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FamiKenpolitik: falsches Konzept

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Das häufige Scheitern von Ehen ist nicht nur ein Versagen von einzelnen, sondern beruht auch auf einem falschen Ansatz der Familienpolitik. Sozialrecht, Steuerrecht, Strafrecht, Familienrecht setzen ganz eindeutig falsche Akzente.

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Das häufige Scheitern von Ehen ist nicht nur ein Versagen von einzelnen, sondern beruht auch auf einem falschen Ansatz der Familienpolitik. Sozialrecht, Steuerrecht, Strafrecht, Familienrecht setzen ganz eindeutig falsche Akzente.

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Der 1979 in. Salzburg diskutierte zweite Bsricht an den Klub von Rom trägt den Titel „das menschliche Dilemma” und definiert dieses als Zwiespalt zwischen Mensch und realer Welt. Das Ausmaß, „obwohl bereits weitläufig und gefährlich”, werde sich nahezu unvermeidbar vergrössern, weil die Menschen sich der Veränderungen, die sie an ihrer Umwelt und ihren Lebensbedingungen vornehmen, nicht bewußt seien.

Bezüglich der vorgenommenen Veränderungen an der Natur als Umwelt und Lebensbedingung des Menschen hat in den drei Jahren seit Veröffentlichung des Berichtes eine zunehmende Bewußtseinsbildung stattgefunden, die gelegentlich schon Auswirkungen auf die politischen Entscheidungen zeigt.

Bezüglich Gesellschaft als Umwelt und Lebensbedingung sind wir noch nicht so weit. Offenbar sind Mensch und Gesellschaft einerseits flexibler und andererseits ideologischen Wertungen eher zugänglich als die Natur:

Diese Beeinträchtigung der Anschaulichkeit des Dilemmas, löst es nicht, sondern erschwert eher Lösungen. Es gilt daher das Bewußtsein über die gesellschaftliche Situation und ihre Ursachen ausreichend zu verbreiten. Am Beispiel von Ehe und Familie soll dazu ein Beitrag geleistet werden.

Befragungen von jungen Menschen über ihre Prioritäten bezüglich eines sinnvollen Lebens zeigen, daß für sie eine gelungene Ehe und eine glückliche Familie dafür von höchster Wichtigkeit sind. Dem steht die Realität zunehmender Ehescheidungen und Problemfamilien gegenüber.

Der sich vergrößernde Zwiespalt zwischen dem, was für ein sinnvolles Leben wichtig erscheint und dem, was davon in der Lebenswirklichkeit gelingt, übersteigt wohl bereits jenes Ausmaß, daß mit einem immer wieder auftretenden individuellen Versagen allein erklärt werden kann.

Wir müssen daher Hemmnisse annehmen, die im System begründet sind und nicht im Menschen allein liegen. Da der bestehende gesellschaftliche Zustand zumindest auch das Ergebnis eines politischen Gestaltungsprozesses darstellt, kann davon ausgegangen werden, daß die praktizierte Gesellschaftspolitik das menschliche Dilemma mitbedingt, wenn nicht sogar verursacht. Diese Aussage unterstellt dabei keineswegs Böswilligkeit, behauptet aber sehr wohl Irrtümer in Theorie und Praxis des zugrundeliegenden Konzeptes.

Der wohl entscheidende Irrtum des praktizierten gesellschaftspolitischen Konzeptes liegt in der Annahme,^ persönliche Verantwortung des Menschen für seinen Nächsten sei sozialisierbar. Das heißt auf Ehe und Familie angewendet, die alltägliche Verantwortung der Ehegatten füreinander,' der Eltern für ihre Kinder und der Kinder für ihre Eltern werden zur Aufgabe der Gesellschaft erklärt.

Diese Verantwortung wird praktisch von Bürokratien wahrgenommen und professionali-siert. Der damit von den Zwängen der Nächstenliebe befreite Mensch könne sich nun durch die

Teilnahme an der Produktion selbst verwirklichen und wertvoll machen.

Die Auswirkungen dieses Irrtums im Konzept auf die Gesetzgebung lassen sich aus einer Analyse der einschlägigen Gesetze der letzten zehn bis 15 Jahre in den folgenden Tendenzen zusammenfassen:

• Individualisierung von Ehe und Familie: Die Familie wird als -soziale Einheit, als eigenständige Teilstruktur der Gesellschaft zugunsten einer Politik für den Mann, die Frau, die Kinder, die Senioren, usw. zurückgedrängt.

• Privatisierung von Ehe und Familie: Ehe und Familie wird wenig gesellschaftliche Relevanz beigemessen, so als ob das Wohlergehen der Person und der Gesellschaft von ihnen unabhängig wäre. Verstärkt wird die Wirkung durch eine allgemeine Privatisierung ethischer Werte wie Treue, Opferbereitschaft u. ä.

• Wirtschaftliche Ausbeutung von Familie: Damit wird die Tatsache bezeichnet, daß den Familien der gerechte Anteil am zunehmenden Lebensstandard vorenthalten wird. Die Familie mit nur einem Einkommen in durchschnittlicher Höhe sinkt ab zwei Kindern bereits unter die offizielle Armutsgrenze.

Mit Beispielen aus einschlägigen Gesetzesbestimmungen von unterschiedlichen Sachbereichen sollen die bisherigen Aussagen ergänzt und bestätigt werden.

