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Stadt - Ort der Bewährung vor Gott

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In diesem Beitrag behandelt Univ.-Prof. Wilhelm Dantine die Probleme der modernen Großstadt als Thema der protestantischen Theologie. Er ergänzt die Betrachtungen von Jörg Mauthe über die Zukunft der Großstadt in der letzten Ausgabe der FURCHE.

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In diesem Beitrag behandelt Univ.-Prof. Wilhelm Dantine die Probleme der modernen Großstadt als Thema der protestantischen Theologie. Er ergänzt die Betrachtungen von Jörg Mauthe über die Zukunft der Großstadt in der letzten Ausgabe der FURCHE.

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Es kann nicht Aufgabe der Theologie sein, irgendwelche konkrete Vorschläge zu machen, die in technische Einzelheiten der Fragen der städtischen Existenz eingreifen könnten. Wohl aber scheint es so zu sein - und Jörg Mauthe hat das eindrücklich dargestellt -, daß unter der Chiffre „Stadt” heute Traum und Alptraum, Angst und Sorge, Hoffnung und Verzweiflung und nicht zuletzt und vor allem Resignation aufbricht. Alle schönen, deutlichen, klaren und großartigen Sinngebungsaussagen, wie etwa die des Philosophen Aristoteles, daß die Stadt dem Leben zu dienen hat, können nicht davor bewahren, daß die Stadt zu einem Traum, ja zu einem Trauma wird, und weitgehend sind die städtischen Menschen heute in dieser Situation.

Hier stellt sich die Frage nach dem Vorbild, dem zu Grunde liegenden Urbild für die Stadt: ist es Babel oder ist es das himmlische Jerusalem?

Nun beschäftigt uns seit Jahren in der Theologie und speziell in der Gesellschaftsethik die Frage, daß wir in unserem Leben heute die Dinge des Städtischen nicht mehr bloß behandelt, bearbeitet und erlebt finden, unter der Betreuung wohlwollender und sachkundiger Fachexperten. Das, was wir heute und seit langem erleben, ist Stadtflucht. Und es sind nicht die Schlechtesten, es sind die um ihr Innenleben Besorgten, es sind teilweise Dichter, Schauspieler, Künstler, Professoren, Politiker, die zumindest übers Wochenende oder auch einige Wochen und Monate hindurch irgendwo hinausflüchten, und meinen, in der Stadt könnten sie nicht mehr denken, nicht mehr fühlen, nicht mehr meditieren, in der Stadt ginge der Geist und nicht nur der Leib zu Bruche.

Und immer dann, wenn die Dinge über das Mittelmaß hinausgehen, wenn eben Sorge, ja Angst, zwanghafte Angstvorstellungen den Menschen dramatisch besetzen, ist zweifellos die Theologie gefordert. Pasto- raltheologie, die - im besten Sinne des Wortes - auch Seelsorge, Gesellschaftsseelsorge und nicht nur Einzelseelsorge sein will, ist gefordert zu fragen.

Persönlich würde ich meinen, daß das gerade für den Evangelischen eine ganz besondere Aufgabe darstellt, denn ich meine, daß wir Protestanten aus vielerlei Gründen einen ganz besonderen Anlaß haben, das städtische Problem zu bedenken. Man könnte sagen, daß der Protestantismus überhaupt in der ganzen Welt, und nicht zuletzt auch im deutschsprachigen Raum, eine ganz besondere Mitverantwortung zumindest für die Stadt in der modernen Zeit hat.

Ich darf auch daran erinnern, daß alle die Schwierigkeiten und Probleme, auch die Schreckensvorstellungen, etwa die, daß man in der

Stadt zum geistigen, seelischen Sterben verurteilt ist, längst auch in den Großstädten der Antike sich eingestellt haben. Dennoch scheint mir für die moderne Stadt, oder die Stadt seit demBeginn der Neuzeit, wie sie sich als Großstadt, als Millionenstadt, darstellt, doch der Protestantismus in einer doppelten Weise mitverantwortlich zu sein.

Die positive Seite dieser Mitverantwortung soll hier nur kurz in Erinnerung gebracht werden. Immerhin sei die Rolle der Reichsstadt in dem Geschehen der Reformation erwähnt und darauf verwiesen, daß bedeutsame Städte den werdenden Protestantismus mitgestaltet haben. Das hat eine wesentliche gesamtpolitische Rolle in Europa gespielt, etwa in der Stadt Steyr, dieser damals großen Waffenfabrik, die den österreichischen Herrschern die Möglichkeit gegeben hat, die Türkengefahr zu bannen. Diese Stadt Steyr hat nicht nur die gesamten Geschütze für die Türkenkriege geliefert, sondern auch ungeheure Geldsummen aufgebracht, und damit am Anfang des 17. Jahrhunderts ihre Freiheit für die Predigt des Evangeliums für immerhin noch 20 Jahre gesichert. Und dabei war Steyr niemals eine Reichsstadt,-sondern eine landesfürstliche Stadt, wie die Städte in Österreich allesamt landesfürstliche Städte waren.

