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Kollegin Eva 2000

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WIE WIRD DIE „EVA 2000“ aussehen? Wird sie, der „Neutralisierung“ der bereits fast bubenhaften Mannequins, folgen, oder macht sie eine Kehrtwendung zu den Konturen des hausbackenen Mütterchens? Wie sie aussehen wird, weiß niemand, viele wollen es aber ahnen.

Ihre zarten Hände werden nicht nur „männliche Männergesichter“ der Rasierwasserreklamen streicheln„ sondern ihre liebliche Stimme wird sogar in Mannschaftskabinen von U-Booten erklingen. Nicht Sirenen und Blinklichter, sondern Damenstimmen sollen künftig die Besatzungen amerikanischer U-Boote alarmieren, wenn Wasser in ihre Schiffe eindringt. Wie Versuche mit der Tonbandstimme im WarnSystem der Bombenflugzeuge B-58 bewiesen haben, reagieren Soldaten nämlich weit schneller auf Weisungen wohlklingender Damenstimmen als auf die herkömmlichen Warnsignale.

DIE ERSTE UND VORAUSSICHTLICH wichtigste „Form“ von „Eva 2000“ wird die berufstätige Frau sein. In Wohlstandsfriedenszeiten will sie sich mehr leisten können und strebt nach mehr Unabhängigkeit vom lästig-sparsam tröpfelnden Haushaltsgeld; sie geht also arbeiten. In Kriegs- und Armutszeiten — und diese werden sicherlich wieder kommen — muß sie arbeiten gehen. Sie ist aber, und das wollen die wenigsten unter ihnen wahrhaben, dabei nicht sonderlich glücklich.

Mit wenigen Ausnahmen, etwa den Karrierefrauen der Berufswelt, sind Frauen nicht bestrebt, die höheren Sproßen der Arbeitswelt zu erklimmen. Eine Betriebsumfrage in einem Unternehmen ergab, daß Frauen keinen Wert auf Vorgesetztenpositionen legen. Nur ein Fünftel der Arbeiterinnen zeigte Interesse an beruflicher Weiterbildung (bei Männern immerhin zwei Drittel).

Arbeiterinnen der höchstindustrialisierten Länder streben selten nach Karriere. Bei 150.000 schwedischen Arbeiterinnen steltle etwa die Weltgesundheitsorganisation in ihrer Untersuchung über Berufserkrankungen einen sichtbaren Mangel an Berufsausbildung fest. Einzige Ausnahme: Textilarbeiterinnen mit Anlernzeit. Nach den Beobachtungen der Soziologieprofessorin Elisabeth Pfeil arbeiten annähernd zwei Drittel aller berufstätigen Mütter aus ökonomischen Gründen. Sie geben dabei Gründe wie „Aufbau urd Erweiterung der häuslichen Basis“ und „Existenznot“ an. Nicht ganz ein Zehntel von ihnen arbeitet nach psychologischen Motiven („Kontakt haben“, „im Leben stehen“ usw.).

DIE BEREITS VOR MÜDIGKEIT STEHEND EINSCHLAFENDE,schwerschuftende Frauengestalt des vorigen Jahrhunderts ist aus der Fabrikshalle versahwunden. Die anklagenden Zeichnungen einer Käthe Kollwitz gehören der Vergangenheit an. Trotzdem, trotz mechanischer Entlastung, trotz sinkender Geburtenziffern, trotz Medizin, Hygiene und Kosmetik, ist die Frauenarbeit nach wie vor ein Problem eminenter Bedeutung.

Ein Drittel der gesamten weiblichen Bevölkerung unseres Landes ist berufstätig. Wenn wir jedoch bedenken, daß bereits Ende des vorigen Jahrhunderts nicht weniger als ein Viertel der Frauen „arbeiten ging“, so erscheinen uns die derzeitigen statistischen Angaben keineswegs überraschend. Seit 1900 schwankt der Anteil der weiblichen Erwerbspersonen, gemessen an der Gesamtzahl der Frauen, stationär um 33 Prozent.

Durch Überemanzipation unserer weiblichen Lebensgenossen stieg nicht sosehr die Gesamtzahl der „weiblichen Erwerbspersonen“, offizielle Ausdrucksweise, sondern vielmehr der Anteil der Frauen.in den Angestelltenberufen: von 14 auf 35 Prozent in einigen Jahrzehnten.

Die Ursache hierfür ist in doppelter Hinsicht erfaßbar: berufstechnisch und soziologisch. Einerseits entstanden die mannigfachen „typischen“ Frauenbeschäftigungen, von der Chefsekretärin bis zur Locherin, anderseits ist es keine „gesellschaftliche Schande“ mehr, wenn die „Frau des Hauses“ berufstätig ist. Außerdem verlagerte sich die Frauenarbeit mehr und mehr in die mittleren und oberen Schichten der Gesellschaft und wird dort nicht mehr als ein bloßes Übel empfunden.

Arbeit macht weder frei noch jung, sie vertreibt höchstens die Langeweile. Durch die fortschreitende Automatisierung der Haushalte gerieten manche Nur-Hausfrauen leicht in eine Leerphase. Gegen „Freizeitneurose“ und chronische Desinteressiertheit empfiehlt der

Gründer der „Ärztlichen Lebens-müdenbetreuung des ökumenischen St.-Lukas-Ordens“, Dr. Klaus Thomas, die Berufsarbeit als heilende Therapie: „Berufstätigkeit, Teilzeitbeschäftigung, karitative Tätigkeit und dergleichen mehr können wesentlich mildernd wirken.“

Das dahinschwindende Wirtschaftswunder überschüttet die meisten Haushalte mit Geschirrspülmaschinen, Waschautomaten und vorgefertigten Lebensmitteln.

