Unterm Rad der modernen Zeiten

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Grenzenlos arbeiten dank Internet, prekäre Kreativjobs und immer mehr Burnoutfälle: Eine FURCHE-Debatte über die schöne, neue Arbeitswelt.

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Grenzenlos arbeiten dank Internet, prekäre Kreativjobs und immer mehr Burnoutfälle: Eine FURCHE-Debatte über die schöne, neue Arbeitswelt.

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Es ist 19 Uhr, und im Wiener Coworking Space "Treibhaus“, einem Gemeinschaftsbüro im alt-ehrwürdigen Palais Eschenbach, brennt noch immer Licht. Statt Feierabend zu machen, sitzen ein paar Entrepreneure hartnäckig an ihren gemieteten Schreibtischen und tüfteln an sauberen Technologien für die Zukunft. Es scheint sie nicht weiter zu stören, dass unmittelbar neben ihnen eine sechsköpfige Runde über die schwindende Grenze zwischen Arbeit und Freizeit diskutiert, Visionen "guter Arbeit“ entwirft - und über Yahoo-Chefin Marissa Mayer streitet, die kürzlich ihren Angestellten Heimarbeit verboten hat.

Der Mensch ist nicht zum Alleinsein geboren. Wir brauchen den anderen, sind nur kreativ in der Gruppe.

Peter Hoffmann

DIE FURCHE: Herr Offenbacher, Sie sind passionierter Unternehmer und haben den Coworking Space "Treibhaus“ mitgegründet. Wären Sie böse, wenn Ihre Chefin Sie zum Arbeiten zurück ins Büro zitieren würde?
Hannes Offenbacher:
Ich kann mir zumindest vorstellen, dass sich ein junger Mitarbeiter veräppelt vorkommt, wenn ausgerechnet Yahoo mit seinem rein digitalen Produkt darauf beharrt, dass alle wieder in einem gemeinsamen Gebäude sitzen. Auf der anderen Seite sehe ich, dass die Leute zusammenarbeiten wollen. Wir haben zwar heute überall Zugang zum Netz - ich selbst war gerade einige Tage auf einer Berghütte und habe von dort aus gearbeitet -, aber meist suchen wir uns doch ein soziales Umfeld, wie wir es hier im Treibhaus anbieten.

Peter Hoffmann: Wir kennen die Bedürfnispyramide von Abraham Maslow: Soziale Interaktion ist ein Grundbedürfnis. Der Mensch will sich austauschen.

Hannes Offenbacher

Hannes Offenbacher sieht sich als "leidenschaftlicher Unternehmer und Neudenker“ ( www.bessergehts-immer.at). Der 30-Jährige hat das Ideenstudio "Mehrblick“ gegründet, den Coworking Space "Treibhaus“ mitinitiiert und sitzt im Verwaltungsrat des Österr. Gewerbevereins.

Hannes Offenbacher sieht sich als "leidenschaftlicher Unternehmer und Neudenker“ ( www.bessergehts-immer.at). Der 30-Jährige hat das Ideenstudio "Mehrblick“ gegründet, den Coworking Space "Treibhaus“ mitinitiiert und sitzt im Verwaltungsrat des Österr. Gewerbevereins.

DIE FURCHE: Charlie Chaplin hatte eine kritischere Sicht dieses Bedürfnisses nach Gemeinsamkeit. Am Beginn des Films "Moderne Zeiten“ wird eine Schafherde durchs Bild getrieben. Gleich darauf sieht man Menschen zur Arbeit strömen. Wenn wir nun das Beispiel Yahoo nehmen, wären wir wieder auf dem Weg der Schafe …
Hoffmann:
Ich würde das nicht so negativ sehen. Der Mensch ist eben nicht zum Alleinsein geboren. Wir brauchen den anderen, sind nur kreativ in der Gruppe.

