaltung allmählich unerträglich wurde, Ist in der letzten Session des Nationalrates ein Volkszählungsgesetz verabschiedet worden, das an die Stell des bisher noch in Geltung stehenden Gesetzes vom 29. März 1869 tritt und ordentliche Volkszählungen an der Wende eines jeden Jahrzehntes vorsieht.

Der Termin der nächsten Volkszählung fügt sich somit in die seit 1947 von den Vereinten Nationen geplante „Weltzählung 1950“ ein. Wenngleich das ambitiöse Ziel einer Weltzählung im Sinne einer gleichzeitig und nach einheitlichen Richtlinien durchgeführten Zählung des orbis terrarum infolge politischer und technischer Schwierigkeiten heuer so wenig erreicht wird wie im Jahre 1900, in dem der erste Versuch hiezu unternommen wurde, so ist es doch nützlich, sich in den großen Kreis der um das Jahr 1950 herum zählenden, auf ein einheitliches Minimalfragenprogramm verpflichteten Nationen einzureihen.

Volkszählungen gibt es, seit es Obrigkeiten gibt, die sich als Tuiger der Finanz- und Wehrhoheit für die Zahl ihrer Zensiten oder Wehrpflichtigen interessieren. Die — mit der allgemeinen Entwicklung stets steigenden — Forderungen der staatlichen Verwaltung waren und bleiben einer der Gründe für die Abhaltung von Zählungen. Es gibt nahezu kein Ressort einer modernen Staatsverwaltung, das nicht die einen oder anderen Zählungsergebnisse wesentlichen Entscheidungen zugrunde legen müßte. Abgrenzung von Wahlsprengeln, Finanzausgleich zwischen den Gebietskörperschaften, Berufsberatung und Beschäftigungspolitik, Abschätzung des künftigen Bedarfes an Wohnungen und öffentlichen Einrichtungen (Schulen, Versorgungsbetrieben und dergleichen), allfällige Bewirtschaftung von Konsumgütern, — das sind einige willkürlich herausgegriffene Verwaltungsaufgaben; deren Bewältigung ohne die Ergebnisse der Volkszählung nur höchst unzulänglich möglich ist. Vornehmlich zur Sicherung der von der Verwaltung gewünschten Erkenntnisse sieht das Gesetz vor, daß an die zur Zeit der Zählung im Bundesgebiete wohnhaften Personen Fragen nach Name, Geschlecht, Geburtsdatum, Geburtsort, Familienstand, Kinder ehelicher Abstammung, Religionsbekenntnis, Umgangssprache, Staatsangehörigkeit, Schulbildung, Berufsausbildung, Beruf, Beschäftigung, Aufenthalt, Wohnsitz und körperlichen Gebrechen gestellt werden können. Es versteht sich von selbst, daß die Verwaltung kein Interesse an den Individualangaben als solchen, sondern nur an der Größe und Zusammensetzung der nach den erfragten Merkmalen ausgegliederten Personengruppen hat. Den erhebenden Organen ist daher vom Gesetzgeber eine G e-heimhaltungspfllcht hinsichtlich der Individualangaben auferlegt worden, der eine Auskunftspflicht auf seiten der Gezählten entspricht.

Das zweite Motiv, dem die Volkszählungen ihre Entstehung verdanken, ist, seit man sich im 17. und 18. Jahr-1 hundert erstmals wissenschaftlich mit Be-völkerungsfragem befaßte, das allgemeine demographischelnteresse. Das wissenschaftliche, das heißt ziel- und wertfreie Interesse an den quantitativen Veränderungen des Volkskörpers im ganzen und in seinem Gefüge hat zu Anfang des 19. Jahrhunderts mit den bekannten Untersuchungen von M a 11 h u s einen ersten Höhepunkt erreicht und seither den methodischen Ausbau des Volkszählungswesens (wie der gesamten Bevölkerungsstatistik) außerordentlich befruchtet. Das intensive Studium der natürlichen Bewegungsvorgänge (Geburten, Sterbefälle) und der mit ihnen und dem Alterungsprozeß verbundenen Gefügeverschiebungen hat in den letzten sieben Jahrzehnten zur exakten, mathematischen Beschreibung gewisser Bevölkerungsmodelle geführt. Die an diesen gewonnenen Erkenntnisse gestatten es, aus dem an und für sich toten, zufälligen Momentbild der Bevölkerung im Zeitpunkte der Zählung in Zusammenhang mit der Kenntnis der zugehörigen Bewegungsvorgänge ein Bild der Entwicklungstendenzen in die Zukunft zu projizieren, das — nicht als müßige Prognose, sondern als Analyse der jetzt wirksamen lebendigen Kräfte — für jeden, dem die Zukunft seines Volkes nicht gleichgültig ist, von großem Interesse sein muß. Wirklich für jeden, welche Meinung über die zweckmäßige Bevölkerungs p o 1 i t i k er auch habe, da eine Erkenntnis des So-Seins natürlich keine bestimmte Ansicht über das Soll-Sein involviert, aber allen Entscheidungen hierüber vorausgehen sollte.

