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Digital In Arbeit

Das Ende der Produktionsschiach

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Frappierender Zusammenfall: In der Zeitschrift „Ordensnach-ricKten" 1996/1 vom März 1996 findet sich ein Aufsatz des Kapuzinerpaters Anton Rotzetter über neue Profilierung der Orden mit den Aussagen: „Erfindung einer völlig anderen Ökonomie! Einfrieren der wirtschaftlichen Wachstumsprozesse ... ,Arbeit für alle' wird es nie mehr geben! Der Mensch definiert sich nicht durch Arbeit, sondern ... durch die Erfülltheit der Existenz angesichts eines Sinnhorizontes. Die industrielle Entwicklung mußte sich den Menschen, der sich durch Arbeit definiert, erst einmal schaffen, um ihn gebrauchen zu können. Heute fühlen sich darum viele, die ihre Arbeit verloren haben, als Nichts. Wir müssen das Menschsein des Menschen aufleuchten lassen -unabhängig von seiner Brauchbarkeit für Produktion. Da immer mehr Freizeit entsteht und immer mehr Menschen der arbeitsfreien oder arbeitslosen Zeit gegenüber stehen (eine bischöfliche Kommission der Schweiz spricht bereits von der 27-Stunden-Woche, und A. Muschg macht den Vorschlag, nur noch 50-Prozent-Stel-len zuzulassen), entsteht das Bedürfnis nach Sinnstiftungstätigkeiten und Sinnerfahrungsorten. Wir brauchen örtlich und regional sonntägliche Lebensformen, die die einzelnen aus der Isolierung herausführen und wieder kollektive Sinnerfahrungen möglich machen."

Und in eben diesem März 1996 fand eine weitblickende Vortragsveranstaltung anläßlich „30 Jahre Management Institut Hernstein" statt, die den „Humanressourcen" gewidmet war. Wolfgang Looss, Personalentwickler aus Darmstadt, ordnet der erhöhten Komplexität vorwiegend Kopf- und Kontaktarbeit zu. „Ganze Personen" werden verlangt, flexibel, motiviert, kreativ, teamorientiert, identifiziert, Tugenden, die nicht mit Selbstreduzierung zu vereinbaren sind. Grundqualitäten sind Kontakt und Autonomie, das „Werkzeug" des vertrauensbildenden Marktpflegers ist nur er selbst, sein Verhaltensrepertoire, erreichbar durch umfangreiche „Investitionen in die Person".

Mit dieser Veranstaltung hat das Institut Hernstein, unter Führung von Helga Stattler, neuerlich der zukünftigen Arbeitswelt nachhaltige Zuwendung erwiesen. Hernstein ist inzwischen geradezu der Zentralort zur ernsthaften Befassung mit Bedingungen und Gestaltung richtiger künftiger Arbeits- und Lebensformen geworden. Denn sieben Jahre nach der Konstituierung, eineinhalb Jahre nach dem ersten Symposium in Hernstein (siehe Furche 24/1996) traf sich neuerlich das Projektteam „Alternative Ökonomie" in der „Denkstatt Hernstein", um mit kritischen Fach-kollegen und Wirtschaftspraktikern neueste Erkenntnisse zu teilen und weiterzuentwickeln.

Dieser persönliche Kompetenzeinsatz von zehn Denkern unter der Leitung des in Klagenfurt wirkenden Philosophen Peter Heintel ist aus mehreren Gründen einmalig: interdisziplinär, radikal, unpolemisch, praxisbezogen, nachhaltig, umfassend informiert, mit großem wissenschaftlichen Apparat, erprobtem Arbeitsverfahren und Tagungsdesign. Ergebnis: die gründlichste und weitest -blickende ausformulierte Reflexion des gegenwärtigen ökonomischen Systems einschließlich Entwürfen seiner gebotenen Weiterentwicklung. Zur jüngsten Tagung lagen 317 DIN-A4-Seiten Analysen und Konzepttexte in 34 Aufsätzen vor, das entspräche

einem 800-Seiten-Fachbuch. Autoren sind Projektteam- und korrespondierende Mitglieder: Arno Bamme und Wilhelm Berger von der Technik-und Wissenschaftsforschung, Klagen -furt; Peter Fleissner von der Gestal-tungs- und Wirkungsforschung, Technische Universität, Wien; Luise Gubitzer von der Volkswirtschaftstheorie Wirtschaftsuniversität, Wien; Ada Pellert (siehe Furche 13/1996) vom Interuniversitären Institut für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung, Wien; und andere.

Einige Titel der Beiträge: Arbeit im Umbruch; die Zukunft der Arbeit; Unser Geldsystem - mögliche Alternativen; Arbeit und Beichtum; Lebensplätze statt Arbeitsplätze; Lang-zeitarbeitslosigkeit und zweiter Arbeitsmarkt; Arbeit, Arbeitslosigkeit, Utopien; Wie wollen wir in Zukunft arbeiten und leben?; Ökologieverträgliche Zukunft der Arbeit? Arbeit und Bedürfnisse; Arbeit und Systemtranszendenz; ein innovativer Umgang mit Gewalt: Umbau der Arbeitsgesellschaft.