DIE FURCHE: Der Managementlehrer Fredmund Malik würde das bestreiten. Er behauptet, dass alle großen Erfindungen nur deshalb möglich waren, weil einer gegen alle Widerstände ein Projekt durchgesetzt hat.
Hoffmann:
Die Idee kann schon von einem Verrückten kommen, aber ohne eine Gruppe, die das umsetzt, stürzt sie ab.

Peter Hoffmann

Peter Hoffmann arbeitet im Bereich Sozialpolitik der Arbeiterkammer Wien. Der 61-jährige klinische Psychologe mit den Schwerpunkten Gesundheits-, Arbeits- und Wirtschaftspsychologie befasst sich mit psychischen Belas-tungen in der Arbeitswelt.

Peter Hoffmann arbeitet im Bereich Sozialpolitik der Arbeiterkammer Wien. Der 61-jährige klinische Psychologe mit den Schwerpunkten Gesundheits-, Arbeits- und Wirtschaftspsychologie befasst sich mit psychischen Belas-tungen in der Arbeitswelt.

DIE FURCHE: Das spricht für Teamarbeit. Sie, Herr Pramböck, gehen noch weiter und singen in Ihrem Buch "Jobstars“ ein Loblied auf das Angestelltendasein …
Conrad Pramböck:
Ich habe bei der Recherche mit drei Gruppen gesprochen: Erstens mit Selbstständigen, die erzählen, dass sie Tag und Nacht arbeiten, und es kommt nichts Gescheites heraus; zweitens mit Angestellten, die sich darüber beklagen, dass sie im Hamsterrad rotieren; und drittens mit den einzig Glücklichen, nämlich Angestellten, die sich verhalten dürfen wie Selbstständige. Ich komme, wann ich will, gehe wann ich will und arbeite an Projekten, die mich interessieren. Ganz allein zu arbeiten funktioniert nicht. Und nicht frei zu sein, ist auch schlimm. Es geht einfach darum, die Arbeit in mein Leben zu integrieren.

Die einzig Glücklichen sind Angestellte, die sich verhalten dürfen wie Selbstständige.

Conrad Pramböck

Offenbacher: Da muss man differenzieren. Es gibt natürlich einen elitären Kreativbereich, wo man erfüllende Jobs finden kann. Aber selbst der freie Angestellte will um sieben Uhr früh sein frisches Semmerl vom Bäcker haben. Die größere Gruppe in der Wirtschaft arbeitet, weil sie arbeiten muss.

Michaela Moser: Das ist richtig. Regaleinräumerin, Kellner, Köchin, Bäcker, Friseurin, Sekretärin - die große Zahl der Erwerbstätigen hat nicht die Wahl der Kreativen. Und da ist es fast egal, ob es sich um Selbstständige oder Angestellte handelt. Abgesehen davon gibt es auch bestimmte Sektoren, wo Flexibilität gar nicht möglich ist: Wir brauchen einfach Leute, die Regale einräumen oder Brote backen.

Hoffmann: Wobei es heutzutage fast keine "Idiotenjobs“ mehr gibt. Auch Menschen in niedrigeren Jobs sind höherqualifiziert als früher, sie müssen mit Technik und Software umgehen, die früher nicht nötig waren. Umgekehrt stellt sich die Frage, was Menschen bei 70-Stunden-Jobs im Kreativbereich tatsächlich verdienen. Hier stimmt das Verhältnis schon längst nicht mehr.

Conrad Pramböck

Conrad Pramböck berät bei "Pedersen & Partners“ Unternehmen in Gehaltsfragen. Im Buch "Jobstars. Mehr Glück, mehr Erfolg, mehr Leben als Angestellter“ (edition a, 2012) relativiert der 40-jährige Jurist und Coach das Bild vom glücklichen Selbständigen.

Conrad Pramböck berät bei "Pedersen & Partners“ Unternehmen in Gehaltsfragen. Im Buch "Jobstars. Mehr Glück, mehr Erfolg, mehr Leben als Angestellter“ (edition a, 2012) relativiert der 40-jährige Jurist und Coach das Bild vom glücklichen Selbständigen.

