"Österreich hat noch EINEN WEITEN WEG"

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Wie müssen wir uns für die Jobwelt der Zukunft rüsten? Welche Baustellen sollte die Politik jetzt dringend angehen? Franz Fischler, Präsident des eben angelaufenen Forums Alpbach, im Interview.

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Wie müssen wir uns für die Jobwelt der Zukunft rüsten? Welche Baustellen sollte die Politik jetzt dringend angehen? Franz Fischler, Präsident des eben angelaufenen Forums Alpbach, im Interview.

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Die Arbeitswelt ist im Umbruch, doch vielerorts wird weitergemacht wie bisher. Franz Fischler über große Herausforderungen, die Förderung von Innovationen und ein sinnvolles Jobwachstum.

DIE FURCHE: Die Entwicklung zeigt, dass eine Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch quantitatives Wachstum nicht mehr funktioniert. Wie müssten wir die Arbeit an die neuen Rahmenbedingungen anpassen?

Franz Fischler: Zunächst ist festzuhalten, dass nicht nur die Arbeitslosenzahlen steigen, sondern auch die Zahl der Beschäftigten, denn mehr Menschen als je zuvor stehen in Arbeit. Es ist eine ziemlich veraltete Ansicht, dass man die Arbeitslosigkeit nur durch eine Förderung des quantitativen Wachstums bekämpfen könnte und sollte. Seit Jahren fordern insbesondere die Gewerkschaften und Wissenschaftler überall in Europa Pakete zur Reduktion der Arbeitslosigkeit, die neben wirtschaftsbelebenden Maßnahmen auch Maßnahmen zur besseren Verteilung der Arbeit auf die Betroffenen beinhalten. Etwa durch steuerliche Anreizsysteme, um mehr Leute in Arbeit zu bringen, durch neue Wege, die Bildung zu organisieren, damit sich die Chance ergibt, wieder in den Job einzusteigen. Einige europäische Regierungen sind auch längst zu solchen Maßnahmenpaketen übergegangen. Dazu gehören auch Modelle wie das in Dänemark erfolgreiche Flexicurity-Modell. (Anm. d. Red.: Die Erleichterung von Kündigungen wird verknüpft mit einem kurzfristig hohen Arbeitslosengeld und einer Unterstützung der raschen Wiedereingliederung durch intensive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen.)

DIE FURCHE: Was innovative, menschennahe Arbeitsmodelle betrifft, sind uns die skandinavischen Länder einiges voraus. Warum ist Österreich da so konservativ?

Fischler: Die Freude an Neuerungen technologischer und sozialer Art ist in Österreich alles andere als stark ausgeprägt. Hierzulande ist man eher auf Bewahrung der bestehenden Verhältnisse aus, vor allem, weil neue Wege mit einem gewissen Risiko behaftet sind. Es fehlen Mut und Flexibilität sowohl bei den Arbeitgebern als auch bei den Arbeitnehmern und es hat auch lange Zeit der Druck gefehlt, weil die Arbeitslosenzahlen ohnedies niedrig waren.

DIE FURCHE: Sie fordern eine Neubewertung der Arbeit. Inwiefern müssen wir umdenken?

Fischler: Gerade im mittleren und oberen Einkommensbereich stellt sich die Frage: Geht es nur um weitere Lohnsteigerungen oder nicht auch um mehr Freizeit und Lebensqualität? Die Lebensarbeitszeit anders einteilen zu können, flexibler sein zu können, würde jungen Familien entgegenkommen, aber nicht nur diesen. Gerade in den hochtechnischen Berufen und den digitalen Bereichen wäre es ein Riesenvorteil, wenn man die Arbeitszeit anders aufteilen könnte, sodass sich Ausbildungs-, Arbeits- und Weiterbildungsphasen stärker abwechseln. Es sollte möglich sein, dass Akademiker wieder an ihre Uni zurückkehren und sich dort auf den neuesten Stand ihrer Wissenschaft bringen.

DIE FURCHE: Menschen 50 plus haben kaum Chancen, noch einen Job zu finden. Wie kann man deren Beschäftigung für Arbeitgeber attraktiver machen?

Fischler: Es braucht mehr Anstrengung von öffentlicher Seite, ältere Personen wieder in die Arbeit zu integrieren. Zweitens wird es für die Unternehmungen mehr Anreize brauchen, damit sie ältere Arbeitnehmer einstellen. Auch in punkto Anstellung von Menschen mit Behinderungen gibt es leider viele Firmen, die lieber Abschlagszahlungen leisten. Diese Fehlentwicklung kann man nur politisch lösen, da hat Österreich noch einen weiten Weg vor sich. Wir haben zwar ausgiebig Regelungen für die Jobsicherheit, aber wenn man einmal arbeitslos ist, fehlt es an Möglichkeiten, rasch wieder in den Arbeitsprozess integriert zu werden. Wir haben in Europa den zweithöchsten Anteil an lohnbezogenen Steuern. Der müsste deutlich reduziert werden, um für Unternehmungen den Faktor Arbeit attraktiver zu machen.