Zu Hauptansätzen der Systemreflexion wurden:

1. „Bedürfnisse": Die echten humanen Bedürfnisse - Menschenwürde, Selbstbestimmung, Unbedroht-heit, Geborgenheit - werden von der üblichen Ängebot-Nachfrage-Begel nicht direkt gesucht, der „Markt" leistet das nicht, muß es auch nicht, aber er muß sich dieser seiner Grenzen bewußt werden.

2. Transzendenz: Kritische Sicht der herrschenden-Ordnung aus dem Blickwinkel übergeordneter Werte, das System braucht strenge Selbstreflexion, um zu überleben.

3. Gewalt: Die herrschende Ökonomie wird sich an der ihr impliziten Gewalt gegen Natur und Mensch selbst schädigen, wenn sie sich nicht ändert.

4. Technologie: Roboter, Automa-

ten, elektronische Kommunikation verändern revolutionär die Arbeitsbedingungen.

5. Redimensionierung: Kleinere Entscheidungs- und Leistungseinheiten, das gigantische ökonomische System zerbröckelt.

Die Ökonomie der Produktionsschlacht (immer mehr Herstellungskapazitäten für materielle Dinge) findet monetär, fiskalisch, technologisch, ökologisch, organisatorisch ihr Ende, bietet vielen Menschen keine Überlebensperspektive. Die Lebensweise der Wohlstandsinseln der Erde ist nicht weltweit übertragbar, nicht verallgemeinerungsfähig.

Die Trennung von Arbeit und Leben muß aufgehoben und enthierar-chisiert werden (in flache, gleichrangige, unwidersprüchliche Organisationsebenen), solange die Abstraktion der Arbeit vom Leben das Leben zum Rohstoff der Arbeit degradiert.

Ohne Restbestände einer familiären Solidarität im Wertesystem einer Gesellschaft überstehen weder Marktwirtschaft noch Sozialstaat (Herbert Walther, Volkswirtschaftslehre Wirtschaftsuniversität, Wien). Der Markt wirkt halbwegs als Allo-kationsmechanismus (Verteilungsregler) für Konsumgüter, löst aber nicht existentielle Fragen. Unsere Ökonomie betreibt Universalisie-rung einer Fiktion - nämlich „Be-preisung" von Luft, Wasser, Bildung, Landwirtschaft, also Kalkulationskonvention statt existentieller/mora-lischer Bewertung und Behandlung -bei überschießender Produktivität der Subsysteme unter dieser Halbwahrheit. Weil eben kurzlebige Sachen und Vergnügungen demnach zu billig sind und zu Lasten langfristiger Werte und Sicherheiten „maßlos" konsumiert werden.

Nicht die Arbeit geht der Arbeitsgesellschaft aus, sondern jener Teil, der gemeinhin als Erwerbs- oder

Lohnarbeit bezeichnet wird. Die Gesellschaft honoriert berufsbezogene Kompetenzen nicht. Wenn Menschen sich nicht mehr auf die Gemeinschaft verlassen können, brauchen sie immer mehr, da sie sich nie sicher sein können, wieviel an privater Vorsorge ausreicht. Die Entsoli-darisierung entfesselt indirekt Wachstumsantriebe.

Der herkömmliche Arbeitsmarkt versagt, er erfaßt nur einen geringen Teil der gesellschaftlich nötigen Arbeit. Ein Drittel hat gute Positionen, zwei Drittel sacken ab. Privilegier -tengruppen stehen viele Vereinzelte gegenüber. Potential der Destruktion. (750.000 bis 1,5 Millionen Arme in Österreich!) Option für die Armen heißt: Ethische Rückbindung an den Marginalisierten.

Bestimmte Arbeiten enden nie, solange Menschen als Menschen leben: es sind jene Tätigkeiten, die direkt mit dem Lebensprozeß zu tun haben. Die Dominanz eines „produktiven" (produzierenden, Sachen herstellenden) Arbeitsbegriffs bedeutet den Ausschluß all jener Tätigkeiten, die als „unproduktiv" betrachtet werden, obgleich sie genau das Gegenteil davon sind: Lebensorte begründend.

Diese jetzt externalisierte Tätigkeit ist aufzuwerten, nämlich die beziehungsintensive. Entfaltung eines guten Lebens hat den Sinn in sich.

„Wenn die Menschen ihre Loyalität und ihr Engagement vom freien Markt auf den sozialen oder non-pro-fit-Bereich übertragen, dann kann sich ein gesellschaftliches Leben entwickeln, das sich vom marktwirtschaftlichen Zeitalter so unterscheidet, wie der Feudalismus des Mittelalters sich von diesem unterschied." (Jeremy Rifkin, Das Ende der Arbeit, Washington 1995.)

Der Autor ist

Schriftsteller.

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