Die Statistiker und Demographen sind sich' so ziemlich einig darüber, welche

Fragen bei Gelegenheit einer Volkszählung gestellt werden müssen, damit ein Maximum an Erkenntnissen der angedeuteten Art gewonnen werden kann. Wenn ihr Fragenprogramm gleichwohl sehr häufig auf wenige Nebenfragen zusammengepreßt wird, so liegt das in der Regel an den dominierenden Fragewünschen der Verwaltung. Und eine Auswertung des Fragenprogramms ins Uferlose ist selbstverständlich nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus psychologischen Gründen unmöglich. Immerhin möge man die Bedeutung des angeschnittenen Fragenkomplexes nicht übersehen. Es handelt sich keineswegs um akademische Liebhabereien einiger weniger, sondern um Dinge von lebenswichtiger Bedeutung (wie in der englischen Bezeichnung dieses Gebietes, „vital stati-stics“, doppelsinnig zum Ausdruck kommt), auch wenn ihre Vertretung nicht ressortmäßig gesichert ist. Sollten die für die Zählung präliminierten Budgetmittel die Durchführung eines biologisch-familienstatistischen Fragenprogramms nicht erlauben, so wäre zu erwägen, ob nicht zu dessen Gunsten die hypertrophe Aufarbeitung des Berufsmerkmals eingeschränkt werden kann (im Tabellenwerk von 1934 beanspruchen die Ausgliederungen nach Beruf und Beschäftigung 367 von 405 Seiten!). Freilich gewinnt man aus dem Umstand, daß die mit der Beratung der Regierungsvorlage befaßten Parlamentsausschüsse die zulässige Frage nach den „Kindern“ in eine solche nach den „Kindern ehelicher Abstammung“ abgewandelt haben, den Eindruck, daß die Reserve den volksbiologischen Fragen-gegenüber nicht nur finanziellen Erwägungen entspringt.

Seit der letzten österreichischen Volkszählung sind siebzehn Jahre vergangen. Das Weltgeschehen und die statistische Methodik sind seither nicht stillgestanden. Sosehr es wegen der Vergleichbarkeit der Ergebnisse erwünscht ist, von Zählung zu Zählung immer wieder die gleichen Fragen zu stellen, sollten die verantwortlichen Stellen doch erwägen, ob es nicht zweckmäßig ist, durch sparsame Zusatzfragen die beispiellose soziale Gefügeverschiebung des letzten Jahrzehntes (Berufsumschichtung, Änderungen in den Wohnungs-, den Ehe- und Scheidüngsgewohnheiten, Binnenwanderung und dergleichen) wenigstens in groben Umrissen zu erfassen. Wenn dabei auch manche liebgewordene Fiktion fallen sollte, — Soziologen und Sozialpolitiker würden solchem Beginnen Dank wissen!

Die Aufarbeitung einer Volkszählung (vom Eingang der Zählblätter bis zum Druck des Tabellenwerkes, ist nicht nur ein kostspieliges, sondern auch ein langwieriges Unternehmen. Die Zählung von 1934, die in der Schnelligkeit der Darbietung der Ereignisse einen internationalen Rekord aufgestellt hat, benötigte hiezu eineinhalb Jahre. Es ist nicht zu erwarten, daß die nächste Zählung, selbst bei einiger Selbstbeschränkung in der Aufarbeitung, in sehr viel kürzerer Zeit fertigwerden wird. Die Verwaltung, die heute schon nach neuen Zahlen lechzt, darf also keineswegs vor Sommer 1952 die endgültigen, zergliederten Zahlen erwarten, wenn im Frühjahr 1951 gezählt wird. Angesichts dieses Umstandes erhebt sich die Frage, ob den Bedürfnissen der Verwaltung und der meisten Interessenten nicht mit einer Vorwegaufarbeitung im Stichprobenverfahren mit einer Ausgliederung nach den wichtigsten Merkmalen entgegengekommen werden kann. Das erwähnte Verfahren ist theoretisch gesichert, praktisch in vielen Ländern erprobt; die Mehrkosten sind bescheiden, der Gewinn ist groß, da nach Erfahrungen mit vergleichbaren Zählungen in anderen Ländern Aufarbeitungsfristen von nur sechs bis acht Wochen erzielt werden können.

Die Kosten einer Volkszählung können unter ein gewisses Maß nicht gesenkt werden, wenn nicht der Erhebungszweck überhaupt gefährdet werden soll. Die Erfahrungen mit den unzulänglichen Zählungen von 1920 und 1923 sprechen für sich. Der Sinn für Proportionen erfordert doch wohl, daß, wenn für an sich nützliche Zählungen, etwa von Obstbäumen und Tieren aller Art, in kurzen Intervallen, Mittel aufgewendet werden, die zweite Republik die erste Bestandsaufnahme ihres wertvollsten, des menschlichen Potentials so gediegen ausgestalte, daß Verwaltung und Wissenschaft zehn lange Jahre damit wirklich arbeiten können.

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