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Die Familie und der Fiskus

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Seitdem die beiden Regierungsparteien ein Steuersenkungsprogramm beraten — die diesbezüglichen Besprechungen werden bereits in den allernächsten Tagen wohl mit besonderer Intensität fortgesetzt —, stehen auch wieder familienpolitische Probleme zur Diskussion. Erfreulicherweise ist es ja das erklärte Ziel aller Teilnehmer an den Verhandlungen über die bevorstehende Senkung der Einkommen- beziehungsweise Lohnsteuer, einerseits die Progression bei den Klein- und Mittelverdiensten zu mildern und anderseits im Rahmen des Möglichen das Los der Familie und insbesondere des alleinverdienenden Familienerhalters zu erleichtern.

„Im Rahmen des Möglichen“ muß deswegen hinzugefügt werden, weil Steuerpolitik und Familienpolitik doch nur in einem begrenzten Zusammenhang stehen — dies um so mehr, als die Steuersätze bereits irgendwie an sozialpolitischen und familienpoliti-fchen Gesichtspunkten orientiert sind. Deshalb konnte auch mit vollem Recht die Frage aufgeworfen werden, was die zukünftige Steuersenkung einem alleinverdienenden Familienerhalter mit mehreren Kindern noch an Erleichterungen bringen könne, wenn seine derzeitige Steuerleistung pro Monat ohnedies schon fast nur mehr symbolischen Charakter habe. Naturgemäß rückt bei solchen Überlegungen sofort die Kinderbeihilfe in den Vordergrund des Interesses, zumal sie eine der bedeutendsten familienpolitischen Errungenschaften darstellt.

So verständlich dieser Gedankenzusammenhang ist, birgt er doch anderseits die Gefahr in sich, daß wieder einmal Familienpolitik und Bevölkerungspolitik miteinander verwechselt werden. Sicher bestehen zwischen den beiden manche Kontakte, aber es wäre dennoch falsch, die Familie nur unter dem Gesichtspunkt der Bevölkerungspolitik zu betrachten. Verschiedene Staaten der Erde exerzieren schließlich drastisch vor, daß man Bevölkerungspolitik treiben kann, ohne die Familie zu fördern, ja zum Teil sogar bei einer ausgesprochenen Abwertung der Familie in <Ier Gesellschaftsordnung. Mit dankenswerter Offenheit hat der österreichische Finanzminister vor einiger Zeit sehr treffend erklärt, daß die Errichtung von Kinderkrippen und Kindergärten, sosehr sie in unserer gegenwärtigen Situation notwendig sein mögen, keine familienpolitischen Maßnahmen sind, weil sie eher als Ersatz gewisser Familienfunktionen denn als Förderung der Familie angesehen werden müssen.

Zweifellos hat die Familie durch die industrielle Gesellschaft einen gewissen Wandel ihrer Wirkungsformen erfahren; aber ihre Grundfunktionen sind doch immer noch die gleichen und sind auch bestehen geblieben: Da ist die Haushaltsfunktion, in deren Rahmen die Familie die menschlichen Grundbedürfnisse nach Nahrung, Kleidung, Wohnung, nach Hilfe bei Krankheit und in Notlagen erfüllt oder wenigstens auch in unserer Zeit erfüllen sollte. Wenn freilich heute die Spitäler vielfach mit reinen Pflegefällen überbelegt sind, so ist dies nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß es die Wohnverhältnisse, das Doppel-verdienertum und manche andere Ursachen der Familie unmöglich machen, eine ihrer Grundfunktionen auszuüben. Anderseits aber sind doch fast jedem genügend Beispiele bekannt, daß etwa Erwachsene ihre altgewordenen Eltern unterstützen beziehungsweise umgekehrt Eltern oder Großeltern entweder regelmäßig materielle Hilfe oder fallweise Hilfe bei Krankheiten, Unfällen und so weiter leisten. Immer erzeugt das Leben ja Fälle, in denen selbst perfekteste öffentliche Wohlfahrtsemrich-rungen und Sozialversicherungen niemals mit gleichem Erfolg eingreifen könnten.

