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Bevölkerung und Volkszählung

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Die vom Statistischen Zentralamt kürzlich veröffentlichten Zahlen über die natürliche Bevölkerungsbewegung in Österreich im abgelaufenen Jahre zeigen neuerlich, daß es mit den recht hohen Geburtenziffern der ersten Nachkriegszeit (18,6 Lebendgeborene auf 1000 Einwohner im Jahre 1947) vorbei ist. Mit •dem Jahre 1950 (15,1 Promille) pendelt die Geburtenzahl wieder auf das Maß der ersten dreißiger Jahre zurück. ' Ein Vergleich der Zahlen der Geborenen mit denen der Eheschließungen (des Vorjahres) kennzeichnet noch unverkennbarer die Richtung der Entwicklung. Eine genaue Aufhellung der Zusammenhänge können erst die familienstatistischen Daten der kommenden Volkszählung bringen, doch geben schon die vorliegenden rohen Zahlen Anlaß zu der Vermutung, daß der Wille zur Kinderlosigkeit heute eher häufiger ist als vor dem Kriege. Es muß Besorgnis erregen, wenn die Zahlen der Geborenen, die in der Regel zu mehr als einem Drittel aus Erstgeborenen bestehen, relativ stärker absinken als die Zahlen der neugegründeten Ehen. Im Jahre 1950 betrug die Zahl der Geborenen, etwa das Anderthalbfache der Eheschließungen des Vorjahres, während sie sogar in dem ungünstigen Jahre 1933 etwas mehr als das Doppelte der im Jahre 1932 geschlossenen Ehen ausmachte. Wenn diese Rechnung auch überschlägig ist, wird man doch kaum dem Schlüsse entgehen, daß die Zahl der kinderlosen Ehen im Zu-nehmen ist.

Die Tendenz der Bevölkerungsbewegung zum Rückfall auf das Vorkriegsniveau kann durchaus nicht in allen vergleichbaren Ländern beobachtet werden. In Frankreich, Belgien, den Niederlanden und der Schweiz halten sich die Ziffern immer noch erheblich über den Vorkriegswerten, wenn auch die Nachkriegsspitze in keinem Fall gehalten wurde.

Die Zahl der Gestorbenen auf tausend Einwohner ist im Jahre 1950 wieder etwas gesunken (12,1 gegen 12,8 im Jahre 1949), hauptsächlich wohl durch ein Hinunterdrücken der Säuglingssterblichkeit von 7,5 Prozent (1949) auf 6,4 Prozent.

Nun ist die Aussagekraft aller angeführten Ziffern relativ begrenzt, weil die Geburten-, Eheschließungs- und Sterbeziffern bekanntlich nicht die „reine“ Intensität der betreffenden Bewegungsvorgänge wiedergeben, sondern auch vom Altersaufbau und der Geschlechtszusammensetzung der Bevc'kerung beeinflußt werden. Eine bestimmte Geburtenziffer bedeutet zum Beispiel etwas anderes in ihre- Aussage über die Vermehrungskraft einer Bevölkerung, je nachdem, ob der Anteil der Frauen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren in der Bevölkerung groß ist oder nicht. Und ebenso kann eine bestimmte Sterbeziffer bei einer überalterten Bevölkerung .normal“ sein, die in einer Bevölkerung mit hohem Anteil junger Jahrgänge alarmierend wirken müßte. Natürlich ist auch eine Säuglingssterbeziffer, welche die gestorbenen Säuglinge eines Kalenderjahres zu den Neugeborenen des gleichen Kalenderjahres in Beziehung setzt, unscharf, da sie njcht voll korrespondierende Gesamteinheiten in Beziehung bringt. Wenn sich, wie es seit dem Jahre 1947 tatsächlich der Fall ist, die Zahlen der Neugeborenen im Durchschnitt jährlich um etwa 6 Prozent verringern, so muß die Säuglingssterbeziffer unrichtig, nämlich zu hoch, werden, da die im Kalenderjahr gestorbenen Säuglinge auf eine jeweils zu kleine Anzahl Neugeborener bezogen werden. In der Öffentlichkeit abgeführte Diskussionen über die bedrohliche Höhe der Säuglingssterblichkeit müssen zu falschen Schlüssen kommen, wenn sie zwar mit amtlichen“ Zahlen argumentieren, aber die diesen Ziffern innewohnenden Grenzen nicht berücksichtigen.

