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Strategie der Sachleistungen: Beschenken und beschimpfen

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„Noch nie haben die Familien vom Staat soviel Geld bekommen wie jetzt; der Katholische Familien verband ist trotzdem unzufrieden. Da steckt Parteipolitik dahinter“, hört man gelegentlich von wenig informierten Zeitgenossen oder solchen, die sich durch geschickte Öffentlichkeitsarbeit täuschen lassen. Diese Aussage ist in mehrfacher Hinsicht falsch. Beispielsweise, wenn im Zusammenhang mit der Familienbeihilfe von einer Leistung des Staates geredet wird. Hier wird gar nichts vom Staat oder Finanzminister gegeben. Ganz im Gegenteil: Den Familien werden Teile ihres Geldes vorenthalten, was dann Uberschuß genannt wird, oder defizitären Verkehrsbetrieben zugeleitet, was dann Gratisschulfahrt heißt.

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„Noch nie haben die Familien vom Staat soviel Geld bekommen wie jetzt; der Katholische Familien verband ist trotzdem unzufrieden. Da steckt Parteipolitik dahinter“, hört man gelegentlich von wenig informierten Zeitgenossen oder solchen, die sich durch geschickte Öffentlichkeitsarbeit täuschen lassen. Diese Aussage ist in mehrfacher Hinsicht falsch. Beispielsweise, wenn im Zusammenhang mit der Familienbeihilfe von einer Leistung des Staates geredet wird. Hier wird gar nichts vom Staat oder Finanzminister gegeben. Ganz im Gegenteil: Den Familien werden Teile ihres Geldes vorenthalten, was dann Uberschuß genannt wird, oder defizitären Verkehrsbetrieben zugeleitet, was dann Gratisschulfahrt heißt.

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Auch der Hinweis auf parteipolitische Gesichtspunkte entbehrt jeder Sachlichkeit. Er wird auch nicht von den Wissehden in die Diskussion gebracht, sondern in gewohnter Weise unterschwellig und auf der zweiten Ebene gespielt.

Interessante Perspektiven eröffnet in diesem Zusammenhang die divergierende Entwicklung der Pro-Kopf- Einkommen und der Familienbeihilfen seit Bestehen des Familienlastenausgleichsfonds: Seit etwa 10 Jahren bleibt die Familienbeihilfe kontinuierlich hinter der Einkommensentwicklung zurück, seit fünf Jahren im besonderen Maße die Beihilfen für Familien mit vier Kindern.

Jetzt verstehen wir, warum die Erhöhung der Familienbeihilfe immer nur am Preisindex gemessen wird und nicht an der Einkommensentwicklung. Entsprechend dem Wesen der Familienbeihilfe, nämlich vom Leistungslohn zum familiengerechten Einkommen zu gelangen, muß aber als einzige gültige Vergleichsgröße die Einkommensentwicklung herangezo gen werden. Ein solcher Vergleich legt offen, daß die Familien nicht am allgemein steigenden Lebensstandard teilhaben und relativ ärmer werden, insbesondere die Mehrkinderfamilien.

Aber alle Kinder sind gleich viel wert: Phrasen!

Die Ursache liegt nicht primär auf der Einnahmeseite des Fonds. Geld wäre vorhanden. Der Reservefonds des Familienbeihilfenfonds weist einen Stand von rund zwölf Milliarden Schilling auf, rund 6000 Schilling je Kind. Von diesen Reserven sind im letzten Viertel des 24jährigen Bestehens des Fonds rund 8,5 Milliarden, also nahezu drei Viertel, angehäuft worden: Der Reservefonds wird reicher, die Familie ärmer.

Neben dieser „Uberschußpolitik“ zu Lasten der Familieneinkommen ist auch die Tendenz zu Verstärkten Sachleistungen recht bemerkenswert. Zu Sachleistungen, die dann als Geschenke des Staates verkauft werden. Tatsächlich bekommen die Familien dadurch nicht mehr, sondern an Stelle der Familienbeihilfe die Sachleistung. Mehr bekommen aber die Verkehrsunternehmen und Verlage.

Ein Beispiel: Die Aufwendung für die Familienbeihilfen sind von 1973 (Rechnungsabschluß) bis 1977 (Voranschlag) um 56 Prozent gestiegen. Die Aufwendungen für die Schulfreifahrt im gleichen Zeitraum um 161 Prozent. So ersparen sich Finanzminister und Finanzreferenten der Länder und Gemeinden Mittel aus ihren Budgets, da die Defizite der öffentlichen Verkehrsmittel durch die Famüien abgedeckt werden.