DIE FURCHE: Einerseits fehlen Jobs für Junge. Andererseits sollen die Älteren länger arbeiten, damit das Pensionssystem nicht kollabiert. Wie kann man einen Interessenausgleich zwischen Jung und Alt erreichen?

Fischler: Das ist wahrscheinlich die größte Herausforderung. Ich halte es für eine Illusion, dass man einer weiteren tiefgreifenden Reform des Pensionssystems entkommen kann. Ich bin ein Anhänger der skandinavischen Regelung, dass die Anpassung an die längere Lebenserwartung automatisch erfolgt und nicht durch eine politische Entscheidung. Wenn man frühzeitig Bescheid weiß, wie hoch der Pensionsanspruch sein wird, kann man sich auch längerfristig darauf einstellen. Ich halte es überdies für notwendig, dass das Pensionssystem den Pensionisten ein auskömmliches Leben ermöglicht - sonst würde das Sozialsystem in die Luft fliegen -, aber der Staatsanteil kann durchaus degressiv gestaltet werden.

DIE FURCHE: Die Akademikerarbeitslosigkeit ist im Vergleich zum Vorjahr um 16 Prozent gestiegen. Müssen wir uns daran gewöhnen, dass das Anforderungsprofil weiter steigt? Fischler: Es gibt in einigen Bereichen leider eine wachsende Kluft zwischen Studium und Berufsvorbereitung. Bei manchen sehr begehrten Studien muss den Leuten klar sein, dass nicht jeder in jedem Bereich einen Job finden kann. Da ist wesentlich mehr Beratung notwendig, damit Betroffene selbst reflektieren können, ob sie die richtige Wahl getroffen haben. Selektionsmechanismen zu Studienbeginn sind durchaus sinnvoll, aber nicht als Knock-out-Prüfungen, sondern als verstärkte Einführungsphasen.

DIE FURCHE: Noch ist es ein frommer Wunsch, bezahlte und unbezahlte Arbeit gerechter zu verteilen. Was müsste sich politisch tun?

Fischler: Im Bereich der sozialen Dienste wird viel unbezahlte Arbeit geleistet, die dem öffentlichen Versorgungssystem riesige Ersparnisse bringt. In einer alternden Gesellschaft wie unserer kann es nicht das Ziel sein, dass sämtliche Pflegeleistungen nur über öffentliche Einrichtungen erbracht werden. Man sollte jedoch die privaten Pflegeleistungen erleichtern und auch finanziell bezuschussen. In Unternehmungen sehe ich nicht viele Möglichkeiten, wie dort eine Veränderung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit entstehen soll.

DIE FURCHE: Wie könnte man ein Jobwachstum fördern, das den sozialen und ökologischen Ausgleich stärker berücksichtigt?

Fischler: In erster Linie durch eine veränderte Steuerstruktur. Dann, indem nicht irgendein Wachstum gefördert wird, sondern ein smartes, inklusives Wachstum. Smart heißt innovativ und wissensbasiert. Inklusiv heißt, die Zahl der Armuts- und Arbeitslosigkeitsgefährdeten zu reduzieren. Und wir brauchen ein grünes Wachstum. In der Umweltindustrie gibt es viele Chancen gerade für Österreich. Europa ist hier nach wie vor Weltmarktführer und dieser Sektor wächst rasant.

DIE FURCHE: Wodurch können wir mehr Innovation anregen?

Fischler: Wir müssen bei der Verfügbarkeit von Risikokapital zulegen, damit die Chancen für junge Unternehmer steigen. Da ist gerade ein starker gesellschaftlicher Wandel im Gang. Die Jüngeren setzen heute viel mehr auf Entrepreneurship. Selbstständiges Arbeiten wird sehr positiv gesehen, wirkt motivierend. Wir müssen auch die Folgen der Digitalisierung in punkto Beschäftigung bedenken. Wenn Leute für eine internationale Firma Teleworking betreiben, greift kein heimischer Kollektivvertrag.

Das Gespräch führte Sylvia Einöder

Kein Markt für Arbeit

Immer spezialisierter wird der Jobmarkt, immer schwieriger die Suche für jene ohne Arbeit: Das betrifft vor allem Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen 50 plus. Welche Projekte und Chancen gibt es für sie? Wie kann man sich motivieren, wenn man plötzlich arbeitslos ist? Und was bringt die neue Ausbildungspflicht bis 18 Jahre? Experten und Betroffene berichten.

Redaktion: Sylvia Einöder

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