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Bevölkerungswissenschafter Rainer Münz über die künftige Entwicklung unserer Gesellschaft.

Im Rahmen der gemeinsam mit der Furche veranstalteten Vortrags-und Diskussionsreihe Forum Sacré Coeur war zuletzt Rainer Münz, Demograph und Migrationsexperte sowie Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung bei der Erste Bank, zu Gast. Im Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums analysierte er die Probleme und Herausforderungen alternder Gesellschaften und benannte - wenig populäre - Rezepte.

Was steckt hinter dem Schlagwort von der alternden Gesellschaft?

Rainer Münz: Die demographische Alterung ist ein globales Phänomen. Europa ist gemeinsam mit Japan von dieser Entwicklung am stärksten betroffen. In Österreich - wie auch in weiten Teilen Europas - wächst nicht nur die Zahl an älteren Menschen, auch die der Jüngeren geht zurück. Dadurch vergrößert sich klarerweise bei uns das Gewicht der Älteren überproportional.

Was sind die Ursachen?

Münz: Es gibt zwei vollkommen unterschiedliche Ursachen hierfür: Zum einen die positive Seite, dass noch keine Generation vor uns eine so hohe Lebenserwartung hatte wie wir, und dass selbst diese jährlich um durchschnittlich drei Monate steigt. Statistisch gesehen erreichten Menschen im 19. Jahrhundert ein Alter von 35 Jahren, im 20. Jahrhundert von 60 Jahren, und im 21. Jahrhundert beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung 80 Jahre. Frauen haben bekanntlich eine höhere Lebenserwartung als Männer - es kann also davon ausgegangen werden, dass die Hälfte der Mädchen, die 2010 zur Welt kommen, auch das 22. Jahrhundert noch erleben werden. Zum anderen, weniger Positiven: Noch keine Generation hat so wenige Kinder (pro Kopf bzw. Familie) in die Welt gesetzt wie wir. Historisch gesehen sind wir die bei weitem kinderärmste Generation, die es jemals gegeben hat: Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts kamen auf eine Frau statistisch gesehen 4,5 Kinder - diese Zahl hat stetig abgenommen: In den 50er Jahren waren es 2,5, seit 30 Jahren sind es nur mehr 1,4 Kinder. Ein Drittel aller 30-Jährigen ist heute kinderlos.

Wie sieht die demographische Zukunft Österreichs aus?

Münz: Der Anteil älterer Menschen wird immer größer, die Zahl der über 65-Jährigen wird sich bis 2050 beinahe verdoppeln, während sich die Schere zwischen Geburten und Sterbefällen öffnen wird: In Zukunft wird es mehr Sterbefälle als Geburten geben. Der Bevölkerungsanteil an Kindern und Jugendlichen schrumpft, Menschen im erwerbsfähigen Alter werden statt zwei Drittel der Bevölkerung nur mehr knapp mehr als die Hälfte ausmachen. Innerhalb Österreichs gibt es auch in den kommenden Jahrzehnten wachsende und schrumpfende Regionen nebeneinander: Das Rheintal, Salzburg, die Städte Wien, Graz, Linz, St. Pölten und das jeweilige weitere Umland, sowie alle westlichen Bundesländer (ohne Osttirol, Außerfern und Lungau) werden weiterhin wachsende Bevölkerungszahlen verzeichnen, während sie in Kärnten, im oberen Mühl-, Wald-und Weinviertel, im mittleren und südlichen Burgenland, in der Ober-und Weststeiermark und in Osttirol sinken werden.

Was bringt diese Entwicklung für Herausforderungen oder Probleme mit sich?

Münz: Die alternde Gesellschaft steht vor der Frage: Sollen die Menschen länger arbeiten, soll also das Pensionsalter hinaufgesetzt werden? Da wir ein Volk von Frühpensionisten sind - es gibt kaum Menschen über 60, die noch im Erwerbsleben stehen -, ist das nicht selbstverständlich. Diese Tatsache gilt für den öffentlichen Dienst wie für die Privatwirtschaft und müsste sich ändern. Weiters ist die Pensionslast für die Jüngeren, Erwerbstätigen im Vergleich zu den vielen alten Menschen größer. Es kommen auch Herausforderungen auf das Gesundheitssystem zu: Wenn es mehr ältere Personen gibt, gibt es tendenziell beispielsweise mehr Pflegefälle.

Was ist der Hauptgrund für die Geburtenrückgänge?

