Leistungsgesellschaft - "Wir laden unsere Batterien nicht mehr auf" - © Foto: Unsplashed/David Alvesd

Anneliese Fuchs: "Die Leistungsgesellschaft bringt uns um"

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Nicht der Mensch ist für die Wirtschaft da, sondern die Wirtschaft muß dem Menschen dienen. Diese Botschaft versucht die Wirtschaftspsychologin Anneliese Fuchs in ihrem neuen Buch "Social Feeling - Gefühl für Menschen" zu vermitteln.

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Nicht der Mensch ist für die Wirtschaft da, sondern die Wirtschaft muß dem Menschen dienen. Diese Botschaft versucht die Wirtschaftspsychologin Anneliese Fuchs in ihrem neuen Buch "Social Feeling - Gefühl für Menschen" zu vermitteln.

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DIE FURCHE: Sie beklagen in Ihrem Buch, daß der Konkurrenzdruck durch die Verflechtung der Weltwirtschaft immer brutaler wird und die Manager zum Vernachlässigen von ethischen und moralischen Grundwerten geradezu "zwinge". Statt Humanität, Toleranz und Kooperation machen sich brutaler Egoismus, Ellbogenmentalität und asoziales Denken breit. Die Folgen in der Arbeitswelt seien katastrophal: Motivation, Arbeitsfreude, Selbstverwirklichung und zwischenmenschliche Beziehungen bleiben auf der Strecke. Für wen haben Sie dieses Buch geschrieben?
Anneliese Fuchs: Für alle Menschen, die in einem Unternehmen arbeiten. Auf der einen Seite sicherlich für die Führenden, damit diese zu einer Art Selbstreflexion kommen. Auf der anderen Seite natürlich auch für jene, die in einem Betrieb unter ihren Vorgesetzten leiden. Ich will die Beziehung zwischen Führenden und Geführten aufzeigen, denn der Druck von außen ist heute so groß, daß die Führenden Angst bekommen. Sind sie schwach, geben sie den Druck dann einfach an ihre Mitarbeiter weiter.

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DIE FURCHE: Das Kerngebiet Ihres Buches betrifft die Manager, die ihrer Verantwortung offensichtlich nicht gerecht werden.
Fuchs: Ich glaube, es ist nicht mehr zumutbar, daß wir in großen Systemen psychisch schwer angeschlagene Menschen haben, die trotz guter fachlicher Qualifikation das System zerstören. Verantwortung heißt, ich kann für mich und andere Verantwortung übernehmen. Das tun viele aber nicht. Manager sind oft erfolgs- und karrieresüchtig, weil sie sich schwach fühlen und durch den Betrieb Selbstbestätigung wollen. Damit zerstören sie die psychische Basis des Betriebes. Die Betriebe werden dann erfolgreich sein, wenn sich die Menschen dort wohl fühlen und ihre Arbeit als sinnvoll erleben. Wenn das ein Manager erreicht, dann ist er eine gute Führungskraft. Die österreichischen Manager sind im allgemeinen nicht bereit, auf ihre Angestellten zu hören oder deren Vorschläge zu verwirklichen.

DIE FURCHE: Nun wurde und wird doch unsere Wirtschaft fast ausschließlich von Männern organisiert. Würden Frauen alles anders und besser machen?
Fuchs: Der Mann hat seit 40.000 Jahren eine andere Sicht der Welt als die Frau. Männern ist der außerhäusliche Bereich wichtiger. Sie denken viel struktureller und haben andere Ziele. Für uns Frauen kommen Beziehungen und Harmonie - auch in den Betrieben - an erster Stelle. Dem Mann ist Erfolg und eine gute Bilanz wichtiger als die Harmonie im Betrieb. Er hat immer schon den Außenbereich organisiert.
Wir Frauen waren immer für die Familie da. Nur hat Familie früher auch Produktionsstätte bedeutet. Frauen waren für das Wohl von allen Lebendigen verantwortlich, also für Menschen, Tiere und Pflanzen. Man sieht das auch heute noch bei Bäuerinnen. Aus dieser Tradition heraus war es selbstverständlich, daß die Familie im Denken des Mannes gar nicht drinnen war. Sie können das bei sehr vielen Managern beobachten. Sie denken an den Betrieb, aber nicht an die Menschen, die in diesem Betrieb arbeiten. Für viele Manager sind die Menschen für den Betrieb da und nicht umgekehrt. Hier muß ein völliges Umdenken stattfinden. Der Betrieb muß für den Menschen da sein.

Wenn wir die Wirtschaft nicht so organisieren, daß sie den Bedürfnissen der Familien entspricht, werden wir es nicht schaffen, weil die Frauen nicht mehr mitmachen.