Die großen, damals wichtigen Städte im deutschen Reich, sind fast samt und sonders als freie Reichsstädte protestantisch geworden. Hier findet man einen gewissen Zusammenhang, und auf diesen Zusammenhang kommt es an. Auch die Anfänge einer bürgerlichen, städtischen Demokratie sind weitgehend mit protestantischem Selbstbewußtsein verbunden gewesen, ebenso die Freiheit der Wissenschaft, die Freiheit der Bildung und damit letzten Endes - und auch dafür sind Steyr und vieles andere in der österreichischen Geschichte ein bedeutsames

Zeichen - die Anfänge der modernen Technologie.

Aber es ist auch das, was wir in überkommener Weise den Bürgersinn nennen, der das Gemeinwohl über das Einzelwohl stellte, Senate, Magistrate, in denen die einzelnen Bürger auf Grund ihrer Verantwortung vor Gott gemeint haben, die Verantwortung für dieses Gemeinwesen tragen und steuern zu sollen. Es ist der bekannte Bürgermut vor Fürsten und Gewaltigen ein wesentliches Stück protestantischen Erbes.

Auch das sind Errungenschaften, die damals in wesentlicher Gemeinschaft mit protestantischem Selbstverständnis und Entdeckung einer Eigenwelt des Bürgers Hand in Hand gegangen sind. Vielleicht könnten wir überhaupt sagen, daß das, was wir bürgerliches Selbstverständnis und Gesellschaftsverantwortlichkeit im Sinne der damaligen Zeit nennen könnten, seine wesentlichen und entscheidenden protestantischen Ursprünge und Farben hat.

Es gibt auch negative Aspekte, die wir nicht unterdrücken können. Wir denken daran, daß dieses Bürgertum nach seinem äußeren Sieg in der politischen Welt von Schrecken und Angst gepackt war über das, was in der Französischen Revolution auf die Welt zukam. Seit diesem sogenannten Sieg traten die Ängste vor den Folgen dieser und aller anderen Revolutionen in den Vordergrund. Für den Protestantismus des 19. Jahrhunderts ist es wohl das Charakteristische gewesen, daß er sich ganz generell gesprochen in eine Innerlichkeit der Frömmigkeit und des Glaubens zurückgezogen und angefangen hat f wenn überhaupt gesellschaftspolitisch wirksam zu werden und das mehr oder weniger unbewußt -, den bisherigen bürgerlichen Besitz, das heißt die Verkoppelung von Bürgerexistenz und Hausbesitz oder Gartenbesitz, zu verteidigen.

Dieses gewisse Kleben am Eigentum ist insbesondere im protestantischen Raum die eigentlich beherrschende Stimmung gewesen, mehr kann man vielleicht gar nicht sagen. Aber es ist doch bezeichnend, daß ein so ausgekochter Nihilist wie Max Stimer mit seinem Buch „Der Einzige und sein Eigentum” und mit dem Motto am Anfang und am Ende, „ich habe mein Sach auf mich gestellt”, aus protestantischer Feder, aus protestantischer Grundüberzeugung keine Gegenantwort, keine Gegenposition bekommen hat.

Inzwischen sind im 19. Jahrhundert die Städte über ihre Ränder hinausgewachsen und wurden zu Milhonenstädten mit den riesigen Ansiedlungen von Arbeitern, ohne irgendeinen Besitzbezug zu den Häusern, in denen sie wohnten, geschweige denn zu ihrer eigenen Arbeit. Und es ist das entstanden, was man heute ganz allgemein die Slums nennt.

Alles, was dazu von protestantischer Seite geboten worden ist, ist - nachdem der große Versuch einer inneren kirchlichen Reformation durch Hans Hinrich Wiehern gescheitert ist, und aus der inneren Mission eine zwar großartige Anstaltsdiakonie entstanden ist - eigentlich keine wesentliche Antwort geworden.

Ich möchte das deswegen ausdrücklich betonen, weil im 19. Jahrhundert der Katholizismus diese Fragen, diesen ganzen Fragebereich gestellt hat, in Österreich beginnend in der Zeit des Josephinismus und dann über den katholischen Liberalismus und eine Art katholischen Sozialismus hinaus. Jedenfalls hat eine beachtliche, wenn auch unter schweren Kämpfen durchgesetzte und durchgefochtene Inangriffnahme der gesamten Problematik stattgefunden. Ich meine, wir haben hier als Protestanten gerade im Blick auf unsere katholischen Mitbrüder und Mitschwestern auf den üblichen Protestantenhochmut weitgehend zu verzichten.

