"Hochfahren" nach Corona? Widerständig sein!

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Beim „Hochfahren“ wird der Fokus wieder auf Geld und stetes Wachstum gerichtet. Man sollte dem innerlich und äußerlich entgegentreten. Ein Gastkommentar von Ferdinand Kaineder.

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Beim „Hochfahren“ wird der Fokus wieder auf Geld und stetes Wachstum gerichtet. Man sollte dem innerlich und äußerlich entgegentreten. Ein Gastkommentar von Ferdinand Kaineder.

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„Wir leben in Europa brutal über unsere Verhältnisse. Ein großer Prozentsatz der angeblich arbeitenden Bevölkerung bringt keine physische Produktivität hervor, sondern verarbeitet Informationen, erbringt sogenannte wissensintensive Dienstleistungen und bewegt sich dabei selber in immer höherem materiellem Wohlstand. Die Drecksarbeit wird an ökologisch ruinöse Produktions- und Mobilitätssysteme in asiatische und neuerdings afrikanische Länder ausgelagert. Diese ,Bequemokratie‘ bricht schon jetzt an den südlichen Rändern Europas zusammen.“

Der Ökonom Niko Paech ist nicht unumstritten, bringt aber schon lange vor Corona die gesellschaftliche Entwicklung auf den Punkt: „Weniger materieller Wohlstand ist kein Verzicht, sondern bedeutet, die Gesellschaft von der Wohlstandsverstopfung zu befreien“, meint er. „Das bedingt eine Steigerung der Resilienz, der Widerstandskraft und bringt Krisenrobustheit. Weniger kommerzielle Arbeitszeit, mehr Handwerk, mehr Selbstversorgung sind einige Elemente einer notwendigen neuen Zukunftsökonomie, die nach dem Wachstum kommen muss.“ Im persönlichen Gespräch hat mir Paech 2016 in Berlin mitgegeben, dass er sich viel mehr Widerstand gegen diese „Zuvielisation“ aus dem „kirchlichen Eck“ wünscht.

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Der Zauberstab des Wachstums ist durch ­Covid-19 am Ende, zumindest unterbrochen. Das globale „Ende der Megamaschine“ ist eingeläutet. Fabian Scheidler ermöglicht mit dem Bild von der Megamaschine ein „Verstehen unserer Zeit mit den dahinterliegenden Dynamiken“. Diese Maschine läuft aus sich heraus, sie bewegt sich zum Teil selbst programmiert. Die mächtigen Eliten haben es sich so gerichtet, dass sie immer profitieren. Selbst Krisen werden zu Geldbringern und Machtgaranten. Wer diese Gedankengänge gegangen ist, wird unweigerlich „systemkritisch“. Kapitalismus und Neoliberalismus verlieren ihre Unschuld.

Der Krise Raum geben

Die laufende Geld-Ökonomie – kombiniert mit dem Wachstums-Paradigma – steht gerade an der Wand. Aus paradoxer Sichtweise müssen wir fordern: Gebt der Krise Raum, damit sie ihre Wirkung entfalten kann. Eine entsprechende Grundabsicherung aller arbeitslos Gewordenen und teilweise prekär Arbeitenden aus dem Gemeinwohlnetz inklusive.

Notker Wolf sagte: "Sollten Sie um sich keinen Widerstand mehr spüren, dann organi-
sieren Sie sich einen."

Das verlangt nach einer ökologischen und solidarischen Ökonomie, die jetzt eine intensivere Verknüpfung, eine gemeinsame wahrnehmbare Stimme und mehr Sichtbarkeit nach außen braucht. Die Menschen sehnen sich als soziale Lebewesen nach genau dieser Art des Wirtschaftens. Gemeinsam. Es gibt Projekte, die prototypisch zur Imitation zur Verfügung stehen. Beim Klimapilgern 2015 haben wir einige in den „Rucksack der Alternativen“ gepackt. Papst Franziskus ist ein unermüdlicher Mahner in diese Richtung und steht klar im Widerspruch, im Widerstand zu allen menschen- und umweltverachtenden Strukturen. Mit ihm ist dieser geschärfte Widerspruch neu in die katholische Kirche gekommen, mit Kraft und öffentlicher Wirkmacht. Es war aus heutiger Sicht ein großer Fehler von Papst Johannes Paul II., die Befreiungstheologie zu eliminieren. Jetzt gleitet die Kirche in Südamerika ins Abseits. Die Widerstandskraft ist „erlahmt“. So wie in Europa.

Franz Jägerstätter hatte einen Traum: Ein Zug, auf dem viele Menschen hängen, fährt in den Abgrund. Und viele Menschen wollen auf den Zug aufspringen. Er hat „Nein“ gesagt, das hat ihn das Leben gekostet. Seine Frau hat diesen Widerstand aus konsequenter Gewissensentscheidung heraus lebenslang mitgetragen.

Und heute? Der in Richtung Wachstum und Konsum fahrende Zug fährt direkt gegen unsere Weltkugel, auf der wir leben. Stichwort Klimawandel. Der Zug fährt direkt gegen einen Großteil der Menschheit, weil Sklaverei und Abhängigkeit – digital verfeinert – sogar wieder als normal gesehen werden. Heute eilen zu viele Menschen diesem Zug zu, der Geld, Gewinn, Eigennutz – biblisch Mammon – in die Auslage stellt. Viele spüren: Eine enkeltaugliche, solidarische und ökologische Lebensstruktur führt in die andere Richtung. Das braucht ein neues Hören, eine Spiritualität der Liebe und ein ökologisch-soziales Tun. Die Religionen sind alle gefordert, diese Seite an sich selbst neu zu entdecken. Im Klang einer Glocke oder Schale spüren wir etwas, was uns öffnet für einen größeren Raum, für größere Zusammenhänge im Sinne von Laudato si.
Ich bin überzeugt, dass wir scheitern, wenn wir uns diesem spirituellen Raum – für uns Chris­tinnen und Christen „Gott“ – gegenüber nicht öffnen.

Wo kein Widerstand, da kein Leben

Der Franzose Pierre Rabhi hat in seinem Büchlein „Glückliche Genügsamkeit“ geschrieben: „Ja, das Gold hat die Menschheit verrückt gemacht. Und es ist schockierend, festzustellen, wie viel verborgene Kraft eine Sache besitzt, die doch nur Metall ist.“ Dieser Mammon, der auch im „Hochfahren“ aus der Krise massiv beschworen wird, braucht inneren und äußeren Widerstand aus einer Dynamik des „einfach liebenden Lebens“ heraus. Das Evangelium ist voll davon. Der frühere Generalabt der Benediktiner, Notker Wolf, hat bei einem Vortrag in einem Wiener Bankgebäude den über einhundert Wirtschaftsmanagern, vorwiegend Männer, eindringlich geraten: „Sollten Sie um sich in der Leitungsetage keinen Widerstand mehr spüren, dann organisieren Sie sich einen. Wo kein Widerstand, da kein volles Leben, da keine Zukunft.“

Angesichts der fast lautlosen Etablierung eines mehr oder weniger „sanften Populismus“, der trennt, statt eint, der Unterschiede vergrößert, statt überbrückt und Menschenrechte aushöhlt, statt sie als Basis zu schützen, braucht es die laut widersprechenden Stimmen aus dem zivilgesellschaftlichen und kirchlichen Milieu, vor allem der Bischöfe. Und es braucht ein neues Hören bei den Regierenden.

Der Autor ist Theologe, Coach und ehemaliger Sprecher der Ordensgemeinschaften Österreich.

Lesen Sie hier die Replik von Christian Schacherreiter auf diesen Kommentar.

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