DIE FURCHE: Diese Selbstausbeutung funktioniert dank Überidentifizierung mit der eigenen Arbeit ziemlich gut …
Pramböck:
Ja, aber wo ich Freiheit habe, liegt es auch an mir, mich abzugrenzen.

Offenbacher: Ich sehe die Probleme der Selbstständigen, die sich im Homeoffice selbst ausbeuten, durchaus. Unternehmer, die ins "Treibhaus“ kommen, haben aber einen klaren Wachstumsplan: Sie verwenden viel Energie, um ihr Business hochzubringen, aber sie wollen dann auch die Früchte der Arbeit genießen. Das ist ganz anders als bei Arbeitnehmern mit "All-Inklusive-Verträgen“, die enorm viel arbeiten müssen, aber im Erfolgsfall nichts bekommen, außer dass sie ihren Job behalten dürfen.

DIE FURCHE: Stimmt eigentlich der Eindruck, dass der psychische Druck auf den einzelnen Arbeitnehmer zugenommen hat?
Hoffmann:
Wir wissen zweierlei: Zum einen arbeiten zwei Drittel der Menschen heute im Dienstleistungsbereich, die Psyche ist für sie also Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand zugleich. Zweitens gab es früher fixe Jobs und feste Rahmenbedingungen, heute ist der selbstorganisierende Mitarbeiter gefragt. Manche fühlen sich damit pudelwohl, andere scheitern an diesem Zwang zur Flexibilität. Früher ging es um körperliche Belastung, heute geht es um Burnout und Stress. Aber was genau die Psyche belastet, wissen wir nicht. Wir müssten unsere gesamten Diagnose-Schemata überarbeiten.

Psychisch belastend oder entlastend ist natürlich die Frage nach dem Sinn bzw. der Sicherheit von Arbeit.

Michaela Moser

Moser: Psychisch belastend oder entlastend ist natürlich die Frage nach dem Sinn bzw. der Sicherheit von Arbeit. Schauen wir nur auf all die prekären Beschäftigungsverhältnisse: im Journalismus, bei KünstlerInnen, in der Wissenschaft. Das sind Bereiche, die Menschen mit viel Sinn aufladen. Schlechte Bedingungen nehmen sie dabei in Kauf. Wenn aber sowohl Sinn als auch Sicherheit wegfallen, dann wird es ziemlich eng.

Offenbacher: Belastend ist sicher, dass der Kommunikationsanteil in der Arbeit extrem gestiegen ist. Es gibt eine deutsche Studie, wonach der durchschnittliche Büro-Angestellte rund drei Minuten ungestört ist, bevor er wieder von einem E-Mail, Telefonat oder Kollegen aufgehalten wird. Diesen Kommunikationsaufwand, der weder effizient ist noch zur Wertschöpfung beträgt, muss man in Frage stellen.

Michaela Moser

Michaela Moser ist Sozialexpertin der Armutskonferenz. Im Fokus der feministischen Theologin, Philosophin und PR-Beraterin, die auch am Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung der FH St. Pölten tätig ist, stehen Empowerment und gesellschaftliche Teilhabe.

Michaela Moser ist Sozialexpertin der Armutskonferenz. Im Fokus der feministischen Theologin, Philosophin und PR-Beraterin, die auch am Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung der FH St. Pölten tätig ist, stehen Empowerment und gesellschaftliche Teilhabe.

DIE FURCHE: Klingt nach Büro als moderne Terrorzelle …
Offenbacher:
Ja. Wir witzeln oft, dass man einen Parteienverkehr von acht bis zehn Uhr für E-Mails und Telefonate einführen müsste. Irgendwann muss man ja arbeiten! Deshalb war ich auch an der App "Mailbox“ interessiert, die zu bestimmten Zeiten keine E-Mails reinlässt. Sie zu ergattern, war nicht leicht: Rund 800.000 wollten sie ebenfalls haben …

Hoffmann: Ich weiß nicht, wie viele Seminare es zum Thema E-Mail-Kultur gibt. Aber keiner schafft das! Diese ständigen Unterbrechungen, auf Grund derer man nie fertig wird, können auch ins Burnout führen.

