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Die Dritte Welt verdreifacht sich

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Demographen sagen ein Ende der Bevölkerungsexplosion voraus. Freilich erst für 2100: dann werden allein in der Dritten Welt etwa neun Milliarden Menschen leben.

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Demographen sagen ein Ende der Bevölkerungsexplosion voraus. Freilich erst für 2100: dann werden allein in der Dritten Welt etwa neun Milliarden Menschen leben.

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Derzeit leben rund viereinhalb Milliarden Menschen auf der Erde, zwei Drittel davon in unterentwickelten Ländern. Und gerade in diesen armen Ländern nimmt die Einwohnerzahl nach wie vor beträchtlich zu. Wird das auf die Dauer so weitergehen?

Davidson R. Gwatkin und Sarah K. Brandel, Wissenschaftler beim Ubersee-Entwicklungsrat in Washington, deuten in einem im „Spektrum der Wissenschaft" (Juli 1982) veröffentlichten Auf-

satz an, daß ein Ende der Bevölkerungsexplosion in Sicht ist. Allerdings wird das erst um das Jahr 2100 sein, und bis dahin wird sich die Bevölkerung der Dritten Welt von 3,2 auf rund neun Milliarden Menschen nahezu verdreifacht haben.

Von welchen Annahmen gehen die beiden Demographen aus?

Kriege und verheerende Naturoder Umweltkatastrophen sind natürlich nicht kalkulierbar, wohl aber Erfahrungswerte aus der bisherigenBevölkerungsentwick-lung. So spricht einiges dafür, daß auch die Entwicklungsländer jenen „demographischen Ubergang" durchmachen werden, der in Europa abgeschlossen ist.

Am Anfang der so bezeichneten Entwicklung stehen einander viele Geburten und viele Sterbefälle gegenüber. Das war in Europa bis ins 17. Jahrhundert der Fall. Dann kommt es — durch höhere Uberlebenschancen für Kinder—zu einer Reduktion der Sterbefälle, während die Zahl der Geburten hoch* bleibt: die Bevölkerung wächst explosionsartig.

Am Ende des „demographischen Uberganges" finden die Kurven für Geburten und Sterbefälle nach längerem Auseinanderklaffen wieder zusammen, denn nun sinkt auch die Zahl der Geburten. Dies ist in den Industriestaaten nun schon seit fast

zwanzig Jahren zu beobachten.

In den unterentwickelten Ländern hat zwar die erste Phase des „demographischen Uberganges", die Bevölkerungsexplosion, aufgrund von weniger Sterbefällen eingesetzt, warum und wie soll es aber jetzt zu einem Sinken der Geburtenzahl kommen? Ist denn überhaupt in den Industrieländern das Phänomen des Geburtenrückganges schon restlos analysiert?

Hier sind zweifellos noch einige Fragen offen, aber etliche Faktoren sind bekannt. Wo beispielsweise Kinder als Altersversorgung in die Welt gesetzt werden, und zwar oft sieben oder acht pro Familie, weil man ja mit dem frühen Tod der Hälfte dieser Kinder rechnen mußte, ist durch die gestiegene Uberlebenschance der Kinder diesem Motiv auch mit drei bis vier Sprößlingen Genüge getan.

Eine Zukunftsanalyse der Vereinten Nationen von 1978 rechnete damit, daß die mittlere Kinder-

zahl pro Familie bis zum Ende dieses Jahrhunderts von 4,7 auf 3,4 sinken und die Lebenserwartung weltweit gesehen von 55 auf 63 Jahre steigen wird. Unter der Voraussetzung, daß die Lebenserwartung in der Dritten Welt weiterhin jährlich um 0,4 Jahre steigt, wird sie im Jahr 2030 jene 75 Jahre erreichen, die man heute im Durchschnitt als Maximum ansieht.

Viel gravierender als die (wenn -nichts Sensationelles passiert) ungefähr vorhersehbare Entwicklung der Lebenserwartung wird freilich die zukünftige Zahl der Geburten ins Gewicht fallen. Die Bevölkerungsprognosen gehen davon aus, daß ab einem bestimmten Zeitpunkt jede Generation nur mehr eine zahlenmäßig genau gleich große neue Generation in die Welt setzt, was einer mittleren Kindeteahl von etwa 2,1 pro Familie entspricht.

Diesen Zeitpunkt haben Nathan Keyfitz und Peer Just vom Internationalen Institut für Ange-

wandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg jüngst für jedes Land mit mehr als 250.000 Einwohnern prognostiziert. Fazit: In den Industrieländern wird es meist schon vor der Jahrtausendwende soweit sein, dann in Asien und Lateinamerika und schließlich in Afrika.

Als letzte Staaten dürften sich um das Jahr 2030 Burundi, Rwan-da, Somalia und Tanzania auf Ge-burtsjahrgänge einpendeln, die so stark wie die noch lebenden Jahrgänge der Elterngeneration sind. Die Bevölkerung in diesen Staaten wird freilich noch ein weiteres Menschenalter, also bis etwa 2100, wachsen und erst dann konstant bleiben.

Gefährdet ist diese Entwicklung noch durch das voraussichtliche Fehlen eines Faktors in der Dritten Welt, der beim Geburtenrückgang in den Industrieländern sicher mitspielte, nämlich des steigenden Wohlstandes.

Die IIASA-Studie rechnet bis zum Jahr 2030 mit acht Milliarden Erdenbewohnern, davon sechseinhalb in unterentwickelten Ländern. Dirigistische Maßnahmen zur Geburtenreduzierung, wie sie derzeit China durch indirekte Besteuerung von Mehrkinderfamilien setzt, hält Peer Just — mit Vorbehalt — für sinnvoll: „Es kann dadurch zu einer starken Uberalterung der Bevölkerung kommen, was neue Probleme aufwirft. Aber grundsätzlich sind Probleme in einer stabilen Bevölkerung leichter zu lösen als in einer rapid wachsenden."

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