Sozialrecht:

• Ehepaare erhalten derzeit als Mindestrente 5.677 Schilling im

Monat, zwei in Lebensgemeinschaft lebende Mindestrentner hingegen 7.910 Schilling, also um rund 40 Prozent mehr.

# Die ledige Mutter erhält im Monat 5.572, die verheiratete lediglich 3.525 Schilling Karenzgeld. Diese 60 Prozent mehr für die ledige Mutter sind sachlich gerechtfertigt, damit sie bei ihrem Kind bleiben kann. Der Differenzbetrag sollte jedoch vom Kindesvater eingefordert werden. Ohne solchen Regreß am zahlungsunwilligen Kindesvater wird einerseits dessen falsches Verhalten belohnt und andererseits der Mißbrauch gefördert.

Steuerrecht:

# Die in den frühen siebziger Jahren endgültig eingeführte In-dividualbesteuerung ohne flankierende Maßnahmen benachteiligt die Familien mit nur einem Einkommen schwer gegenüber Alleinstehenden oder Familien mit mehreren Einkommen, zufolge der Steuerprogression. Auch wird das steuerfreie Existenzminimum auf das Einkommen in gleicher Höhe gewährt, egal ob eine oder sechs Personen davon erhalten werden müssen.

• Seit 1975 können — bezüglich des Ehegatten wurde diese Bestimmung heuer vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben — auch nicht wiederverheiratete Geschiedene ihre Alimentations-zahlungen (für Kinder also) als außergewöhnliche Belastung geltend machen, während die Unterhaltsleistungen bei aufrechter Ehe voll zu versteuern sind.

• Ab 1978 gibt es im Normalfall keine steuerliche Berücksichtigung der Kinder. Das bedeutet, daß bei gleichem steuerpflichtigen Einkommen der für 4 Kinder sorgende Familienvater genau soviel Steuer zahlt wie der Alleinstehende, obvJohl die Familie vielleicht einkommensmäßig unter dem offiziellen Existenzminimum liegt.

Strafrecht:

• Ehestörung wurde ersatzlos gestrichen und Ehebruch so gut wie beseitigt.

• Der Lebensgefährte wurde im Verfahren bei Zeugenaussage dem Ehegatten gleichgesetzt.

• Die Fristenregelung stellt die gesetzliche Sanktionierung der Antithese zum Geist dar, den Ehe und Familie brauchen: Gut, daß es dich gibt.

Familienlastenausgleichfonds:

• Der Fonds, ursprünglich gedacht als gesellschaftliche Solidarleistung, wird zunehmend verstaatlicht. Noch 1970 wurden nahezu 100 Prozent der Einnahmen des Fonds in Form direkter Geldleistungen als Familienbeihilfe an die Familien ausbezahlt. 1977 waren es lediglich 67 Prozent. Geldleistungen werden durch Sachleistungen ersetzt.

• Beginnend 1978 werden dem Fonds Einnahmen zugunsten der Sozialversicherung vorenthalten, was derzeit jährlich etwa 6,7 Milliarden Schilling ausmacht. Unsere Kinder zahlen zweifach Pension, nämlich als Kinder in Form vorenthaltender Familienbeihilfen und dann als Erwerbstätige durch Beiträge.

• Das Pro-Kopf-Einkommen hat sich in Österreich seit 1955 dem Jahr des Vollausbaues des Fonds, um rund das 1,5-fache stärker vermehrt als die Familienbeihilfe bei 4 Kindern, also ein deutliches Zurückbleiben hinter der Entwicklung des allgemeinen Einkommensstandards.

• Zum Mutter-Kind-Paß muß der Fonds Mittel zuschießen während der Aufenthalt in einem Krankenhaus nach einer Abtreibung von der Krankenkasse bezahlt wird. Familienrecht:

# Der Ministerialentwurf zum „Eherecht” Mitte der siebziger Jahre hat in die bisherigen Beispiele gepaßt, konnte aber im Zuge der parlamentarischen Behandlungen zu einem demokratisch erarbeiteten Reformwerk weiterentwickelt werden.

• Das danach beschlossene Scheidungsrecht entwertet beispielsweise mit seiner Fallfristenregelung das „Eherecht” wieder, denn letzteres ist eben nur das wert, was das Scheidungsrecht hält.

Diese Beispiele zeigen die Stimmigkeit von Konzept und Gesetzeswerk. Sie veranschaulichen aber auch wie die Gesetzesregelungen als Hemmnisse wirken können. Denn zweifellos kann das Gelingen von Ehe und Familie durch Gesetzesbefehle weder verordnet noch verboten werden.

Jedoch können durch gesetzliche Maßnahmen die für ein Gelingen von Ehe und Familie möglichen und vielfach notwendigen Stützmechanismen entzogen werden. Damit wird es für die Menschen schwieriger, Ehe und Familie erfolgreich zu leben. Wer es trotzdem versucht, muß eine zusätzliche Motivation aufbringen/zu der ihn weder Staat noch öffentliche Meinung ermutigen.

Die Lösung des entstehenden Zwiespaltes zwischen Mensch und gemachter Umwelt wird sicher nicht dadurch erreicht, daß der derzeit erreichte Zustand durch größeren materiellen Mehraufwand stabilisiert wird. Vielmehr wird es notwendig sein, Alternativen zum derzeit 'gehand-habten gesellschaftspolitischen Konzept zu entwickeln.

Dr. Helmuth Schatte vits war von 1970 bis 1978 Präsident des Katholischen Familienverbandes Österreichs.

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