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Digital In Arbeit

Statt arbeiten Sinnvolles tun

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„Wer immer verspriclit, ein Rezept gegen die Arbeitslosigkeit zu haben, sagt die Unwahrheit“, meint der Autor, Direktor der London School of Economics.zum Problem Arbeitslosigkeit.

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„Wer immer verspriclit, ein Rezept gegen die Arbeitslosigkeit zu haben, sagt die Unwahrheit“, meint der Autor, Direktor der London School of Economics.zum Problem Arbeitslosigkeit.

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Weil Reallöhne so hoch sind, wie sie sind, können wir uns arbeitsintensive öffentliche Dienste nicht mehr leisten. Und so verfallen Eisenbahnen und die Gefängnisse, die Krankenhäuser und die Schulen. Es ist also nicht in erster Linie eine Fehlanpassung von Fertigkeiten und Erfordernissen, von Wünschen und Notwendigkeiten, selbst von Mobilitätsangst und Mobilitätszwang, die den Widerspruch von Arbeitslosigkeit und ungetanen Dingen erklärt.

Friedrich von Hayek hat argumentiert, daß es in einer echten

Marktwirtschaft keine Arbeitslosigkeit geben könne; der Preis der Arbeit würde sich auf eine Höhe einpendeln, die allen Beschäftigung verschafft. Das ist allerdings, um mit Gottfried Bombach zu sprechen, „ebenso logisch wie utopisch" und übrigens in einer Gesellschaft von Staatsbürgern, die auch soziale Rechte haben, schwer erträglich.

Die Stabilisierung der Reallöhne, die heute als Einkommenspolitik vielfach von Parteien der linken Mitte vorgeschlagen wird, könnte vielleicht den Prozeß der steigenden Arbeitslosigkeit aufhalten. Neue Arbeitsplätze schafft sie nicht. Die Reallöhne, die wir heute kennen, sind das Ergebnis einer langen und folgenschweren Entwicklung der Staatsbürgerrechte. Das gilt insbesondere, wenn wir Maßnahmen zur Sicherheit am Arbeitsplatz und vor allem zur Sicherheit des Arbeitsplatzes hinzunehmen, also vom Realeinkommen im umfassenden Sinn sprechen. Alle diese Entwicklungen machen Arbeit teuer.

Die Arbeitslosigkeit beruht auf dem Preis der Arbeit. Der Preis der Arbeit aber beruht auf dem in die Strukturen der Arbeitsgesellschaft eingebauten Konflikt zwischen „Arbeitnehmern" und „Arbeitgebern" (für einmal haben die eigentümlichen Vokabel sogar ei-’ nen gewissen Sinn!). Der zunehmende Erfolg der, Arbeitnehmer ist daher die treibende Kraft der Arbeitsgesellschaft, der am Ende zu ihrer Aufhebung führt.

Technische Neuerungen werden eingeführt, weil sie billiger sind; und sie sind nicht an sich billiger, sondern im Vergleich zur menschlichen Arbeit. Die sogenannte „strukturelle" oder „technologische" Arbeitslosigkeit ist genaugenommen Arbeitslosigkeit auf Grund des Preisvorteils der Technik gegenüber der Arbeit; diese ihrerseits beruht nicht nur auf der billiger werdenden Technik, sondern zumindest auch auf der teurer werdenden Arbeit.

Der Preis der Arbeit ist so hoch, daß bestimmte Dinge überhaupt nicht mehr getan werden können, andere in technische Prozesse übersetzt werden. Die innere Dynamik der Arbeitsgesellschaft selbst führt dazu, daß ihr die Arbeit ausgeht.

Heißt das, daß die Zahl der Arbeitslosen weiter ansteigen wird, und daß Regierungen nichts, oder doch fast nichts, daran ändern können? Das letztere ist gewiß der Fall. Wer immer verspricht, ein Rezept gegen die Arbeitslosigkeit zu haben, sagt die Unwahrheit.

Daß der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht, wäre auch in dem unwahrscheinlichen Fall noch wahr, daß die offizielle Arbeitslosigkeit sich auf eine „natürliche", will sagen politisch erträgliche Rate reduzieren ließe.

