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Digital In Arbeit

Wer kümmert sich um die Verlierer des wirtschaftlichen Fortschritts?

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Wer in Österreich zuerst und überzeugend die Diskussion um die Neubewertung der Arbeit beginnt, kann die nächsten Wahlen gewinnen.

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Wer in Österreich zuerst und überzeugend die Diskussion um die Neubewertung der Arbeit beginnt, kann die nächsten Wahlen gewinnen.

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Die wissenschaftlichen und journalistischen Befunde vom drohenden Zusammenbruch des konventionellen Arbeitsmarktes kommen spät. Die griffige Formel von der „Zweidrittelgesellschaft", bei der nicht mehr klar ist, ob sie zwei Drittel Arbeitslose meint, ist eine der verbalen Lieblosigkeiten der Gegenwart. Im Grunde ist, was uns da aktuell bedroht, eine Folge der technischen Revolution des 19. Jahrhunderts. Damals wurde der Mensch schrittweise von der schweren Arbeit durch die Maschine abgelöst. Angst und Skepsis führten schon damals zu Maschinenstürmen, weil die Menschen mehr ahnten als wußten, daß die Maschine ihr Feind sein und werden konnte.

In der Folge gelang es, die Verelendung der Arbeiter durch eine soziale Revolution abzufangen. Heute liest sich das so leicht, aber es war das in der eine Reform der Vernunft und Rücksichtnahme, sondern ampf unter Blut und TränenTEs ist bedauerlich, daß diese Kapitel der Sozialgeschichte heute von den sogenannten Aufsteigern innerhalb und außerhalb der Parteien und Bewegungen vergessen und verdrängt werden. Das Klassenbewußtsein wurde politisch zu viel mißbraucht und klingt heute nach Mottenkiste, aber als Geschichtsbewußtsein der Betroffenen und ihrer Nachfolger wäre es wünschenswert.

Blenden wir kurz zurück: Von Emile Zola bis Alfons Petzold wurde einst der soziale Kampf literarisch unterstützt. Vergessen ruhen viele ungele-sene Bücher im Staub der Bibliotheken. Aber parallel zur Durchsetzung der sozialen Gerechtigkeit wuchs im neuen Maschinenzeitalter auch der neue Fortschrittsglaube.

Die Dichter priesen den Hall der Hämmer als Zukunftsrtielodie, das hohe Lied der Arbeit erklang, der Mann am Werk wurde zum Helden bei Heinrich Lersch und Ernst Jünger. Die heute Älteren erinnern sich vielleicht noch der „Kantate von Kaprun", in der Österreichs Kraftwerksbau hymnisch gefeiert wurde. Erst die Umweltschutzbewegung stellte dieses Heldentum in Frage. Aufbaujahre

nach zwei Groß- und vielen Kleinkriegen mündeten in Wirtschaftswunder -jahre mit allen Folgen für ein stolzes Selbstbewußtsein.

In all dieser Zeit lebten Wissen-ften und Künste mit wenigen ohne die Frage, welche Auswakujftgen die Mechanisierung der Produktion eigentlich auf die Dauer haben wird, Zustimmung herrschte zu jeder weiteren Automatisierung. Das konnte und sollte immer so weitergehen - und erst recht mit Computern, Informatik und Selbststeuerung. Wirtschaftlicher Jubel herrschte über jede Rationalisierurig. Die „intelligenten" Produkte verschafften Vorsprünge. Zudem machten Eiserner Vorhang und Bambusvorhang der Dritten Welt die westlichen Industrieländer zu einer Art geschützter Werkstätte.

Heute haben wir, ohne es noch so richtig zu bemerken, längst eine markante Grenze überschritten. Die Maschinen produzieren mehr als die Menschen. Wir sind die Diener der Maschinen geworden. Wenn alles perfekt läuft, ist der Mensch nur mehr ein Störfaktor der Produktion. Wenn allerdings Menschen als Arbeiter an den Maschinen kaum mehr nötig sind und daher an ihnen kein Einkommen haben - wer soll denn dann die ganze prächtige Produktion kaufen? Das ist der Punkt, an dem die einsichtige Wirtschaft innehält und sich an die Sozialpolitik wendet. Die grausige Utopie einer auf vollen Touren lau-

fenden Produktion, deren Erzeugnisse sich eine verarmte Menschheit nicht leisten kann, die Aufhäufung einer künsthchen Müllhaldeche Sinnlosigkeit der technischen'Tiisum-wqjlt wird zur Bedrohung,

Dte Einsicht Kommt wie beim Umweltschutz - spät, aber doch. Hätten wir die Entwicklung anhalten oder verhindern können odertsollen? Ist der Ruf nach einer „neuen Bescheidenheit" den Zyniker mit „Zurück in die Steinzeit!" kommentieren, zweckmäßig? Oder sind das Beschwichtigungen wie einst, mit denen die reichen Besitzer der Produktionsmittel die Armen vertrösten wollen?