Da ist ferner die Erziehungsfunktion der Familie, die sich in eister Linie auf die Kinder, aber nicht nur auf diese erstreckt. In der heutigen Großgesellschaft sieht &#171;ich der Mensch vorwiegend einem Raum spezieller beruflicher und genereller sozialer Konkurrenz gegenüber, durch die er in eine egozentrische Interessenkalkulation gedrängt wird. Demgegenüber ist die Familie nach wie vor der stärkste Faktor gemeinschaftlicher Bindung, in der jeder auf Teilnahmebereitschaft, Opfer- und Verantwortungsfähigkeit beständig angesprochen wird. Ferner bringt die Großgesellschaft die Menschen vorwiegend in Teilbeziehungen zueinander, als Konsument und Produzent, als Verkehrsteilnehmer, als Interessenteilhaber oder Konkurrent und so weiter, während im familiären Bereich jeder in seiner personalen Ganzheit erlebt und angenommen werden muß.

Schließlich tritt neben die Haushaltsfunktion und Erziehungsfunktion noch die besondere Schutzfunktion der Familie. Bestimmte Verhaltensweisen, die in unserer Großgesellschaft kaum mehr gepflegt werden können, wie Geduld, Entspannung und Muße, werden in der Familie noch erlebt und bewahrt. Ist die Großgesellschaft ein Exerzierfeld der planvollen, rationalen Organisation, so ist die Familie auch heute noch gekennzeichnet durch die Pflege des Organischen, des Lebens. Existenzielle Ereignisse wie Geburt, Tod, Krankheit oder Genesung sind zentrale Erlebnisse in der Welt der Familie.

Die Familie steht jedoch in der industriellen Gesellschaftsordnung des 20. Jahrhunderts. Eine wirksame Familienpolitik muß sich an dieser Situation und nicht an vergangenen Leitbildern orientieren. Manche daraus folgende Erkenntnisse mögen unwillkommen sein, sie bleiben dennoch wahr. Man beachte einmal die Tatsache der Verstädterung genauer: In der Großstadt ist die Situation der Familie eine völlig andere als auf dem Land. Das betrifft beispielsweise auch die Frage der Kinderzahl. Auf dem Land wird das Kind verhälnismäßig bald zur — wenn auch bescheidenen so doch zusätzliehen - Arbeitskraft; in der Stadt bedeutet die Bejahung des Kindes hingegen einen von den Eltern sehr bewußt empfundenen, wachsenden Kostenfaktor. Angesichts dieser Tatsache wird die Normalfamilie unserer Zeit sozusagen aus unabwendbarem Zwang zu einer geringen Kinderzahl gelangen, während die Familie mit vielen Kindern den um so ehrenwerteren, eher aber auffälligen Ausnahmefall darstellt. Selbst wenn man dessenungeachtet den größtmöglichen Kindersegen als Leitbild auch der heutigen Familienpolitik nicht aufgeben wollte, müßte die Hilfe doch schon immer möglichst früh einsetzen, um beispielsweise nach dem zweiten Kind auch noch die Existenzvoraussetzungen für ein drittes, viertes und weiteres Kind zu schaffen. In dieser Hinsicht wird aber mit Kinderbeihilfen allein niemals das Auslangen gefunden werden, wenn'man nur bedenkt, daß für eine Mittelstandsfamilie, die in der Großstadt halbwegs menschenwürdig wohnen will, schon bei etwa drei Kindern eine Dreieinhalb- bis Vierzimmerwohnung erforderlich ist. .