DIE FURCHE: Ist das zu schaffen oder wird es ein frommer Wunsch bleiben?
Fuchs: Wir haben heute eine völlige Umkehrung in allen Dingen. Wir haben jetzt eine nie dagewesene Chance. So war etwa die Frau bis vor 150 Jahren nicht gebildet. Die Frauen haben damals eventuell Sprachen gelernt, damit sie für den Mann einen kostbareren Besitz darstellen.
Die Zweipoligkeit der Gesellschaft ist heute eher gegeben als früher, denn wir haben Frauen in der Wirtschaft. Noch nicht viele, aber es werden immer mehr. Wir haben das weibliche Element im Denken und in der Politik integriert. Die Themen der Frauen werden langsam Lebensthemen. Das heißt, wir haben nicht mehr nur eine männliche Leistungsgesellschaft.

DIE FURCHE: Auch die Familien leiden an unserem Wirtschaftssystem. Welche Auswirkungen hat das Zerbrechen der Kernfamilie?
Fuchs: Die Frau ist zum Familienverweigerer geworden, weil sie das alte Rollenbild, das man ihr zugeschoben hat, nicht mehr akzeptiert. Die Frauen werden zwar immer noch dazu gedrillt, alle zu versorgen, aber die Frau ist heute zu gebildet, um nur zu Hause Kinder zu hüten. Aber die Frau hat immer - 40.000 Jahre lang! - gearbeitet. Sie konnte das, weil Lebens- und Arbeitsraum identisch waren. Wenn wir die Wirtschaft nicht so organisieren, daß sie den Bedürfnissen der Familien entspricht, werden wir es nicht schaffen, weil die Frauen nicht mehr mitmachen.

Anneliese Fuchs - © Foto: Unsplash/Volodymyr Hryshchenko
© Foto: Unsplash/Volodymyr Hryshchenko

DIE FURCHE: Was bewirken diese Umbrüche im Familienleben in der Gesellschaft?
Fuchs: Was dieser Umbruch bewirkt, wissen wir nicht. Was wir aber beispielsweise wissen, ist folgendes: Kinder von alleinerziehenden Frauen sind meist selbständiger und verantwortungsbewußter als Kinder von Hausfrauen, die den ganzen Tag umsorgt werden. Diese hausfrauliche Erziehung bringt einerseits sehr viel Geborgenheit, sehr viel Sicherheit und ein angenehmes Familienleben. Andererseits werden die Kinder dadurch verweichlicht, sind eher verantwortungslos, nicht kritikfähig und vor allem nicht teamfähig. Es gehört nämlich nicht nur Positives zu einer guten Entwicklung, es gehören auch Leid, Verzicht und Mangel dazu. Wenn nur die Mutter erzieht - und der Vater erzieht bis heute noch nicht -, dann ist das zu wenig. Kinder sind früher in Gruppen aufgewachsen und hatten mehrere Modelle und Vorbilder, an die sie sich anlehnen konnten. Heute ist die Mutter das einzige Modell. Und wenn die Mutter überfordert und ängstlich ist, wirkt sich das sehr ungünstig aus.

DIE FURCHE: Offensichtlich schafft auch die Schule Probleme.
Fuchs: Ja, die Selbstmordgefährdung von Schülern nimmt beispielsweise eindeutig zu. Wir haben seit vier Jahren ein Projekt laufen, das nennt sich Schülerclub. Da merken die Trainer in den letzten zwei Jahren eine völlige Veränderung der Situation. Früher sind in diese Gruppen vorwiegend Mädchen gekommen. Jetzt kommen sehr viele Burschen, die sehr aggressiv sind. Unsere Trainer sind damit teilweise überfordert, weil das nicht mehr Prävention ist, sondern bereits Therapie. Das können wir gar nicht mehr leisten.

DIE FURCHE: Woher kommt das?
Fuchs: Hauptsächlich durch die Vereinsamung. Wenn Kinder eben dieses Geborgenheitsgefühl nicht mehr haben, materiell zwar ganz gut versorgt, aber emotional total unterversorgt sind, kann das zur Selbstmordgefährdung führen. Auch gibt es zu wenige Auffangnetze für Jugendliche. Wenn sie aus der Familie herauskommen, brauchen sie eine Gruppe, in der sie sich wohl und integriert fühlen. Jugendliche ziehen sich immer mehr zurück, auch in die virtuellen Medien. Sie sitzen dann alleine vor dem Computer. Da wird auch noch einiges auf uns zukommen, was die Auswirkungen betrifft.

Wir können nicht mehr im Rhythmus der Natur leben, wir müssen ständig Spitzenleistung geben, und das macht uns fertig.