Diese Sachleistungen, die sich leicht als Geschenke des guten Onkels verkaufen lassen, vermindern die Dispositionsfähigkeit der Familie. Sie verringern das frei verfügbare Einkommen. Würde anstatt einer Pensionserhöhung ein Essensgutschein, ein Kleiderbezugsschein oder eine Bahnfreifahrt verschenkt werden, ein Volksaufstand wäre das Resultat. Die Regierung müßte zurücktreten. Mit den Familien aber verfährt man seit 1972 solcherart. Nicht zuletzt unter dem Hinweis der möglichen mißbräuchlichen Verwendung der Gelder durch die Eltern.

Die Eltern lassen sich beschimpfen und fühlen sich doch beschenkt.

Gibt man diese Politik der Sachleistungen in Zahlen wider, so sieht man, daß 1968 noch 97 Prozent der Einnahmen des Familienfonds in Form direkter Beihilfen ausbezahlt wurden, 1976 waren es nur noch 68 Prozent.

Den Kinderlosen bleibt viel mehr

Das Resultat dieser Politik ist ein starkes Auseinanderklaffen der verfügbaren Einkommen von Alleinstehenden und Mehrkinderfamilien. Nehmen wir als Beispiel ein Durchschnittseinkommen von 9750 Schilling, von dem nach Abzug der Sozial- leistungdn 8543 Schilling übrig bleiben (Graphik). Als Maß für den Anteil am allgemeinen Lebensstandard eignet sich das frei verfügbare Einkommen. Das ist jener Teil des Nettoeinkommens, über das Existenzminimum hinaus verbleibt. Das Existenzminimum als Ausgleichszula- gen-Richtsatz stellt eine offiziell anerkannte Grenze dar, ab’der die Armut beginnt.

Dem Alleinstehenden bleiben in unserem Modellfall aus 1975 von seinen 9750 Schilling Bruttoeinkommen mit 4459 Schilling rund zwei Drittel des Nettobetrages (also nach Abzug aller Abgaben) als „frei verfügbar“ übrig. Darüber kann er, über seine dringend-

sten Lebensbedürfnisse hinaus, nach persönlichen Vorstellungen verfügen.

Bei einer vierköpfigen Familie (Eltern und zwei Kinder) beträgt das frei verfügbare Einkommen nur 1660 Schilling (634 plus 1026 Familienbeihilfe) oder 21 Prozent des Nettobetrages. Würde man der vierköpfigen Familie ein vergleichbares frei verfügbares Einkommen zugestehen, so beträgt im konkreten Fall ihr Defizit 10.825 Schüling.

Es regiert die GlelchgültigKeit

Das Defizit der Familie mit zwei Kindern entspricht einem zweiten Einkommen. Wir können festhalten, daß eine vierköpfige Familie mit nur einem Einkommen in Österreich an der Armutsgrenze lebt. Der vielgepriesene Wohlstand ist in Wahrheit ein Scheinwohlstand, der auf dem Prinzip der zwei Einkommen je Familie beruht: Beide Eltern gehen einem Erwerb nach oder ein Eltemteil muß durch Überstunden ein zweites Einkommen erarbeiten. Der bezahlte Preis kommt in den Sozialstatistiken zum Ausdruck. Diese interessieren aber viel weniger als jene des Wirtschaftswachstums.

Wie ist eine solche Politik möglich, was bezweckt sie? Sicherlich steht keine Menschenfeindlichkeit oder Böswilligkeit dahinter. Vielmehr geht sie auf Gleichgültigkeit und mangelndes Verständnis oder Irrtum über den Wert der Familie für die Person und die Gesellschaft zurück.

Die Gleichgültigkeit läßt Ideologen ihr falsches Konzept verwirklichen. So etwa der Satz: Die Emanzipation der Frau geht nur über den außerhäuslichen Erwerb. Dieser Satz ist weder Beständteii’eines grundlegenden Fehlers in) Gesamtkonzept; Er besteht in det APnährrie, der Lebenszweck bestehe in der Teünahme an der Produktion und die persönliche Verantwortung des Menschen für den Menschen könne Bürokratien überantwortet werden.

Explodierende Staatsdefizite, Verknappung an Arbeitsplätzen, zunehmende Probleme im geistig-seelischen Bereich zeigen uns den Erfolg des Irrtums. Die Steuerung zur Verwirklichung dieses praktisch gescheiterten Konzepts erfolgt über wirtschaftliche Zwänge bei gleichzeitiger Privatisierung ethischer Kategorien. Die wirtschaftliche Lage der Familie ist sprechendes Beispiel.

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