Von diesen Mängeln bereinigte Ziffern zu bekommen und durch eine Reihe weiterer Maßzahlen Einblick in die verursachenden Komponenten zu verschaffen, wird Aufgabe der am 1. Juni 1951 stattfindenden Volkszählung sein, die neben ihren sonstigen Zwecken auch — einmal in einem Jahrzehnt 1 — die notwendigsten demographischen Erkenntnisse zu vermitteln hat.

Es ist heute keinesfalls die Hauptaufgabe einer Volkszählung, die Bevölkerung nach ihrer Zahl und regionalen Aufgliederung zu bestimmen. Das festzustellen, hat der moderne Verwaltungsstaat zahlreiche andere Möglichkeiten, und er würde sich ein großes Armutszeugnis ausstellen, wenn er den gew'alti-gen Zähl-, Kontroll- und Aufbereitungsapparat einer Volkszählung in Bewegung 6etzen müßte, nur um zu erfahren, wieviel Personen männlichen und weiblichen Geschlechts in seinen Gemeinden zu einem bestimmten Zeitpunkt ansässig sind, zu einem Zeitpunkt notabene, der um Monate, wenn nicht um Jahre zurückliegt, wenn die amtlichen Ergebnisse publiziert werden können! Nur, wenn aus den gewonnenen Zahlen ein genauer Aufriß der Struktur der Bevölkerung und der langfristig in ihr wirksamen Entwicklungstendenzen abgeleitet werden kann, dürften sich die Kosten einer solchen komplizierten Momentaufnahme der Bevölkerung bezahlt machen.

Zu den auf diese Weise zu gewinnenden Strukturbildern gehören vor allem die Berufsgliederung und die Gliederung nach Alter und Geschlecht (mit verschiedenen Kreuzverbindungen). Beide Gliederungen legen auf längere Zeit das wirtschaftliche und biologische Schicksal der Bevölkerung fest und sind durch Eingriffe von außen nur schwer zu ändern, am wenigsten die biologischen Faktoren. Während sich die Verwaltung für eine Aufarbeitung nadi beruflichen Merkmalen immerhin noch interessiert, da die unmittelbaren Zusammenhänge mit dem Wirtschaftsleben zu offensichtlich sind, ist das Interesse der Behörden wie der Öffentlichkeit an der Bloßlegung der wirksamen biologischen Faktoren, die für die künftige Entwicklung gewiß die primäre Komponente darstellen, vergleichsweise gering. Das ist um so auffälliger, als in den Ländern des Westens die Bevölkerungsentwicklung mit höchstem Interesse verfolgt wird; in den Vereinigten Staaten zum Beispiel konnten Gelehrte österreichischer Herkunft für ihre wesentlichen Forschungsarbeiten (etwa in der sogenannten „dif-ferential fertility“) große Aufmerksamkeit finden.

Eine Volkszählung wird hier und heute weder den feierlichen Ernst haben können wie in biblischen Zeiten, noch zu einem Volksfest werden wie in den USA, wo hohe Wetten darüber abgeschlossen werden, ob der Präsident in jene Zufallsstichprobe, der die peinliche Frage nach dem Einkommen vorgelegt wird, eingeschlossen werden wird oder nicht —- doch wenn in den kommenden Wochen das freiwillige Heer der Zähler für seine Aufgabe geschult wird, dann wird manchem klar werden, daß eine Volkszählung mehr ist als nur eine Routinearbeit der Verwaltung.

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