DIE FURCHE: Früher machten Kindern und Jugendlichen doch auch sehr viele Probleme in der Familie das Leben schwer. Prügelstrafen, autoritäre Väter. Ist die Situation heute wirklich um so vieles schlechter?
Fuchs: Es ist anders. Früher hat der Vater total autoritär über die Familie verfügt. Wir kommen aus dem römischen Recht. Das Familienoberhaupt konnte seine Frau und Kinder töten, ohne daß es zur Verantwortung gezogen wurde. Auf dieser Tradition baut unser Rechtssystem auf. Das heißt, der Vater in der bäuerlichen Familie war der absolute Herrscher, der sich auch so benommen hat. Die Kinder wurden ungeheuer eng gehalten und haben geschaut, daß sie mit 17 von diesem Vater weggekommen sind. Andererseits gab das auch ein ungeheures Gefühl des Schutzes und der Sicherheit. Kinder haben genau die Grenzen gekannt.Dann hat sich das ganze Erziehungssystem von einem Extrem ins andere gewandelt. Es wurden überhaupt keine Grenzen mehr gesetzt. Wenn es aber keine Grenzen gibt, haben Kinder kein Gefühl der Geborgenheit und sind völlig verunsichert. Wichtig wäre, beide Aspekte zu sehen. Ein Mittelmaß wäre gut. Kinder brauchen sowohl Grenzen als auch Freiräume. Wir gehen bereits in eine Zeit, wo beides möglich ist.

DIE FURCHE: Ihrer Einschätzung nach sind die Negativerscheinungen in der Familie schon deutlich zu spüren?
Fuchs: Die Alten sind in unserer Familie beispielsweise nicht mehr integriert. Es steigen auch die Neurosen und psychischen Störungen. Das hat aber auch noch einen anderen Grund. Der Mensch hat immer in der Natur gelebt. Jetzt haben wir eine totale Verstädterung. Das entspricht aber nicht der inneren, tiefsten Sehnsucht. Wenn Menschen ständig auf Beton gehen, können sie mit den Fußsohlen nicht Spannungen in die Erde abladen. Ich erlebe Menschen, die lange Zeit nicht in der Natur waren, als nervlich besonders negativ aufgeladen. Wir können nicht mehr im Rhythmus der Natur leben, wir müssen ständig Spitzenleistung geben, und das macht uns fertig. Dafür sind wir nicht gebaut. Wenn wir wieder ein religiöses Bewußtsein hätten, würden wir wieder zyklisch leben. Wir würden Fastenzeiten und Zeiten des Festes einhalten. Moslems beispielsweise beten fünfmal am Tag eine halbe Stunde, das ist Psychohygiene. Welcher Katholik betet einmal am Tag?
Wir kommen nicht zu unseren Wurzeln. Wir laden unsere Batterie nicht mehr auf. Daher haben wir so viele psychosomatische Symptome. Eine reine Leistungsgesellschaft bringt uns um. Wenn wir wieder, und da kommt das religiöse Element hinein, in eine Gesellschaft gehen, wo wir diese inneren Werte pflegen, brauchen wir nicht mehr wie ein Hamster im Radl zu rennen.

Anneliese Fuchs

Die Wirtschaftspsychologin und Psychotherapeutin Anneliese Fuchs, Jahrgang 1938, ist Mutter von drei Kindern und arbeitet in Wien. Fuchs gründete 1980 die "Arbeitsgemeinschaft für Präventivpsychologie", Arbeitsschwerpunkte sind Trainings, Coaching und Supervision im Wirtschaftsbereich. Ihr Hauptinteresse liegt im Zusammenspiel von Mensch und Struktur. Fuchs arbeitet als Begleiterin von Betrieben, hält Vorträge und Seminare. Die Wirtschaftspsychologin ist aber auch in der Kirche, in der Familien- und Frauenarbeit tätig. In ihrem neuen Buch "Social Feeling - Gefühl für Menschen" versucht die Autorin, die Rolle von Ethik und Moral, aber auch persönliches Verantwortungsbewußtsein bei Entscheidungen von Managern zu durchleuchten.

Die Wirtschaftspsychologin und Psychotherapeutin Anneliese Fuchs, Jahrgang 1938, ist Mutter von drei Kindern und arbeitet in Wien. Fuchs gründete 1980 die "Arbeitsgemeinschaft für Präventivpsychologie", Arbeitsschwerpunkte sind Trainings, Coaching und Supervision im Wirtschaftsbereich. Ihr Hauptinteresse liegt im Zusammenspiel von Mensch und Struktur. Fuchs arbeitet als Begleiterin von Betrieben, hält Vorträge und Seminare. Die Wirtschaftspsychologin ist aber auch in der Kirche, in der Familien- und Frauenarbeit tätig. In ihrem neuen Buch "Social Feeling - Gefühl für Menschen" versucht die Autorin, die Rolle von Ethik und Moral, aber auch persönliches Verantwortungsbewußtsein bei Entscheidungen von Managern zu durchleuchten.

"Social Feeling" Gefühl für Menschen. - © Böhlau Wien
© Böhlau Wien
Buch

"Social Feeling - Gefühl für Menschen". Pathologisches Wirtschaften und Auswege aus dem Dilemma.

von Anneliese Fuchs und Josef Himmelbauer
Böhlau, Wien 1999
200 Seiten, öS 298

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