Die klassische Funktion der Arbeit ist obsolet geworden. Die Maschinen haben uns abgelöst. Dennoch, Heinrich Heines Vers „Brot für alle hat die Erde" ist umzudichten in „Arbeit für alle hat die Erde!", denn die so verin-nerlichte Bindung von Arbeit mit Erwerb muß aufgelöst werden.

Es gibt Arbeit und damit Lebenssinn genug auf dieser Welt. Und die Ablösung der Arbeit vom Erwerb birgt die Chance einer neuen Freiheit des menschlichen Füreinander-Da-seins. Als Herwig Büchele vor einem Jahrzehnt erstmals die Forderung ei-

nes allgemeinen Grundeinkommens aus dem Nationalprodukt vorschlug, führte das zum Mißverständnis eines „arbeitslosen Einkommens", für das die Leisturfgsgesellschaft nur Spott und Häme übrig hatte,

Mittlerweile hat sich auch der Leistungsbegriff weiter in Richtung Wahrheit bewegt. Ist die Leistung einer Mutter mit mehreren Kindern etwa ein geringeres Management als das eines Abteilungsleiters in der Industrie? Ja, leistet nicht selbst ein Mensch, der etwa durch geduldiges Zuhören die Sorgen seiner Mitmenschen auf sich nimmt, einen wertvollen Beitrag in einer suizidgefährdeten Gesellschaft? Arbeit und Leistung ist so vieles. Es ist höchst ungerecht, nur Lohnarbeit als Selbstverwirklichung zu betrachten und zu honorieren. Wir stehen vor der Herausforderung einer grundsätzlichen Strukturwandlung. Sie beginnt mit Aufklärung, von den Schulen bis zu den Medien. Sie ist wichtiger als die Symptomkuren, mit denen die Sozialpartner mit zugegeben guter Absicht ein überholtes System zu retten versuchen.

„Was hab ich davon?" könnte jetzt schulterzuckend ein junger Arbeitsloser sagen. Vom Gesinnungswandel,

der da eingeleitet werden soll, kann er schließlich nicht leben. Ähnlich wie beim Umweltschutz liegt eine Jahrhundertaufgabe vor uns. Aber gerade der Umweltschutz hat bewiesen, daß ein Fortschritt in konsequenten Schritten möglich ist. Dabei sind es nicht die Utopisten, die für diesen Fortschritt nur die Kennmelodie von außen sind, die Wirkungen erreichen. Bei aller Skepsis gilt heute bereits der Beweis erbracht, daß die Wirtschaft durchaus in der Lage ist, umweltfreundlicher zu agieren.

Herwig Büchele hat bei den Salzburger Hochschulwochen darauf aufmerksam gemacht, daß einseitige Vorreiterrollen und Verzichte auf Umweltnutzung auch schädlich für die globale Entwicklung sein können. Er hat das am Beispiel der Fischereirechte begründet.

Österreich als kleines Land unter den Industriestaaten wird daher auch bei der Neubewertung der Arbeit nicht die vorhandenen Strukturen brechen können, ehe das Umdenken auch international ein gewisses Maß erreicht hat. Bei der Aufklärung und der Verbreitung des Problembewußtseins können unsere Wissenschafter, Künstler und Politiker allerdings sogleich und führend ans Werk gehen.

Es klingt nach dem österreichischen Fortwurstel-Prinzip und ist daher nicht sehr attraktiv, wenn wir die bestehenden Strukturen vorläufig erhalten. Wir können vom Job-Sharing bis zu Sabbaticals einige Milderungen einbauen. Es kann durchaus eine so-ziale Tat sein, wenn Arbeitnehmer Einbußen aus Solidarität hinnehmen. Spitzeneinkommen sind nicht dem Betrag nach ungünstig, sondern weil ihre Beispielwirkung die Gesellschaft demoralisiert. Die neuen Sparpakete sind Schritte, aber nicht in die wünschenswerte Richtung.

„Was hab ich davon?" fragt unser Arbeitsloser. In der 7. Duineser Elegie von Rilke steht eine harte Antwort: „Jede dumpfe Umkehr der Welt hat solche Enterbte, denen das Frühere nicht und noch nicht das Nächste gehört." Zu wissen, daß das Umdenken begonnen hat und daß Bewußtseinsänderungen sich ab einem gewissen Schwung eigengesetzlich beschleunigen, das ist die Hoffnung, die den Benachteiligten gegeben ist

Jene Partei, die zuerst und überzeugend die Diskussion um die Neubewertung der Arbeit aufnimmt und trägt, wird die Stimmen der Bedrohten und Benachteiligten und aller jener, die sich mit ihnen solidarisch fühlen, bei der nächsten Wahl ernten.

Der Autor ist

Betriebspublizist in Ruhe, Wirlschafls-kommentator. Satiriker und Literat

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