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Totenuhren schlagen der Familie

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Nach dem letzten Stände der österreichischen Volkszählung sind von den 1,819.000 Familienerhaltern 949.000 kinderlos und 472.000 haben nur für ein. Kind zu sorgen. Es gibt in Oesterreich lediglich 3000 Familien, die sieben oder mehr Kinder aufziehen. Auf 1000 Einwohner verzeichneten Alexandrien 54 Geburten, New York 20, Hamburg 10 und Wien 7.

Bei aller Anerkennung der sozialen Gesetzgebung — an der Spitze das am 15. Dezember 1954 beschlossene Lastenausgleichsgesetz — kann es nicht verkannt werden, daß dieses nur einen Ausgangspunkt bildet. Vor allem bleibt der organisatorische Zustand, bei dem die Angelegenheiten der Familienpolitik auf vier verschiedene Behörden aufgeteilt sind, unbefriedigend. Eine Koordinierung der sozialen Erhebung und der Planung ist bei der Viergleisigkeit ausgeschlossen. Zum Lastenausgleichsgesetz wäre die volle Gleichstellung der Selbständigen durch Einbeziehung auch des ersten Kindes und die Steigerung der Beihilfen in der Weise nötig, daß sie für das zweite und vierte Kind erhöht werden. In dieser Hinsicht muß die Beihilfen-Gesetzgebung der Tschechoslowakei, die bis zum achten Kind die geldlichen Zuwendungen steigert, als nachahmenswert gelten. Es ist auch zu erwägen, ob man die Kinderbeihilfe nicht bereits auf die Zeit der Schwangerschaft vorverlegen solle; es fiele damit die immer wieder und in verschiedenen Abschaffungen erhobene Forderung nach einer besonderen Geburten- beziehungsweise Entbindungshilfe weg. Ein anderer, sehr berücksichtigungswerter Vorschlag zielt auf die Ehegründungs- (Haushalts-) Darlehen. Es wäre nur recht und billig, der Familie bei der Geburt eines Kindes einen entsprechenden Betrag des Darlehens zu tilgen; die£ ist um so einleuchtender, als der Wirtschaft durch dieses Kind — und auf Jahrzehnte hinaus — Einkünfte erwachsen, die sich ihrerseits in erhöhten Steuerleistungen an den Staat auswirken müssen. Diese Einkünfte, die der allgemeinen Wirtschaft zufallen, sind genau berechnet worden, und man staunt, wenn man hört, daß für ein Kind bis zum sechsten Lebensjahr 22.272 S aufgewendet werden. Auf 25 Jahre hinaus — etwa zur Zeit, da das Studium beendet ist und das Erwerbsleben beginnt (und damit die soziale Beitragsleistung des jungen Bürgers) — haben die Erzieher des einen Kindes (ohne die Kosten der Berufsausbildung!) der Gesamtwirtschaft 184.572 S zufließen lassen.

Eine weitere Forderung steht in der Sparte der Steuergesetzgebung. Das Existenzminimum der Familie muß von Steuern freigestellt bleiben, die Kinderermäßigung in der Einkommensteuer weitaus prägnanter sein und die Steuergruppe III/1 auf Lebenszeit dem zuerkannt werden, der einmal ein Kind ernährt und aufgezogen hat. Die Umsatzsteuer bei jenen Wirtschaftsgütern, die' indexmäßig den Familien wichtig sind, sollte eine deutliche Senkung erfahren — denn letzten Endes vermehren die Ausgaben für kinderreiche Familien ohnehin den Umsatz und damit die Steuereingänge. .

Ein Kapitel für sich ist der soziale Wohnungsbau. In diesem Zusammenhange kann man ihn nur streifen. Es ist aber sehr merkwürdig, daß die Grundsätze in unseren Landeshauptstädten durchaus nicht überall die gleichen sind — in Wien werden auf kinderreiche Familien hinsichtlich der geplanten Wohnraumeinheiten weniger Rücksichten genommen als beispielsweise in Linz. Keine Diskussion sollte es bei Vernünftigen über die Haushaltzulagen für Mütter geben, vor allem für nicht erwerbstätige Mütter von drei und mehr Kindern.