Man kann zwar die Haltung des Leiters unseres Finanzressorts verstehen, wenn er bei der gegenwärtigen Erörterung familienpolitischer Maßnahmen von einer merklichen Erhöhung der Kinderbeihilfen erst ab dem dritten Kinde sprach. Es rührt dies ja an das gleiche Problem, wie es ihm rein mathematisch leichter fallen muß, ein paar Millionären monatlich beispielsweise 1000 Schilling Steuernachlaß zu gewähren, als den vielen hunderttan-senden Empfängern kleiner Einkünfte einen Nachlaß von 10 Schilling. Auch bei der Erhöhung der Kinderbeihilfe ist es einfacher, für eine geringere Kinderzahl pro Kopf eine größere Summe auszuschütten, als für eine ungeheuer viel größere Zahl von Kindern auch nur eine kleine Kopfquote. Wie gesagt, das kann ein fiskalischer Standpunkt &#171;ein, eine realistische Familienpolitik ist es aber nicht. Ja selbst bevölkerungspolitisch ist der Erfolg einer solchen Maßnahme zweifelhaft, denn vor dem dritten Kind müssen erst noch das erste und zweite Kind bejaht, in die Welt gesetzt und zu einer gewissen Größe herangezogen werden.

Gerechterweise ist freilich festzustellen, daß zur Unterstützung der Familiengründung in unserem Land bereits sehr viel — , auch steuerpolitisch — getan wurde. Es sei nur an die Möglichkeiten der Abschreibung von Anschaffungen für Hausrat und an das jetzt zur Beratung stehende Spärförde-rungsgesetz mit der vorgesehenen Koppelung eines Wohnuhgsdarlehens erinnert. Aber nach der Familiengründung folgt die Familienerhaltung beziehungsweise Familienerweiterung, und gerade in dieser Beziehung müßte die Familienpolitik systematisch weitere Maßnahmen ins Auge fassen.

Eine besondere Ungereimtheit unserer Steuerpolitik verdient in diesem Zusammenhang noch ausdrücklich Erwähnung: Verschiedentlich wurde die Frage aufgeworfen, ob nicht'i:amilien-erhalter, insbesondere mit mehreren Kindern, nach der Entlassung der Kinder aus dem väterlichen Haushalt noch im Genuß der Kinderermäßigung bleiben könnten, i sozusagen als fortdauernde Prämiierung für das Großziehen der Kinder. Das wird vom Finanzministerium abgelehnt, und zwar mit der an sich plausiblen Begründung, daß das Ausscheiden der Kinder aus dem väterlichen Haushalt in den meisten Fällen eine solche finanzielle Entlastung mit sich bringt, daß billigerweise der Wegfall der Kinderermäßigung in Kauf, genommen werden kann. So gelangen also die Eltern erwachsener Kinder wieder in die Steuergruppe II und treffen dort mit — alleingebliebenen, oft nicht schlecht verdienenden — Junggesellen, die mehr als vierzig Jahre alt sind, zusammen! Ist es an sich schon ungerecht, daß nach dem vierzigsten Lebensjahr kein Unterschied besteht, ob von einem Einkpmmen gleicher Höhe eine oder zwei Personen leben müssen, so ist es doch jedenfalls familienpolitisch widersinnig, den Junggesellen über 40 Jahre und den alten Familienvater, der seine Kinder zwar aus dem Haushalt entlassen hat, aber sie nach Möglichkeit immer noch unterstützen wird, steuerlich ganz gleich zu behandeln.

Zugegeben, man darf die staatliche Finanzverwaltung mit dem Ruf nach mehr Familienpolitik nicht überfordern. Nur eine Vielfalt unterschiedlicher Maßnahmen und unterschiedlicher Träger kann den störenden Einwirkungen, die von unserer gegenwärtigen Gesellschaftssituation auf Struktur und Funktion der Familie ausgehen, wirksam entgegentreten. Nüchtern gesehen, wird es sich dabei freilich primär immer um die Stabilisierung und Besserung der wirtschaftlichen Lage der Familie handeln. Eine einseitige Betonung der Bevölkerungspolitik vor der Familienpolitik wäre aber kein Zeichen einer soziologisch realen Wirklichkeitserkenntnis und könnte überdies niemals zu einer befriedigenden Ordnung des Verhältnisses von Familie und moderner Gesellschaft führen.

Pius XII. sagte einmal: „Der einzige Maßstab des Fortschrittes ist die Schaffung immer umfassenderer und günstigerer Bedingungen für den Bestand und die Entfaltung der Familie als einer wirtschaftlichen, rechtlichen, sittlichen und religiösen Einheit.

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