DIE FURCHE: John Maynard Keynes hat sich 1930 die schöne, neue Arbeitswelt anders vorgestellt: In "Die wirtschaftlichen Möglichkeiten unserer Enkel“ hat er sinngemäß geschrieben, dass ab einem gewissen Produktivitätsniveau diejenigen 25 Prozent, die wirklich arbeiten wollen, das tun können - und der Rest kann Tennis spielen …
Hoffmann:
Das ist wunderschön, aber warum soll ich jemanden bezahlen, wenn die Maschine arbeitet? Wer lebt noch wovon?

Moser: All diese Theorien - von Keynes oder anderen - blenden außerdem die Reproduktionsarbeit vollkommen aus. Offenbar hat das immer jemand für diese Männer gemacht. Zweitens stellt sich schon die Frage, wie die Arbeit verteilt wird. Unternehmen stellen etwa beim Crowd-Working nicht mehr Mitarbeiter an, sondern suchen sich je nach Bedarf ihre Leute. Wir müssen also nicht nur Arbeitszeiten, sondern auch Einkommensformen neu organisieren. So viel Flexibilität kann ziemlich stressig sein.

DIE FURCHE: Apropos Reproduktionsarbeit: Zuletzt wurde in Zeitungen die gut ausgebildete "Generation Y“ ("Why“) thematisiert, deren höchstes Ziel schon bei der Jobsuche die Aussicht auf eine gute Work-Life-Balance sein soll. Ist das Realität oder Schimäre?
Offenbacher:
Es gibt in meinem Freundeskreis tatsächlich diese Generation Y, aber im Grunde ist schon der Begriff "Work-Life-Balance“ witzlos, weil es eigentlich um Lebensqualität geht. Die Sinnfrage wird bei der Arbeit jedenfalls immer stärker und das Dogma "Danke, dass ich Arbeit habe!“, das fällt - zumindest im elitären Bereich - weg.

Moser: Die Frage nach Sinn und Lebensqualität stellt sich aber für jeden! Als Armutskonferenz haben wir gemeinsam mit einer Forumtheatergruppe ein Projekt mit Jugendlichen ohne Ausbildung veranstaltet, und auch die haben keine Lust, so zu leben und zu arbeiten wie ihre Eltern. Es wäre wichtig, auch von ihnen nicht totale Anpassung an ein System zu verlangen, das ohnehin nicht mehr passt. Doch darauf wird in all den gängigen Berufsorientierungen und Jobcoachings viel zu wenig geachtet.

Pramböck: Ich glaube, unsere schöne, neue Arbeitswelt krankt an drei Dingen: Zum einen bereitet unser Bildungssystem die jungen Menschen nicht darauf vor, was sie erwartet. Sie lernen Fleiß, Disziplin und die Wiedergabe dessen, was der Lehrer gesagt hat. Wichtiger wären aber Kreativität, Innovation und unternehmerisches Denken. Zweitens wird in Schulen immer mehr Verantwortung abgegeben. Am Schluss weiß der Schüler selbst nicht, was er will. Und drittens erhöhen die Unternehmer systematisch den Druck - und die Mitarbeiter machen mit. Dabei hätten sie so viel Einfluss, denn das Einzige, was heute in Unternehmen gut und teuer ist, sind die Mitarbeiter.

DIE FURCHE: Wie müsste Arbeit gestaltet sein, damit diese Mitarbeiter - oder unsere viel zitierten "Yahoos“ - glücklich sind?
Hoffmann
: Die Arbeit muss gesundheits- und lernfördernd sein; und sie muss es möglich machen, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen, ohne permanent zu überfordern. Das ist für Unternehmen eine ziemlich Herausforderung. Und für junge Leute, die ihre Berufsentscheidung treffen müssen, erst Recht.

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