Wenn man die Hände vor die Ohren hält, um die Totenuhren der Familien in Oesterreich nicht zu hören, dann wird eines Tages eine sehr kräftige Hand den sich Taubstellenden auf die Schulter klopfen: das ist die Hand des Arbeitseinwanderers, der jene Stellen besetzt, die ein Volk aus eigenem nicht mehr ausfüllen kann. Es hätte bei den Tauben auch keinen Sinn, zu wissen, daß ein neues Heer die Grenzen schützt; denn woraus sollen die Ergänzungskommanden einmal mustern? Aber das ist nicht d i e Sorge. Viel brennender ist das Mißverständnis der sozialen Lastverteilung. Die Zahl der Rentner wächst. Während die vier Sozialversicherungsinstitute im Jahre 1945 insgesamt 272.750 Rentner betreuten, waren es 1951 bereits 579.890 und zwei Jahre später schon 654.569. Eine aus Anlaß der letzten Volkszählung durchgeführte Untersuchung des Statistischen Zentralamtes berechnete voraus, daß 1961 in Oesterreich 1,401.000 Kinder und Jugendliche von 0 bis 14 Jahren, 4,466.000 Beruf sfähige (Männer: 15 bis 64 Jahre; Frauen: 15 bis 59 Jahre) und 1,089.000 im Rentenalter Stehende vorhanden sein dürften; daß sich diese Ziffern wieder zehn Jahre später auf 1,198.000 Kinder und Jugendliche, 4,314.000 Berufsfähige und 1,261.000 Rentenempfänger verändert werden haben. In 20 Jahren also — gleichbleibende Geburtenziffern und Sterblichkeits-fäile angenommen — wird die Zahl unserer Kinder um fast 400.000 geringer, jene der Alten aber um 300.000 größer sein. Man kann sich ohne große Kunst ausrechnen, daß die Rechnung der Sozialversicherungsanstalten — wie schöne Gesetze auch mit Pauken und Trompeten begrüßt werden — nicht aufgeht; wenn dann überhaupt noch etwas zum Rechnen vorhanden ist; wenn es überhaupt noch ein Land gibt, das Oesterreich heißt.

Der Weg aus dem Bannkreise des Pendels der Totenuhr kann nur gefunden werden, wenn das Sozialprodukt vergrößert wird, das heißt, wenn mehr gearbeitet, besser und rentabler erzeugte Ware auf den Markt kommt; Lohn, Gewinn und Ertrag und mit ihnen der Konsum steigt, wodurch größere Beträge für die Sozialversicherung abgezweigt werden können. Indes: vom reinen Produktivitätsstandort aus kann der unheimliche Pendel nicht zu verlangsamten Schwingtmgen kommen. Wichtig bleibt immerdar die Normalisierung des Altersaufbaues durch eine Erhöhung der Geburtenziffern, durch eine innere Bekehrung des Menschen zum Bewußtsein seiner sittlichen Verantwortung vor Gott und Vaterland.

Von Freitag, den 23. September, bis Sonntag, den 2. Oktober, findet in den Schauräumen der Oesterreichischen Staatsdruckerei, Wien I, Wollzeile 27 a (geöffnet Montag bis Freitag von 8 bis 17 Uhr, Samstag 8 bis 12 und 13 bis 18 Uhr, Sonntag 9 bis 12 und 15 bis 18 Uhr), bei freiem Eintritt eine familienpolitische Ausstellung unter dem Titel: „Nur ein Kinderland ist ein Vaterland“ statt. Veranstalter ist der Oesterreichische Familienbund, Präsident Universitätsprofessor Dr. Hans Schmitz, im Auftrage des Bundesministeriums für Unterricht.

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