Das gilt vor allem aus drei Gründen. Der erste liegt in der dramatischen Verkürzung der Lebensarbeitszeit in den letzten hundert Jahren. Die 40-Stunden-Woche ist da nur ein Element; längere Ausbildung, frühere Pensionierung, längerer Urlaub, Feiertage kommen hinzu.

Zweitens ist die versteckte, wenn man so will, die freiwillige Arbeitslosigkeit in den letzten Jahrzehnten rasch angestiegen. Das gilt nicht nur für Frauen, die sich als Arbeitslose registrieren lassen. Auch Studenten sind in gewisser Hinsicht freiwillig Arbeitslose; obwohl im erwerbstätigen Alter, entlasten sie die Arbeitsstatistik.

Dann drittens, und am schwersten meßbar, ist da die eigentliche

Geißel der späten Arbeitsgesellschaft, die Unterbeschäftigung. Länder wie Österreich haben den öffentlichen Sektor geradezu systematisch gepäppelt, um die Arbeitslosenzahlen niedrig zu halten, das heißt aber auch, um Menschen nutzlos zu „beschäftigen".

Die Unterbeschäftigung ist nicht nur entwürdigend, sie ist vor allem das eindringlichste Zeugnis für eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgeht: Im Zynismus ihrer späten Jahre begnügt sie sich mit der bloßen Hülle der Arbeit, mit dem Beruf, vielmehr dem Job, der als Versorgung dienen kann, auch wenn er sonst ohne Bedeutung ist.

Die Frage ist, welche Alternative es gibt, und wohin der Weg führt, der mit der verängstigten Arbeitsgesellschaft beginnt.

Hoffnung muß darin liegen, daß Arbeit in zunehmendem Maße durch Tätigkeit ersetzt, zumindest aber von Tätigkeit durchdrungen wird. Drei Beispiele müssen hier für vieles stehen:

Einmal ist die „Humanisierung der Arbeit" zwar zum Schlagwort geworden, aber sie ist darum nicht minder wichtig. Zu viele haben in den letzten Jahren die Gruppenarbeit in den Fabriken von Volvo verworfen; tatsächlich liefert sie ein Beispiel dafür, wie sehr Autonomie in die Heterono-mie hineingetrieben werden kann.

Das gilt auch sonst für viele Unternehmen. Von der Abschaffung der Stechuhr bis zur organisierten Mitbestimmung gibt es eine Fülle von Bedingungen der Tätigkeit, die die Arbeit verwandeln können und die möglich sind, weil sie irgendwo wirklich sind.

Dann ist die Selbsthilfe in überschaubaren Gruppen zu erwähnen. Die Erhaltung der Städte, die Bewahrung einer lebenswerten Umwelt, die Entfaltung schöpferischer Talente, ja die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung, all das sind Aufgaben der Eigentätigkeit von Menschen in ihren Gruppen. Die Initiative, von der hier die Rede ist, ist aber Tätigkeit, sie ist das Reich der Freiheit.

Das gilt auch für den schwierigen Bereich der alternativen Lebensform. Sie haben ja heute vielfach die Stelle der Kleinunternehmen eingenommen. Was das bedeutet, haben die Autoren des von Frank Benseier und anderen herausgegebenen Bandes „Zukunft der Arbeit, Eigenarbeit, Alternativökonomie?" im einzelnen beschrieben.

Es ist bedauerlich, daß sich die in alternativen Unternehmungen Tätigen gelegentlich darüber beklagen, daß sie nur auf dem Wege der „Selbstausbeutung" auf die Dauer Erfolg haben können. In Wahrheit gibt es nichts Schöneres als die Selbstausbeutung, nämlich die Verwendung der eigenen Kräfte zu selbstgewählten Zwek-ken, wenn es sein muß bis zur Erschöpfung. Das eben ist menschliche Tätigkeit, Freiheit.

Auszug aus Nachrichten und Stellungnahmen der Katholischen Sozialakademie Österreichs Nr. 3 und 4/83.

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