Münz: Es gibt heute viel weniger Kinder in einer Familie und der Geburtenrückgang der Vergangenheit hat für weniger Nachwuchs und somit 25 Jahre später für zu wenige potenzielle Eltern gesorgt. Diese beiden Dinge sind klar auseinander zu halten, denn gegen zu wenige potenzielle Eltern kann auch eine gute Familienpolitik nichts ausrichten. Warum es weniger Kinder gibt, ist in unserer Gesellschaft eine heiß diskutierte Frage. Im Wesentlichen hat es damit zu tun, dass Kinder den größten Teil der Menschheitsgeschichte eine Ressource für die spätere Versorgung der eigenen Eltern, also deren Investition in die Zukunft waren. Kinder haben schon relativ früh zum Familienunterhalt beigetragen. Heute existiert dieser Zusammenhang Altersvorsorge-Kinder nicht mehr, denn aus der Sicht des Individuums sorgen der Staat mit der Pensionsversicherung und eigene Ersparnisse für das Wohlbefinden im Alter. Der zweite Punkt bezieht sich in erster Linie auf die Frauen: Je mehr Geld eine Frau verdient, desto größer ist der Verzicht auf Einkommen, wenn sie nach der Geburt zuhause bleibt. Da es in Österreich kein flächendeckendes Angebot an Kinderbetreuung - Tagesmütter, Kindergärten, ganztägige Schulformen oder Hort am Nachmittag - gibt, stellt man sich die Frage: Beruf oder Kind? Skandinavische Länder oder Frankreich sind auf diesem Gebiet besser organisiert, weshalb hier auch höhere Kinderzahlen erreicht werden.

Wie könnten potenzielle Eltern zur Familiengründung ermutigt werden?

Münz: Familienpolitik kann dafür sorgen, dass sich mehr potenzielle Eltern für eine Familie entscheiden: Zum ersten müssten existenzsichernde Hilfen für Familien mit Kindern, wie eine familienfreundliche Arbeitswelt und somit bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sowie ein flächendeckendes, ganztägiges Angebot an Kinderbetreuung, gegeben sein. Finanzielle Beihilfen wie das Karenz-oder Kindergeld und die Familienbeihilfen der jeweiligen Bundesländer sind wichtig. Zusätzlich ist über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die Ermutigung zum Familienleben nachzudenken: Wie akzeptiert ist es in unserer Gesellschaft, dass Kinder in ganztägigen Institutionen betreut werden, ohne dass Mutter oder Vater als Rabeneltern gelten? Wie weit ist es möglich, dass auch ein Mann, der in Karenz geht, nicht schief angesehen wird? Einige Einstellungen auf diesem Gebiet müssten ziemlich stark verändert werden.

Könnte die Einwanderung in den nächsten Jahren eine Verbesserung der momentanen Situation bewirken?

Münz: Europa ist historisch gesehen ein Auswanderungskontinent gewesen, über 70 Millionen Europäer sind nach Übersee ausgewandert. Seit den 60er Jahren haben wir es erstmals mit der Situation zu tun, dass es mehr Immigranten als Emigranten gibt. Die meisten Länder Europas wachsen heute vor allem durch Zuwanderung - und in Zukunft wird sich das voraussichtlich noch verstärken. In Österreich haben von den rund 8,3 Millionen hier lebenden Menschen 1,2 Millionen ihren Geburtsort im Ausland. Die österreichische Bevölkerung wird "grauer" und "bunter" zugleich - das stellt eine spannende Herausforderung für die nächste Generation dar. Ob Zuwanderer die "Lücke" an fehlenden Geburten schließen sollen, ist eine offene Frage. Die Integration ist ein wesentlicher Zusammenhang in diesem Thema. Zuwanderung stabilisiert die Einwohnerzahl, aber führt nicht automatisch zu mehr Geburten, noch dazu, da zum größten Teil Immigranten aus Ländern mit noch niedrigeren Geburtenzahlen zu uns einwandern, wie z.B. aus Rumänien, Kroatien, Polen oder der Ukraine.

Was würden Sie Politikern raten?

Münz: Alle möglichen Lösungen sind aus heutiger Sicht ziemlich klar, jedoch nicht sehr populär: Sie beinhalten die Verlängerung der erwerbstätigen Zeit, die Kürzung der Alterspensionen, eine Erhöhung der Beiträge zu Kranken-und Pensionsversicherung, individuelle Vorsorge und eine aktive Familien-, Zuwanderungs-bzw. Integrationspolitik. Das Pensionssystem wird nicht kollabieren, wenn es gut organisiert ist.

Transkription: Andrea Hasl (7a)

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