Je wohlhabender die einzelnen Familien sind, desto größer wird das Problem der Frauenvereinsamung. Aus Villenbezirken werden „psychische Elendsviertel“. „Besonders |? fremd“, schrieb Professor Walter || Schulte, Direktor der Tübinger Uni-1 versitätsnervenklinik, „kann sich die f| ältere Frau in einer Umwelt vor-j| kommen, in der* alles wie heute so ausgezeichnet funktioniert... wenn selbst das Waschen und Flicken, das

Spülen und Kartoffelschälen ihr entzogen zu werden drohen.“

Ältere weibliche Arbeitskräfte sind zwar nicht so attraktiv wie ihre 20jährigen Minirock-Kolleginnen, trotzdem entdecken immer mehr Arbeitgeber die außerordentliche Nützlichkeit der Jahrgänge über Vierzig. Einer Befragung von Betriebsleitern zufolge ist der Arbeitsausfall bei älteren Frauen wesentlich geringer als bei jungen. Gerühmt werden insbesondere die organisatorische Begabung, die Fähigkeiten im menschlichen Umgang und das Pflichtbewußtsein der Vierzigjährigen.

AN DER SCHWELLE DES 21. JAHRHUNDERTS verfügt der Mensch wie nie zuvor über die Macht, seinen Planeten nach eigenem Willen zu gestalten. Und mehr: Zum erstenmal in seiner Geschichte ist er im Begriff, die Fortentwicklung seiner eigenen Spezies zu steuern. „Der Mensch“, so formulierte es der amerikanische Experimentalbiologe Doktor Hoagland, „wird das einzige Tier sein, das seine eigene Evolution zu lenken vermag.“

Mit der Metamorphose eines Insekts, das unter dem Druck von Entpuppungshormonen den Larvenpanzer sprengt, verglich dies John R. Platt, Ordinarius für Biophysik an der Universität von Chikago. Unter dem Hormondruck der anschwellenden Flut von Erkenntnissen in Technologie und Wissenschaft sei der Mensch nunmehr im Begriff, die Fesseln seiner Naturgebundenheit zu sprengen und — „wenn er diese Umwälzungen überlebt“ — ihnen zu entwachsen.

Diese Überlebenschancen sind aber nicht sehr groß. Er kann zwar die physische Lenkung seines Universumsbereiches erfolgreich übernehmen, nicht jedoch das psychologische Rezept für den Weltfrieden erfinden. Durch Technisierung und Sozialisierung kommen zwar die Menschen eher zusammen, dadurch wird aber ihre Kriegslust höchstens vermindert, nicht jedoch aus der Welt geschafft.

Wenn kein verheerender Weitkrieg den Großteil unserer Spezies ausrottet, so stehen die Erdenbürger tatsächlich im Jahre 2000 einem

DIE AMERIKANISCHEN ADAM UND EVAS 2000 werden im Jahre 2000 nur noch an vier Tagen der Woche arbeiten und jährlich zwei bis drei Monate Urlaub machen. Durchschnittliches Jahreseinkommen: 650.000 Schilling (1967: 125.000 Schilling). Doch diese Zukunftsgesellschaft wird sich damit abfinden müssen, daß nur für knapp 70 Prozent der Arbeitsfähigen Arbeitsplätze vorhanden sein werden. Die Unbeschäftigten sollen ein Mindesteinkommen von jährlich 125.000 bis 250.000 Schilling erhalten.

In den kultartigen Nichtstuerbewegungen der Gammler und Beatniks sehen amerikanische Zukunftsdeuter diese soziologische Entwicklung sich bereits anbahnen.

DIE WELT DER „EVA 2000“ SOLL PERFEKT sein. „Der Normalbürger des Jahres 2000“, heißt es in einer Modellstudie des amerikanischen Hudson-Instituts, „erwacht erquickt aus einem traumlosen, medikamentengesteuerten Schlaf. Er schluckt seine 200-Kalorien-Früh-stückspille und schlüpft in einen frischen Wegwerfanzug. In seinem Elektroauto flitzt er über unterirdische Autobahnen zur Arbeit: 7,5 Stunden lang Knöpfe drücken und Meßskalen ablesen in einer staub-, abgas- und lärmfreien Fabrik.“

„Eva 2000“ wird im Berufsleben zuverlässig ihren „Mann“ stellen, sie wird zu einer Hilfskraft der Maschine „emporsteigen“ — kurzum, sie wird eine tüchtige Kollegin des „Adam 2000“ sein.

Wie aber wird sie den einstigen Vorstellungen bezüglich Aufgaben von Hausfrau und Mutter gerecht werden? Um ihre Aufgaben als Hausfrau zu meistern, wird ihr eine ausgeklügelte technische Maschinerie zur Verfügung stehen.

Welche Hilfsmittel wird sie aber zur Verfügung haben, um als Mutter zu „entsprechen“? Wird sie ihren Kindern die notwendige Wärme und das menschliche Verstehen geben können? Oder werden etwa ihra Kinder in Großheimen, frei von jeder individuellen Betreuung, gelenkt nach den modernsten Gesichtspunkten physischer und psychischer Entwicklungslehre heranwachsen?

Das also soll die Welt unserer berufstätigen Frauen und Männer im Jahre 2000 sein. Bis dahin sind aber noch einige, alles andere als nebensächliche Probleme zu bewältigen: Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit, Lebensstandardrückfall im Alter und ohne Familie aufwachsende Kinder.

Vielleicht sollte man doch noch vor dem Erreichen des prophezeiten Berufsdorados des 21. Jahrhunderts diese Probleme lösen ...

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