In unserer Zeit hat nun eine erneuerte und vertiefte technologische Besinnung Platz gegriffen, und dies seit Jahrzehnten. Das Eigentliche und für uns Relevante an dieser Erneuerung betrifft wesentlich das Problem der Hoffnung, eine Vokabel, die man in früheren Jahrhunderten fast nur mehr gebraucht hat, wenn’s zum Sterben gegangen ist, oder wenn man ganz allgemein vom Weitende und vom ewigen Leben gesprochen hat. Die Gewißheit des ewigen Lebens für den einzelnen ist ganz und gar verbunden und verkoppelt mit einer Bewährung dieser Hoffnung auf die weltüberwindende Kraft des Glaubens. Sie wird so eine Hoffnung auch innerhalb der Schöpfung und für die Schöpfung. Die Schöpfung bekommt ein ganz anderes Gesicht.

Sie kann dann nicht mehr - wie vielfach heute noch für viele Gebildete - einfach gleich Natur sein, was heißt, daß Schöpfung dann bloß jener schöne lichte Morgen am Waldesrand sei oder eine Wiese, wo ein Reh herumspringt, oder irgendwie in der erhabenen Bergwelt oder in dem gewaltigen Tosen des Meeres zu sehen ist.

Schöpfung ist zwar jeweils Natur, aber eben auch die gestaltete Natur. Schöpfung ist der Mensch, der als Geschöpf Gottes, verantwortlich für diese Natur, als der Verantwortliche in der von ihm erlittenen und von ihm gestalteten Geschichte, Hoffnung haben muß, Hoffnung erzeugen muß, sogar innerhalb der Geschichte. Glaube denkt dann nicht mehr einfach bloß immer an das Ende der Geschichte, wenn von Hoffnung die Rede ist.

Im Rahmen dieser neu verstandenen Hoffnung bekommt die Frage der Lebensqualität von der Verantwortung für die nachfolgenden Generationen eine unerhörte Bedeutung. Man kann, so hoffend, nicht mehr sein Ziel darin finden, aus diesen und jenen Schwierigkeiten von heute und morgen sich durchlavierend herauszufinden,, sondern man muß die Weichen dafür stellen, wie denn Kinder und Enkel lebensqualifiziert existieren.

Dann freilich würde das bedeuten, daß nicht mehr erlaubt ist, generell das Eigentum auszunützen, es zu gebrauchen, es aber auch zu vernichten, wenn das merkantil besser sein sollte. Es würde bedeuten, daß wir diese Weise der grundsätzlichen Ausbeutung der Schöpfung Gottes nicht mehr erlauben dürfen. Damit rückt die Erkenntnis heran, daß - wer Hoffnung sagt - gleichzeitig auch sagt, Dienst am Mitmenschen, auch Dienst an der Natur.

Für unser Verhältnis zur Stadt hat das natürlich ganz besondere und erhebliche Konsequenzen. Ich meine, daß im strengen Sinn des Wortes das Evangelium, sofern es Hoffnung gebietet, es uns Menschen untersagt, in irgendeiner Form Schöpfung zu verteufeln und zu dämonisieren. Ich meine daher, daß evangelische Christen von ihrem Glauben her keine Möglichkeit haben - was leider vielfach geschieht -, die Stadt als solche zu verteufeln. Stadt wird Bewährung vor Ort.

Nun muß man sich klar machen, daß dem allen etwas gegenübersteht, was ich - sie verzeihen den harten Ausdruck - Aberglauben nennen möchte. Ich meine den Aberglauben an die automatische Güte des technologischen Fortschrittes. Die gesamte fortschrittliche Ideologie war und ist vielfach noch überzeugt davon, daß alles, was technologisch leichter und besser geht, jedenfalls dem Menschen zugute kommen muß. Wir haben zu- viele Beispiele, daß diese Automatik nicht stimmt. Wir haben genug andere Beispiele, daß es gelingen kann. Man sollte nun nicht die Technologie als solche verteufeln. Der Aberglaube liegt in der Einstellung, technologischer Fortschritt sei automatisch gut.

Um solchen Aberglauben zu brechen, bedarf es einer Revitalisierung der Phantasie. Man könnte das auch Innovation auf der kommunalpolitischen Ebene nennen. Wesentliche Voraussetzung dafür ist aber, daß die Stadt, so wie sie ist, als Traum und als Alptraum, als Schöpfung Gottes aus seiner Hand genommen wird. Wir werden nicht aufhören können, in Städten zu leben. Es geht darum, Sie als Schöpfung Gottes zu sehen, die durch Menschenhand verwaltet, verwirklicht, verantwortet werden muß, sie nicht einfach als Moloch abzuschreiben und daraus zu flüchten, sondern die Fragen, die sich hier stellen, herzhaft anzupacken.

(Auszug aus einem Vortrag bei der Tagung des ,Evangelischen Arbeitskreises in der ÖVP”)

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